Im Test: Zurück an die Front
Eine nötige Auszeit
Es dürfte wohl kaum ein anderes geschichtliches Ereignis geben, das so oft virtuell verwurstet wurde wie der Zweite Weltkrieg. Besonders im Shooter erfreute sich vor allem der Kampf gegen Nazi-Deutschland zusammen mit den Konflikten im Pazifik einer großen Beliebtheit. Durch eine regelrechte Schwemme an Titeln wich diese aber zunehmend einer Ermüdung. Ist die Zeit nach zahlreichen Ausflügen in die moderne und futuristische Kriegsführung wieder reif, um für die Befreiung Europas zu kämpfen? Activision ist dieser Meinung – und wir sind geneigt, sie ebenfalls zu teilen.
Der Strand des Todes
Das Oldschool-Comeback
Die Schussgefechte gleichen zwar über weite Teile immer noch der typischen Schießbude, die man bei Call of Duty schon seit Jahren kennt: Weder die KI der Gegner noch die der Kameraden geben hier eine besonders gute Figur ab, wenn die Nazis offen ins Feuer rennen oder die Begleiter den Feind selbst dann oft nicht treffen, wenn sie ihm direkt gegenüberstehen. Trotzdem bleibt ein gewisser Anspruch vorhanden – dafür sorgt oft schon die pure Masse an Gegnern, die im Gegensatz zu den Kameraden deutlich genauer schießt und auch ihre Granaten oft ans gewünschte Ziel befördert. Zudem warten hin und wieder „Zwischengegner“ wie gepanzerte Vehikel, besonders heftige Gegnerwellen oder Momente, in denen man eine Stellung halten und mit einem Geschütz verteidigen muss.
Zudem gehen die Entwickler von Sledgehammer hier nicht nur auf der Zeitlinie, sondern auch hinsichtlich der Spielmechanik einen Schritt zurück: Genau wie DICE hat man auch hier das Heilpaket für sich wiederentdeckt und sich vom bisher genutzten System der regenerativen Heilung verabschiedet. Dadurch fühlen sich die Gefechte hier etwas anders an als zuvor, obwohl man weiterhin die Augen nach geschützten Bereichen offen hält, in denen man seine Wunden versorgen kann anstatt einfach zu warten. Allerdings lässt sich nur eine begrenzte Anzahl an Heilpaketen mitschleppen und der Vorrat ist irgendwann aufgebraucht, falls man keinen Nachschub findet. Alternativ greifen einem aber auch die Kameraden unter die Arme: Sie fungieren quasi als Perks mit einer Abklingzeit und versorgen den Spieler auf Anfrage mit neuer Munition sowie weiteren Heilpaketen und markieren auf Wunsch sogar kurzzeitig Gegner in der Nähe. Auch Luftschläge lassen sich mit der Übergabe einer Rauchgranate anfordern. Allerdings muss man sich immer in der Nähe des jeweiligen Squad-Mitglieds befinden, um in den Genuss der Unterstützung zu kommen. Von daher kann man trotz der Hilfe immer noch in die unangenehme Situation kommen, mit einem leeren Magazin und ohne Verbandskasten bei Dauerbeschuss hinter einer Deckung zu kauern, die
Die besonderen Momente
Die Kampagne überzeugt nicht nur durch ihre wuchtige Inszenierung sowie den gelungenen Tempo- und Schauplatzwechsel. Zwischen all den ratternden Gewehren, den gewaltigen Explosionen und dem gezielten Töten im Nah- sowie Fernkampf ist auch noch Platz für die besonderen Momente, die haften bleiben und mit denen man in einem Spiel der Reihe Call of Duty vielleicht nicht unbedingt gerechnet hätte. Nein, die vielleicht etwas zu zahlreichen Geschütz-Sequenzen sind damit nicht gemeint. Aber einen solchen erlebt man z.B. bei der Evakuierung deutscher Zivilisten: Zum einen wird in diesem Moment auch das Leid der Bevölkerung thematisiert und die Deutschen werden nicht alle über den Nazi-Kamm geschoren. Zum anderen muss man sich hier mit einem kleinen Mädchen auf dem Arm und ihrem Teddybären durch das Gewölbe schleichen und dabei sowohl die feindlichen Soldaten als auch die Lichtkegel ihrer Taschenlampen meiden.
