Full Ace Tennis Simulator13.07.2018, Benjamin Schmädig

Im Test: Tennis pur

Wie kann das sein? Erst erscheint jahrelang nichts, aber auch wirklich gar nichts, das mit gelbem Filz zu tun hat und dann tauchen ganze vier Tennisspiele direkt hintereinander auf. Da haben vor einigen Jahren wohl gleich mehrere Studios auf dieselbe Marktlücke geschielt. Wobei: Dem bereits im Februar veröffentlichten Full Ace Tennis Simulator (ab 19,02€ bei kaufen) kann man diesen „Vorwurf“ nicht machen. Das Spiel hat außerhalb von Steam nämlich schon satte acht Jahre auf dem Buckel. Und meine Herren, wie man ihm das ansieht!

Arbeit statt Arcade-Spaß

Mario Tennis Aces lädt zum lockeren Arcade-Spaß vor den Fernseher, Tennis World Tour versucht sich als inoffizieller Top-Spin-Nachfolger und AO International Tennis schlägt als ähnlich zugängliches sowie ernsthaftes Abbild des weißen Sports in dieselbe Kerbe. Was fehlt? Logisch: die Hardcore-Simulation. Und eine solche schwebte dem kleinen Studio Galactic Gaming Guild um den federführenden Yannick Rousseau vor, als es Full Ace Tennis Simulator im Jahr 2010 veröffentlichte.

Eine realistische Ballphysik sollte es haben. Man sollte selbst spielen, anstatt durch Automatismen in die richtige Position gezogen zu werden und mit wenig Aufwand starke Winner zu schlagen. Nun habe ich erst vor kurzem wieder das grandiose Top Spin 4 gespielt, dessen sanfter Realismus ebenso zugänglich wie tiefgründig ist. Doch als ich mich in Full Ace eingespielt hatte, war ich sofort begeistert: Das hier ist echte Arbeit – und lässt man sich auf die ein, wird man mit packenden Ballwechseln sowie voller Kontrolle über fast jeden Aspekt des simulierten Sports belohnt. Diese Simulation trägt ihren

Schon beim Aufschlag fordert Full Ace die richtige Mischung aus Risiko und Präzision.
Namen völlig zurecht!

So funktioniert Tennis!

Es sind viele Kleinigkeiten, die anderswo meist fehlen: Dass man Entscheidungen der Linienrichter etwa challengen kann, auch mitten im Ballwechsel, oder dass ein Münzwurf vor jeder Partie darüber entscheidet, wer die Wahl über den ersten Aufschlag oder seine bevorzugte Seite hat. Vor allem aber ist es die hervorragende Ballphysik, welche die „großen“ Spiele ziemlich alt aussehen lässt.

Das fängt bei den Aufschlägen an, wo man durch gutes Timing nicht nur Präzision und Stärke sowie per Analogstick natürlich die Richtung bestimmt, sondern mit zunehmender Stärke auch das anschließende Zeitfenster für einen gut platzierten Schuss verringert. So schlägt man beim ersten Versuch noch mit voller Kraft auf, beim zweiten aber lieber weniger hart. Klasse; so funktioniert Tennis!

Das Risiko bestimmt man also selbst – Zufall kommt nur dann ins Spiel, wenn man das Zeitfenster für einen präzisen Schlag verpasst. Denn je weiter man davon entfernt ist, umso weiter vom gewünschten Zielpunkt kann der Ball aufkommen.

Netzroller und Glück im Unglück

Dieser Zufall fühlt sich richtig an, weil man Fehler selbst provoziert, weil das Ausmaß der Abweichung nachvollziehbar ist und weil manch verbockter Schlag trotzdem „ins Schwarze“ geht. Ein bisschen Glück gehört mitunter eben dazu. Das gilt auch für Netzroller, die mal gerade noch im gegnerischen Feld landen, mal weit abspringen und es manchmal einfach nicht auf die andere Seite schaffen.

Das gleiche System greift auch bei allen anderen Schlägen, die ebenfalls nicht auf z.T. vorgefertigte Weise gelingen oder ins Aus gehen. Abgesehen davon kann man besonders harte Schläge ausführen, die allerdings sehr genau gespielt werden müssen. Mit diesen setzt man einen Gegner erst richtig unter Druck. Das alles sorgt dafür, dass man nicht ständig einfach den äußersten Winkel des Spielfelds anvisiert, sondern immer abwägt, wie viel Risiko man seinem eigenen Spiel zutraut. Man handhabt kein Spielzeug, sondern steckt viel mehr als bei AO International Tennis und Tennis World Tour im Kopf eines

Full Ace Tennis Simulator richtet sich an erfahrene Spieler - unterschiedliche Aspekte im Verhalten der KI-Kontrahenten kann man aber unabhängig voneinander einstellen.

