GT Legends17.10.2005, Paul Kautz
GT Legends

Im Test:

Hach, die 60er: Elvis wackelt mit den Hüften, die Beatles wackeln mit allem anderem, die Autos haben Rallyestreifen, die Fernseher sind voller Western. Hach, die 70er: Bei Elvis wackelt alles von ganz allein, die Beatles sind nicht mehr, die Autos haben immer noch Rallyestreifen, aber sind weitaus schneller geworden. Zeit, diese beiden Ären auf den Monitor zu bringen. Nur ohne Elvis, die Beatles ohne Cowboys. Aber mit jeder Menge Rallyestreifen!

Eine Simulation ist eine Simulation ist eine Simulation

Heutige Wagen werden in erster Linie nach Ästhetik und Aerodynamik entwickelt. Da herrschen schlüpfrige runde Formen vor, die am Wind nur so entlang gleiten, da wird den in Hightech-Anzügen verpackten Fahrern in noch hightechigeren Cockpits so viel wie möglich unter die Arme gegriffen. Damals in den 60ern und 70ern war das noch etwas anders: Die Autos hatten oftmals die Form von Billy-Regalen, mehr Power als es Pferde im Wilden Westen gab und einen sagenhaften Klang, der bei Motorsportfans noch heute für Gänsehaut sorgt. Und die wird hier im Akkord aufgerichtet, denn alleine für den Sound, den GT Legends (ab 6,99€ bei kaufen) bietet, werden Enthusiasten

Bemerkenswert schöne Wagen, GPS-genaue Strecken, brachialer Sound - fehlt nur noch der Benzingeruch im Zimmer.
in die bestmögliche Hardware investieren: Wenn ein Ford Mustang aus einem röhrenden Blubbern innerhalb von Sekundenbruchteilen ein kehliges Jaulen macht, wenn ein Porsche 911 den Auspuff beim Start-Countdown beinahe zum Platzen bringt und wenn ein Ferrari 275 mit dem so unverwechselbar typischen Sound zu hören ist, noch bevor man ihn im Rückspiegel zu sehen bekommt – ja dann haben die Entwickler definitiv etwas richtig gemacht!

Das gilt auch für den Anspruch des Spiels: GTR und seine Quasi-Vorgänger bei Papyrus (das legendäre Renn-Entwicklungsstudio, aus dessen Asche GT Legends-Developer Simbin teilweise erschaffen wurde) waren nie für Fahrschüler konzipiert. GTR ging mit drei Schwierigkeitsgraden einen bemerkenswerten Schritt auf Tastaturfahrer und NFS-Spieler zu, aber eine Simulation ist eine Simulation ist eine Simulation. Und egal wie weit man den KI-Anspruch herunterschraubt, egal wie viele Fahrhilfen man anknipst, egal wie viele Rennregeln man nach eigenem Gutdünken herumbiegt – auch aus GT Legends lässt sich kein Arcade-Racer machen. Obgleich die Entwickler dieses Mal zu noch mehr Kompromissen bereit waren: Jetzt warten gleich fünf Schwierigkeitsgrade und noch mehr Fahrhilfen vom Automatikgetriebe bis zum einstellbaren technischen Versagen. Aber wer noch nie über den Burnout-und-Co-Tellerrand hinausgeäugt hat, dürfte hier kaum glücklich werden. Denn die ganze Faszination des Fahrens, die ganze schweißtreibende Hektik, die ganze Arbeit, die hinter diesem Spiel steckt – all das kommt erst ans Tageslicht, wenn man bereit ist wie

Die Cockpitperspektive sorgt für authentisches GT-Feeling - modellierter Fahrer inklusive.
die Fahrer jener Tage auf moderne Hilfsmittel zu verzichten und die Simulation wirklich als Simulation zu spielen. Und dazu gehört nicht nur, sich auf das sowohl brillante als auch mörderische Force Feedback einzulassen, sondern sich auch mit detaillierten Setups vertraut zu machen.