Beeindruckende Klangkulisse, schwache Abmischung
Das ergibt in der internationalen Version durchaus Sinn, wenn auch auf der englischen Tonspur die Nazis mehr oder weniger gelungenes Deutsch sprechen. Auf der deutschen Tonspur hätte man sich den Untertitel-Zwang allerdings sparen können. Davon abgesehen überzeugt die Lokalisierung durch überwiegend hervorragende und professionelle Sprecher, deren starke Performance allerdings unter der enorm schlechten Abmischung bei der Lautstärke leidet. Dem steht ein grandioses Klangspektakel bei den Soundeffekten gegenüber: Die Kugeln pfeifen aus allen Kanälen, Explosionen kommen druckvoll aus dem Subwoofer und die Geschützsalven werden zusammen mit Rotoren angreifender Flugzeuge ebenfalls überzeugend eingefangen. Die überragende Audioqualität von Battlefield wird zwar nicht ganz erreicht, aber die dichte Kriegs-Atmosphäre von Call of Duty profitiert ebenfalls enorm von der starken Klangkulisse. Die mitunter etwas zu heroisch eingefärbten Arrangements des Orchester-Soundtracks tragen ebenfalls ihren Teil dazu bei.
Mit der Nase im Dreck
Auch im Mehrspieler-Modus zeigt sich Call Of Duty: WW2 natürlich bodenständiger: Mit der Rückkehr in den historischen Weltkrieg sind auch Exo-Suits, Doppelsprünge, Wandläufe und die sonstigen futuristischen Ausrüstungen passé. Stattdessen liegt man wieder ganz klassisch mit dem M1 Garand in den Händen im Dreck, muss über kleine Vorsprünge klettern und bekämpft sich nicht in Raumhäfen und Orbitalstationen, sondern am Point du Hoc, auf dem US-Schlachtschiff USS Texas, in den Ardennen oder auf Gibraltar. Zynisch formuliert macht Sledgehammer hier zwei große inhaltliche Schritte zurück - im Vergleich mit den sehr ähnlichen Sci-Fi-Gefechten mit Plastikwaffen in den letzten Jahren, bin ich aber froh, dass die Serie endlich wieder Schlamm unter den Füßen hat.
Das bedeutet Krieg
Ganz ohne wesentliche Neuerung schickt Sledgehammer die Spieler allerdings nicht in Kampf: Mit dem Modus Krieg setzt man die imposanten Schlachten der Operationen von Battlefield 1 in kleinerem Maßstab um. Zwölf Spieler müssen als Angreifer unter Zeitdruck eine Reihe von Zielen erfüllen. So muss etwa ein Panzer eskortiert, eine Brücke errichtet oder Treibstoff von einem Zielpunkt zu Fahrzeugen gebracht werden, während die Feinde alles daran setzen, dies zu verhindern. „Krieg“ ist der größte Fortschritt im Call-Of-Duty-Multiplayer seit Jahren und durch die vielfältigen Ziele, coolen Maps und sinnvoll platzierte Chokepoints deutlich spannender als die übrigen Modi.
So entstehen rund um zu verteidigende Areale meist klare Frontlinien und spannende Gefechte, die durch Geschütze oder optionale, ebenfalls manuell zu errichtende Wälle und Wände bei wichtigen Zugängen eine angenehm taktische Note bekommen. Zwar ist die Balance zum Teil etwas unausgegoren – bei Operation Neptun, dem Sturm auf die Strände der Normandie, sind die Angreifer leicht im Nachteil – und die etwas geringe Zahl der Karten enttäuscht. Dennoch ist „Krieg“ ist ein gelungener Startpunkt für die dringend notwendige Weiterentwicklung der Call-Of-Duty-Formel.
Aufmarschgebiet am Strand
Wenn alles funktioniert, erinnert die Landezone stark an die Social-Hubs von Destiny und erfüllt dank cooler Features ihren Zweck: So können am Strand gegen einen kleinen Ingame-Obolus Activision-Klassiker der Atari-Ära, darunter legendäre Titel wie River Raid und Pitfall gezockt oder am Test-Turm alle verfügbaren Killstreaks ausprobiert werden.
