Nibiru - Der Bote der Götter22.03.2005, Jörg Luibl
Nibiru - Der Bote der Götter

Im Test:

Black Mirror wurde von uns zum Adventure des Jahres 2004 gekürt. Kein Wunder, dass wir uns voller Vorfreude auf den neuen Knobel-Streich aus Tschechien gestürzt haben. Immerhin lockt das Team von Unknown identity mit einem archäologischen Mystery-Szenario, das an gute alte Indiana Jones-Zeiten erinnert. Und dtp hat das Ganze auch noch professionell vertont. Was soll da schief gehen?

Tunnel ins Abenteuer

Alles fängt so gut an: Im Jahr 2004 wird in Westböhmen ein Tunnel aus der Zeit des Dritten Reichs entdeckt. Der Archäologe Martin Holan berät sich kurz mit seinem Onkel, der ihn auf mysteriöse Forschungen der Nazis aufmerksam macht, die genau dort betrieben wurden. Angeblich haben sich deutsche Wissenschaftler intensiv mit den Geheimnissen eines Planeten namens Nibiru befasst. Was wollten sie herausfinden? Und was ist im Tunnel davon übrig?

Ein Tunnel, ein Geheimnis: Alles fängt so gemütlich an...
Martins Neugier ist geweckt, und der Spieler klickt sich ebenfalls wissbegierig durch das finstere Prag. Die Steuerung ist klassisch: Relevante Items lassen den Cursor orange leuchten und sind schnell gefunden. Schön ist, dass man per Doppelklick auf einen Ausgang sofort in den nächsten Bereich wechseln kann. Schade ist, dass Martin nicht rennen kann.

Viel entscheidender für den Spielspaß ist allerdings, dass die anfängliche Motivation sowie die durchaus interessante Story später auf ein ernüchterndes Niveau herabfällt. Als man die erste Informantin tot in ihrer Badewanne auffindet, weht noch ein angenehm mörderischer Hauch, der von hervorragenden Musikeinspielungen getragen wird. Diese subtilen akustischen Momente gehören zu den großen atmosphärischen Stärken Nibirus, bleiben aber Mangelware.  Über weite Strecken des Abenteuers herrscht eine lastende Stille. Und irgendwann bröckelt der mysteriöse Putz und es zeigen sich immer mehr fade Stellen - erzählerisch, spielerisch und technisch.

Blasser Martin

Das fängt schon beim Protagonisten an. Ich wurde mit Martin Holan einfach nicht warm. Das lag weniger an seinem anachronistischen 80er-Outfit samt Föhnfrisur, auch nicht an seinem schluffigen Gang, sondern eher am fehlenden Charakter. Der Jung-Archäologe bleibt während des gesamten Abenteuers seltsam blass. Ich habe ja nicht unbedingt süffisante Witze oder kernige Sprüche à la Indiana Jones erwartet, aber etwas mehr als einen braven Tschechen ohne Ecken und Kanten. Er ist austauschbar, uninteressant, langweilig.

Konnte Samuel aus Black Mirror noch mit seiner schroffen Art eine markante persönliche Duftmarke hinterlassen, wirkt Martin in einigen Dialogen fast ein wenig dümmlich. Vor allem in der Szene, als er im Militärlager auf einen deutschstämmigen Historiker trifft. Nibiru ist ohnehin nichts für Freunde anspruchsvoller Gespräche oder Plots à la The Moment of Silence. Es wirkt eher wie ein naives Relikt aus alten Lucas Arts-Tagen. Immerhin können manche Nebendarsteller für etwas mehr Würze und Witz sorgen, was die Dialoge wieder etwas aufwertet. Die sind vor allem deshalb hörenswert, weil sie von schauspielerisch überzeugenden Sprechern vorgetragen werden - hier hat dtp mal wieder erstklassige Lokalisierungsarbeit geleistet.

             

Schwarze Löcher

Aber das bleibt der einzige Superlativ, den mir Nibiru entlocken kann. Das Abenteuer führt euch in streng linearer Disziplin durch fünf Kapitel mit knapp 80 Orten und 35 Charakteren. Zwar könnt ihr in einigen Situationen sogar sterben, wenn ihr nicht schnell genug das Richtige tut, aber die Storystraße führt immer geradeaus. Das muss nichts Schlechtes sein. Doch

Eine Wanne voll Frau und Blut. Martin ahnt Schlimmes.
was in unserer Preview noch nach einem Epos klang, entpuppt sich als Wochenendtrip: mehr als etwa acht Stunden sind nicht drin! Wenn ich mich recht erinnere, hatten Publisher und Entwickler im Vorfeld noch von 30 Stunden gesprochen…

In dieser kurzen Zeit fällt man auch noch in schwarze Löcher. Ich bin ein Freund von inneren Monologen. Und auch Martins Selbstgespräche und Gedanken sorgen dafür, dass die dünne Erzählung verknüpft und mit Fragen belebt wird. Allerdings wurde diese Zeit mit einem denkbar ungünstigen Stilmittel überbrückt: Wenn Martin laut sinniert, gibt es keine Zwischensequenzen, sondern schwarze Bildschirme! Diese Ausblendungen mögen die Gedanken des Protagonisten ja in den Vordergrund stellen, aber sie bieten zu wenig Tiefe, als dass man das einfallslose Ausblenden verschmerzen könnte. Warum gibt es nur an einigen wenigen Stellen Zwischensequenzen? Hier hätte man konsequenter sein müssen.

