Diplomacy09.12.2005, Bodo Naser
Diplomacy

Im Test:

Das Brettspiel Diplomacy (ab 5,89€ bei kaufen) lebt seit jeher vom Austausch mit den anderen Mitspielern, der für den Sieg der eigenen Nation unerlässlich ist. Dafür lassen sich Abkommen vorschlagen, abschließen und brechen. Bislang sind Umsetzungen für den Computer daher meist an der schwachen KI gescheitert, die an den Mensch nicht rankam. Können die Hearts of Iron-Macher das Problem lösen oder scheitert auch ihre Versoftung daran?

Verständliches Regelwerk

Die verschiedenen Phasen, hier der Rückzug, laufen exakt wie beim Brettspiel ab. 
Die Umsetzung von Diplomacy hält sich ziemlich exakt an den Ablauf des Brettspiels, das hierzulande zu unrecht eher ein Dasein im Verborgenen führt. Immerhin gibt es ein paar Unentwegte, die es im Netz per E-Mail spielen, was jedoch bisweilen ewig dauert. Eine Reihe von Tutorials führen in das von Alan B. Calhamer kreierte Strategiespiel ein, das man grob als eine Mischung aus Risiko und Schach plus Verhandeln bezeichnen könnte. Die wenigen Regeln habt ihr zwar schnell gelernt, deren wahre Bedeutung versteht ihr aber erst mit steigender Erfahrung vollends. Ihr startet auf eine Europakarte von 1901 als eine von sieben Großmächten, als da sind Deutschland, Italien, England, Russland, Frankreich, Österreich-Ungarn und das Osmanische Reich. Leider gibt es beim Computerspiel sonst kaum sonstige Szenarien, die im Internet eigentlich zahlreich vorhanden sind. Lediglich eine andere Karte mit einer Flotte in Rom existiert.

Eine Armee pro Land

Es gibt Flotten und Armeen, die alle dieselbe Kampfstärke besitzen und von denen jeweils nur eine in jedem Land sein darf. Letzteres ist schon ein kleiner Schock für Leute, die etwa bei Risiko mal gerne Truppen in einem Land ansammeln. Das Spiel ist in jahreszeitliche Phasen aufgeteilt, in denen ihr eure Armeen bewegen könnt, was aber für alle Spieler gleichzeitig erfolgt. Es gibt die Befehle Bewegung (im Spiel fälschlich "Angriff" genannt), Unterstützungsangriff, Unterstützung, Bewegung über See und Halten. Die Auswertung der einzelnen Kampfphasen dauert am Computer leider recht lange, da alles auf dem Bildschirm ausgeführt wird. Danach folgt eine Aufbauphase, in der ihr in eurem Kernland neue Armeen und Flotten bauen könnt. Deren Zahl bestimmt sich nach der Zahl der eingenommenen Versorgungszentren, die ein Stern in manchen Ländern symbolisiert. Wer die meisten hat, hat gewonnen. Wer gar kein Zentrum mehr hat, fliegt raus. Warum Letzteres regelmäßig mit Österreich passiert, bleibt ein Mysterium des Spiels.

Allein auf verlorenem Posten

Natürlich seid ihr nicht allein auf der Welt, weshalb ihr Bündnisse mit euren Kontrahenten schließen müsst.
Obwohl alle ähnliche Startbedingungen haben, ist Diplomacy ein Spiel, bei dem allein wenig zu zweit aber fast alles geht. Durch die begrenze Zahl der Truppen, die Einteilung der Karte und das Stapelverbot seid ihr irgendwann an dem Punkt angelangt, an dem ihr für das Einnehmen eines weiteren Landes die Mithilfe einer anderen Nation braucht. Nun kommen die Verhandlungen ins Spiel, die eigentlich dessen Kern sind. Sie reichen von einfacher Mithilfe über das Einrichten entmilitarisierter Zonen und das Schließen eines Nichtangriffspakt bis zur vollständigen Allianz. Ob ihr euch an die Verträge auch haltet, ist wie in der richtigen Politik euer Bier. Ihr könnt sie also auch brechen, was angeblich euer Ansehen beschädigen soll. Die Computergegner verzeihen allerdings fast jeden Verstoß und sind nach wenigen Runden erneut gesprächsbereit. Um zu verhandeln, könnt ihr die Dauer der Runde bis auf 30 Minuten ausdehnen, die Anfänger sicher auch brauchen.

                  

Umständliches Handling

Umständlich verhandelt wird auch auf der Karte, mit dem Unterschied, dass die winzige Sprechblase oben aktiviert ist.
Leider ist die Bedienung alles andere als eingängig, weshalb damit auch gestandene Diplomacy-Veteranen ihre liebe Mühe haben dürften. Das Bewegen der eigenen Truppen funktioniert noch einigermaßen, das Verhandeln mit den Gegnern entpuppt sich aber als viel zu kompliziert. Zum Verhandeln schaltet ihr umständlich in ein eigenes Menü, das der normalen Karte jedoch bis auf i-Tüpfelchen gleicht. Was hier an Truppenschiebereien abgeht, stellt aber jegliche Aufzeichnung des aus der Schule berühmt-berüchtigten Bismarckschen Bündnissystems spielend in den Schatten. Leider passiert es dabei öfters mal, dass ihr nach den Verhandlungen vergesst, wieder umzuschalten und schon wieder fleißig Befehle erteilt, die dann alle umsonst sind. Das alles wird erschwert durch die 3D-Darstellung, die exaktes Anklicken des Landes zur Geduldsprobe werden lässt.