Der totale Freischalt-Irrsinn
Inhaltlich bewegt man sich nach wie vor im serientypischen Freischaltwahnsinn – dutzende Calling-Cards, Waffen-Skins, Embleme, Aufsätze und Prestige-Erweiterungen wollen über bestimmte Aufgaben wie Kopfschüsse freigespielt werden. Dazu kommen jetzt noch besonders wertvolle visuelle Ausrüstungsgegenstände, die über Kartensets freigeschaltet werden können, deren einzelne Karten wiederum mit Ingame-Währung erstanden werden müssen.
Die Klassen sind in diesem Jahr übrigens an so genannte Divisionen gebunden. Hier wird zwischen Infanterie, MG-Schützen, Fallschirmjägern, Gebirgsjägern (Stealth) und Expeditionary (Nahkampf) unterschieden. Auch die Divisionen besitzen einen eigenen Rang, der die jeweiligen Perks für den gewählten Kampfstil freischaltet. Zunächst kann man im Klasseneditor nur eine der Divisionen auswählen, die vier weiteren Ausrüstungsvarianten müssen über Freischalt-Tokens aktiviert werden.
Technisch gespalten
Auf der technischen Seite gibt man sich wie gewohnt keine Blöße: Die Mehrspieler-Gefechte laufen auch auf den Basis-Versionen der aktuellen Konsolen-Generation in butterweichen 60 Bildern pro Sekunde, die allerdings zum Teil über eine reduzierte Kantenglättung erkauft werden. Anders sieht es bei den Servern aus, bei denen es zu erheblichen Problemen kommen kann. So erlebten wir im Test, insbesondere auf der PS4, gehäuft Verbindungsabbrüche und Teils ungewohnt lange Wartezeiten beim Matchmaking – auch noch in der zweiten Woche nach Release.
Für Call-Of-Duty-Verhältnisse ist das ein vergleichsweise heftiger Online-Fehlstart, der sogar dazu führt, dass Sledgehammer neben der geteilten Strand-Lobby auch zunächst die Ranglisten abgeschaltet hat. Obwohl man davon ausgehen kann, dass diese Probleme in den nächsten Wochen gelöst werden: Das ist man von Activision-Servern eigentlich nicht gewohnt – und spricht hauptsächlich dafür, dass man den Ansturm auf das Spiel und die benötigte Kapazität dramatisch unterschätzt hat.
Immerhin: Wer sich nicht mit dem Netz verbinden kann, der hat auf den Konsolen sowohl einen Splitscreen-Modus als auch eine LAN-Option zur Auswahl, von denen letztere auch PC-Spielern zur Verfügung steht. Das ist schön – und im Jahr 2017 leider eine Seltenheit.
Spaßiger Koop-Kampf gegen die Zombie-Faschisten
Den kenn ich doch...
Auch in diesem Jahr haben Activision und Sledgehammer Games wieder Prominenz für den Zombie-Modus versammelt: Dr. Straub, der für die Nazis eine Superwaffe zur Erschaffung der Untoten-Armee erschaffen hat, wird von Udo Kier gespielt. In die Rollen der vier Helden schlüpfen dagegen bekannte Schauspieler wie Ving Rhames (u.a. Mission Impossible) oder David Tennant (u.a. Dr. Who), wobei im spielbaren Prolog der Story sogar ungewöhnlich viel Platz eingeräumt wird. Zwar kommt der Zombie-Modus immer noch nicht an die Klasse der Horde-Herausforderungen eines Gears of War oder die Qualitäten eines Left4Dead heran, doch stellt die unterhaltsame Koop-Schnetzelei ein schönes Extra dar.