Man hat außerdem die Wahl zwischen schnellen, normalen und langsamen Bällen, sodass alle Spieler zurechtkommen dürften. Sportlers drin. Und die KI spielt übrigens routiniert mit, hat auf viele Bälle gute Antworten und setzt Spieler selbst erfolgreich unter Druck.

Für Hartgesottene

Natürlich braucht man eine Weile, um in einen wettbewerbsfähigen Flow zu geraten. Mit Position und Timing ist es ja nicht getan: Man muss sich vor jedem Schlag auch erst positionieren, sprich entscheiden, ob man den Ball mit Vor- oder Rückhand annimmt. So kann man ankommende Bälle besser umlaufen als in vergleichbaren Simulationen, gleichzeitig kostet der zusätzliche Tastendruck aber mehr Konzentration sowie Fingerfertigkeit und braucht Zeit, bis er in Fleisch und Blut übergegangen ist.

Man kann den Vorgang automatisieren, dann positioniert sich der Spieler aber erst so spät, dass man dadurch einen Nachteil erhält. Ich vermute, auf diese Art sollen Online-Spieler belohnt werden, die eine möglichst realitätsnahe Erfahrung suchen. Immerhin wird Full Ace Tennis Simulator auf der International Tennis Simulation Tour (ITST) gespielt: eine Community,

Einen Schmetterball sollte man selbstverständlich mit der Vorhand schlagen. Passt das Timing, sollte dieser hier ein sicherer Winner sein.
die in verschiedenen Top-Spin-Spielen, Full Ace sowie dem ebenfalls für hartgesottene Simulations-Fans gedachten Tennis Elbow Meisterschaften organisiert, die sich an den tatsächlichen ATP- und WTP-Touren orientieren.

Diese indirekte Online-Anbindung ist großartig! Man muss sich allerdings darüber bewusst sein, dass man praktisch nie einen Kontrahenten findet, wenn man nur mal so den Multiplayer-Modus startet. Im offiziellen Discord-Kanal findet man Interessierte – aber eben fast immer nur da.

Damenlos

Nun ist Full Ace nicht ohne Fehler. Das fängt dort an, wo das Hawk-Eye selbst auf Sandplatz-Turnieren, darunter die French Open, verfügbar ist. Underhand-Aufschläge darf man zudem nicht ausführen, man wird für ein zu langes Vorbereiten des Aufschlags nicht verwarnt und es gibt keine Abpraller von der Schlägerkante. Außerdem hat eine erfolgreiche Challenge nicht immer die richtigen Konsequenzen, da der Punkt hier stets neu ausgespielt wird. Das alles sind vernachlässigbare Kleinigkeiten – die bei einer peniblen Simulation aber auffallen.

Weniger vernachlässigbar ist dagegen die komplette Abwesenheit des Damentennis‘ sowie von Doppel-Partien. Fehlanzeige ist auch, was man sonst als Karriere kennt. Zwar spult man ein Turnier nach dem nächsten ab oder pausiert mal ein paar Wochen, aber es gibt weder Erholungspausen noch Verletzungen oder Trainingssitzungen. So verbessern sich die Fähigkeiten des eigenen Profis komplett selbstständig und auf immer gleiche Weise, weil sie ausschließlich vom Alter und den ursprünglichen Werten abhängig sind. Einen Trainer, der z.B. wie in Top Spin 4 ganz bestimmte Fähigkeiten stärkt, stellt man schon gar nicht ein. Um

Ihr wollt nicht sehen, wie das in Bewegung aussieht. Die Animation sind eine große Schwäche des Spiels.
mit Full Ace auf Dauer Spaß zu haben, sollte man sich daher dem ITST-Ligasystem anschließen.

Das hässliche Entlein

Man sollte sich außerdem darüber bewusst sein, dass das kleine Projekt über keine einzige Lizenz verfügt. Nun ist das nicht weiter tragisch, weil es selbstverständlich einen Datensatz mit allen Top-300-Spielern, allen wichtigen Plätzen, Turnieren usw. zum Download gibt. Dank eines entsprechenden Sprachpakets kennen die Schiedsrichter außerdem die Namen fast aller Profis. Aber ganz ehrlich und so leid es mir tut: Selbst dann klingt die Simulation – ganz vorsichtig formuliert – einfach schrecklich. Nachdem ich einige der Namen mehrmals gehört hatte, habe ich jedenfalls ein Sprachpaket installiert, das auf die Spielernamen verzichtet und es bei „Player One“ und „Player Two“ belässt. Dieses Paket verbessert außerdem die Reaktionen des Publikums. Man muss eben wissen, dass Full Ace grundsätzlich wie ein Spiel klingt, das schon zu seiner Erstveröffentlichung im Jahr 2010 auf einem niedrigen technischen Niveau rangierte, woran sich mit der aktuellen Steam-Premiere nichts geändert hat.