Schöner als die Realität

GT Legends kümmert sich um die FIA-GTC-TC-Serien der 60er und 70er Jahre (TC-65, GTC-65 und GTC 75) – was im Endeffekt 95 Variationen von 29 klassischen Wagen von Mini Cooper über Corvette Stingray und Ford Mustang bis zu DeTomaso Pantera und BMW CSL bedeutet, die über 23 Kurse bzw. Kursvarianten aus aller Welt heizen. Doch nur ein Bruchteil davon ist von Anfang an verfügbar: Zu Beginn eurer Karriere dürft ihr nur mit dem Mini Cooper über die kurzen Varianten von Mondello und Anderstorp zuckeln, bevor es irgendwann nach Imola, Monza oder Hockenheim geht – weitere Autos und Strecken gilt es sehr konsolig im Laufe des Spiels freizuschalten. Dafür dienen die als »Cup-Serien« getarnten fahrerischen Herausforderungen, zu deren siegreichem Abschluss reichlich Geld auf eurem Konto landet, mit dem ihr beim hiesigen Wagenhändler neue Schmuckstücke in eure Garage stellen dürft – bzw. müsst, denn natürlich werden Rennen und Gegner immer anspruchsvoller und mit dem anfänglichen paar-PS-Schnauferl gibt es nicht lange Blumentöpfe zu gewinnen.       

Der Trick dabei ist, dass die Höhe des Preisgelds direkt mit dem Schwierigkeitsgrad verbunden ist. Lenkradgötter haben so schnell eine Garage voll der schönsten Straßenkreuzer, Anfänger arbeiten sich die Lernkurve langsam, aber stetig nach oben. Diese Art der Motivation ist allerdings gleichermaßen Segen wie Fluch: Wollt ihr nur ab und an eine schnelle Runde drehen, dürftet ihr euch über die damit einher gehende beschränkte

Die Außenperspektive ist schön anzusehen, spielerisch jedoch erneut völlig wertlos.
Auswahl ärgern. Profis hingegen, die es lieben, sich immer wieder an einer Challenge zu versuchen, bis das Lenkrad Beißspuren aufweist und der Sieg in der Tasche ist, werden für ihre Anstrengungen fürstlich entlohnt – hier wäre es schlicht Verschwendung, wenn alles und jeder von vornherein anwählbar wäre. Der »Aufwand« ist die Arbeit in jedem Fall wert: Die Fahrzeugmodelle könnte man ausdrucken und an die Wand nageln, so detailverliebt und rallyestreifengenau sind sie ins Spiel integriert! Natürlich hat sich Entwickler Simbin nicht einfach nur aufs Äußere beschränkt, hier zählt auch die innere Schönheit: Jeder Stoßdämpfer, jede Schraube, jede Bremsscheibe macht hier genau das, was sie in dem Echtwelt-Pendant auch macht. Jedes Detail ist in 3D ausmodelliert, was man besonders gut im Schauraum zu sehen bekommt – hier dürft ihr sogar einen Blick unter den Wagen werfen, was Technikfreunde das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen dürfte. Zurück an die Oberfläche: Besitzer von Monster-Grafikkarten können u.a. dem Cockpit einen Extraschwung Realismus verpassen und sehr hoch aufgelöste Texturen aktivieren. Beim Resultat möchte man instinktiv zum Cockpitspray greifen, um etwaige Schlieren zu entfernen – spitze! Aber auch ohne Luxus-Feature lassen sich Autos und Strecken speziell im Replay kaum noch von einer Fernsehübertragung unterscheiden.

Generalüberholung inklusive

Ein weiterer optischer Knaller ist der Echtzeit-Tagesverlauf. Der passt sich entweder an die Systemzeit an oder rast bis zu 60fach beschleunigt (was aus einer Spielstunde eine Echtwelt-Minute macht) an euch vorbei. Während eines langen Rennens werden so die Schatten länger, der Himmel dunkler, die Sonne geht unter, die Lichter gehen an, der Mond geht auf und Wolken wandern am Himmel entlang. Echtzeit-Schatten wandern auf der Strecke und innerhalb des Cockpits umher, realistisch blitzende Scheinwerfer beleuchten die Strecken und Fahrzeuge teilweise. Per Maus oder separat erhältlichem TrackIR-System könnt ihr euch wie gehabt frei im Cockpit umsehen und entdeckt so z.B. den komplett modellierten Fahrer, der nicht nur lenkt und schaltet, sondern auch Gas, Bremse und gegebenenfalls Kupplung glaubwürdig bedient. Subtil eingesetzte Shader sorgen für glaubwürdige Glanz- und Schimmereffekte auf dem

