The Witcher31.10.2007, Jörg Luibl
The Witcher

Im Test:

Echte Rollenspieler haben's schwer. All jene, die unter einem Abenteuer mehr als billigen Kloppmist mit Fantasygepansche verstehen, müssen gerade auf dem PC leiden, warten, hoffen. Wo bleiben gute Geschichten und interessante Charaktere? In welche Welten konnten sich Tolkiens Erben in den letzten Monaten stürzen? Egal, was es war: Nichts konnte auch nur ansatzweise die Magie des Genres beschwören. Jetzt versucht es der Hexer...

Absturz in den Vistakeller

Video: Das Kampfsystem setzt auf den Klick zur rechten Zeit - Timing ist angesagt....am Anfang stand der Frust: Das Spiel stürzte ab! Immer wieder. Und das beim Abspeichern. Hallo Microsoft? Warum prangt da groß das Games for Windows-Logo auf der Verpackung, wenn sich das Spiel unter Vista immer wieder verabschiedet? Erst ein Bugfix sollte hier Abhilfe schaffen. Sind Qualitätssicherung und Realsatire jetzt schon Schwestern? Aber Publisher Atari hat uns recht spät mit dem Testmuster versorgt, so dass wir vor dem Release ohnehin keinen Test anbieten konnten.

Also den Patch des ersten Verkaufstages installieren, das Ganze alternativ unter Windows XP versuchen und siehe da: Es läuft. Allerdings braucht man mindestens zwei Gigabyte Arbeitsspeicher, damit es nicht ruckelt. Hinzu kommen nervige Ladezeiten beim Betreten von Gebäuden. Wenn der Publisher zickt und die Technik bockt ist das eigentlich kein guter Start für eine fruchtbare Beziehung zwischen Kritiker und Abenteuer. Man könnte versucht sein, das Spiel zu zerpflücken. Schließlich werden Erinnerungen an Gothic 3 wach, wenn man die mehrseitige Bugliste des ersten Patches liest...

Aufstieg in das Abenteuer

Aber uns interessiert in erster Linie nicht die Außenpolitik der deutschen PR, sondern die kreative Qualität der Entwickler. Die kommen aus Polen, heißen CD Projekt und wollten ein Rollenspiel à la BioWare präsentieren. Nicht umsonst prangt das Logo der Aurora-Engine auf dem Cover, die auch bei Neverwinter Nights 2 zum Einsatz kommt - nur sieht The Witcher (ab 6,99€ bei kaufen) mindestens eine Klasse besser aus. Obwohl auch hier Levelschläuche ein freies Erkunden der Spielwelt verhindern und die Offenheit eines The Elder Scrolls IV: Oblivion vermissen lassen, ist die Illusion durchaus vorhanden. Die Landschaft besticht mit einem authentischen Flair, Tag- und Nachtwechsel sorgen für

Hexer Geralt begegnet auf seinem Abenteuer einer Menge Frauen - manche kann er über Gespräche und Geschenke sogar verführen.
idyllische Lichtspiele und die erste Dorfszenerie samt Zugbrücke, Burg und Mühle könnte eins zu eins aus dem europäischen Hochmittelalter stammen. Flora, Fauna und Architektur wurden sehr gut eingefangen. 

Und wo Frust war, herrscht plötzlich Freude. Denn es gibt zwei wesentliche Unterschiede zum Gothic-Desaster: Erstens läuft das Spiel in Version 1.1 sauber und zeigt keine krassen grafischen oder physikalischen Fehler, die sich auf das Spielgefühl auswirken würden. Zweitens macht es nicht nur richtig Spaß, sondern pflegt längst vergessene Rollenspieltugenden. Es etabliert dabei eine neue Fantasywelt für Erwachsene, die in Sachen Komfort, Art & Design edle Zeichen setzt. Das fängt schon bei der Wahl der Kamera an: Ihr könnt das Spiel in verschiedenen Perspektiven aus der Distanz oder ganz nah dran erleben, es komplett mit der Maus oder über eine Kombination mit der Tastatur steuern. Lieber mitten rein oder isometrisch fern? Es liegt an euch.

