Guacamelee! 223.08.2018, Mathias Oertel
Guacamelee! 2

Im Test: Herrlich forderndes Mexiversum

Es ist schon über fünf Jahre her, dass der mexikanische Wrestler Juan auf PlayStation 3 mit Guacamelee seinen Anteil daran hatte, die Renaissance der klassischen Action-Plattformer à la Castlevania einzuläuten. Und er hatte Erfolg: Er konnte sich unseren Gold-Award schnappen. Kann die jetzt erhältliche Fortsetzung Guacamelee 2 daran anknüpfen? Im Test geben wir die Antwort.

Zurück aus der Rente

Eigentlich hat Juan seine Wrestling-Maske und seinen Meisterschaftsgürtel an den Nagel gehängt und ist zum Familienmenschen geworden. Die Geschehnisse des ersten Guacamelee aus dem Jahr 2013 sind nur noch eine Erinnerung bzw. Gutenachtgeschichte. Doch natürlich bleibt das Böse nicht für immer untätig. Das gesamte Mexiversum samt alternativer Zeitlinien wird erneut bedroht. Es gibt nur eine Lösung: Juan muss wieder zum Luchador werden und den bösen Buben erneut den Garaus machen, während er munter zwischen Äras hin und her surft oder ansatzlos zwischen den Welten der Lebenden und der Toten wechselt. Selbstverständlich kann er sich auch wieder in ein aggressives Huhn verwandeln, wenn es die Situation erfordert. Klingt verrückt? Willkommen in der knallbunten abgefahrenen Welt von Guacamelee 2.

Der Schwierigkeitsgrad von Guacamelee 2 steigert sich nach einem zahmen Einstieg sehr schnell, bleibt aber stets fair.
Fans des Vorgängers dürfte dabei freuen, dass sich Drinkbox gar nicht überlegt hat, das Konzept über den Haufen zu werfen, sondern sich stattdessen darauf konzentrierte, die vorhandenen Qualitäten auszubauen und gleichzeitig den ohnehin happigen Schwierigkeitsgrad noch ein paar Umdrehungen nach oben zu schrauben. Guacamelee 2 ist wie der Vorgänger ein Action-Plattformer, bei dem man durch scrollende Abschnitte läuft, fordernde Hüpfpassagen erledigt und eine stattliche Auswahl an Gegnern mit einem immer größeren Bewegungsarsenal plättet. Mit neuen Fähigkeiten werden aber nicht nur die Kampfoptionen erweitert: Auch die Erforschung der clever verbundenen Abschnitte wird dadurch immer umfangreicher. Dass man zusätzlich zwischen den Welten der Lebenden und Toten umschalten kann, um bestimmte Schalter oder Türen zu aktivieren, die ebenso wie Monster oder Fallen nur in der einen oder anderen  Dimension wirksam sind, macht die Action nur interessanter.

Action-Plattformer 2.0

Das Artdesign ist klasse.
Drinkbox tat gut daran, an den bekannten Mechaniken festzuhalten und diese im Detail zu verbessern. Denn an der punktgenauen Steuerung, die man am PC idealerweise auf Gamepad-Nutzung einstellt und der akkuraten Kollisionsabfrage musste man ohnehin nichts ändern, so dass man sich auf die neuen Herausforderungen für den Spieler konzentrieren konnte. Und davon gibt es genug. Zwar beginnt alles beschaulich, doch sobald der Fähigkeitenzug Fahrt aufnimmt, nimmt die Herausforderung sowohl bei den Kämpfen als auch bei der Erforschung der umfangreichen Gebiete beinahe exponentiell  zu. Und ehe man sich versieht, ist man nicht nur damit beschäftigt, clever zusammen gestellte Gegnergruppen nach allen Regeln der Kunst und vor allem unter Einsatz aller erlernten Sonderfähigkeiten zu plätten oder ihnen mit der potenten Rolle auszuweichen. Häufig verstecken sie sich nicht nur in der anderen Dimension, können aber weiterhin Schaden anrichten, sondern sind auch mit einem Schutzrahmen versehen, der nur von bestimmten Angriffsarten ausgeschaltet werden kann.

Zusätzlich wird bei der Levelerforschung höchste Anforderung an Hand-Auge-Koordination, Konzentration sowie die Fähigkeit gestellt, um die Ecke denken zu können. Vor allem, wenn man die mitunter gut versteckten Kisten erreichen möchte, in denen sich Upgrades für die Herz- oder Ausdauercontainer sowie Geld verstecken - Letzteres wird benötigt, um seine Fähigkeiten aufzuwerten.  Um diese zu erreichen, reicht es nicht, herauszufinden, ob man jetzt den Wandsprung, das Laufen in der Vertikalen samt Katapultfunktion, den Dimensionswechsel, den Greifhaken, die Gleitfunktion des Huhns, den Doppelsprung oder sonstige Fähigkeiten nutzen muss. Denn wie beim Kampf werden später alle Fähigkeiten munter gemischt und abgefragt. Mitunter bleiben einem zwar nur Sekundenbruchteile, um die richtige Aktion abzurufen, so dass es hier und da zu Frustmomenten kommen kann. Doch letztlich ist Guacamelee 2 bei aller Härte und Anforderung stets fair – sowohl in den Gefechten und den cool inszenierten Bosskämpfen als auch bei der Gebietserkundung. Zudem kann man sicher sein, dass es nach einer schweren Passage mit Sicherheit ruhigere Momente gibt, in der sich Puls sowie Adrenalinspiegel wieder beruhigen können. Entweder in Form von Schreinen, die gleichzeitig auch als Rücksetzpunkt dienen. Oder aber mit Zwischensequenzen, die die Story voranbringen.

