The Longest Journey: Dreamfall26.05.2006, Bodo Naser
The Longest Journey: Dreamfall

Im Test:

In der Vorschau löste The Longest Journey: Dreamfall von Funcom bei uns eher gemischte Gefühle aus, denn obwohl die mysteriöse Story bezaubernd war, gab es doch einige Dinge, die störten. Miese Steuerung, zu simple Rätsel und überflüssige Kämpfe etwa. Unser Test der deutschen Fassung erzählt deshalb auch davon, warum es gut ist, einem Adventure eine zweite Chance zu geben.

Zoe auf großer Tour

Der Heldin des ersten Abschnitts, Zoe Castillo, geht es wie vielen jungen Leuten, denn sie fühlt sich reichlich nutzlos in ihrer hypermodernen Welt. Obwohl sie keinen Job hat, fehlt es ihr materiell an nichts, aber einen echten

Heldin wider Willen. Zoe schlittert in mysteriöse Machenschaften rein, die ihre kühnsten Träume übersteigen.
Sinn im Leben sieht sie nicht. Von ihrem Vater, der ständig auf Geschäftsreise durch die Metropolen der Welt ist, fühlt sie sich unverstanden. Statt sich mit echten Menschen abzugeben, ist sie hauptsächlich von Apparaten wie Handy, Fernseher oder einem bonbonfarbenen Roboter Wotilla umgeben, der immerhin flauschig aussieht. Nichts wünscht sich Zoe mehr, als eine echte Aufgabe, für die sich engagieren kann. Was die hübsche Frau nicht weiß: Sie wird sich bald auf eine gefahrvolle Suche machen, die sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht vorgestellt hat.

Alles beginnt damit, dass Zoe von ihrem Ex-Freund Reza gebeten wird, ein mysteriöses Paket für ihn abzuholen. Nichts Besonderes eigentlich und da sie immer noch etwas für den flotten Journalisten empfindet, willigt sie ein, auch weil sie endlich eine echte Beschäftigung wittert. Reza scheint nämlich einer großen Sache auf der Spur zu sein, die im Zusammenhang mit dem Syndikat stehen könnte, das die futuristische Metropole mit einem Überwachungsnetz überzogen hat. Ständig kreist ein rundes Flugobjekt über Zoes Heimat Casablanca, das alle nur das Auge nennen. Zoe kommt dahinter, dass Reza in großer Gefahr ist. Sie versucht, ihn zu warnen, wird aber zuvor vom Syndikat verhaftet, nachdem sie eine Tote in Rezas Appartement gefunden hat.

Saving April Ryan

Die Story von Dreamfall ist unheimlich vielschichtig, weshalb die Kritik am Überwachungsstaat nur ein Teilaspekt der unglaublichen Geschichte ist. Sogar vom Bildschirm im Fitnessstudio stürmen alptraumhafte Visionen auf Zoe ein,

Casablanca ist nicht nur bunt, kosmopolitisch und sonnig. Die Heldin wird auch von düsteren Visionen heimgesucht.  
die speziell für sie gemacht zu sein scheinen. Darin wird sie von einem mysteriösen kleinen Mädchen aufgefordert, eine gewisse April Ryan zu finden, die die Heldin des ersten Teils von The Longest Journey war. Was hat es mit dem schaurigen Haus auf sich, das in den schwarz-weißen Filmschnipseln vorkommt? Der Ort scheint nicht von dieser Welt zu sein. Könnte das Ganze mit dem ominösen Kollaps in Verbindung stehen, der Zoes technisierte Welt vor zehn Jahren an den Rand des Untergangs brachte? Verschwand nicht auch April in dieser Zeit?

