Die Siedler: Das Erbe der Könige11.12.2004, Marcel Kleffmann
Die Siedler: Das Erbe der Könige

Im Test:

"Ist das noch Siedler?" und "Was haben die Entwickler mit dem genialen Spielprinzip aus den Vorgängern gemacht?" schallt es aus den Community-Foren. Kein Wunder, denn am fünften Siedler-Teil wurde ordentlich herumgeschraubt. Auch wir mussten uns erst an das neue Siedler gewöhnen, aber so schlecht wie sein Ruf ist das Spiel nicht - es ist nur anders als sämtliche Vorgänger.

Age of Siedler

Der fünfte Teil der Kultserie unterscheidet sich gewaltig von den Vorgängern: Der Aufbau sowie die Wirtschaft sind stark gekürzt worden und machen Platz für ein umfangreicheres Kampfsystem samt Helden. Zwar spielen Gebäude und Rohstoffe noch immer eine Rolle, aber längst nicht mehr in dem

Zwei Helden posieren vor der Klon-Armee.
Maße, wie bei den bekannten Titeln. Schon an der Reduzierung der Rohstoffe kann man erkennen, dass das neue Siedler auf Zugänglichkeit und Tempo zugeschnitten wurde, denn neben den Talern gibt nur noch fünf: Lehm, Holz, Steine, Eisen und Schwefel - Einsteiger freuen sich über diese Vereinfachung, Profis werden der alten Komplexität nachtrauern.

Keine Produktionsketten

Diese fünf Rohstoffe baut ihr direkt an der Quelle ab: Gefällte Bäume verwandeln sich ohne Weiterverarbeitung sofort in ein fertig produziertes Brett - ohne Sägewerk, ohne Holzfäller, ohne Warenstapel, ohne Träger und ohne Wegsystem. Auch der damalige Produktionskreislauf mit Erz, Kohle und Eisenschmelze ist weggefallen, da eure Leute das Eisen in der Mine nur einsammeln müssen. Die knuffigen Geologen sind jetzt auch arbeitslos, weil sämtliche Rohstoffvorkommen auf der Karte entweder als Steinhaufen (außer Bäume) oder als vorgefertigte Minenposition bzw. Grube sichtbar sind. Jede Rohstoffquelle kann außerdem erschöpft werden; sogar die Bäume, denn alle Förster sind wegrationalisiert worden. Abgebaute Rohstoffe erscheinen sofort im Zentrallager; Träger und Warenstapel sind passé.

Die 3D-Grafik wirkt wesentlich realistischer als bei den knuddeligen Vorgängern.
Trotzdem könnt ihr ein Sägewerk, eine Schmiede oder eine Ziegelhütte errichten. Aber was soll das ohne Weiterverarbeitung bewirken? Diese Gebäude dienen der Veredelung der abgebauten Rohstoffe, was in eine effektivere Ernte mündet.

Billige Arbeitskräfte & gute Fachkräfte

Abbauen könnt ihr die Rohstoffe mit Siedler-Fachkräften oder den neuen Leibeigenen. Diese werden für preiswerte 50 Taler im Haupthaus rekrutiert und kosten euch nach der Anschaffung nichts mehr - sie brauchen keine Nahrung und keine Pausen. So können diese Allrounder immer genau dort eingreifen, wo gerade ein Engpass herrscht und ganz nebenbei ziehen sie alle Gebäude in die Höhe.

                

Aber wozu braucht man normale Siedler, wenn man die billigen Leibeigenen hat? Nun ja, so ziemlich jeder andere arbeitet effektiver als die "Alleskönner". Bergleute in einer Lehmgrube produzieren beispielsweise viermal so schnell, als wenn dort Leibeigene arbeiten würden. Genau deshalb solltet ihr darauf achten, dass Fachkräfte am Werk sind und diese hart arbeitenden Leute brauchen

Matschig, aber lukrativ: Eine Lehm-Grube mit Förderband.
zwischendurch eine Pause und etwas zu essen. Also solltet ihr in der Umgebung der Produktionsstätte einen Bauernhof (der ohne Felder Nahrung produziert) und ein Wohnhaus bauen. Wenn nichts zu futtern da ist, sinkt die Moral!

Neue Siedler braucht das Land

Neue Siedler kommen nicht durch neu gebaute Wohnhäuser in die Siedlung, sondern durch das Dorfzentrum. Dieses enorm wichtige Gebäude kann nur an vorgegebenen Positionen auf der Karte errichtet werden und bringt eine gewisse Siedler-Zahl ins Spiel. Habt ihr also ein Sägewerk errichtet, kommen automatisch die für den Betrieb nötigen Leute aus dem Zentrum heraus und besetzen das Gebäude - Spezialausrüstung wie Axt oder Säge bringen sie gleich mit.

