Rag Doll Kung Fu21.05.2006, Paul Kautz
Rag Doll Kung Fu

Im Test:

Aiiiiiii! Jawaaaaaaaa! Schwing-schawing. Aiaiaiaiaiaiiiiiii! Nein, das ist keine Batman-Folge aus den 60ern. Auch kein durchschnittlicher Bruce Lee-Film, obwohl die Richtung stimmt. Nein, wir haben es hier mit Rag Doll Kung Fu (ab 2,90€ bei kaufen) zu tun, dem außergewöhnlichsten Prügelspiel aller Zeiten.

Haaaaa-Chi!

Man nehme: Einen Batzen Freunde, eine Videokamera, einen gelangweilten Nachmittag und einige bewusstseinserweiternde Substanzen. Heraus kommt ein Trash-Kung-Fu-Film, den man sich normalerweise immer wieder mal in betrunkenem Zustand ansieht und herzhaft gackert - oder den man zum Anlass nimmt, ein ebenbürtig albernes Spiel drumherum zu stricken. Und so hätte sich Lionhead-Grafiker Mark Healey wohl nie träumen

2D-Augenweide: Die Grafik ist hervorragend gelungen.
lassen, dass sein Freizeit-Projekt nach einigen Jahren der Entwicklung und immer größer ansteigender Erwartungshaltung nicht nur per Steam vertrieben, sondern auch für wenig Geld in den Läden dieses Landes stehen würde. Verrückte Welt.

Um jetzt mal die Einleitung aufzugreifen: Ein Prügelspiel im klassischen Sinne, man denke hierbei an die Tekkens und Dead or Alives dieser Welt, ist RDKF mit Sicherheit nicht. Hier gibt es keine Digisteuerung, keine auswendig zu lernenden Kombos, die mittels ausgefeilter Button-Kommandos ausgeführt werden. Stattdessen braucht ihr hier nur ein Werkzeug: eure Maus. Mit der werden sämtliche Bewegungen eures Charakters gesteuert, was durchaus einiger Einarbeitung bedarf. Schon einfache Bewegungen wie Laufen und Springen fühlen sich ganz anders an. So könnt ihr entweder mit dem linken Mausohr in die Landschaft klicken, woraufhin euer Kunf-Gu-Held drauflosstapft, oder ihr schnappt euch ein Bein nach dem anderen und stolziert peu à peu zum Ziel. Gesprungen wird hier nicht, stattdessen schnappt ihr euch einfach eine Extremität und zerrt euren Protagonisten in die Luft - je schwungvoller, mit desto mehr Schmackes driftet eure Figur durch die Sphären. Ihr wollt eine Waffe benutzen? Greift zur Hand und führt sie zum Instrument des Todes, um es aufzusammeln. Angreifen? Klickt Hand oder Bein an, ladet mit kleinen Kreiselbewegungen den Angriffsmeter (die allgegenwärtige Chi-Power) auf und klickt in Richtung Ziel! Ihr wollt euch verteidigen? Dann hoch den Arm! All das und mehr erfordert einige Übung, die dem Unwilligen durchaus schnell die Freude am Spiel versauern könnte. Praktische Extras wie magische Pilze erleichtern euer Leben, könnt ihr doch, habt ihr genug davon gegessen, in Zeitlupe und unter psychedelischen Bildverzerrungen eine Zeit lang fliegen - schnurpst ihr allerdings zuviel davon, wird erstmal herzhaft drauflosgekotzt.