Dem Adventure gelingt es, fantastische Versatzstücke aus bekannten Filmen wie 1984, Blade Runner, The Ring, Matrix, Star Wars und Der Herr der Ringe zu einem gelungenen Mystery-Thriller zu kombinieren, der trotzdem nicht löchrig ist. Letztlich ist es diese ebenso spannende wie verwirrende Geschichte, die euch immer wieder an den Rechner zurücktreibt. Zoe begleitet ihr durch den Beginn des Spiels. Später könnt ihr noch April Ryan, die Protagonistin des ersten Teils, sowie den Kampfmönch Kian spielen. Diese befinden sich in ihrer eigenen Welt, die scheinbar mit Problemen ganz anderer Art zu kämpfen hat. Ein mittelalterliches Universum der Magie, in dem Rebellen gegen südländische Eroberer kämpfen. Aber wie hängen die Erzählstränge aus den parallelen Welten am Ende zusammen?

Gespräch gefällig?

Noch etwas besticht bei Dreamfall: die ausführlichen Dialoge. Dem einen oder anderen werden sie vielleicht etwas zu lang erscheinen, aber das Abenteuer lässt sich viel Zeit für die Entwicklung der Charaktere. Manche davon

Wer auf ausführliche Gespräche steht, kommt bei Dreamfall auf seine Kosten. Ihr bekommt nicht nur Hinweise, sondern erfahrt etwas über euer Gegenüber.
wie die umtriebige Liv gewinnt ihr im Laufe des wendungsreichen Abenteuers regelrecht lieb und ihr freut euch schon auf ihren nächsten Anruf. Die anarchistische Ladenbesitzerin hat immer ein offenes Ohr für die Probleme ihr Freundin Zoe und hat technische Tricks und Kniffe drauf, die oft der Schlüssel zum Weiterkommen sind. Auch die Gespräche mit dem "Theoretisch Blinden Bob" sind recht amüsant. April hingegen ist eher abweisend, da sie sich von der echten Welt abgenabelt hat. Wer möchte, kann die Leute auch nach Dingen fragen, die nicht unbedingt fürs Fortkommen nötig sind. Etwa warum in der Fantasy-Welt Deutsch gesprochen wird. Leider könnt ihr euch nur mit den wichtigen Charakteren unterhalten, denn die anderen geben nur kurze Sätze von sich.

Was ihr zu eurem Gegenüber sagt, ist aber in den seltensten Fällen von Bedeutung. Ein gutes Beispiel ist, als ihr nach der Festnahme vom Geheimdienst verhört werdet. Ob ihr nun kooperiert oder nicht, ist letztlich eigentlich egal, da ihr anschließend ohnehin wieder freikommt. Inkonsequent ist, dass es keine negativen Auswirkungen hat, wenn ihr singt und alles verratet. Im grauenhaften Hotel spielt es hingegen schon eine Rolle, ob ihr den Wächter überzeugen könnt, dass ihr nichts Böses im Schilde führt. So kommt ihr um eine Schlägerei herum. Nicht immer ist es möglich, aus mehreren Fragen die gewünschte auszuwählen.

Rätsel für Neulinge

Das auf Gelegenheitsspieler abgestimmte Gameplay kann mit der tollen Geschichte leider nicht mithalten, denn die meisten Aufgaben sind trotz ausgiebigen Laufens viel zu schnell erledigt. Beim Spielen bin ich nicht einmal

Eines der Minispielchen, mit dem ihr ein Schloss knacken müsst. Eine echte Kopfnuss sind die wenigsten davon. 
auf eine Aufgabe gestoßen, die mich länger als ein paar Minuten bei der Stange gehalten hätte. Das liegt daran, dass es stets nur wenige Interaktionsmöglichkeiten und eine Hand voll Gegenstände gibt. Nachdem ihr z.B. eine ellenlange Leiter hochgeklettert seid, scheint es oben trotz Weg nicht weiter zu gehen. Da Zoe keine Gegenstände mehr hat, wird schnell klar, dass ihr zurück müsst, um euch die einzige Sache zu holen, die im Umkreis überhaupt ist. Habt ihr das, müsst ihr eine ultrakurze Melodie nachspielen, um die Geheimtür zu öffnen. Beim Knacken von Schlössern gibt es gelegentlich Minispielchen, die auch nicht schwer sind.

