Still Life26.05.2005, Bodo Naser
Still Life

Im Test:

Wer hat mitten im vorweihnachtlich dekorierten Chicago fünf Frauen auf grausame Weise misshandelt, ermordet und verstümmelt? Zwar führen einige Spuren ins Prostituiertenmilieu, einen Verdächtigen konnte das FBI bislang jedoch nicht präsentieren. Höchste Zeit also, dass ihr Licht ins Dunkel der polizeilichen Ermittlungen bringt. Wir haben uns mit Microids finsterem "Whodunnit" auf die Suche nach dem Mörder gemacht.

Der Mörder ist...

...nicht immer der Gärtner, zumal bei modernen Kriminalfällen meist gar keine Häuser mit ausladenden Gartenanlagen mehr vorkommen. Aber auch allzu verschrobene Künstler mit seltsamen Neigungen geraten schnell in den Fokus der Ermittlungen, wenn es um Serienmord wie bei Sieben, From Hell oder Das Schweigen der Lämmer geht.

Ganz anders als bei uns in der Redaktion: der Arbeitsplatz beim FBI ist aufgeräumt und übersichtlich.
Nicht von ungefähr hält die erfolgreiche Krimi-Autorin Patricia Cornwell den britischen Maler Walter Sickert für den wahren Jack the Ripper. Auch in Still Life (ab 22,95€ bei kaufen) spielen mysteriöse Frauenportraits eine gewichtige Rolle, die den Weg zum Täter weisen. Wer für die bestialischen Taten verantwortlich ist, wird natürlich nicht verraten, damit es bis zum furiosen Schlusskampf spannend bleibt.

Link in die Vergangenheit

Der unschöne Mordfall belastet die ansonsten wenig zimperliche FBI-Agentin Victoria McPherson zusehends. Sie traut ihren Augen nicht, als sie auf dem Speicher ihres Hauses zum Spaß in verstaubten Berichten ihres Großvaters stöbert. Eigentlich wollte sie bei ihrem Vater Abstand zum grausigen Geschehen gewinnen. Ihr Opa Gus, seines Zeichens Privatdetektiv und Hauptdarsteller im Quasi-Vorgänger Post Mortem, war im Prag des Jahres 1929 dem Ripper von Perovka auf der Spur, dessen Untaten seltsame Parallelen zu der Mordserie im postmodernen Chicago aufweisen. Der Täter ging fast genauso vor wie das Phantom, das Vic seit Wochen ohne großen Erfolg jagt. Bloß ein Zufall oder ist der Killer nach all den Jahrzehnten zurückgekehrt?

Brise Humor

Fortan dürft ihr neben der burschikosen Victoria abwechselnd auch deren Opa durch den kniffligen Mordfall steuern, der aber weniger laufintensiv ist als vergleichbare Adventures. Der Wechsel der Szenerie zwischen dem Prag der späten 20iger Jahre und dem heutigen Chicago sorgt für Abwechslung und tut dem ansonsten linearen Spielablauf gut, wobei die Ermittlungen mit der flotten Enkelin etwas mehr Spaß machen.

Abgesehen von den unförmigen Händen kann der Grafikstil überzeugen.
Das liegt an dem schwarzen Humor, der überall aufblitzt und die bedrückende Story letztlich erträglich macht. Etwa dann, wenn sich Vic und ein Streifenpolizist über ihren tollpatschigen Kollegen lustig machen. Die oft skurrilen Situationen sind also das Salz in der Suppe, obwohl ihr bei den vielen Dialogen nur entscheiden könnt, ob ihr beruflich oder privat fragen wollt - das sind weniger Fragemöglichkeiten als bei Post Mortem.  

Simple Ermittlungsarbeit

Leider kommt die Polizeiarbeit dabei etwas zu kurz. Zwar müsst ihr immer wieder Spuren einsammeln, Fingerabdrücke auswerten oder Verdächtige verhören. Die Ermittlungsarbeit ist aber anders als bei Sherlock Holmes: Das Geheimnis des silbernen Ohrrings meist mit wenigen Handgriffen erledigt. Dafür bleibt Vic nicht wie ihr britischer Kollege an Einrichtungsgegenständen hängen. Bei der Lösung hilft euch zusätzlich das übersichtliche Inventar, das auch als Fallakte dient. Hier könnt ihr euch Berichte in Ruhe durchlesen oder einen näheren Blick auf Beweisstücke werfen. Eher gewöhnungsbedürftig ist die Steuerung, bei der ihr erst umständlich am richtigen Ort die Aktionstaste betätigen müsst, um einen Gegenstand zu verwenden. Eher schon ein schlechter Witz ist es, eurem aufbrausenden Vorgesetzten einen Kaffee mit der FBI-eigenen Tasse vom Automaten holen zu müssen...      

Bäcker gefragt

Ganz anders hingegen präsentieren sich die klassischen Rätsel, die oft viel Zeit in Anspruch nehmen. Zwar gibt es auch hier Aufgaben, die dank all zu offensichtlicher Hinweise schnell erledigt sind.

