Von der Zeitlupe zur Explosion
Das Kampfsystem von Pillars of Eternity hatte zwar einige interessante Ansätze wie etwa die Kampfbindung oder das Flankieren, aber auch einige Probleme, die vieles konterkarierten. Es war nicht nur zu überfrachtet mit letztlich ineffizienten Möglichkeiten, sondern trotz Pause auch nicht gut genug durchschau- und kontrollierbar: Manchmal kam es zu einem Tohuwabohu und Explosionsgetümmel, oftmals zickte auch die schlechte Wegfindung. Zwar gibt es für meinen Geschmack immer noch zu viel Masse, Gebombe und Over-the-top-Magie, denn ich bevorzuge realistischere Kampfsysteme der Low Fantasy à la
The Age of Decadence, auch wenn das im Vergleich zu statisch inszeniert wurde. Aber dieser Nachfolger spielt sich weniger hektisch und wesentlich taktischer, so dass es viel mehr Spaß macht, seine Aktionen zu koordinieren und unter seinen Feinden aufzuräumen.
Welche Fähigkeiten sollen beim Aufstieg verbessert werden?
Nicht nur weil die Charaktere jetzt den vorgegebenen Routen und Anweisungen folgen, sogar endlich selbstständig Hindernisse umgehen, sondern weil man deutlich mehr Kontrolle über das Geschehen hat. Zum einen kann man das Tempo jetzt dynamisch von langsam bis auf eine Superzeitlupe reduzieren, so dass man nicht nur die hübsch animierten Bewegungen dabei beobachten, sondern auch noch gemütlicher überlegen kann, was man denn als Nächstes tut. Das ist die ideale Umgebung für alle, die sich situativ entscheiden wollen, ob sie jetzt lieber diesen Arkebusen-, Armbrust- oer Bogenbeschuss, jenen Zauber oder diese Bombe einsetzen. Vor allem da es einige interessante Kombinationen gibt, die für große Schadensboni sorgen, wenn man etwa zuerst flankiert und dann hinterhältig attackiert, oder wenn man zuerst jemanden blendet und dann beschießt. Auch die bekannten Bindungen der Feinde im Vorfeld wirken jetzt viel effizienter - so entsteht etwas mehr Positionstreue und Ruhe, denn man darf sich ja nicht einfach aus einem Duell heraus wegbewegen, weil man dann eine zusätzliche ungedeckte Attacke erdulden muss. Und auch die verbesserte Gegner-KI nutzt diese Bindungen, das Flankieren sowie Feuern aus der Distanz!
Der neue Komfort im Kampf
Jetzt lohnt es sich auch, das Schleichen und die Magie strategischer im Raum einzusetzen: Man kann z.B. nicht nur präventiv Fallen auslegen, indem man sich unentdeckt nach vorne wagt und den Boden präpariert, sondern ganze kreisrunde Bereiche
Auch beim Kampf gegen diesen Titanen lohnt sich die Superzeitlupe.
oder Korridore mit arkanen Fallen bestücken - und in diese dann per Beschuss die Feinde locken. Das ging auch im Vorgänger, aber ist jetzt wesentlich sinnvoller. Denn im Getümmel ist selbst der Einsatz von Magie mit Friendly-Fire-Effekt endlich kein Selbstmord mehr, denn es gibt z.B. bei kreisrunden Feuer- oder Eiseinschlägen jeweils zwei Radien, wobei der äußere für eigene Kämpfer ungefährlich ist. Je intelligenter der Magier, desto breiter sind diese Kreise. Außerdem, und das ist ebenfalls sehr sinnvoll, kann man einmal fixierte Zielkreise noch während des Zauberns woanders hin bewegen, um damit den evtl. weiter gelaufenen Gegner zu verfolgen - sehr komfortabel!
Zwar erreicht man nicht die herrlichen physikalischen Wechselwirkungen oder Kettenreaktionen eines
Divinity: Original Sin 2, aber jetzt gibt es auch mal mehr Interaktionen mit explosiven Fässern und man kann schonmal eine ganze Wand wegsprengen. Außerdem darf man nicht vergessen, dass die von mir kritisierte Fülle natürlich auch ihre Vorteile hat - denn das Repertoire an Nahkampf, Fernkampf und vor allem Magie, mit all ihren Beschwörungen und Zauberattacken ist so groß, dass man natürlich viel experimentieren kann. Hinzu kommen ja die Gesänge der Barden, die hier wie in keinem anderen Spiel seit Bard's Tale ihre Renaissance feiern. Neu ist zudem, dass man Helden einmal pro Kampf "ermächtigen" kann, damit sie entweder ihre verbrauchten Fähigkeiten auffüllen oder vorhandene kurzfristig in höherer Kraftstufe einsetzen, so dass auch Kämpfer mit ihrem Hieb viel mehr Schaden anrichten.
Manchmal hilft es auch, zu schleichen.
Dass man jetzt nur noch fünf statt sechs Charaktere befehligt, trägt vielleicht auch ein wenig zur Entschlackung bei, wird aber durch mehrere mögliche Begleit- bzw. Folgetiere wieder ausgeglichen, so dass man auch mal zu siebt kämpft. Man kann Wölfe beschwören oder Vögel einsetzen, die sich ebenfalls sehr gut als Blockierer und Binder von Gegnern eignen. Zum anderen kann man jetzt jedem Helden ganz klare Verhaltensweisen vorgeben: Einsteiger können einfache Varianten wie "aggressiv" oder "defensiv" einstellen , Experten können ganze Befehlsketten inklusive einzelner Manöver wie etwa der Heilung ab einer bestimmten Verwundung etc. wie in einem Editor festlegen. Ihr wollt alles selbst managen? Dann deaktiviert einfach die Gruppen-KI und nach jeder Aktion wartet der Charakter, schlägt nicht mal mehr selbst zu. Obsidian Entertainment kann zwar nicht alle Probleme aus der Welt schaffen, weil die Gefechte auf demselben pausierbaren Echtzeit-System sowie Zauberrepertoire beruhen, aber diese Kämpfe machen jetzt Laune.