Das Kampfverhalten
Babysitting kann anstrengend sein. Es kann einem Nerven rauben und Flüche entlocken. Ein gutes Kampfsystem sollte nichts
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Aufstieg des Zwergen: Sobald ihr eine neue Erfahrungsstufe erreicht, dürft ihr eure Gefährten entweder manuell oder automatisch mit neuen Attributen versehen. |
damit zu tun haben - leider hat das von NN2 etwas zu viel damit zu tun. Es ist in seiner Struktur nicht schlecht, sogar komplexer und taktischer als das, was Gothic, Oblivion & Co servieren, aber in seiner Ausführung manchmal frustrierender. Eigentlich hätte das Team von Obsidian Entertainment wenigstens die Qualität von NN1 erreichen müssen - schließlich nutzt man dieselben rundenbasierten Würfelmechanismen des D&D-Regelwerks, bietet dem Spieler jederzeit die Pause für Aktionen an.
Aber irgendwie hat man in NN2 nie das Gefühl, dass man die volle Kontrolle über das Verhalten seiner Gruppe hat: Da bleibt jemand plötzlich in einem Flur zurück, der Zwerg greift mitten im Kampf nicht mehr an oder ein völlig überflüssiger Zauber wird auf einen einzigen Banditen gefeuert. All das kommt natürlich nicht in jedem Kampf so gehäuft vor, aber da man in NN2 hunderte davon bestreitet, summiert sich das.
Obwohl es unheimlich motivierend ist, seinen Helden bestimmte Verhaltensweisen wie Beschütze mich, nutze deine Zauber oder Ähnliches zuzuweisen, werden sie nicht immer korrekt ausgeführt. Es gibt allerdings auch gelungene Szenen, wie z.B. beim Knacken der Schlösser oder Fallen entschärfen, wo sich die Diebin ganz von alleine einschaltet und aktiv wird - hier macht NN2 richtig Spaß. Man muss nur aufpassen, dass keiner in der Zwischenzeit in den rot markierten Bereich läuft und vergiftete Armbrustbolzen auslöst...
Unheimlich nervend ist zudem das Laufverhalten in der Gruppe: Wenn man mit vier Leuten auf einen Punkt marschiert, bewegen sich die Helden im schlimmsten Fall im weit auseinander liegenden Gänsemarsch hintereinander. Das kann in Dungeons schnell in eine Vermisstensuche ausarten.
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Sobald die Zauber brutzeln, wird der Bildschirm in ein waberndes Farbenmeer getaucht. |
Warum gibt es keine einheitliche Marschgeschwindigkeit und keine sinnvollen Formationen? Gerade wenn die Gruppe inklusive beschworener Wesen und Folgetiere das halbe Dutzend voll macht und in Kämpfe geht, will man seine starken Krieger im Ernstfall vorne sehen, die Magier und Bogenschützen dahinter, die Diebe linkisch an der Seite, damit sie in den Schatten verschwinden können. Leider gibt es hier keine taktischen Routinen, keine Positionsschablonen für das Gruppenverhalten - so läuft schnell jemand in einen Hinterhalt, ihr müsst alles einzeln befehlen; schon BG2 hat das besser gelöst. Richtig ärgerlich ist das bei Fernkämpfern, denn egal ob Magier oder Bogenschütze: manchmal nutzen sie einfach nicht den Abstand aus, sondern bewegen sich trotz Armbrust oder Zauberstab dumm in den Nahkampf.
Also klickt man sich vorsichtshalber durch jeden Charakter, um ihn an die richtige Position zu bringen. Was kann man tun, um diese automatisierten Aktionen zu verhindern? Man kann alles selbst übernehmen und auf die komplette manuelle Steuerung umschalten. Das werden Veteranen ohnehin tun, auch wenn das im Endeffekt Babysitting pur bedeutet und den Zauber selbstständig agierender Gefährten verschwinden lässt: Es wäre viel spannender, wenn man glaubwürdiges Verhalten bei seinen Freunden beobachten könnte. Aber immerhin rettet dieser Anker das Kampfsystem, da man hier wirklich alles selbst bestimmen kann.
Diese Kontrolle habt ihr erstmals auch über die Gegenstände und Waffen, denn ihr könnt nicht nur fleißig handeln, sondern auch alles mit den richtigen Zutaten oder Kenntnissen selbst herstellen - vom Heiltrank bis zum Streitkolben. Das ist natürlich ein idealer Spielplatz für Kenner der D&D-Welt und bereichert die Spieltiefe.
Choreographie & Animationen
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Ankunft in Niewinter: Enldich mehr Leben auf den Straßen. Schade nur, dass Gasthäuser und Innenräume so steril wirken. |
Beim Kampf, der mit seinen Effekten zunächst begeistert, muss man bei genauerem Hinsehen einige Abstriche machen. Waren die Bewegungen in NN noch richtig elegant und ansehnlich, wirken sie jetzt zu grobschlächtig. Der Choreographie fehlen trotz ansehnlicher Abduckmanöver, Rundumschläge und beidhändiger Attacken die letzten Animationsfinessen - manches kommt zu abgehackt, wirkt deplatziert oder zeitlich versetzt. Natürlich ist es nicht leicht, ein auf Würfelergebnisse abgestimmtes System in Echtzeitkämpfe umzuwandeln, aber bei
Jade Empire sieht das Ganze harmonischer und durchgestylter aus. Und wer einmal
The Witcher in Aktion gesehen hat, wird den großen Unterschied in den flüssigen Schwerthieben und Kontern erkennen.
Hinzu kommen grobe Animations- und Kollisionsabfragefehler: Manchmal gleiten Helden oder Monster über zehn Meter über den Boden, anstatt ihre Laufbewegung zu zeigen. Im Kampf werden Hindernisse wie Wände oder Türen ignoriert - die Helden ragen mit dem halben Körper hinein, Pfeile jagen manchmal durch massives Holz. All das mögen Kleinigkeiten sein, aber im Jahr 2006 kann man auch eine physikalisch glaubwürdigere Spielwelt erwarten. Und ein guter Pen&Paper-Spielleiter würde diese Inkonsequenzen auch nicht durchgehen lassen. Letztlich kennen Veteranen diese Schwächen mehr oder weniger aus den Vorgängern.
Aufgrund der anspruchsvollen Charakterentwicklung, der in sich taktischen Kämpfe und der ab der Mitte des Spiels durchaus interessanten Story, verzeiht man vieles auch gerne, spielt im Sammeltrieb immer weiter, um endlich das letzte an Hieben und Zaubern aus seinen Helden rauszuholen - zumal man irgendwann wie schon in BG2 eine eigene Festung verwalten kann. Und schon früher, ab Niewinter, teilen sich die erzählerischen Pfade, so dass man das Gefühl hat, der Auflösung bei angezogener Spannungskurve immer näher zu kommen. Wenn man dann alles hinter sich hat, die große Bedrohung ausgeschaltet und die eigenen Helden auf Höchstausstattung gebracht hat, bleibt ein gutes, aber kein berauschendes Gefühl zurück. NN2 kann einfach nicht mehr die Begeisterung früherer Zeiten einfangen.