Welche Geheimnisse werden während der Obduktion entschlüsselt?
Meist handelt es sich aber um waschechte Knobeleien, bei denen ihr euren Grips ganz schön anstrengen müsst. So gibt es anzügliche Schieberätsel, um verschlossene Türen zu öffnen. Geschick und Schnelligkeit sind aber nur einmal gefragt. Manch eines der Rätsel schrammt sogar hart an der Grenze zur Unlösbarkeit entlang, wie etwa jenes, wo ihr den Lebkuchenmann backen sollt. Wer schon mal den Teig für Weihnachtsplätzchen angerührt hat, hat bei der Wahl der richtigen Zutaten einen entscheidenden Vorteil. Alle anderen greifen wohl eher frustriert auf die Komplettlösung zurück.    

Morbider Bilderrausch

Habt ihr Still Life trotz Startschwierigkeiten zum Laufen gebracht, präsentiert es sich als alptraumhafter Bilderrausch, der einen krassen Gegensatz zur heilen Welt von Syberia darstellt. Obwohl alles möglichst kunstvoll inszeniert ist, ist hier nichts heil, sei es das sterbende Prag zwischen den Kriegen, die bedrohlich kalte Welt der Moderne und am allerwenigsten die abgefahrenen Gerätschaften, mit der sich die Menschen gegenseitig malträtieren. Oder würdet ihr gerne auf einem pieksenden Skorpionsessel Platz nehmen?

Leider gibt es den Grafik-Mix aus 3D-Figuren vor gerenderten 2D-Hintergründen nur in einer festen Auflösung von 800x600. Weitere Schockmomente bieten die bitteren Antlitze der Mordopfer, die beinahe schon zu realistisch aussehen. Bei manch einem Charaktermodell stimmen die Größenverhältnisse nicht ganz, die etwa die Hände des Streifenpolizisten so groß wie Klodeckel aussehen lassen. 

Düstere Schauplätze, schöne Animationen - aber leider nur eine 800er Auflösung.
Die nervenaufreibende Thriller-Atmosphäre wird auch durch die vielen rasant geschnittenen Zwischensequenzen gefördert, die immer wieder die Handlung vorantreiben. Der Mörder schlägt stets auf Neue erbarmungslos zu.  

Beunruhigender Sound

Die Musik ist die optimale Ergänzung zu den düsteren Hintergrundbildern. Der mysteriöse Sound verbindet sich mit den Szenen wie in einem David Lynch-Film zu einer Einheit, die fast immer bedrohlich wirkt. Die Bilder aus Prag sind mit zeitgenössischer Musik untermalt, die ein wenig mehr Auflockerung bringt.

Die deutsche Sprachausgabe haucht den skurrilen Akteuren erst richtig Leben ein, auch wenn die eine oder andere Stimme nicht ganz passt. Besonders hervorzuheben ist die brillante Stimme Victorias, die dem einen oder anderen Adventure-Fan noch als Kate Walker aus Syberia bekannt sein dürfte und die auch zu dieser eher extrovertierten Rolle perfekt passt.    

Fazit

Wer von Still Life ein waschechtes Detektiv-Adventure erwartet, wird möglicherweise ein wenig enttäuscht sein, denn die Polizeiarbeit spielt eher eine untergeordnete Rolle. Das Spiel ist vielmehr ein gelungener interaktiver Thriller, der euch manchen Schauer über den Rücken jagt. Wenn der Mörder wieder sein blitzendes Krummmesser auspackt, fürchtet man um die Gesundheit der ans Herz gewachsenen Protagonisten - sie werden es doch wohl überleben, oder nicht? In Prag und Chicago geht ihr der Frage nach, wer für die Morde verantwortlich ist, wobei sich die Spannung bis zum Schluss hält. Immer wieder ergibt sich eine neue Wendung, die ein anderes Licht auf die Bluttaten wirft. Die Mörderhatz bewegt sich auf einem hohen künstlerischen Niveau, wie man es von Microids gewohnt ist. Die hypnotischen Bilder, die skurrilen Charaktere und der mysteriöse Sound machen aus der Ermittlungsarbeit ein schauriges Vergnügen. An vorzeitiges Aufhören ist trotz manch schwerer Kopfnuss gar nicht zu denken! Wem die Auflösung am Schluss nicht reicht, der kann übrigens auf der offiziellen Webseite noch tiefer ins grausige Geschehen eintauchen.

Pro

zwei Detektive spielen
rätselhafte Mordserie aufklären
spielt an zwei Schauplätzen
düsteres Ambiente
bisweilen skurriler Humor
drastische Darstellung
rasante Videosequenzen
passende Musik
professionelle deutsche Sprachausgabe

Kontra

Ermittlungsarbeit zu simpel
teils unfair schwere Rätsel
linearer Spielablauf
nur 800x600-Auflösung
unförmige Charaktermodelle
Spiel startet nicht immer

Wertung

PC

Sicher eines der besten Adventures aus dem Hause Microids.

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