Vaporum20.10.2017, Jens Bischoff

Im Test: Kerker-Trip mit Steampunk-Flair

Mit ihren beiden Legend-of-Grimrock-Abenteuern hatten Almost Human 2012 und 2014 klassische schrittbasierte Dungeon-Crawler wie Dungeon Master, Eye of the Beholder oder Black Crypt wieder salonfähig gemacht. Mit Vaporum haben Fatbot Games die Kerkerhatz nun in ein Steampunk-Setting à la BioShock verlagert. Wie gut ihnen das gelungen ist, verrät der Test.

Stahlzinnen auf hoher See

Mit der hier getroffenen Schutzanzugswahl bestimmt man quasi seine Charakterklasse.
Als ich zu mir komme, befinde ich mich auf einer felsigen Erhebung mitten im Meer. Vollkommen allein. Ich habe keine Ahnung, wer und wo ich bin oder wie ich hierher kam. Mein Gedächtnis scheint komplett ausradiert. Vor mir ragt ein gigantischer Turm aus Stahl in den Himmel, der mich anblinkt, anbrummt, einlädt und dann verschluckt. In seinem Inneren ist es ruhig - fast zu ruhig.

Doch kaum habe ich mir einen schützenden Exo-Rig-Anzug meiner Wahl übergezogen sowie eine Brechstange und Pistole gefunden, werde ich auch schon angegriffen. Eine Art dampfbetriebene Wächterdrohne hat mich wohl als unerwünschten Eindringling identifiziert. Nach ein paar gezielten Ausweichschritten und Gegenangriffen ist sie zwar Geschichte, meine Suche nach Antworten hat aber gerade erst begonnen.

Allem Anschein nach verbindet mich nämlich etwas mit diesem Turm, der eine Art verwaiste, aber noch intakte Hochsee-Forschungsstation zu sein scheint. War ich schon einmal hier? Und wenn ja, warum? Und wo sind all die Wissenschaftler und Techniker, deren beunruhigende Sprach- und Textaufzeichnungen ich hier überall finde?

In den düsteren Korridoren der verwaisten Hochsee-Forschungsstation lauern viele Gefahren.
Irgendetwas Schlimmes scheint hier vorgefallen zu sein und ich muss herausfinden, was...

BioShock trifft auf Grimrock

Das düstere Steampunk-Setting erinnert an BioShock, das spielerische Grundgerüst an Legend of Grimrock. Nur dass man nicht als bis zu vierköpfige Gruppe, sondern durchgehend allein unterwegs ist. Offene Außenareale sucht man ebenfalls vergebens. Man stapft Schritt für Schritt durch verwinkelte Korridore, sammelt Hinweise oder Ausrüstung und stellt sich den Schrecken, die da lauern - von schnaubenden Drohnen mit Säge-, Schuss- und Laseraufsätzen über automatische Selbstschussanalgen und Feuerfallen bis hin zu Amok laufenden Stahlgiganten.

Das vorwiegend mechanische Gegnerdesign ist den Entwicklern sehr gut gelungen - viele Widersacher sind schon von Weitem an ihren Geräuschen und Beleuchtungen erkennbar. Zudem beherrschen viele von ihnen gefährliche Rundum-Attacken oder Flächenangriffe, mit denen sie den Boden vorübergehend unter Storm oder in Brand setzen können. Dadurch kann man ihnen nicht so einfach durch klassisches Dauerumkreisen den Garaus machen, sondern muss individuelle Verhaltensmuster erkennen und rechtzeitig reagieren.

Wahl der Waffen

Viele der vorwiegend metallischen Gegner beherrschen Flächen- oder Rundumangriffe.
Darüber hinaus gibt es Angriffe, die Blutungen verursachen, lähmen oder zurückstoßen können, was vor allem in der Nähe klaffender Fallgruben vermieden oder zum eigenen Vorteil genutzt werden sollte. Mit vorinstallierten Feuerfallen, Selbstschussanlagen oder Giftduschen lassen sich ebenfalls unachtsame Verfolger eliminieren. Auch ein Trennen und Einsperren ist möglich, um sich den Rücken freizuhalten. Als Waffe lassen sich schließende Türen hingegen nicht missbrauchen und auch schnelle 180°-Drehungen sind leider tabu.