Sobald Siedler aus dem Dorfzentrum gestürmt sind, dürft ihr euch über Steuereinnahmen freuen, die regelmäßig alle zwei Minuten in euren Talertopf fließen. Je nach Steuerrate (beeinflusst die Zufriedenheit der Siedler) und Bankverzinsung fließt so neue Knete in eure Taschen. Dieses Geld braucht ihr hauptsächlich für Handel- oder Tauschgeschäfte in der rudimentären Mini-Diplomatie (Krieg, Neutral, Frieden) oder für die Forschung. In der Universität könnt ihr in bester Age of Empires-Manier 16 Technologien entwickeln. Weitere Verbesserungs-Möglichkeiten bieten die normalen Gebäude wie das Sägewerk oder die Alchimistenhütte. Nur mit Hilfe der Gelehrten kommt ihr so an fortgeschrittene Technologien, die schließlich alle zum Militär führen.

Ein verbessertes Wohnhaus sowie eine Mühle (aufgewerteter Bauernhof) direkt an der Ziegelhütte. 
Helden gefragt!

Kein bisheriger Siedler-Teil stellte die kriegerischen Auseinandersetzungen so sehr in den Vordergrund wie Das Erbe der Könige. Dies liegt auch an den neuen Helden: In der Kampagne befehligt ihr neben den normalen Truppen auch diese heroischen Einzelgänger, die nicht nur besonders stark im Kampf sind, sondern weitere Spezialfähigkeiten einsetzen können. So kann Dario, der Hauptdarsteller, seine Eule zur Erkundung ausschicken. Der Sprengmeister Pilgrim hingegen legt gerne Bomben, während Salim heilen und Erec einen Wirbelschlag vollführen kann. Sterben kann ein Held übrigens nicht: entweder wird er bewusstlos oder erscheint wieder am Haupthaus.     

Siedeln ist eine Schlacht

Ansonsten steht ihr dem Gegner mit 20 verschiedenen Einheiten gegenüber. Diese unterteilen sich in vier jeweils unterschiedlich starke Schwertkämpfer, Lanzenträger oder Bogenschützen. Nur zwei Ausbaustufen haben die leichte und schwere Kavallerie sowie die leichten und schweren Kanonen. Die Fußtruppen rekrutiert ihr allerdings nicht selbstständig! Ihr bestellt immer nur einen Hauptmann, der sich dann weitere Soldaten an der Rekrutierungsstätte (Kaserne, Bogenschützenplatz) besorgt.

Verstorbene Siedler sausen als Lichtstrahl in Richtung Himmel - nicht mehr als Engelchen.
Steuern könnt ihr von diesem Trupp nur den "Anführer", über die weiteren Soldaten habt ihr bis auf die Auswahl der Formation keine Kontrolle. Aber eigentlich sind die Formationen im Kampf sowieso unnötig, da in den hektischen Schlachten die Reihen sowieso auseinander brechen. Lediglich die Formation der Bogenschützen im Hintergrund ist taktisch nützlich.

Der Truppen-Chef ist im Kampfeinsatz so lange unverwundbar, bis alle Kämpfer gefallen sind und auch die Erfahrungspunkte bekommen nur die Hauptmänner verliehen. Sollte ein Kamerad in der Schlacht gefallen sein, kann der Anführer die freigewordenen Plätze in der heimatlichen Siedlung wieder auffüllen.

Kampfsystem

Das Kampfsystem basiert auf dem Schere-Stein-Papier-Prinzip. Schwerkämpfer sind gut gegen Lanzenträger, Lanzenträger erlegen am liebsten Kavalleristen und Reiter sind gut darin Bogenschützen umzuhauen. Trotz dieses überschaubaren Systems laufen die meisten etwas größeren Schlachten ziemlich unübersichtlich und hektisch ab; viele Möglichkeiten zum Eingreifen habt ihr nicht mehr, sobald eine Schlacht beginnt. Lediglich die Helden kann man klar im Auge behalten und gewisse Spezialfähigkeiten aktivieren, aber ansonsten seid ihr selten der Herr des Schlacht-Getümmels.

Um euer Herrschafts-Gebiet auszudehnen, musstet ihr in den Vorgängern immer wieder neue Türme bauen - dies ist nicht mehr nötig. Ihr könnt eigentlich überall auf der Karte was bauen. Türme können jetzt bloß zu effektiven Verteidigungsanlagen hochgerüstet werden.