Chaotische KI

Noch ein weiterer Umstand führt dazu, dass Diplomacy nicht so viel Spaß macht wie gegen menschliche Spieler: Die KI erweckt nicht den Eindruck, dass ihr gegen echte Menschen spielen würdet. Obwohl die Aggressivität der KI beim Erobern in Ordnung geht, laufen die Partien stets ähnlich ab. Das liegt etwa daran, dass die Computergegner nicht darauf achten, ein zusammenhängendes Land zu formen. Sie rücken nämlich ohne Rücksicht vor, erobern ohne erkennbares Marschziel und nehmen auch einen unsinnigen Ländertausch in Kauf. So etwas wie einen Erbfeindstatus kennt die KI nicht, denn sie verhandelt mit jedem. Das führt dazu, dass die Karte nach wenigen Runden wie ein orientalischer Flickenteppich aussieht, bei dem Enklaven die Regel sind. Natürlich zählen auch Länder, die vom Feind umschlossen sind, sie bieten aber einige taktische Nachteile, die die KI in Kauf nimmt. Wer angesichts dieser Schwächen lieber gegen menschliche Gegner ziehen will, ist auf LAN und Internet angewiesen. Einen Hot-Seat-Modus an einem Computer gibt es nicht.

Lieblos bis lächerlich

Mimik und Geräusche eurer Feinde während der Auswertung sind schlicht zum Lachen.
Optisch und akustisch könnte Diplomacy durchaus mehr bieten, denn die Gestaltung ist eher lieblos. Die 3D-Ansicht der Karte ist grob, ohne Details und letztlich nur verwirrend, da eine flache Karte sogar besser geeignet wäre, um die Einheiten leichter anzuvisieren. Dass ihr die Ansicht drehen und zoomen könnt, ist nun wirklich völlig unwichtig, da es in der Nahsicht nicht mehr zu sehen gibt als aus der Ferne. Bei den paar Einheiten ist genaueres Hinschauen auch gar nicht nötig. Die dummen Gesichter der Computergegner sind ein netter Einfall, der aber schlecht umgesetzt wurde. Die Animationen sind nicht synchron, so dass ihre Mimik letztlich unverständlich bleibt. Die obszönen Stöhnlaute, die sie als einzigen Laut von sich geben, sind sogar schlicht lächerlich. Ansonsten gibt es kaum etwas zu hören, da es keine Geräusche gibt und auch sonst Musik läuft. Richtig wichtig ist das alles nicht, da es sich um Äußerlichkeiten handelt.

     

Fazit

Diplomacy enttäuscht mich, denn vom hoch gelobten Hearts of Iron-Team hätte ich einfach mehr erwartet. Obwohl die Umsetzung des Brettspiels ziemlich originalgetreu ist, gelingt es kaum, das Flair des Originals einzufangen. Das liegt hauptsächlich an der KI, die oft verwirrt agiert. Natürlich hat niemand ernsthaft erwartet, dass es den Machern gelingen würde, eine mit dem Menschen vergleichbare KI zu entwerfen. Aber Diplomacy lebt nun mal hauptsächlich vom harten Verhandeln, das hier nicht überzeugt, was sicher auch an der komplizierten Umsetzung liegt. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, sich mehr vom Original zu lösen und stattdessen auf die Stärken des PC zu setzen. Die liegen aber sicher (noch) nicht im Nachahmen eines echten Menschen. Schachcomputer schneiden besser ab, weil es da nix zum Verhandeln gibt. Alles was an Diplomacy motiviert, bekommt man so auch beim Brettspiel, was sich insbesondere bei der Grafik zeigt. Die überflüssige 3D-Darstellung ist schlicht lieblos geraten. Hinzu kommt, dass man das Spiel nicht zu mehreren an einem Rechner spielen kann. Wer also ein Spiel für Weihnachten sucht, das er speziell mit seinen Freunden spielen kann, sollte sich lieber fürs Brettspiel entscheiden.

Pro

exakte Umsetzung des Brettspiels
durchdachtes Gameplay
einfach zu erlernen
schwierig zu meistern
hohe Entscheidungsfreiheit
umfangreiches Tutorial

Kontra

weniger Spaß als gegen Menschen
verwirrte KI
umständliches Verhandeln
Auswertung dauert
kaum Varianten
kein Hot-Seat-Modus
lieblose Präsentation
lächerliche aussehende Computergegner

Wertung

PC

Die Pappkameraden können echte Mitspieler nicht ersetzen

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