Ihr wollt euer eigenes Alter Ego erstellen? Das ist in einem umfangreichen Editor möglich  - allerdings hat der den Charme einer Tabellenkalkulation.

Ärgerlich: Es gibt keinen Hinweis darauf, welche Fähigkeitswerte realistische Ausgangsbedingungen etwa für einen jungen Profi sind.

Daher dürfte der Editor vor allem solchen Fans dienen, die reale Athleten ins Spiel einbinden.

Man sieht es ihm ja auch an; alleine die Bewegungen beim Einlaufen der Spieler gehen eigentlich auf keine Kuhhaut! Von den müden Aushol- und Schlagbewegungen fange ich erst gar nicht an. Ich sage das wirklich nur höchst ungern, aber Full Ace ist ein verdammt hässliches Entlein.

Die Rechnung ohne die Physik gemacht?

Die Sache ist: Das Fehlen wenigstens halbwegs lebendiger Animationen schadet auch der Simulation. So merkt man ihr nämlich an, dass sich alle Schüsse ausschließlich aus einer nüchternen Berechnung heraus ergeben. Drischt man einen platzierten Schlag aus perfekter Position ins lange Eck sieht das jedenfalls genauso aus wie wenn man einen Cross gerade noch erreicht, einen flachen Slice von der Grundlinie fischt oder eben jeder andere Schlag.

Das Programm rechnet zwar richtig – ihm fehlt aber die Tiefe und Dynamik einer umfangreichen Physik-Simulation. Full Ace bildet Fluglinien ab, bindet den Spieler und seinen Schläger aber kaum ein. Die Animationen müssten eine überzeugende Illusion erzeugen, doch davon sind sie weit entfernt. Schön, dass Rousseau demnächst das Modifizieren der Bewegungen erlauben will! Außerdem sollen in Zukunft Doppel, Frauen, ein umfangreicher Karrieremodus und übrigens auch eine deutsche Übersetzung hinzukommen. Aktuell hilft das seinem Spiel aber freilich wenig.

Fazit

In wenigen Spielen liegen Licht und Schatten so nah beieinander wie in Full Ace Tennis Simulator – so ist das nun mal, wenn im Wesentlichen ein einziger leidenschaftlicher Entwickler eine ganz bestimmte Vision akribisch genau verwirklicht, für technische Finesse oder gar teure Lizenzen aber weder Zeit noch Geld zur Verfügung hat. Wollt ihr flotte Matches mit einer zeitgemäßen Präsentation erleben? Dann lasst die Finger von diesem technisch veralteten Spiel! Solltet ihr allerdings an großem Tennis interessiert sein, müsst ihr einen Blick riskieren! Die anspruchsvollen, vielseitigen Ballwechsel ohne spielbeeinflussende Automatismen sind ein Genuss für Simulations-Puristen, die in ihrer Solo-Karriere zwar lediglich aufeinanderfolgende Matches abspulen, dafür aber an Online-Meisterschaften teilnehmen, die die echte Tour widerspiegeln. Wie man hier vom Aufschlag bis zum Schmetterball Risiko und eigenes Können jongliert, fühlt sich einfach richtig und vor allem richtig gut an. Unterm Strich ist Full Ace jedenfalls die einzige in diesem Jahr veröffentlichte Tennis-Simulation, die diese Bezeichnung wirklich verdient hat.

Pro

unterstützt Modifikationen
freies Erstellen eigener Spieler...
Position, Timing und Präzision entscheiden über Schuss
freies Bestimmen der Schlagstärke beim Aufschlag
Risikoschläge verlangen mehr Präzsion und besseres Timing
unterschiedliche Beläge beeinflussen Ballphysik sehr deutlich
individueller Schwierigkeitsgrad dank zahlreicher Einstellmöglichkeiten einzelner Aspekte
KI spielt stark und größtenteils glaubhaft mit
indirekte Online-Anbindung an Internation Tennis Simulation Tour
Nachspielen großer Tennismomente in speziellen Herausforderungen
mögliches Speichern nach jedem Satz

Kontra

enthält keinerlei Lizenzen für Spieler und Plätze
... in einem unhandlichen Editor, der einer Tabellenkalkulation gleicht
Bälle werden nur berechnet, physikalisches Spiel bzw. entsprechend animierter Körpereinsatz fehlt fast komplett
klobige Animationen und komplett starre Kulissen wirken wie unerwünschte Zeitreise
spröder Ton
Karriere bedeutet ausschließlich aufeinander folgende Turniere
Hawk-Eye auf allen Plätzen, auch Roland-Garros
keine Doppel, keine Damen
noch keine deutsche Lokalisierung

Wertung

PC

Technisch schwach - spielerisch aber die derzeit beste Tennis-Simulation!

Echtgeldtransaktionen

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