CrossCode11.10.2018, Mathias Oertel
CrossCode

Im Test: Das Offline-Online-Action-Rollenspiel

Ein Offline-Spiel, das ein Online-Spiel simuliert? Das gab es doch schon mal, oder? Richtig: Bandai sorgte mit .hack seinerzeit mit großem Erfolg auf der PS2 für die Mischung der eigentlich unvereinbar scheinenden Elemente. Ein ähnliches Konzept verfolgt Radical Fish Games für das ambitionierte Action-Rollenspiel CrossCode (ab 14,99€ bei kaufen), das nach langjähriger Entwicklung endlich erschienen ist. Wir schauen im Test, was der Titel auf dem Kasten hat.

Die Offline-Online-Welt

Zugegeben: Seit .hack ist das Konzept nicht wirklich neu, im Rahmen eines Offline-Spiels für Solisten die Welt eines Online-Rollenspiels mit seinen Bewohnern/Spielern sowie ihren Marotten darzustellen. Dass sich das Indie-Team von Radical Fish Games bei CrossCode thematisch bei Bandais Klassiker bedient, kann ich ihnen jedoch nicht übel nehmen. Zum einen bin ich ein großer Fan der .hack-Spiele auf der PlayStation 2. Zum anderen gibt man dem Action-Rollenspiel eine eigene Identität. Nicht nur durch den unglaublich charmanten Grafikstil, der sich an einschlägigen 16-Bit-Abenteuern aus der SNES-Zeit von Zelda: A Link to the Past über Terranigma bis hin zu Secret of Evermore orientiert, dabei das Pixeldesign um Physik ergänzt und damit behutsam modernisiert. Allerdings kann es rechnerabhängig auch zu Problemen in Form von Slowdowns oder Rucklern kommen, die man mit der scheinbar einfachen Technik nicht in Einklang bringen mag. Sondern auch und vielmehr, da man eine geheimnisvolle Geschichte um die Spielwelt CrossWorlds sowie die Spielfigur Lea strickt. Mit ihr als Avatar deckt man nicht nur die spielerischen Geheimnisse der abwechslungsreich gestalteten Online-Welt auf, sondern muss auch herausfinden, wie die Amnesie, die sie und damit den dahinter stehenden fiktiven Spieler befallen hat, mit CrossWorlds verbunden ist.

Die stimmungsvolle Kulisse orientiert sich in vielerlei Hinsicht an 16-Bit-Klassikern, bietet aber auch einige behutsame Modernisierungen. Einem derartigen "Zug" an Monstern kann man überigens durch eine Flucht über Abschnittsgrenzen entgehen.
Dass das Sprachmodul Leas defekt ist und über den Verlauf der dutzende Stunden beanspruchenden Spielzeit Stück für Stück restauriert wird, ist ein weiterer interessanter Kniff, der die Grenze zwischen der Spielwelt, des virtuellen Spielers von Lea sowie dem realen Spieler vor dem Bildschirm verschwimmen lässt. Zumal es Radical Fish schafft, den Figuren im Rahmen der größtenteils gut geschriebenen Dialoge und den entsprechenden Einblendungen der Charaktere im Stil von Visual Novels viel Persönlichkeit zu geben. Die meisten Nebenfiguren bleiben sowohl bei der Darstellung als auch inhaltlich zwar blass, doch die wesentlichen Protagonisten sowie immer wieder auftauchende Figuren wurden gut ausgearbeitet – vor allem auch, wenn sie immer wieder Hinweise Preis geben, was für ein fiktiver Spieler sich in der Realität „hinter“ dem jeweiligen Avatar verbirgt. Sie wirken lebendig. Und das ist die beste Voraussetzung, um mit ihnen interagieren zu wollen, sobald sich die Gelegenheit bietet – und damit das Geheimnis CrossWorlds zu entschlüsseln, was dutzende Stunden in Anspruch nehmen dürfte. Und so ganz nebenbei nutzt Radical Fish dieses System, um zahlreiche Anspielungen oder augenzwinkernde, aber stets respektvolle Seitenhiebe auf Videospiele(r) im Allgemeinen oder spezielle Spielertypen im Besonderen abzufeuern.