Fazit
Ich hatte meine Zweifel, ob mich die Kampagne von Call of Duty mit seiner Rückkehr zum Zweiten Weltkrieg tatsächlich packen würde. Sie wurden nicht bestätigt: Die Befreiung Europas von den Nazis überzeugt trotz Schnitzern bei der KI und einem Hauch zu viel des amerikanischen Hurra-Patriotismus durch abwechslungsreiche Missionen, eine enorm starke Blockbuster-Inszenierung der Marke Hollywood und den audiovisuellen Qualitäten. Dazu gesellt sich die reaktionsfreudige Steuerung, fantastische Zwischensequenzen und die flüssige Darstellung. Mit knapp sieben Stunden fällt der Feldzug zwar nicht unbedingt lang, dafür aber auch niemals langweilig aus. Mit Heilpaketen, aktiver Unterstützung durch die Kameraden und den „Heldentaten“ hat man außerdem spielmechanisch ein paar frische Ansätze in petto – zumindest im Hinblick auf Call of Duty. Keine Frage: Für mich haben Activision und Sledgehammer mit WW2 innerhalb der Reihe eine der besten Kampagnen der letzten Jahre abgeliefert, auch wenn manch übertriebene Gegnerwelle immer noch die Nerven strapaziert und die Schleichoptionen mehr Tiefe hätten vertragen können. Inhaltlich vermisst man zwar manchmal die leiseren, subtileren Töne, die man bei einem Soldat James Ryan oder Band of Brothers findet. Trotzdem lernt man die Figuren, ihre Motive und Konflikte auch hier überraschend gut kennen, obwohl das Action-Spektakel weiterhin ganz klar im Vordergrund steht und man diesbezüglich nicht enttäuscht wird. Das gilt auch für die Mehrspieler-Partien: Zwar setzt man mit der ansprechenden Auswahl und dem hohen Spieltempo samt Killstreks überwiegend auf Bewährtes, doch zum einen ist die Rückkehr von den futuristischen auf historische Schlachtfelder ähnlich willkommen wie bei Battlefield 1 und zum anderen sorgt der neue War-Modus für frische Impulse. Nach dem etwas albernen Spaceland im vergangenen Jahr ist es außerdem schön, dass der kooperative Kampf gegen die Wellen von Zombie-Nazis hier wieder einen etwas düstereren Anstrich bekommen. Die sporadischen Probleme mit den Servern, die zu manchen Zeiten nicht erreichbar sind, sollte man allerdings schleunigst in den Griff bekommen...
Zweites Fazit von Eike Cramer:
Endlich! Call Of Duty ist nach über zehn Jahren wieder genau da, wo ich es 2003 kennen und lieben gelernt habe. Endlich keine Wüste, keine Russen- Araber-Separatisten-Terrorristen, keine Privatarmeen und – so sehr ich Infinite Warfare auch mochte – kein Weltraum mehr. Stattdessen: Schlamm, Nazis, M1 Garand, BAR und MG42. Natürlich bedient man sich in der Kampagne an den bekannten Versatzstücken der Westfront (ich weiß nicht, wie oft ich in meinem Shooter-Leben schon die Normandie befreit und in den Ardennen gekämpft habe), aber die krachende Inszenierung und die meiner Meinung nach dringend notwendige Rückkehr zur Kriegserzählung ohne Superbösewicht oder Mega-Corporation überzeugen - lassen die Schwachpunkte wie das überflüssige Hurra-Amerika-Geschwafel und die unschön-überhöhte Glorifizierung der Kampfhandlungen weniger schwer wiegen. Auch der Mehrspieler-Modus profitiert von der Erdung der Kämpfe, wenngleich in den klassischen Modi weiterhin die Stagnation überwiegt und viele der Karten aus bekannten Versatzstücken zusammengebaut sind. Vor allem der neue Spielmodus Krieg, eine Art „Operations“ für 12 Spieler, überzeugt durch Abwechslung, Taktik und Frontlinie, ist aber letztlich nicht mehr als ein erster Schritt zur Erneuerung der Reihe. Auch die offene Lobby am Strand ist eine nette Idee, auch wenn man sich gerne etwas weniger Freischaltmenüs und Beutekisten gönnen könnte.
Pro
Kontra
Wertung
PlayStation4
Call of Duty feiert eine gelungene Rückkehr in den Zweiten Weltkrieg: Die Kampagne überzeugt mit Abwechslung und starker Inszenierung, die Mehrspieler-Modi mit dem bewährten Angebot, das dank der gelungenen Krieg-Variante frische Impulse bekommt.
XboxOne
Call of Duty feiert eine gelungene Rückkehr in den Zweiten Weltkrieg: Die Kampagne überzeugt mit Abwechslung und starker Inszenierung, die Mehrspieler-Modi mit dem bewährten Angebot, das dank der gelungenen Krieg-Variante frische Impulse bekommt.
PC
Call of Duty feiert eine gelungene Rückkehr in den Zweiten Weltkrieg: Die Kampagne überzeugt mit Abwechslung und starker Inszenierung, die Mehrspieler-Modi mit dem bewährten Angebot, das dank der gelungenen Krieg-Variante frische Impulse bekommt.
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