               

Endlich wieder gute Fantasy

In den Katakomben begegnen euch zig Monster: Hier nutzt Geralt eine Axt, aber theoretisch reicht sein Stahlschwert in Kombination mit der Hexermagie.
Das letzte Mal, dass ich trotz technischer Mängel so gut von einem Abenteuer unterhalten wurde, war im November 2004. Das Spiel hieß Vampire: Die Maskerade - Bloodlines . Aber man konnte sich diesem düsteren Trip einfach nicht entziehen. Genau so ist es mit dem Hexer: Das erstklassige Intro gibt nur einen kämpferischen Vorgeschmack auf die fünf spannenden Kapitel und das stilistische Können der polnischen Grafikabteilung. Kein Kitsch. Kein Kloppmist. Keine Katastrophe. Freut euch auf düstere Fantasy, in der neben Leder und Stahl vor allem Story, Charaktere und Atmosphäre dominieren. Auch wenn die Erzählung zu Beginn mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt: Alles wird zu seiner Zeit aufgeklärt, selbst die Frage, wieso sich Geralt im Intro so lange mit dem Monster aufhält und erst die Fäuste anstatt die mächtige Waffe oder gleich Magie sprechen lässt. 

Die Köder sind einfach unwiderstehlich. Wer einmal anbeißt und das Langschwert des Hexers in eleganten Kombinationen singen lässt, wird so schnell nicht mehr vom Jäger mit dem schlohweißen Haar loskommen. Er hat einen tödlichen Stil - und zwar in allen Belangen. Dass sich die Klinge wunderbar choreographiert durch Haut und Rüstungen frisst, dass dabei Blut spritzt und Köpfe rollen ist nur eine seiner Stärken. Dass Musik und Menüs für eine erhabene Stimmung beim Zuhören und Wühlen sorgen, nur eine andere. Man fühlt sich als Fan mittelalterlicher Fantasy sofort akustisch und grafisch angesprochen. Und wer die Buchvorlagen von A. Sapkowski kennt, wird sich schnell heimisch fühlen.

Emotionale Dramaturgie

Natürlich geht es auch in diesem Abenteuer um ein Komplott großen Ausmaßes: Aber bevor ihr die wahren Hintermänner trefft, müsst ihr zig Schurken aus dem Weg räumen...
Aber viel wichtiger ist: Schon der Einstieg hat dramaturgisch mehr zu bieten als die Plots von Two Worlds und Gothic 3 zusammen. Noch bevor das erste Kapitel überhaupt beginnt, noch bevor richtig klar wird, dass die mysteriöse Hauptfigur an Gedächtnisverlust leidet und für viele seit fünf Jahren schon totgesagt war, spielt die Regie in der Festung von Kaer Morhen ihre ersten Joker aus: Wann habt ihr das letzte Mal in der guten ersten Stunde eines Spiels Kämpfen, Magie, Verzweiflung, Sex und einem Begräbnis beigewohnt? Wann hat sich das letzte Mal die Szene eines Abschieds eingebrannt? The Witcher serviert euch viele kleine Zwischensequenzen, die umgehend für Stimmung sorgen. Und ähnlich wie im guten alten Gothic kommt das Kumpelhafte zwischen den Gefährten nicht zu kurz - nur ist es hier mysteriöser.

