Freedom Force vs. The Third Reich20.05.2005, Benjamin Schmädig
Freedom Force vs. The Third Reich

Im Test:

Superhelden im Anmarsch! Irrational Games verfiel schon vor drei Jahren dem Comicwahn und ließ in Freedom Force eine ganze Riege dieser Wundermänner und -frauen auferstehen, die zu Zeiten des Kalten Krieges kommunistischen Übeltätern das Handwerk legten. Jetzt schlägt die machtvolle Truppe zurück und will Nazideutschland ein für allemal den Garaus machen.

Der Blitzkrieg ist los

Seit den vergangenen Ereignissen hat sich wenig getan im Land der Freiheit: Die Heldenschar hat es auseinander getrieben und sie bedient sich ihrer Fähigkeiten nurmehr beim Begleiten alter Damen über vielbefahrene Highways. Doch endlich, ein Jahr nach den Geschehnissen des ersten Teils machen alte und neue Bösewichte durch gemeine Untaten von sich reden und Mentor, Vaterfigur der Kämpfer für das Gute, trommelt die alte Truppe zusammen, um ein zweites Mal für Recht und Ordnung in der Welt zu sorgen.

Bittere Geschichtslektion: Brennende Bücherstapel verunstalten die Straßen von Berlin.
Ihr beginnt das Abenteuer mit Alchemiss, einer holden Schönheit, die von seltsamen Tagträumen geplagt wird und eine schreckliche Zukunft prophezeit. Die Wurzel des Übels liegt in der Vergangenheit: Das brilliante Genie Blitzkrieg hat im Jahr 1942 Kontrolle über die Schergen des Dritten Reichs erlangt. Mit deren Hilfe dreht der fiese Mann am Rad der Zeit, und schon bald besteht die Gegenwart der 60er-Jahre nicht mehr aus friedlichem Miteinander, sondern trägt die unverkennbare Handschrift einer anhaltenden Naziherrschaft.

Super Kräfte

Es muss gehandelt werden: Nach und nach rekrutiert ihr aus alten Bekannten und frischen Gesichtern ein individuelles Team. Welche Helden ihr anheuert, liegt zum großen Teil in eurer eigenen Wahl, einige Mitglieder werden aber vorgegeben. So sind neben den schon erwähnten Mentor und Alchemiss auch Minute Man, Bullet oder der feurige El Diablo wieder mit von der Partie. Zu den Neulingen zählen z.B. Sky King, ein halsbrecherischer Stuntpilot, und Tombstone, der schon auf dem elektrischen Stuhl saß, als ihn ein Blitz mit der außerirdischen Energy X versorgte und zum Rächer aller unschuldig Verurteilten machte.

Da jede der kurzen 22 Missionen mit nicht mehr als vier von insgesamt 20 Charakteren bestritten wird, steht ihr regelmäßig vor der Qual der Wahl: Zieht ihr den bulligen Nahkampfexperten vor oder erhält die auf Spezialattacken geeichte Green Genie den Zuschlag? Die Entscheidung ist weitreichender, als vielleicht anzunehmen ist, denn nur eine gut ausbalancierte Truppe kann es mit der Übermacht von Feinden aufnehmen. Fernangriffe halten euch Gegner zwar vom Leib, verfehlen aber gerne auch ihr Ziel. Habt ihr dann keine starke Faust parat, die im direkten Schlagabtausch die Oberhand behält, stecken eure Mannen schnell ein paar kritische Treffer ein.

Die Entwickler haben sich dabei alle Mühe gegeben, den Supermännern und -frauen ein jeweils ganz eigenes Profil zu verpassen. Spezialisierung heißt das Zauberwort: Mentor z.B. erlangt schnell Kontrolle über einen Gegner, verwirrt ihn oder bringt ihn in Rage, wohingegen El Diablos Feuerbälle entweder großflächigen Schaden anrichten oder mit kurzen Salven den Feind auf Abstand halten. Die Kräfte kosten dabei unterschiedlich viel Energie, abhängig von der Stärke ihres Durchschlagsvermögens. Diese lädt sich zwar recht schnell wieder auf, habt ihr es aber mit einer ganzen Horde von Angreifern zu tun, ist wohldosierter Einsatz der Attacken vonnöten. Praktisch: Habt ihr ausreichend Energie zur Verfügung, lässt sich die Wirkung einer Kraft per einfachem Knopfdruck verstärken.

Zug um Zug in Echtzeit voran

Eine gern genutzte Hilfe ist die Möglichkeit, das Geschehen zu jedem beliebigen Zeitpunkt pausieren zu können. Dies habt ihr auch bitter nötig, denn der Spielablauf geht recht zügig vonstatten, weshalb euch im Laufe eines Gefechts schonmal der Überblick verloren geht. Zwar lässt sich die Geschwindigkeit beliebig justieren und somit auf ein Minimum reduzieren, sind die Lichtblitze aber erst einmal am fliegen, ist der Griff zur Leertaste die zügigere Alternative. Abhilfe zum unüberschaubaren Tumult hätte eine Minikarte bieten können. Diese vermisst man umso mehr, da die Widersacher sich farblich kaum von der Umgebung abheben, was penibles Abgrasen des Geländes zur Alltagstätigkeit eines Superhelden macht.