Malerische Statik

Auch optisch vermisst man eine klare Linie. Die Orte sind zwar wunderbar gezeichnet und versprühen sofort den gemäldeartigen Charme, der auch schon Black Mirror auszeichnete - zumal man in einer höheren Auflösung von 1024 x 768 sowie 32-Bit spielen kann. Und vor allem die Figuren bewegen sich endlich geschmeidiger als die stocksteifen Hauptdarsteller des Grusel-Adventures. Aber heutzutage kann selbst das kein Maßstab mehr sein. The Moment of Silence bot wenigstens mal innovative Kamerafahrten oder erstklassige Zwischensequenzen. Und man vermisst immer noch viel mehr: vor allem eine sichtbare Mimik und bessere Gestik. In Zeiten von Half-Life 2 wirken die Darsteller wie Figuren der Augsburger Puppenkiste.

Im Gespräch mit dem deutschen Historiker macht Martin eine naive Figur.
Noch ernüchternder ist der spärliche Einsatz von Animationen: Selbst in Black Mirror bewegte sich ab und zu ein Ast, kräuselte sich Wasser im Teich. In Nibiru gibt es bis auf wenige Ausnahmen, wie z.B. die hereinrauschende Prager S-Bahn, einige Ventilatoren und Regenszenen, fast nur statische Bilder. Die sind verdammt gut gezeichnet - keine Frage. Aber warum bewegt sich bei einem Sturm kein Blättchen? Und warum komme ich in den Tunneln tatsächlich zu einer großen Wasserstelle mit vielen Kisten und Treibgut, in der sich rein gar nichts bewegt? Da war alles so tot wie auf einem Foto. Warum bietet man so eine Statik und an anderer Stelle wieder bewegtes Nass? Manchmal wirkt der Titel fast so, als hätten die Designer zu wenig Zeit gehabt, um für mehr Leben zu sorgen.

Technische Spielereien gibt`s leider auch nicht: Schade ist z.B., dass man die Items im Inventar immer noch nicht als 3D-Modelle im Zoom betrachten kann, sondern mit einer kleinen Beschreibung abgespeist wird. Nur die prächtige Gebäude-Architektur sowie das liebevoll arrangierte Interieur können diese Schwachpunkte auffangen. Sobald man einen Raum betritt, darf man sich auf eine farbenfrohe Fülle an Eindrücken freuen, die von Jugend- bis Aztekenstil reicht. Eine ärgerliche Notiz am Rande: Das nationalsozialistische Hakenkreuz im Bunker wurde in ein rundes "S" zensiert.   

Holen und Bringen

Es gibt gute Rätsel, es gibt schlechte Rätsel - auch in Nibiru. Zu Beginn überwiegen allerdings so viele offensichtliche Aufgaben, dass Genre-Kenner in einen berauschenden Lösungs-Flow ohne Stolpersteine kommen dürften. Es geht leicht, viel zu leicht voran. Dazu servieren die Tschechen viele stupide Hol- und Bringdienste: Der Bettler will Zigaretten, der Rentner will Wein, also pendelt Martin zwischen Kiosk und Auftraggeber. Später wird das so weit getrieben, dass man einer Landstreicherin statt eines normalen Hotdogs eben einen ohne Senf, aber dafür

Malerisch und architektonisch stimmig, aber auch sehr statisch.
mit Ketchup bringen muss. Der Imbissverkäufer (!) hat keinen, also muss man ihn woanders suchen…man fühlt sich an einigen Stellen wie ein dummer Botenjunge im Dienste der künstlichen Spielzeitstreckung. Und die Story? Die relevanten Fragen? Bleiben zum größten Teil auf der Strecke.

Obwohl es einige schöne und mehrfache Itemverknüpfungen gibt, wie z.B. den Fallenbau, gibt es auch fast schon abstruse Willkür: Wenn man einer Ratte eine Dynamitstange auf den Rücken schnallen muss, damit diese durch ein kleines Loch in einer Betonwand schlüpfen, dahinter detonieren und so den Schließmechanismus öffnen kann, beißt man fast in die Tastatur - nicht nur als Tier-, sondern auch als Logikfreund. Warum zum Henker kann ich nicht einfach mehrere Stangen bündeln und ins Loch stopfen? Solche Sinnfragen haben zwar uralte Point&Click-Tradition, aber sind heutzutage genau so nervig wie anno dazumal.