Nachts sind alle Minis schwarz: Mit beschleunigtem Tagesverlauf wirds mitten im Rennen schon mal zappenduster.
Wagenlack und im Cockpit. Leider gibt es keine Wettereffekte – Regenfahrer müssen also vorläufig draußen bleiben. Im Vergleich schwach ist auch das Schadensmodell: zwar spürt man die spielerischen Auswirkungen eines Vollgas-Aufprall unmittelbar, aber die optische Darstellung bleibt weit hinter Konkurrenten wie DTM Race Driver 2 oder Colin McRae Rally 2005 zurück.

Ein Knackpunkt des Vorgängers war der Mehrspielermodus, der erst nach einiger Patcherei so lief, wie man es von ihm erwartete: unerwartete Kicks, stetige Lags beim Spielereinstieg – online war GTR auf öffentlichen Servern keine große Freude. Das hat sich mit GT Legends geändert, keine Verzögerungen, keine Ärgernisse – jedenfalls in technischer Hinsicht. Spielerisch wundert man sich über das arg begrenzte Spielerlimit, welches wohl das Resultat des Kompromisses aus technischen Problemen bei zu vielen Spielern gleichzeitig und möglichst authentischen Rennen ist. Hier wie im Einzelspielermodus müsst ihr euch in jedem Fall auf mörderische Wartezeiten einstellen, denn der Ladebalken ist lang und wächst nur gemächlich. Vor jedem Rennen könnt ihr entweder euren Wagen grob via Schieberegler an die Strecke anpassen (und so Über- bzw. Untersteuerung, Federung und Übersetzung anpassen), oder euch gleich auf das tiefschürfende Setup stürzen.    

Fazit

Es gibt nur wenige Dinge, die unterschiedlicher sind als Rennspiele und Rennspiele: Auf der einen Seite gibt es da rasante Arcade-Racer wie NFS Underground 2, die mit Glitzergrafik, einfacher Steuerung und Arcade-bis-zum-Gehtnichtmehr glänzen – auf der anderen Seite ist da ein Schwerkaliber wie GT Legends, das höchste Anforderungen an Mensch und Maschine stellt und dadurch eine komplett eigene, verdammt motivierende Faszination entflammt. Nein, trotz aller optischen Verbesserungen, und das sind beileibe nicht wenige, kann das Spiel immer noch nicht mit hochglanzpolierten Edelracern mithalten. Aber dafür drischt es mit Wucht auf den Realismus-Tisch: Nirgends werdet ihr eine andere Simulation finden, die diesen Namen auch verdient. Strecken und Wagen, die annähernd fotorealistisch dargestellt und bis zum kleinsten Curb glaubwürdig auf den PC übertragen sind, brillantes Force Feedback, das den ganzen Tisch zum Wackeln bringt – und ein Sound, der dann die ganze Bude mitschüttelt! Zusammen mit dem großartigen »Karrieremodus«, der sowohl Einsteiger als auch Schumis bei der Stange hält, bleibt ein Software-Liebhaberstück, das auf Monate ans Lenkrad fesseln dürfte – wenn auch vielleicht nicht im Mehrspielermodus, der immer noch nicht die Perfektion der Einzelspielervariante erreicht.

Pro

umfangreicher Karrieremodus
für Einsteiger und Profis geeignet
unerreichter Realismus
tolle Grafik
fantastischer Sound
beeindruckende KI
funky Autoauswahl
flüssiger Mehrspielermodus
Speichern innerhalb der Rennen möglich

Kontra

heftige Hardwareanforderungen
lange Ladezeiten
nur mit High-End-Equipment faszinierend
mäßiges Schadensmodell
langwieriges Freispielen anderer Wagen
eingeschränkter Mehrspielermodus

Wertung

PC

Ein Software-Liebhaberstück, das auf Monate ans Lenkrad fesseln dürfte.

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