Leicht zu erlernen

Doch nicht nur bei der Story wird deutlich, dass das kleine Team im Laufe der gut siebenjährigen Entwicklungszeit mit viel Ambition und noch mehr Liebe zum Detail gearbeitet hat – auch wenn sie gegen Ende etwas ihres Überraschungs-Momentes einbüßt. Spielerisch wirkt ebenfalls vieles aus einem Guss. Man spielt mit bekannten Elementen, macht sie sich aber zu eigen, indem man sie anpasst und erweitert. So hat man als erfahrener Spieler bei bestimmten Mechaniken immer ein Déjà-vu-Gefühl, bevor es zu einem unverkennbaren Teil von CrossCode wird – Hut ab. Das Kampfsystem z.B. setzt auf nur wenige Tasten und ist mit seinen Nah- bzw. Fernkampfattacken sowie dem Ausweichschritt oder Block leicht zu erlernen. Mit zunehmenden Spezialangriffen, die auf den Sphärobrettern aus späten Final Fantasys ähnelnden Fortschritts-Tableaus frei- bzw. umgeschaltet werden, kommt eine subtile, aber letztlich den Kampfverlauf entscheidend beeinflussende Mechanik hinzu. Diese gewinnt zusammen mit den unterschiedlichen Angriffsmustern der angenehm facettenreich sowie vielfältig

Nicht nur in den Städten kann die starre Iso-Topdown-Perspektive mitunter verwirren und Wege verstecken. Man muss überall genau hinschauen, um alle Geheimnisse zu entdecken oder neue Pfade zu finden.
gestalteten Feinden eine zusätzliche Tiefe, da man immer wieder seine Taktik anpassen muss. Mit seinen bei erneutem Betreten wieder auftauchenden Gegnern wird hier ebenfalls der Darstellung eines Online-Rollenspiels Tribut gezollt.

Noch schöner und näher an der Online-Realität wäre es allerdings gewesen, wenn man andere „Spieler“ nicht nur recht zahlreich durch die recht großräumigen Gebiete huschen sehen würde, sondern diese auch ihrerseits in Kämpfe verstrickt würden. Natürlich nicht bis zu dem Punkt, an dem sie essenzielle Missions-Monster erledigen. Aber da es keinen Mangel an Allerwelts-Feinden gibt, würde dies die Glaubwürdigkeit der Welt weiter steigern. Als Notnagel hätte es schon gereicht, wenn andere Avatare in Gebieten wildern, die einem mit ihrem niedrigen Monster-Level keinen oder nur sehr geringen Erfahrungs-Zuwachs gäben – dies hätte zudem ein kleiner visueller Anhaltspunkt für den Spieler sein können, dass es hier für ihn nichts mehr zu tun gibt. Doch dies ist nur ein atmosphärischer Wermutstropfen. Etwas schwerwiegender ist der Bildschirmwechsel, der in Kämpfen passieren kann, wenn man an die Grenzen der jeweiligen, hinsichtlich der Größen stark variierenden Gebiete gerät.  Gerade noch im Kampf, findet man sich plötzlich im nächsten Areal wieder. Das wirkt nicht nur etwas verstörend, sondern stört auch die Dynamik. Zwar lässt sich dieses System auch zu Spielergunsten verwenden, indem man einem aussichtlosen Gefecht bis über den Rand entflieht. Doch wenn dies passiert, weil ein Gegner einen z.B. mit einem Sturmangriff durch die Gegend schleudert, man dabei die Grenze quasi gezwungenermaßen überquert und man den Kampf nach erneutem Betreten von vorne beginnen muss, ist das ärgerlich.