Rätsel & Logik

Nibirus Rätsel sind in der ersten Spielhälfte schnell geknackt und nur dann fordernd, wenn es um Zahlencodes geht. Lässt sich die erste Passworthürde im Büro der getöteten Informantin noch mit etwas Umsicht logisch nehmen, ist die zweite im Salon des Onkels ein Gehirnverzwirbler der frechen Sorte. Da steht man vor einem Tresor und soll den Code des Seniors knacken, und ist auf eine Lösung angewiesen, auf die man nur mit viel Fantasie und Verzweiflung kommt. Hier hätte ein kleiner Hinweis auf die bis dato verschwiegene mobile Kommunikation des senioren Onkels Wunder gewirkt. Immerhin kommt man hier endlich mal ins Grübeln...

Wie kommt man am Türsteher vorbei?
Unlogisch, aber für viele Adventures leider immer noch typisch, ist auch, dass Gegenstände nicht immer sofort sichtbar sind, sondern erst nach der Aktivierung eines anderen Raumes oder Gespräches: Den Schlüssel am Schwarzen Brett findet man z.B. nicht beim ersten Betrachten, sondern erst dann, wenn man eine Tür öffnen muss - arrgh. Die Pilze kann man nicht sofort pflücken, sondern erst, wenn man einer Wache ein Mahl zubereiten soll.

Erst bei den Maya kommen endlich kreativere, wenn auch altbekannte Kopfnüsse ins Spiel, wenn knackige Schieberätsel gutes Kombinieren verlangen oder alte Zahlenschlüssel übersetzt werden müssen. Hier weht dann tatsächlich ein Hauch von Indiana Jones und man bekommt wieder Lust an Martins Expeditions ins Reich der astrologischen Mythen. Gleichzeitig bekommt man jedoch einen groben Dämpfer.

Denn nach einer Hand voll interessanter Knobelszenen läuft schon der Abspann. Ich konnte es kaum fassen. Als man gerade richtig warmläuft, ist es tatsächlich schon vorbei. Ein echter Adventurus Interruptus. Und das Schlimme ist die Art und Weise: Das Ende ist eine einzige abrupte Enttäuschung. Vor allem deshalb, weil es die interessantesten Fragen nicht beantwortet. Man schaut verdutzt auf das Hauptmenü und fragt sich: War`s das? Die Schuhe von Black Mirror waren definitiv eine Nummer zu groß für Nibiru.

           

Fazit

Ich war in Prag, Paris und Mexiko. Ich habe schmierige Kneipen, düstere Tunnel, elegante Hotels und Maya-Ruinen besucht. Ich habe Säufer, Archäologen, Verräter, Hotdogverkäufer und Häuptlinge getroffen. Ich wurde mit geheimen Nazi-Dokumenten, faulenden Leichen und mysteriösen Artefakten konfrontiert. Dieses Sammelsurium hätte eigentlich ausreichen müssen, um ein spannendes, kniffliges und vielleicht sogar erstklassiges Point&Click-Abenteuer zu stricken. An einigen Stellen blitzt dieses Potenzial auf, wenn düstere Musikeinspielungen die nächste Überraschung ankündigen oder ein Mord neue Fragen aufwirft. Aber nach erschreckend kurzen acht Spielstunden und einem unglaublich schwachen Finale ist klar: Das Team von Unknown identity verpasst die Chance, an den Erfolg von Black Mirror anzuknüpfen. Es wirkt dagegen wie ein frühes, im Ansatz gutes, aber ungeschliffenes Gesellenstück. Weder die Story, die Rätsel noch der Held können sich ähnlich intensiv einbrennen. Am Ende bleibt ein gerade mal befriedigendes Spielerlebnis mit einigen unlogischen Dämpfern und stupiden Hol- und Bringdiensten. Erst zum Ende hin wecken die Maya-Geheimnisse die Lust auf mehr, aber dann ist plötzlich Schluss! Das Remake des tschechischen VGA-Adventures "Posel Bohu" aus dem Jahr 1998 bietet solide, aber zu schnell verdaute und alles andere als berauschende Kost - schade.

Pro

knackige Schiebe-Rätsel
einige sehenswerte Orte
Protagonist kann sterben
sehr gute deutsche Sprecher
klassische Point&Click-Kost
Interieur in feinem Jugendstil
interessante Ausgangssituation
hervorragende Musikeinspielungen
Morde bringen Spannung in die Suche

Kontra

schwaches Ende
viele offene Fragen
sehr kurze Spielzeit
viele einfache Rätsel
blasser Hauptcharakter
streng lineare Struktur
unlogische Verknüpfungen
zu wenig Musikeinspielungen
Story fehlt Pfeffer & Dramatik
viele öde Hol
und Bringdienste
keine Mimik, kaum Animationen
oftmals schwarze Bilder statt Zwischensequenzen

Wertung

PC

Viel zu kurzes Abenteuer. Das Potenzial war da, die Fußstapfen von Black Mirror waren jedoch zur groß.

0
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.