Im Kreis einer kleinen verschworenen Truppe erlebt ihr all das, lernt markante Charaktere kennen, bevor ihr alleine loszieht und ganz wichtig: Ihr müsst von Beginn an Entscheidungen treffen. Und das ist in einer Welt, in der Rassenhass gegenüber Zwergen und Elfen, die Verfolgung Andersgläubiger und Verbrechen von der Vergewaltigung bis zur Menschenopferung an der Tagesordnung stehen, nicht immer so einfach. Haben sich die Jungs gut von BioWare inspirieren lassen? Oh ja. Befreit ihr einen zur Deportation verfluchten Zwergen oder mischt ihr euch nicht ein? Helft ihr einem Hehler oder den Rebellen? Ihr habt immer die Wahl, ob ihr eure Kräfte für den eigenen Geldbeutel, eure Moral, das Gesetz oder die Unterdrückten einsetzt. Und ihr müsst als Hexer immer damit rechnen, dass man euch als Ketzer zunächst verabscheut. Es gibt keinen Moralbalken, aber spürbare Konsequenzen wie einen wütenden Mob mit der Lust auf Lynchjustiz oder einen Schmied, der einfach nicht mehr mit euch reden will, weil er sich ertappt fühlt. Sehr motivierend ist, dass die Tragweite eurer Entscheidung irgendwann spürbar sein kann: Wer Rebellen aus Edelmut hilft, muss damit rechnen, dass sie später skrupellos töten...und wenn sie einen Freund töten? All die moralischen Zwickmühlen, die auch Mass Effect bald so auszeichnen soll, werden euch auch in diesem Abenteuer begegnen...

         

Geschenke & Gespräche

Wie überzeugt man die Menschen zu kooperieren? Man kann Aufträge für sie erfüllen. Und hier bietet The Witcher neben einigen delikaten Recherchequests auch klassische Hol- und Bringdienste der Marke 10-Fell-für-einen-Hinweis an. Das rostige Rad der Beschäftigungstherapie inklusive Erfahrungspunktebelohnung wird auch hier nicht neu erfunden. Sehr schön sind allerdings manche Kleinigkeiten: Man kann sich über spezielle Ringe oder Pässe als jemand Befugtes oder Anderes ausgeben - einfach das Kleinod anstecken und vorzeigen. Man kann sein Gegenüber auch mit Geschenken bestechen oder in Gesprächen

Im Prolog lernt ihr eure Gefährten kennen. Nachdem sich die Gruppe zu Spielbeginn trennt, seid ihr alleine unterwegs - aber ihr werdet alle wiedertreffen.
überzeugen. Die Dialoge sind bis auf ein paar Schreibfehler durch die Bank unterhaltsam. Das Schöne ist, dass alles komfortabel im Tagebuch dokumentiert wird - egal ob offene oder erledigte Quests, getroffene Charaktere oder spezielle Orte. Da man des Öfteren auch Bücher à la Oblivion findet, wühlt man sich immer wieder gerne durch die Texte.

Gespräche und Geschenke wirken vor allem bei Frauen Wunder: Wer den Ladys hilft, vielleicht noch Blumen pflückt und zur richtigen Zeit am richtigen Ort erscheint, darf ihr Bett teilen. Und dann verwandelt sich eine schüchterne Bardame plötzlich in einen Vamp. Die könnt ihr übrigens in lasziver Kartenform sammeln - eine überaus hübsche Idee. Aber die Techtelmechtel sind nur eine der vielen angenehmen Nebensächlichkeiten wie etwa die Faustkämpfe gegen Dorfrüpel, das Wettsaufen oder das coole Pokerspiel mit Würfeln. Auch dieses Minispiel erinnert angenehm an BioWares Star Wars-Abenteuer.

Die BioWare-Schwächen

In den Dialogen habt ihr immer die Wahl: Ihr könnt euch auf die Seite der Justiz stellen, den Unterdrückten helfen oder in erster Linie euren Geldbeutel füllen.
Andere Dinge hätten die Entwickler allerdings besser machen sollen als die Vorbilder aus Kanada: Dass es keine freie Spielwelt gibt und selbst kniehohe Zäune so manches Weiterkommen verhindern, haben wir schon erwähnt - immerhin kann sich der Hexer kleine Hügel hinauf wuchten oder zum Ufer des Wasser hinab klettern. Dass man auch ohne Konsequenzen alles stehlen kann, dass man jedes Haus auch mitten in der Nacht betreten und alles ausräumen kann, kommt aber leider hinzu. CD Project hat es nicht geschafft, hier intelligente Riegel vorzuschieben. Und das ist der größte inhaltliche Kritikpunkt an diesem Spiel, denn so kann sich der Hexer quasi überall bedienen und die Glaubwürdigkeit dieser ansonsten so restriktiven Spielwelt leidet.