Shaolin Soccer

Neben der Steuerung ist speziell die Kulisse einzigartig: Hier ist alles 2D! Kein Polygönchen weit und breit, nur scheinbar anachronistische Sprites - allerdings auf dem neuesten Stand der Technik! Beeindruckend z.B. die schöne Tiefenillusion, die durch viele individuelle Scrollebenen, einen Nähe-Unschärfefilter sowie die fleißig zoomende und leicht schwenkende Kamera erzeugt wird. Ihr könnt das wahlweise im breitwandigen 16:9 gezeigte Bild auch mit der Maus rauf- und runterkippen, das Resultat sieht sehr elegant aus. Wunderschöne 2D-Effekte begleiten die Action, Tag und Nacht wechseln sich flüssig ab, alles leuchtet, glitzert, bewegt

Mein Bong-Fu ist stärker als deins: Die bekloppten Zwischenvideos sind herrlich trashig.
sich und zieht Blur-Streifen hinter sich her, erschreckend detaillierte  Bäume wiegen sich mit den Blättern im Wind, Schmetterlinge flattern zappelnd durchs Bild - toll! Highlight sind natürlich die Figuren, deren Körper wundervoll trashig aus einzelnen Bausteinen besteht, die ihr auch wild kombinieren dürft - wie wäre es mit einem Alienkopf mit Knochenarmen, Strapsen und versifftem Feinripp-Oberhemd? Alle Animationen werden in Echtzeit berechnet, die Bewegungen sind, hier kommt der Name zum Tragen, physikalisch zwar prinzipiell korrekt, aber ordentlich übertrieben - hier fliegen die Körper, hier ziehen sich die Köpfe, hier rotieren die Beine! Bekloppt? Aber ja! Jedoch auf eine unwiderstehlich sympathische Art und Weise. Ganz zu schweigen von den grandios trashigen Zwischenvideos, welche die -ahem- Story weiterführen, die sich hauptsächlich um die Rettung der liebreizenden und ausgesprochen entführten Tochter eures Meisters drehen. Und natürlich tummelt sich auch die Akustik auf gleichem Niveau: Im Spiel lauern meditative Atmosphärenklänge, die sich auch auf einer Yoga-CD finden könnten, begleitet von gebrummelter Sprachausgabe, tierischen Kampflauten und Vogelgezwitscher - dazu noch grooviger Hip Hop im Hauptmenü.

Wer kein Freund von Valves Vertriebsplattform Steam ist, dürfte erfreut sein zu hören, dass sich auch eine Steam-freie Version auf der CD tummelt - allerdings könnt ihr mit der nicht zu acht online spielen! Bleibt immer noch das 16 Levels umfassende Einzelspielervergnügen, welches allerdings in der normalen Variante schneller vorbei ist, als man denkt. Danach warten noch die freispielbaren Mini-Games, von denen sich besonders die verrückte Fußball-Variante hervorgetan hat. Und natürlich dürft ihr auch im Netzwerk oder, mehrere Mäuse an einem PC angeschlossen vorausgesetzt, gegen willige Freunde antreten.        

Fazit

Ja, dieses Spiel ist gleich in mehrerer Hinsicht erschreckend: Es ist so erschreckend bekloppt und psychedelisch, dass das Ganze unter Drogeneinfluss entstanden sein -muss-. Es ist erschreckend, wie viele Bewegungs-Möglichkeiten man trotz des simplen Konzepts hat. Es ist erschreckend, wie unglaublich gut das Spiel trotz der Beschränkung auf Sprites aussieht - man merkt jedem Pixel an, dass Herr Healey seinen Job versteht. Und das ist auch irgendwie das Problem: Ragdoll Kung Fu ist mehr ein originelles, expressionistisches Kunstwerk als ein tatsächliches Spiel: Die Steuerung funktioniert auch nach vielen Stunden nicht wirklich flüssig, online ist man mit gutem Grund mehr mit Tanzen und artistischen Übungen denn mit Kämpfen beschäftigt - also mehr cooler Physik-Spielplatz als Beat-em-Up. Wäre es nicht ganz so einzigartig anzuschauen, würde sich vermutlich kein Mensch dafür interessieren.

Pro

herrlich abgefahrenes Setting
faszinierendes Steuerungskonzept
wundervoll beklopptes Design
preiswert
stylische Grafik
abgefahrene Zwischensequenzen

Kontra

sehr gewöhnungsbedürftige Steuerung
definitiv kein klassisches Prügelspiel

Wertung

PC

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