Das Waffenarsenal reicht von stumpfen Schlagwaffen, die sich vor allem gegen metallische Gegner eignen, über scharfe Klingenwaffen gegen organische Widersacher bis hin zu Schusswaffen, die alle auf die gleiche Munition setzen, aber unterschiedlich viel davon verbrauchen. Auch bezüglich Reichweite und Streuwirkungen gibt es Unterschiede. Zudem gibt es wie bei den Nahkampfwaffen Exemplare für beid- und einhändigen Gebrauch.

Dual-Wield-Fans dürfen Einhandwaffen jeglicher Art auch in Kombination einsetzen - in der Regel allerdings zu Lasten der Zielgenauigkeit.

In Kisten und Spinden findet man neben Ausrüstungsgegenständen wie Waffen, Gadgets und Munition oft auch aufschlussreiche Text- und Sprachnachrichten.
Durch das Anbringen neuer, meist im Zuge von Stufenaufstiegen erhaltener Schaltkreise, die sich wie auch Stiefel-, Handschuh-, Helm- und Rüstungsergänzungen am eigenen Schutzanzug (Exo-Rig) anbringen lassen, kann man solchen Handicaps aber gezielt entgegenwirken. Alternativ lässt sich aber auch der Umgang mit bestimmten Waffengattungen verbessern, der Körperschutz optimieren sowie der Einsatz von Schilden oder Gadgets erweitern.

Unterstützung nach Maß

Gadgets können in bis zu vier freischaltbare Steckplätze installiert, beliebig gewechselt und mithilfe sich langsam regenerierender Stromreserven aktiviert werden. So lassen sich Säure-, Feuer- und Elektroangriffe initiieren, Schutzmechanismen auslösen oder Reparaturen auf Kosten gegnerischer Lebensenergie vornehmen. Ansonsten muss man nämlich auf die nur begrenzt vorhandenen Reparatur-Kits zurückgreifen, um das eigene Überleben zu sichern. Denn bei vollständigem Energieverlust heißt es "Game Over".

Die Charakterentwicklung erfolgt über frei wählbare Modifikationen am Exo-Rig-Anzug.
Strom für die Gadget-Nutzung kann im Notfall ebenfalls mit hochwirksamen, aber seltenen Energiezellen aufgefrischt werden. Wiederverwendbare Heil- oder Ladestationen gibt es nicht, kostenlose Auffrischungen nur bei den insgesamt 15 möglichen Stufenaufstiegen - eine überlegte Einteilung ist daher Pflicht. Keinen Kopf machen muss man sich hingegen um die Verpflegung - Hunger und Durst spielen in Vaporum keine Rolle. Dafür kann man einen Elite-Modus aktivieren und so die manuelle Speicherfunktion abschalten oder per Oldschool-Modus auf die Automap verzichten und selbst zu Stift und Papier greifen.

Ansonsten kann man aber immer und überall den Fortschritt sichern sowie automatisch eine Karte mitzeichnen lassen und mit manuellen Notizen ergänzen - nur Stockwerkswechsel sind in der Kartenansicht trotz etagenübergreifender Aufgaben leider nicht möglich. Auch sonst gibt es verschiedene Möglichkeiten, das Spielerlebnis oder den Schwierigkeitsgrad individuell anzupassen. Letzterer bietet insgesamt fünf Stufen und lässt sich selbst während des Spiels beliebig ändern, wenn man gerade keine stufenrelevanten Erfolge jagt. Kurz vor der Implementierung, aber noch nicht aktivierbar sind hingegen deutsche Bildschirmtexte.