Erkundung und Rätsel-Dungeons

Wenig auszusetzen gibt es hingegen an den Dungeons, die überall in der Welt zu finden sind und die zumeist in irgendeiner Form mit der Hauptmission verbunden sind. In bester Zelda-Tradition findet man hier nicht nur Gegner und klasse inszenierte Bosse, sondern auch viele Umgebungsrätsel, die u.a. mit ihren Säulen, Schaltern, Plattformen, Kletter-/Sprungseqeuenzen oder nur von bestimmten Seiten durchdringbaren Wänden nicht nur gutes Timing, sondern auch Geschick sowie logisches Denken fordern – in wechselnden Kombinationen. Auch Bosskämpfe wurden gut integriert. Wie z.B. in der Anfangsphase, in der man dem (natürlich) mehrstufigen Endgegner ein rassiges Duell liefert, bei dem man seine Geschosse teils über Abpraller ins Ziel bringen muss. Oder wo man sich in entscheidenden Momenten hinter Säulen verstecken muss, die allerdings erst durch einen Treffer auf den Schalter aktiviert werden, während der Gegner vor dem mächtigen Angriff seinerseits die Säulen wieder einzufahren versucht. Jedes Gewölbe wartet mit anderen, kreativ designten Herausforderungen.

Das Design der rätsellastigen Dungeons ist ebenso gelungen wie das der spannend inszenierten Bosskämpfe.
Doch auch in der „Oberwelt“ kann man viel entdecken – und muss dabei auch die clever eingebauten Höhenunterschiede nutzen. Denn nur weil man im Umfeld einer höher gelegenen Entdeckung oder eines Missionszieles keine Option hat, sich mit Hilfe des Automatiksprunges  einen Weg nach oben zu bahnen, heißt es nicht, dass es keinen Weg gibt. Mitunter muss man allerdings suchen, häufig sogar das Areal verlassen, um den Zugang von einer anderen Seite zu finden, damit man ans Ziel seiner Begierde kommt. Und hier ist das größte Manko der Retro-Kulisse zu finden. Die klassische „Iso-Ansicht-von-oben“ lässt einen die Höhenunterschiede häufig nicht klar genug erkennen, so dass man sich immer wieder „herumeiernd“ ertappt, während man verzweifelt nach der überbrückbaren Sprunghöhe sucht. Immerhin kann man auf der spartanischen Karte eigene Markierungen setzen, damit man unentdeckte Geheimnisse oder Kisten, die einem noch verwehrt sind, später lüften kann.

Questfülle und restriktiver Handel

Abseits der Hauptgeschichte wartet ein enormer Vorrat an Missionen, die einem entweder die dringend nötigen Erfahrungspunkte bzw. neue Ausrüstung spendieren, einen mit den jeweiligen Gebieten vertraut machen, zum Erkunden und Sammeln auffordern oder mit den meist sympathischen Nebenfiguren zusammenbringen. Während die Quest-Qualität größtenteils gelungen ist, gibt es allerdings nach einiger Zeit ein paar Wiederholungen und in seltenen Fällen sogar diese oder

Es macht eine Menge Spaß, sich in der mit Kämpfen, Geheimnissen sowie Missionen prall gefüllten Spielwelt von CrossWorlds aufzuhalten.
jene überstrapazierte Aufgabenstellung. Das geht zwar nie bis zu dem Punkt, an dem man auf Grund einer Mission die Lust verliert. Doch angesichts der Fülle an Inhalten hätte man auf die Quest-Downer problemlos verzichten können.