Organisiertes, aber stummes Chaos

Die Welt von Guacamelee 2 besteht aus vielen großräumigen Abschnitten mit zahlreichen Geheimnissen.

Diese ist unter dem Strich allerdings nicht mehr ganz so witzig – auch weil der Vorgänger mit seinen Anspielungen auf Pop-Kultur usw. die Messlatte recht hoch gelegt hat und man daher schon Vieles kennt, was hier variiert eingeworfen wird. Zudem macht sich hier noch mehr als vor fünf Jahren das vollkommene Fehlen von Sprachausgabe bemerkbar. Es wäre einfach noch cooler gewesen, die Texte zumindest in Englisch zu hören zu bekommen. Natürlich hätte das die Gefahr mit sich gebracht, dass die Sprecher schlecht ausgewählt würden. Doch bei der hohen Produktionsqualität, mit der Drinkbox hier zu Werke gegangen ist und die sich auch in den fantasievollen, bunten Comic-Umgebungen und der grandiosen mexikanisch angehauchten Musik widerspiegelt, bin ich mir sicher, dass man ordentliche Stimmen finden könnte.

Zu viert steigt das Chaos - vor allem bei anspruchsvollen Plattform-Sequenzen.
Ist man allerdings kooperativ unterwegs, wird dieses Manko beinahe wettgemacht. Umso stärker, je mehr der maximal vier Spieler man auf dem Sofa versammelt. Dann nämlich hat man kaum noch Zeit, die stummen Figuren zu beklagen, da man zu sehr damit beschäftigt ist, sich in dem auf dem Bildschirm entwickelnden Chaos zurechtzufinden. Sehr schön dabei: Bei den Plattform-Einlagen reicht es, wenn ein Spieler durchkommt. Alle anderen werden dann zu ihm teleportiert und können dort wieder einsteigen. So wird gewährleistet, dass auch Spieler weiterhin Spaß haben, die ansonsten an dem knackigen Anforderungsprofil scheitern könnten.

Fazit

Guacamelee war vor etwa fünf Jahren ein Paradebeispiel für einen modernen Action-Plattformer im Stile von Castlevania oder Metroid. Cooles Leveldesign traf auf eine akkurate Steuerung, punktgenaue Kollisionsabfrage sowie eine fantasievolles Comic-Kulisse. Und Guacamelee 2 bietet von allem mehr, ohne die alten Qualitäten aufzugeben – und dann setzt es noch einen drauf: Sowohl in den Auseinandersetzungen als auch der Gebietserkundung wird einem alles hinsichtlich Hand-/Auge-Koordination abverlangt. Mitunter zwar bis zur Frustration, wenn man es zum x-ten Mal nicht schafft, im Rahmen der etwas zu Trial&Error-lastigen Sprungpassagen das teils nur Sekundenbruchteile große Zeitfenster zu nutzen, bevor die Umgebung mit einem kurzen Prozess macht. Doch bei aller Härte bleibt die Plattform-Action stets fair, so dass man das Pad immer wieder in die Hand nimmt und einen weiteren Versuch unternimmt. Auch und vor allem, wenn man mit bis zu vier Spielern ums Überleben im Mexiversum kämpft – was in einem herrlichen Chaos und gegenseitigen Frotzeleien endet. Dabei kann man fast vergessen, dass die durch das farbenfrohe Design sowie die stimmungsvolle Musik aufgebaute Atmosphäre von fehlender Sprachausgabe leicht eingedellt wird oder dass die Gags nicht mehr so zünden wie noch im Vorgänger. Doch das mechanische Herz von Guacamelee 2 schlägt stark und erbarmungslos. Und die handgezeichnete und sorgsam geplante Action mit ihren bewusst platzierten Gegnern, Fallen oder Gefahren ist für mich erfrischender als irgendeine zufällig generierte Rogue-like-Variante.

Pro

Paradebeispiel für hochklassige Action-Plattformer
hohes Anforderungsprofil, dabei stets fair...
charmantes Artdesign
punktgenaue Steuerung
akkurate Kollisionsabfrage
hoher Erkundungsreiz
für bis zu vier Spieler kooperativ (Drop-in/Drop-out)
gut gesetzte Kontrollpunkte
cooler Soundtrack

Kontra

keine Sprachausgabe
... aber gelegentlich mit etwas zu hohem Fokus auf Trial&Error
deutsche Texte gelungen, aber nicht immer sauber
Gags zünden nicht mehr so wie im Vorgänger

Wertung

PlayStation4

Ein grandioser Action-Plattformer mit anspruchsvollem Schwierigkeitsgrad, klasse Artdesign und Koop-Spiel für bis zu vier Luchadors.

PC

Ein grandioser Action-Plattformer mit anspruchsvollem Schwierigkeitsgrad, klasse Artdesign und Koop-Spiel für bis zu vier Luchadors.

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