Nur gelegentlich habt ihr die Wahl, ob ihr etwas mit Gewalt oder Köpfchen erreichen wollt. Um einen der Wächter zu überwinden, könnt ihr beispielsweise einen Trick anwenden, um ihn abzulenken. Ihr könnt aber auch gegen ihn kämpfen, was allerdings nicht ganz einfach ist. Die Wachen sind nicht von Pappe und hauen ganz schön rein. Zoe war leider etwas nachlässig beim Training, so dass ihr schnell mal die Puste ausgeht. Eine echte Alternative wie bei Fahrenheit habt ihr also kaum mal, da es in der Regel nur einen Lösungsweg gibt.

                        

Hakelige Actioneinlagen

Ums Kämpfen kommt ihr nicht herum, wenn ihr zur Lösung des Ganzen vordringen wollt. Auch wenn die Faust- und Waffenkämpfe lästig und aufgesetzt wirken, manche Gegner lassen sich nur so überwinden. Ihr könnt euch das wie

Wer nicht richtig schleicht, weckt schlafende Hunde. Gegen den Fifi seht ihr keine Sonne im Kampf.
ein simples Karatespiel vorstellen, das ihr vielleicht mal vor Jahren auf einer Konsole o.ä. gespielt habt. Allerdings viel schlechter, denn die Bedienung mit Maus und Tastatur ist eine ziemliche Katastrophe. Die ungenaue Steuerung führt regelmäßig dazu, dass ihr falsch zum Gegner steht und so daneben haut. Wildes Eindreschen statt klugem Kombinieren ist die Folge. Immerhin sind die meisten Pflichtgegner im Gegensatz zu den Wachen Fallobst, so dass ihr sie mit zwei bis drei Schlägen ins Jenseits befördert.

Darüber hinaus müsst ihr auch klettern, hüpfen und schleichen, was aber auch kein großer Genuss ist. Das liegt wiederum an der Steuerung, die euch regelmäßig mit etwas kollidieren oder daran festhängen lässt. Hier zeigt sich leider, dass die Macher wenig Ahnung von den einfachsten Grundregeln eines Actionspiels haben. Die akkurate Bedienung eines Durchschnitts-Shooters, bei der ihr einfach mal dorthin lauft, wo ihr drückt, hätte schon für weniger Spielfrust gesorgt. Aber der Mensch gewöhnt sich bekanntlich an die widrigsten Umstände, so dass die Unbill der Steuerung irgendwann einfach nur noch hingenommen wird. Was wollt ihr machen, wenn ihr bis zum Ende kommen wollt?

Zeitgemäße 3D-Optik

Kommen wir wieder zu erfreulicheren Dingen. Optisch bietet Dreamfall einiges, auch wenn es nicht gerade der Grafiküberflieger ist, für den es viele halten. Immer wieder bekommt ihr atemberaubende 3D-Ausblicke über das entfernt an

Es gibt Schauplätze, die richtig beeindrucken. Insbesondere die unterschiedlichen Architekturen der Welten verzaubern.
Metropolis erinnernde Casablanca, die Höhlen mit den gnomhaften Fischern oder den Turmbau der Azadi, der wie der zu Babel in den Wolken verschwindet. Es gibt architektonische Highlights, wie die Fachwerkhäuser der Fantasy-Welt. Auch Stil und Kleidung sind durchgestylt, wie das postmoderne Design der Kleidung, Technik und Einrichtung in Stark verrät. Da gibt es das topmodische In-Lokal in Venice, das tatsächlich so aussieht wie ein japanischer Club. Von den knuddligen Robotern, die überall herumhopsen, ganz zu schweigen.

Trotz einiger Passanten gibt es zu wenig Leben in den Straßen, die letztlich immer wie ein Parcours und nicht wie eine echte Stadt wirken. Das ist etwa der Unterschied zu Oblivion, wo ihr völlig frei umherlaufen könnt. Ihr stoßt an unsichtbare Grenzen, sobald ihr eine Gasse betretet. Bisweilen sind diese auch sichtbar, wie ein paar Kisten, die unvermutet euren Forscherdrang bremsen. Auch die allgegenwärtigen Wachen der Azadi dienen oft als Prellbock. Die 3D-Animationen sind viel zu statisch, wie ihr bei flatterndem Stoff seht. Und Zoes Augen sehen aus der Nähe einfach seltsam aus, was ihr in den unzähligen Filmszenen immer ein unwirkliches Antlitz verleiht. Wenn sie sich mit den Leuten unterhält, bewegt sich kein Härchen.