Atmosphärisches Grübeln

Aktuell ist Vaporum daher nur komplett auf Englisch spielbar, wobei die Vertonung wirklich top ist - von den stimmungsvollen Kommentaren und Monologen des sich langsam erinnernden Protagonisten bis hin zu den knarzigen Sprachmemos auf Schallplatten. Ansonsten ist die Soundkulisse eher zurückhaltend, aber eindringlich und je nach Situation beruhigend oder aufreibend.

Die Rätseleinlagen bestehen aus mehr als nur korrekten Umlegen von Schaltern - vor allem die Suche nach Geheimpassagen mit lukrativer Beute hält auf Trab.
Die grafische Inszenierung unterstützt solche Stimmungswechsel zudem mit atmosphärischem Licht- und Schattenspiel. Nur die beim erstmaligem Betreten neuer Stockwerke sehr langen Ladezeiten verpassen der grandiosen Gesamtstimmung hin und wieder kurze Dämpfer.

Auch dass man zwar jederzeit auf Knopfdruck zwischen zwei Waffensets wechseln, aber keine identischen Utensilien wie Schilde oder unterschiedliche Rüstungsteile bzw. Gadgets festlegen kann, ist schade. Ein echtes Highlight sind hingegen die Rätseleinlagen. Zwar setzt man vorwiegend auf vertraute Mechanismen wie Falltüren, Druckplatten, Teleporter, Spiegel sowie Schalter-, Wurf- und Schieberätsel. Trotzdem kommt man teils angenehm ins Grübeln und muss genau hinschauen, um weiterzukommen oder versteckte Geheimbereiche mit lukrativer Beute zu entdecken. Das Niveau eines Legend of Grimrock wird zwar nicht ganz erreicht, die grauen Zellen werden aber insgesamt gut auf Trab gehalten.

Fazit

Fans klassischer schrittbasierter Dungeon-Crawler wie Dungeon Master, Eye of the Beholder oder Black Crypt, die schon Legend of Grimrock 1 und 2 verschlungen hatten, werden auch Vaporum lieben - vor allem, wenn sie auf beklemmende Steampunk-Settings à la BioShock stehen. So sucht man in den stählernen Korridoren einer mysteriösen Hochsee-Forschungsstation nicht nur nach Hinweisen auf das, was dort schief gelaufen ist, sondern auch nach der eigenen Vergangenheit, die dort irgendwo begraben scheint. Gegner- und Leveldesign sind ungemein stimmungsvoll, Grafik und Soundkulisse atmosphärisch düster, das Lösen von Rätseln und Suchen nach Geheimnissen mitunter herrlich knackig, das individuelle Modifizieren der anfangs gewählten Exo-Rig-Rüstung äußerst motivierend. Zudem lassen sich Spielerfahrung und Schwierigkeitsgrad dank Elite-Modus, Oldschool-Modus und Co. facettenreich anpassen. Da verzeiht man auch, dass Kartenfunktion, Bewegungsrepertoire und Ausrüstungswechsel noch Optimierungspotential haben und die deutsche Lokalisierung erst noch nachgereicht wird. Die englischen Sprecher sind aber schon jetzt klasse und für knapp 20 Euro wurde ich über 16 Stunden lang sehr gut unterhalten.

Pro

beklemmendes Steampunk-Szenario
schnell wechselbare Ausrüstungssets...
praktische Automap mit Notizfunktion...
atmosphärische Grafik- und Soundkulisse
stimmungsvolles Gegner- und Leveldesign
individuell modifizierbare Exo-Rig-Rüstung
knackige Rätsel & Geheimnissuche
facettenreich anpassbarer Schwierigkeitsgrad

Kontra

keine schnelle 180°-Drehung
...die aber keine gleichen Waffen oder unterschiedlichen Gadgets erlauben
aber ohne die Möglichkeit, Etagen zu wechseln
(noch) keine deutsche Lokalisierung

Wertung

PC

Stimmungsvoller Steampunk-Dungeon-Crawler zwischen Legend of Grimrock und BioShock.

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