Einen ungewöhnlichen Weg geht man auch beim Handel. Zwar kosten Transaktionen hier auch harte Währung. Doch die Geschäfte kommen erst zustande, wenn man Waren zum Tausch bzw. zur Herstellung von Gegenständen oder Ausrüstung mitbringt. Diese wiederum bekommt man über Missionen oder als Beute nach erfolgreichen Kämpfen. Und in bester Zelda-Manier darf man auch große Teile der Flora abholzen und so seinen Vorrat an „Standard“-Tauschwaren aufstocken. Anfänglich wirkt es zwar merkwürdig, wenn man mit einer (virtuellen) Schatulle voller Gold zum nächsten Händler wandert, sich aber dennoch nichts kaufen darf. Doch das System erfüllt hier seinen Zweck und dürfte ein zusätzliches Mittel für Radical Fish zu sein, die Balance sicherzustellen. Manche Gegenstände, die man für hochstufige Ausrüstung benötigt, sind nur in entsprechend entfernten Gebieten zu finden, so dass reine „Gold-Farmer“ keine Chance haben.

Fazit

Bereits vor zwei Jahren in einer recht frühen Early-Access-Version hat mich CrossCode mit seinem Konzept neugierig gemacht. Und jetzt, in der finalen Fassung, wurde die dadurch geschürte Erwartung nicht enttäuscht. Man merkt an sehr vielen Punkten, dass das Action-Rollenspiel vor dem Hintergrund einer fiktiven Online-Rollenspielwelt ein Projekt war, das dem kleinen Team von Radical Fish Games am Herzen lag. Die Kulisse, die sich mit ihrem 16-Bit-Design an einschlägigen Mega-Drive- und vor allem SNES-Rollenspielen orientiert, strotzt vor Details und cleveren Design-Ideen, hat aber in der aktuellen Version systemabhängig Performance-Probleme. Das Kampfsystem ist eingängig, schöpft aber trotz einiger taktischer Wechseloptionen bei Spezialfähigkeiten sowie einem damit zusammenhängenden, recht üppigen Entwicklungsbaum das Potenzial nicht aus. Zudem kann es bei Kämpfen in der Nähe von Abschnittsgrenzen zu unerwünschten Gebietswechseln kommen, welche die Dynamik stören. Doch das sowie einige zu schnell redundanteMissionstypen oder die für Sprungpassagen ungeeignete Perspektive nehme ich zähneknirschend in Kauf – auch, weil Radical Fish ein stets überraschendes und kreatives Dungeon-Design an den Tag legt, bei dem Kämpfe und clevere Umgebungsrätsel immer wieder aufs Neue fordern. Angetrieben von einer richtig guten Geschichte sowie einer wahren Flut an Aufgaben, verbringt man Stunde um Stunde in der Welt von CrossWorlds, während man nicht nur ihre Geheimnisse, sondern auch die der Hauptfigur entschlüsselt.

Pro

Offline-Darstellung einer Online-Spielwelt
spannende Geschichte auf mehreren Ebenen
enorme Missionsfülle
klasse designte Dungeons mit spannenden Kämpfen und intelligenten Rätseln
gute Steuerung
leicht zugängiges Kampfsystem
schicke Kulisse im Stile alter SNES-Rollenspiele
gute Figurenentwicklung mit zahlreichen aktiven und passiven Boni bzw. Fähigkeiten
Charakteristika bestimmter Spielertypen werden gut transportiert
clevere Umgebungsrätsel in der Oberwelt
stimmungsvoller Soundtrack
Emotionen der Figuren werden gut vermittelt
"Tausch"-basiertes Handelssystem

Kontra

ein paar Missionstypen schnell redundant
trotz umschaltbarer Fähigkeiten lässt das Kampfsystem Potenzial ungenutzt
technisch nicht immer sauber
Kämpfe können durch Gebietswechsel (un-)beabsichtigt beendet werden
Kameraperspektive erschwert die Erkennung zum Sprung geeigneter Höhenunterschiede
seltene Brüche in der Darstellung der Online-Welt
uneinheitliche Qualität der Charakterzeichnung

Wertung

PC

Umfangreich und liebevoll designt, ist CrossCode eine gelungene Hommage an 16-Bit- sowie Online-Rollenspiele, die nur durch ein paar störende Kleinigkeiten wie technische Probleme ausgebremst wird.

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