Jedem seine Stimme

In der Vorschau hatte ich noch Bedenken, dass die Sprachausgabe die Weltläufigkeit des britischen Originals nicht widerspiegeln könnte. Doch die

Zoe und ihre Feundin Olivia wurden sehr gut synchronisiert. Ihr könnt aber auf Englisch spielen, wenn ihr das lieber möchtet. 
Skepsis war unberechtigt, denn die deutsche Sprachausgabe ist mehr als gelungen. Alle wichtigen Charaktere wurden mit professionellen Sprechern besetzt: Allen voran die deutsche Stimme von Angelina Jolie, die Zoe spricht. Die Stimmen passen zum Charakter und sind dem Original sehr ähnlich. Olivias Tonfall ist fast derselbe wie beim Original. Untertitel, die bis auf ein paar kleine Fehler fehlerfrei übersetzt sind, sorgen für noch mehr Verständnis. Außerdem könnt ihr die englische Sprachausgabe wählen, wenn ihr das möchtet.

Musikalisch gibt es wenig auszusetzen, da die Melodien von orchestral bis fernöstlich die geheimnisvolle Grundstimmung gekonnt unterstreichen. Die Geräusche sind für jede Welt entsprechend: In Zoes Welt gibt es nervige Handy-Töne während bei April bis auf die Maschinen der Azadi die Geräusche des bäuerlichen Mittelalters vorherrschen

         

Fazit

Ich muss sagen, dass mir Dreamfall inzwischen besser gefällt, als in der Vorschau. Das 3D-Abenteuer entfaltet erst nach einiger Zeit seine volle Sogwirkung, die fast ausschließlich die tolle Story erzeugt. Die Geschichte schickt die Protagonisten auf einen wahrhaft fantastischen Trip, den sich Autoren wie Andreas Eschbach, Tad Williams oder Philip K. Dick nicht besser ausdenken hätten können. Überwachungsstaat, künstliche Intelligenz und Parallelwelten sind nur einige Aspekte, die vorkommen. Obwohl es kaum Multiple-Choice gibt, habe ich den gut synchronisierten Gesprächen gerne gelauscht, denn sie verraten ausnahmsweise mal etwas darüber, wie ein Protagonist tickt. Hätten wir einen Story-Award, ich hätte ihn also vergeben. Doch nicht nur bei Fantasy sind Licht und Schatten die Kehrseiten einer Medaille. Um das Spiel möglichst einsteigerfreundlich zu halten, wurde das Gameplay weitgehend geopfert. Die meisten Rätsel, Aufgaben und Minispielchen haben den Namen fast nicht verdient, da sie quasi im Vorübergehen lösbar sind. An die ungenaue Steuerung habe ich mich inzwischen gewöhnt, obwohl sie nach wie vor keinen guten Eindruck hinterlässt. Ich bin der Meinung, dass man die Action ebenso hätte weglassen können. Die paar Kletterpartien sind nicht der Rede wert und die schwer steuerbaren Kämpfe wirken wie ein Fremdkörper. So ist es die stimmige Atmosphäre, wozu auch die solide 3D-Grafik beiträgt, die Dreamfall letztlich ein "gut" mit Einschränkungen beschert.

Pro

Story verleitet zum Weitermachen
drei Charaktere spielbar
Anleihen an Fantasy-Filme und Bücher
ausführliche Dialoge
durchgestylte Umgebung
schöne Ausblicke
professionelle Sprachausgabe
passende Geräusche
integriertes Tutorial

Kontra

hakelige Steuerung
zu einfache Rätsel
überflüssige Kämpfe
öde Laufwege
Dialoge nur mit Hauptcharakteren
unsichtbare Grenzen
hölzerne Gesichtsanimationen
kaum Bewegung in den Straßen
häufiges Nachladen

Wertung

PC

Das Spiel lebt von seiner großartigen Story und nicht vom Rätseln.

0
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.