So schade das ist, so spannend bleibt dennoch das Abenteuer. Immerhin kann man dem Spiel zugute halten, dass man Geralt nicht zum Dieb entwickeln kann. Stärke, Gewandtheit, Ausdauer und Intelligenz lassen sich schulen, Fingerfertigkeit oder Geschicklichkeit sind nicht dabei. Der Mann ist ein Kämpfer, ein Monsterjäger par excellence, der sowohl mit dem Schwert als auch der Magie für verheerenden Schaden sorgt. Das Misstrauen seiner Umgebung beruht darauf, dass er quasi ein Mutant ist, dessen überschnelle Reflexe und mystische Fähigkeiten wie die Nachtsicht oder der siebte Sinn für böse Kreaturen und Magie alles Menschliche übersteigen - übrigens wird diese Wahrnehmung von einem interaktiven Wolfskopf dargestellt, der leicht wackelt oder wild zappelt, wenn sich Unholde in der Nähe befinden; über die Meditation könnt ihr ihn auch auf Magie polen.

Alte Bekannte, neue Erfahrungen

Die Kampfchoreografien sind hervorragend: Der Hexer wütet elegant und tödlich unter seinen Widersachern, wenn ihr die richtigen Kombos auslöst.
Auf seinem Weg begegnet Geralt immer wieder Leuten, die ihn kennen, die er aber aufgrund seiner Amnesie zunächst nicht einordnen kann. Das kann für angenehme und böse Überraschungen sorgen - manchmal bekommt man Geschenke, manchmal wird man direkt attackiert. Natürlich ist dieser Gedächtnisverlust kein großartiges erzählerisches Mittel, aber auf diese Weise ist man quasi gezwungen, mehr über die Fantasywelt und die eigene Vergangenheit herauszufinden. Und beides ist deshalb so interessant, weil es sich oftmals vom Einerlei und Kitsch anderer Welten unterscheidet: Man muss genauer lesen und beobachten, wenn man sich einen Reim machen will. Von seiner Art gibt es nicht mehr viele und der Einzige, von dem man noch hört, scheint dem Hexer immer einen Schritt voraus zu sein. Wer ist dieser mysteriöse Berengar?

Und obwohl das Spiel mit seinen flotten Echtzeitkämpfen zunächst wie ein Action-Adventure à la Prince of Persia anmutet, entwickelt es sich spätestens im ersten Kapitel zu einem echten Rollenspiel mit zig Quests und lebendigen Gesprächspartnern. Die Bewohner zeigen sich mit ihren Schwächen für Alkohol, Sex und Drogen ähnlich menschlich wie im derben Gothic - das sorgt schnell für einen ganz eigenwilligen Charme. Dadurch, dass eine Gemeinschaft von Bestien bedroht wird und immer wieder Menschen verschwinden, fühlt man sich unweigerlich an den Pakt der Wölfe erinnert - auch hier entsteht diese prickelnde Mischung aus bösen Ahnungen, martialischen Kämpfen und Aberglaube. Überraschend gut wirkt auch der Alltag auf den Straßen: Katzen stromern, Hunde bellen, Kinder spielen, Kaufleute wandern umher, Frauen fegen, Tauben fliegen auf, Enten gackern, Schmiede hämmern - all das nimmt man nebenbei auf und all das sorgt dafür, dass die Spielwelt trotz ihrer Grenzen sehr lebendig wirkt. Wenn sich plötzlich ein Dörfler unter Magenschmerzen krümmt oder drei finstere Gestalten eine Frau bedrängen, lohnt sich vielleicht das Eingreifen...

        

  Es gibt zwar einige geklonte Figuren, aber das Ansprechen sorgt für unterschiedliches Feedback. Man wird immer wieder um Hilfe gebeten, man bekommt immer wieder etwas über die Intrigen des Ortes mit, man erfährt immer wieder Neues über Alchemie, Monster, Waffen, Tränke & Co. Und während sich all das öffnet, kann man Geralt als Charakter entwickeln - man

Die Story entführt euch über fünf Kapitel in eine düstere Fantasywelt voller Rassenhass, Aberglaube und Gewalt.
kann einen wuchtigen oder schnellen Kampfstil fördern, man kann sich auf Gruppenattacken konzentrieren oder einen der fünf arkanen Hexerwege einschlagen. Die bieten euch von Telekinese über Pyrokinese bis hin zu Giften, Fallen, Lähmung und Schutzeffekten alles, was das magische Herz begehrt. Und all das wird sehr ansehnlich inszeniert.