Kamapgne

Dieses fast gänzlich neue Spielkonzept könnt ihr in der Kampagne, im Freien Spiel und im Multiplayer-Modus ausprobieren. Wobei euch die Kampagne mit 16 Missionen am längsten beschäftigen wird. Im Verlauf der Story begleitet ihr den Helden Dario und werdet mit dem mysteriösen schwarzen Ritter konfrontiert, der das gesamte Land unterjochen möchte und nach einem geheimnisvollen Amulett sucht, das euch eure verstorbene Mutter gerade zufällig vermacht hat. Die dunkle Herrschaft versucht ihr natürlich zu verhindern und macht euch auf, das Land zu befreien…

Der Oberfiesling beobachtet sein nächstes Ziel.
Die Missionen hingegen haben zwei Gesichter: Auf der einen Seite gibt es Aufträge, bei denen nur selten Langeweile aufkommt, da auf den großen Karten immer etwas zu tun ist. Dafür sorgen viele Nebenquests, die euch mit Rohstoffen oder Soldaten belohnen. Es gibt wiederum Aufträge, die zu langatmig für ein Echtzeit-Strategiespiel und zu simpel für ein Aufbauspiel sind - vor allem, wenn ihr untätig einem Countdown zuschauen müsst oder auf ein bestimmtes getriggertes Ereignis wartet. Ansonsten zieht sich das Spielschema (Siedlung bauen, aufwerten, Armee aufstellen, Krieg führen) wie ein roter Faden durch die Kampagne und wird nur selten variiert. Dafür entschädigen aber die mehrstufigen, oft wechselnden Aufträge sowie einige multiple Lösungsmöglichkeiten, z.B. wenn mehrere Wege zu einer Position auf der Karte führen.

              

Künstliche Intelligenz

In der Kampagne macht die Künstliche Intelligenz zunächt eine gute Figur. Dies liegt daran, dass viele geskriptete und getriggerte Ereignisse dort auf euch warten.

Die Siedlung überzeugt mit detaillierten Gebäuden, obwohl alles längst nicht mehr so schön wuselt.
Im freien Spiel zeigt sich dann, dass die KI längst nicht so toll ist, aber hin und wieder mit überraschenden Manövern agiert. An Rückzug denken die KI-Feinde allerdings nie, wie ehrenhaft!

Freies Spiel und Multiplayer

Das "Freie Spiel" präsentiert sich weit weniger frei, als von der Community gewünscht: So könnt ihr euch lediglich eine Karte aussuchen und gegen die KI spielen - mehr Optionen stehen nicht zu Verfügung. Besser und abwechslungsreicher ist der Multiplayer-Modus, bei dem ihr neben der obligatorischen Eroberung auch ein Technologie-Rennen und ein Punktespiel machen könnt. Aus Fairnessgründen gibt es eine optionale zeitlimitierte Waffenstillstands-Option.

Veteranen werden trauern, Anfänger sich freuen

Somit haben die Entwickler das alte Spiel-Konzept fast gänzlich über Bord geworfen, was logischerweise zu einem ganz neuen Gameplay-Erlebnis führt: Die Siedler: Das Erbe der Könige (ab 23,95€ bei kaufen) ist kein typisches, knuddeliges Siedler mehr, nein, es ist ein auf Zugänglichkeit getrimmtes Aufbaustrategiespiel, mit dem selbst blutige Anfänger oder Zockermuffel locker zu Recht kommen werden. Natürlich funktioniert die Frischzellenkur ganz gut und es macht auch Spaß, die mit geskripteten Ereignissen vollgestopfte Kampagne zu spielen, aber wo Siedler draufsteht, sollte eigentlich auch Siedler drin sein und das ist für mich: In Ruhe aufbauen, nahezu perfekte Wirtschaftskreisläufe generieren, das Gebiet ausweiten, erkunden und ganz nebenbei ein bisschen Krieg führen. Dieser alte Charme fehlt aber weitgehend! Wegen dieser starken Diskrepanz werden wohl viele alte Siedler-Fans ziemlich enttäuscht sein, während Anfänger bestens bedient werden.

