Im Test: Eine Wirtschaftsimulation, die viele von früher kennen. Kann sie auch heute noch überzeugen?
Erben will gelernt sein!
Spielerisch gleicht Vermeer 2 seinem Urahn wie eine Kaffeebohne der anderen. Kurz nach dem Ersten Weltkrieg findet ein Wettbewerb statt, der heutzutage wohl als Realityshow nach dem Motto "Erben Search" durchgehen würde: Euer Onkel, der nur noch wenige Jahre zu leben hat, schickt euch auf die Suche nach seiner Gemäldesammlung, die über die Metropolen der Welt verstreut ist. Ihr müsst euer Startkapital von 150.000 Dollar mittels Warenbörse, Aktienhandel und Pferdewetten vermehren, um an die teuren Bilder zu kommen. Vier Gegner versuchen euch aus dem Konzept zu bringen, denn nur der Punktbeste tritt am Schluss das Erbe an.
Siegbedingungen nach Wahl
Schon etwas makaber, dass ihr zu Beginn die voraussichtliche Lebensdauer eures geliebten Erbonkels auswählen müsst. Aber nur so lässt die Dauer der Partie bestimmen. Auch das Spielziel lässt sich festlegen: Entweder zählen die abgelieferten Kunstwerke oder aber das meiste Geld. Eine gewisse Atmosphäre kann man Vermeer 2 nicht absprechen!
Für jedes abgelieferte Original oder für ein gelungene "Reproduktion" von Vico Vermeer erhaltet ihr Punkte. Wer gar alle sechs Bilder aus einer der neun Kunstrichtungen abliefert, bekommt dafür 28 Punkte. Das ist während der kurzen Spieldauer von zwei Jahren allerdings kaum zu schaffen. So etwas wie Ansehen gibt es zwar auch, aber das spielt nur bei der jährlich stattfindenden Tombola eine Rolle.
Handel mit der Welt
Die einträglichste Art bei Vermeer 2 an Geld zu kommen, ist der Verkauf von Waren an den Börsen in London und New York. Die fünf existierenden Waren erhaltet ihr durch den Bau von Plantagen in den 15 Städten, die über die Kontinente verteilt sind.
Ihr müsst also Rundreisen um den Erdball antreten, die zu Beginn der 20er-Jahre mangels Flugverkehr recht lange dauern. Dort angekommen, könnt ihr mit wenigen Mausklicks eine Plantage errichten, ausbauen und Arbeiter einstellen. Die produzierten Waren müsst ihr eigenhändig an die Börsen schicken. Bessere Preise erzielt ihr bei den begrenzt auftretenden Termingeschäften, bei denen ihr bis zu einem Zeitpunkt eine bestimmte Menge Ware abliefern müsst.
Gesetze des Marktes
Obwohl der Wirtschaftsteil eher simpel gestrickt ist, erweist sich der Markt als tückisch, denn die Preise für die Waren unterliegen je nach Angebot starken Schwankungen. Je mehr von einer Ware auf den Markt kommt, desto rapider sinkt der Preis. Noch eine elegante Möglichkeit, an Geld zu kommen, ist der Handel mit Aktien. Hierbei erwerbt ihr Anteilsscheine an den Speditionen, die euren weltweiten Warentransport übernehmen. Ihr solltet frühzeitig einsteigen, denn je mehr Waren verschickt werden, desto mehr steigen natürlich die Aktien, die ihr in jeder Bank erwerben könnt. Schließlich könnt ihr euch noch ein Darlehen holen, das ihr aufgrund der hohen Zinsen bald zurückzahlen solltet. Also nur im Notfall verwenden!
Kunst oder Krempel?
Vor allem gegen menschliche Mitspieler sind die in Echtzeit ablaufenden Kunstauktionen durchaus spannend, denn die Computergegner geben auch hier schnell auf. Wie beim C-64 erhält jeder Spieler eine Taste, mit welcher er mitbieten kann. Einzige Neuerung hierbei ist die beiliegende Decodier-Brille, die mit ihrer roten Farbe nicht nur für den Kopierschutz sondern auch den richtigen Durchblick sorgt.
Denn nur mit ihr lassen sich die zahlreich vorkommenden Fälschungen entlarven. Die Brille dürft ihr aber nur benutzen, wenn ihr den dazu gehörenden Kunstkurs besucht habt. Das alles ist mehr als wichtig, denn wollt ihr eine Fälschung in Onkels Galerie aufhängen, weißt sie der Alte barsch zurück. Das schöne Geld ist dann futsch!