Klasse Kampfsystem

Wenn es zur Sache geht, macht das Spiel richtig Spaß: Anstatt euch mit Dauergeklicke zu nerven oder einfach nur den gedrückten Mausknopf gelten zu lassen, müsst ihr den Nager hier mit Timing bedienen, um wirklich effektiv zu sein. Überaus elegant sind in der Defensive die Ausweichrollen per Doppelklick auf den Boden - ihr könnt sogar über Gegner hechten und eine schnelle 180-Grad-Drehung machen. Pariert wird übrigens nicht aktiv, sondern automatisch je nach Fähigkeit, die ihr weiter schulen könnt.

Elfen und Zwerge werden verfolgt und deportiert. Sie kämpfen als Rebellen gegen den König. Wollt ihr ihnen helfen oder bereichert ihr euch lieber?
Wenn Geralt ein Monster trifft, erscheint irgendwann ein leuchtender Mauspfeil, den ihr zum richtigen Zeitpunkt klicken müsst, um eine gute oder gar sehr gute Kombination an Schlägen abzuliefern. Klappt das, zeigt der Hexer unheimlich ansehnliche Manöver bis hin zu martialischen Todeshieben: Der Gegner wird geköpft oder kurz umgedreht und von hinten aufgeschlitzt; der Hexer springt hoch und schlägt sein Schwert wie einen Hammer. Der mächtigste Schlag verlangt längeres Drücken und frisst eure Ausdauer - hat man die Geduld, den Ladebalken komplett zu füllen, ist das Ergebnis verheerend.

Gerade diese Choreografien sind es, die immer wieder zum Hingucken einladen - auch, wenn man die einfachen Monster selbst auf dem zweiten von drei Schwierigkeitsgraden fast schon zu problemlos besiegt. Man kann pausieren, um den Kampfstil zu wechseln und das ist taktisch wichtig. Denn während schwer gepanzerte Monster eher den wuchtigen Stil verlangen, solltet ihr Dieben mit dem schnellen begegnen und einer ganzen Horde an Feinden eher mit den Gruppenattacken. Schön ist, dass man komfortabel und ansehnlich Magie einsetzen kann: Ein Druck auf die rechte Maustaste und Flammen oder Telekinese-Stöße begrüßen den Feind. Gerade in den anspruchsvolleren Kämpfen gegen einzigartige Monster kann die arkane Hilfe den Ausschlag geben.

Tränke & Inventar

In der Nacht machen dämonische Kreaturen die Straßen unsicher. Macht euch auch auf Vampire, Werwölfe & Co gefasst.
Der Hexer kann sich vor schweren Kämpfen mit zig Tränken und Brauereien aufputschen: Das geht so weit, dass er in einen Max Payne-artigen Zeitlupenstil verfällt, in dem das Timing der Kombinationen einfacher ist und die eigenen Trefferzahlen explodieren - sehr ansehnlich. Die Rezepte werden zwar gut dokumentiert und wenn man alle Zutaten besitzt sehr schnell gemischt, aber das Inventar bleibt angesichts einer gefühlten Myriade an Substanzen, Pflanzen und Mittelchen chaotisch. Es gibt keine Struktur und keine Sortierfunktion, so dass man all die kleinen und ähnlich aussehenden Zutaten mit der Maus absuchen muss, um herauszufinden, was erst Rohstoff und was schon gebrauchsfertig ist. Immerhin kann man bei einem Wirt alles Überflüssige deponieren.