Tombstone holt zu einem mächtigen Schlag aus.
Im Gegenzug dafür werden die Einsatzgebiete in detailreicher Grafik dargestellt. Die Straßen des alten Berlins wimmeln vor Oldtimer-Fahrzeugen, Fußgänger machen gemütliche Spaziergänge und die hübschen Fassaden der Häuser lassen sich nach Lust und Laune in kleine Einzelteile zerlegen. Auch wenn die Optik technisch keine Bäume ausreißt und nicht mehr ist als die Weiterentwicklung der Engine des Vorgängers, lässt die Umsetzung großer Projektileinschläge und Explosionen das Pyromanen-Herz höher schlagen. Nicht zuletzt können eure Kameraden, so sie stark genug sind, ganze Geröllblöcke, Kleinwagen und sogar Mauerwerk anheben und auf die Fieslinge werfen. Zusätzlich eignen sich Straßenlaternen auch als eleganter Ersatz für Baseballschläger.

In Bezug auf das Gameplay bietet sich der Vergleich zu Gunlok oder Ufo: Aftermath an: Prinzipiell handelt es sich um klassische Echtzeitstrategie, allein die wenigen, auf spezielle Eigenschaften konzentrierten, Charaktere machen es unerlässlich, das Spiel regelmäßig anzuhalten, um genaue Befehle erteilen zu können. Freedom Force liegen allerdings die vielfachen Fähigkeiten der Superhelden etwas schwer im Magen. Wo in ähnlichen Spielen das Auswählen des richtigen Inventars und die Entscheidung zum Nah- oder Fernangriff ausreicht und anschließend die taktisch kluge Aufstellung des Trupps im Vordergrund steht, werdet ihr hier viel Zeit damit verbringen, immer wieder bestimmte Superkräfte anzuwählen und auf die Feinde zu schleudern. Positionsspiel betreibt ihr dafür kaum. Sterben seht ihr übrigens keinen eurer heroischen Männer und Frauen: Geht ihnen das Licht aus, sind sie zwar K.O., können aber mindestens einmal regeneriert werden und stehen ansonsten für den nächsten Auftrag wieder zur Verfügung.          

Durchtrainierte Mannschaft

Bekommt ihr es während der Missionen zum größten Teil mit dem einfachen Fußvolk eurer Widersacher zu tun, warten am Ende vieler Aufträge die Chefs persönlich und verwickeln euch in schwierige Boss-Fights. Die riesige Erscheinung des Nuclear Winter wird euch z.B. gleich zu Beginn der Geschichte Kopfzerbrechen bereiten. Kleiner Tipp: Gegen die eisige Gestalt des Frostes hilft am besten ein warmes Feuer - seht also zu, dass El Diablo bis dahin nicht das Zeitliche segnet und mit frischen Kräften in den Kampf eingreifen kann. Aber nicht nur hier, sondern im gesamten Spiel gilt es, darauf zu achten, welche Superkräfte auf welchen Gegnern entfesselt werden. Feuer, Eis und Säure sind nur einige der Substanzen, mit denen ihr zugange seid, und jede einzelne hat eine stärkere Wirkung auf ganz bestimmte Feinde.

Blitzkrieg ist überall: Die Visage des Fieslings ziert sogar Häuserwände.
Ausreichend taktische Tiefe ist damit schon einmal gewährleistet. Zählt man hier noch die große Anzahl spielbarer Charaktere hinzu, ergibt sich für Heimgeneräle viel Material, in das ihr euch vertiefen könnt. Nur drei kleine Wermutstropfen schmälern die Freude über die Entscheidungsfreiheit: Die ständig wachsende Kämpferschar lässt euch alsbald den Überblick über die Truppe verlieren, der Einsatz immer neuer Helden ist selbst auf dem schwierigsten der sechs Level nicht zwingend erforderlich, und hinzu kommt das umständliche und langwierige Trainieren jedes einzelnen Mitglieds. Dadurch ist es bei weitem spaßiger, sich auf eine Hand voll Figuren zu konzentrieren und ein gut ausbalanciertes Standard-Team in die Einsätze zu beamen. Trotz der ideenreich erdachten Friedenskämpfer wäre weniger an dieser Stelle mehr gewesen.