Bombast-Optik

Als Grafik-Engine verwendet das Spiel die Renderware-Engine, die u.a. bei GTA Vice City zum Einsatz kam, aber komplett umgebaut wurde. Das Resultat ist beeindruckend, denn die Landschaften sehen einfach wunderschön aus. Es ist wirklich toll, wie die Entwickler mit kräftigen Farben, feinen Animationen und süßen Details für Leben zwischen Wald und Wiesen sorgen. Man kann sich an der wunderschönen Landschaft gar nicht satt sehen, obwohl der Knuddel- und Wusel-Faktor im Verglich zu den Vorgängern mächtig nachgelassen hat. Vor allem, weil die Anzahl der Handwerker und Warenkreisläufe reduziert wurde.

Im Winter gefrieren Gewässer, so dass eure Krieger neue Wege finden.
Zwischendurch ändert sich sogar das Wetter: Dies ist nicht nur optischer Schnickschnack, sondern hat echte Auswirkungen auf das Gameplay. So ist die Sichtweite der Fernkämpfer bei Regen eingeschränkt und im Winter gefriert so manch ein See, so dass eure Truppen in vorher unzugängliches Gebiet vorstoßen können.

Sound-Kulisse

Mindestens ebenso hochklassig präsentiert sich die akustische Kulisse: Schon allein der opulente Soundtrack lädt zum Siedeln ein und auch die Einheiten-Kommentare können sich hören lassen, da eure Untergebenen mit den unterschiedlichsten Dialekten reden und manchmal für kleine Lacher sorgen. Gewöhnungsbedürftig ist allerdings die Stimme von Diplom-Zyniker Oliver Kalkofe, der euren Mentor spricht und manchmal ziemlich nervige, teilweise aber wiederum tolle Sprüche loslässt.

           

Fazit

Uff! Ich bin total hin und hergerissen. Einerseits trauere ich als "alter" Siedler-Veteran den Trägern, Warenstapeln etc. hinterher und versuche mit den ganzen radikalen Änderungen klarzukommen, denn dieses Spiel ist eigentlich kein typisches Siedler mehr. Die Serie hat sich weg von der Aufbau- und Wirtschaftskomplexität hin zu Grafikglanz und Echtzeit-Kampf entwickelt. Man hat fast das Gefühl, eine Mischung aus Age of Empires und Stronghold zu spielen. Aber irgendwie funktioniert diese frische Mixtur auch ganz gut, solange in den Missionen kein Leerlauf aufkommt: Denn müsst ihr in den Einsätzen zu lange warten, wird es schnell öde, weil der Aufbaupart zu wenig Umfang bietet und die hektischen Schlachten eher simpel als fordernd sind. Auch der fesselnde Aquarium-Effekt, bei dem ihr dem bunten Treiben zuschaut, ist zwar vorhanden, aber verkümmert - es gibt zu wenig Betriebe und Handwerker; knuddelige Siedler wurden ebenfalls wegrationalisiert. Die Siedler sind jetzt eindeutig auf den Mainstreammarkt und Einsteigerfreundlichkeit zugeschnitten worden. Wer also kinderleicht in zauberhafter Kulisse planen, bauen und Krieg führen will, wird daher voll auf seine Kosten kommen und kann ruhigen Gewissens bis zu zehn Punkte hinzuzählen. Fans von Siedler 1-4 hingegen werden mit dem neuen Spross eher wenig Freude haben und da mir als Veteran diese neue Siedelei längst nicht mehr so gut gefällt, muss sich das Spiel mit der 75er-Wertung zufrieden geben. Solltet ihr dennoch mit dem Kauf liebäugeln, empfiehlt es sich, vorher die Demo anzuspielen.

Pro

erstes Siedler in 3D+ tolle Mittelalter-Kulisse
leichter Einstieg+ angenehme Schwierigkeit
flotter Spielablauf
zugänglicheres Wirtschaftssystem
Haupt- & Nebenaufgaben
unterhaltsame Story
Helden-System
viele Technik-Upgrades
komplexere Kämpfe
Klima- und Wetterwechsel
KI lässt euch Zeit zum Siedeln
niedliche Animationen
bombastischer Soundtrack
recht gute Sprachausgabe

Kontra

kein klassisches "Siedler"-Spiel mehr
keine Träger, Warenstapel, Geologen, Wege
drastische Reduzierung der Warenkreisläufe
zu wenig Rohstoffe
rudimentäre Diplomatie
teils langatmige Aufträge mit Leerlauf
umständliche Steuerung der Helden
kompletter Siedlungsaufbau dauert zu lange und bietet zu wenig zum Zuschauen
hektische Kämpfe
KI-Macken (kennt keinen Rückzug)
eingeschränkter Aquarium-Effekt
Kalkofe`s Sprüche passen nicht immer- kein wirkliches "Freies Spiel"
zu wenig Multiplayer-Karten

Wertung

PC

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