Gut ist auch, dass es nicht auch einen Wust an Rüstung und Waffen gibt, die auch noch verstaut werden wollen. Man findet bis auf Standardschwerter kaum wirklich Nützliches. Das ist allerdings eher Segen als Fluch, denn der Hexer kommt mit seinem über Tinkturen und Salben noch modifizierbaren Stahl bzw. Silber sehr lange sehr gut zurecht. Hier empfiehlt es sich, die Klinge gezielt mit Ölen auf kommende Feinde einzuschwören: Wer sich auf Friedhöfe begibt, sollte z.B. das "Nekrophagenöl" nutzen, um den Untoten mehr Schaden zuzufügen. Außerdem kann man Dolche, Äxte & Co jederzeit von seinen Feinden aufnehmen oder auch fiese Bomben einsetzen. Ich empfehle "Drachentraum": Beim Aufprall brennt alles, was sich im Umkreis bewegt. Oder man nehme "Teufelsbovist", dann wird alles vergiftet.

     

Fazit

Wenn der Publisher zickt und die Technik bockt ist das kein guter Start für eine fruchtbare Beziehung zwischen Kritiker und Abenteuer. Diesen Test können wir euch nur deshalb so spät anbieten, weil wir unser Muster recht spät bekommen haben - immerhin beruht er dadurch auf Version 1.1, denn zum Verkaufsstart stand bereits der erste große Patch bereit. Aber die Außenpolitik der deutschen Atari-PR kann euch als Käufer letztlich genau so egal sein wie uns als Tester: The Witcher macht schon im Prolog mehr richtig als Gothic 3 und Two Worlds zusammen. Wer sich in den letzten Jahren über die fehlende Seele in Rollenspielen aufgeregt hat, wird die hoch dramatische Luft in der Welt des Hexers in sich aufsaugen und nach mehr japsen. Das letzte Mal, dass ich so versinken konnte, war Ende 2004 in "Vampire: Die Maskerade - Bloodlines". Vergesst den Kitsch der 08/15-Fantasy, hier geht es derbe zur Sache: Kampf, Drogen, Sex und Gewalt dominieren den düsteren Alltag. In Sachen Dramaturgie und Regie hat das Team von CD Project hervorragende Arbeit geleistet: Klasse Dialoge, markante Charaktere und kleine Filme zur rechten Zeit. Aus den Poren dieses Abenteuers strömt endlich wieder diese Magie, die dem Genre lange Zeit abging: Man stromert nach all dem Kloppmist tatsächlich wieder neugierig durch eine Welt, weil man sie erforschen will und Konsequenzen spürt! Und natürlich will man kräftig zulangen. Wer das Langschwert des Hexers einmal singen lässt, wird nicht mehr so schnell davon loskommen - die Kampfchoreografien sind ebenso blutig wie elegant. Es gibt abseits der nervigen Ladezeiten drei Schwächen: Die Spielwelt lässt sich nicht frei erkunden, Diebstahl hat keine Konsequenzen und das chaotische Inventar lässt sich nicht sortieren. Aber der Rest vom Fest sticht die Konkurrenz aus: Art & Design bestechen auf ganzer Linie vom Intro über die Monster bis zum letzten Tagebucheintrag, die Spielwelt wirkt auf Schritt und Tritt lebendig und die klasse Musik rundet dieses mittelalterliche Fantasy-Spectaculum ab. Für mich eindeutig das bisher beste PC-Rollenspiel des Jahres!

Pro

klasse Intro
drei mögliche Enden
sehr gute Dramaturgie
düstere Atmosphäre
mittelalterliches Flair
erwachsene Fantasy-Welt
blutige, klasse animierte Kampfchoreografie
einfaches, aber timingbasiertes Klicksystem
interessante Charakterentwicklung
Entscheidungen abseits von 08/15-Quests
lebendige Dialoge mit Konsequenzen
hervorragendes Art & Design
sehr stimmungsvolle Musik

Kontra

chaotisches Inventar
Diebstahl ohne Folgen
Spielwelt mit künstlichen Hindernissen
lange Ladezeiten beim Gebäudewechsel

Wertung

PC

Endlich wieder erzählerisch interessante Fantasy für Erwachsene! Trotz kleiner Defizite besser als Gothic 3, Two Worlds & Co!

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