Die Protagonisten baut ihr auf, indem im siegreichen Kampf erworbene Charakterpunkte zwischen den Einsätzen dazu benutzt werden, die einzelnen Stärken in bis zu fünf Stufen zu erhöhen oder gänzlich neue Fähigkeiten zu erlernen. Neben den Charakterpunkten werden aber auch Prestigepunkte vergeben. Diese werden nach dem erfolgreichen Abschließen von Missionszielen erteilt, was vor allem sekundäre Ziele, z.B. das Befreien von Geiseln oder Beschützen unschuldiger Einwohner, deutlich interessanter macht als in vergleichbaren Titeln. Spart ihr die Prestigepunkte über eine gewisse Zeit hinweg an, könnt ihr dann einen besonders mächtigen Helden in die Mannschaft einkaufen. Oder aber ihr erstellt im mitgelieferten Editor euren ganz eigenen Charakter. Der steht dann anschließend wie alle anderen noch Herrenlosen zum Kauf bereit und kostet Punkte entsprechend den Eigenschaften und Kräften, die ihr ihm zugeteilt habt.

Filmreif inszeniert

Stößt der nächste Verbündete zu eurem Häufchen, gibt es zumeist eine Videosequenz im stilechten Comic-Look, bei der gestandenen Fans das Wasser im Munde zusammenläuft. Überhaupt lässt sich Irrational Games nicht lumpen und liefert wie schon im ersten Abenteuer Comic-Atmosphäre pur, die in ihrer Treffsicherheit an Tim Burtons augenzwinkernde

Einige der Helden nutzen auch den Luftweg zur Fortbewegung.
Hommage Mars Attacks! erinnert. Allein die Bezeichnung eines relativ harmlosen Schlages von Alchemiss, Gottlose Qual, spricht Bände. Storytechnisch erweist sich Freedom Force als ebenso liebevoll durchdacht. Nicht nur, dass die Bösewichter aller Bösewichter eine tragende Rolle spielen, auch die Profile sämtlicher Akteure prahlen mit klischeehaften Einträgen: Die Deutschen tätigen mit dem Ausruf "Mein Leben!" ihre letzten Worte, von der Uniform des Minute Man strahlen Stars&Stripes, und das Hauptquartier der Superhelden befindet sich in Patriot City.

Größtes Plus aber ist die exzellente Akkustik: Pathos strömt in Wasserfällen aus den hervorragenden Synchronsprechern, während der Soundtrack gekonnt die 40er Jahre karikiert. Nur eine vollständige Lokalisierung bleibt uns erneut vorenthalten. Die deutsche Freedom Force geht auf verbalem Weg lediglich in gut übersetzten Sprechblasen gegen Blitzkrieg und sein Tyrannenheer vor.

Für Unterhaltung abseits der geradlinigen Solo-Kampagne sorgen ausgiebige Multiplayer-Gefechte über LAN oder Internet. Zu empfehlen sind diese jedoch nur echten Experten, denn das zentrale Element des ständigen Pausierens fällt hier natürlich weg. Otto-Normal-Spieler sehen dadurch weder Land noch Leute und klicken sich verzweifelnd über das hektische Schlachtfeld. Wer es trotzdem wagen will, kann die Hatz immerhin schon im Alleingang antesten und sich über die Rumble Room getaufte Funktion an Scharmützeln mit vom Programm gesteuerten Gegnern versuchen. Besteht ihr die Feuerprobe, steht dem Online-Vergnügen lediglich noch die kaum vorhandene Anzahl an Spielern im Internet im Wege.     

Fazit

Ganz klar, Freedom Force vs. The Third Reich ist ein Geheimtipp für Comicliebhaber und Freunde ausgefallener Ideen. Die Präsentation ist über alle Zweifel erhaben, so dass man gerne über eine technische Umsetzung hinwegsieht, die mit dem Ideenreichtum der Entwickler nicht ganz mithalten kann. Nüchtern betrachtet muss sich Irrational Games jedoch eine Reihe kleiner Kritikpunkte gefallen lassen, die den Spaß ein wenig trüben. So kommt der Spielfluss dank des häufigen Anhaltens nur zäh in Gang und die fehlende Übersicht sorgt für einigen Frust. Nicht zu vergessen auch die Tatsache, dass Teil zwei des Abenteuers nur eine unwesentliche Weiterentwicklung des Erstlings darstellt. Aber sei es drum: Alles in allem bekommt ihr spannende und vor allem witzige Unterhaltung präsentiert und macht Bekanntschaft mit der momentan außergewöhnlichsten Protagonistentruppe. Alle, die über den Tellerrand schauen und ein einfallsreiches Konzept entdecken wollen, werden hier bestens bedient.

Pro

Aufleveln mit Rollenspielelementen
innovatives Comic-Design
20 einzigartige Charaktere
spannende Geschichte
erstklassige Sprachausgabe
abwechslungsreiche Missionen

Kontra

eingeschränkter Multiplayer
teils unübersichtliches Gameplay
keine deutsche Sprachausgabe

Wertung

PC

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