Kaum eine Herausforderung
Mit Hilfe des Handels habt ihr spätestens in einem Jahr genug Dollars beisammen, um dann möglichst viele Bilder zu ersteigern. Auf Stufe "mittel", der drei einstellbaren Schwierigkeitsgrade, stellen die Computergegner daher keine große Herausforderung dar. Das Zeitmanagement ist so ziemlich das einzige, was von euch Aufmerksamkeit erfordert. Es ist nämlich gar nicht einfach, all die Auktionen, Versammlungen und Pferderennen an den verschiedenen Orten unter einen Hut zu bekommen. Zu Sabotageaktionen wie dem Anzetteln eines Streiks oder das Anheuern eines Diebs greift die harmlose KI hingegen kaum.Andere können das grafisch besser!
Ein stattliches Kerlchen
Bei der jährlichen Silvestertombola kann der Spieler mit dem meisten Ansehen ein kostenloses Bild abstauben. Spielentscheidend ist euer Prestige beim Club zwar nicht, aber es erleichtert euch doch den Sieg. Ihr könnt Ansehen gewinnen, indem ihr euren Onkel besucht, was allerdings länger dauern kann. Wenn ihr beim Pferderennen dabei seid, bringt euch das auch ohne Wettgewinn Prestige.Dann könnt ihr noch Expeditionen durchführen, bei denen ihr Ruhm und Ehre erlangen könnt. Oder aber das viele Geld ist weg! Auch durch viele der Zufallsereignisse kann euer Ansehen nach oben und unten schnellen. Die historischen Ereignisse dienen leider nur der Zierde.
Fünf auf einen Streich
Zur Zeit des seligen C-64 bedeutete Multiplayer automatisch auch Hotseat, denn man konnte eigentlich nur an einem Rechner spielen. Auch die heutigen Vermeer 2-Partien an einem Rechner machen mehr Spaß als der kaum fordernde Einzelspieler-Modus. Das hat freilich den großen Nachteil, dass ihr immer warten müsst, bis die Mitspieler ihren Zug beendet haben. Für ein paar Konkurrenten, welche die Möglichkeiten des Spiels besser ausschöpfen als die Computergegner, wartet man aber sicher gerne! Treibt ihr nicht genug menschliche Spieler auf, wird der Rest von der KI gestellt.
Unbewegliche Stadtansichten
Grafisch bietet die Neuauflage natürlich mehr als der Vorgänger. Leider herrscht aber vielerorts Bewegungsmangel: In den schön gezeichneten Hintergründen und nostalgischen Stadtansichten, die von zeitgenössischer Musik untermalt sind, spielt sich wenig ab. Schwebt ein Ballon vorbei, müsst ihr damit schon zufrieden sein. Aufsteigenden Rauch, Lichteffekte oder Tag- und Nachwechsel fehlen.
Die Optik der Pferderennen ist nicht gerade gelungen, da ihr auch hier nur einen starren Ausschnitt des Geschehens seht. Auf der von Schnarchlauten und Lokomotivklängen begleiteten Reiseansicht bewegen sich nur die Icons der Spieler. Die 36 vorkommenden Gemälde sind farbecht abgebildet. Außer dem gerenderten Intro gibt es keine Filmsequenzen.
Fazit
Der bekannte Vorgänger ist zugleich Vermeers großer Fluch, denn das Remake kann sich nicht vom großen Bruder lösen! Neue Ideen bietet Ascarons Neuauflage, die nur dem Namen nach ein zweiter Teil ist, leider nicht. Und was in den seligen Zeiten des C-64 tonangebend war, ist heutzutage allenfalls nur noch Mittelmaß. Der Wirtschaftsteil des Spiels ist schnell zu durchschauen, so dass er für Profimanager, die vielleicht schon Patrizier 2 oder Port Royale gespielt haben, keine Herausforderung darstellt. Für Einsteiger ist er hingegen genau richtig - auch, weil der umständliche Plantagenbau stark vereinfacht wurde. Daher mangelt es dem Spiel vor allem für Solo-Spieler an der nötigen Langzeitmotivation, was sich irgendwann allerdings auch mit mehreren Mitbewerbern bemerkbar macht. Auch grafisch gibt es immer wieder nur die Hand voll unbeweglicher Stadtansichten und so viel zu wenig Abwechslung. Daher muss auch der nostalgischste Fan erkennen, dass Vermeer 2 trotz seines geringen Preises einfach nicht genug bietet.
Pro
Kontra
Wertung
PC
Die beiliegende Fälschungsbrille ist die einzige Neuerung des einfallslosen Remakes.
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