Overclocked18.10.2007, Bodo Naser
Overclocked

Im Test:

Manch ein Psychiater braucht wohl eher selbst einen Seelenklempner. Das ist nicht nur eine landläufige Meinung, es trifft auch auf den Held von Overclocked (ab 5,00€ bei kaufen) zu. Er versucht nicht nur, seinen traumatisierten Patienten zu helfen, sondern macht auch noch eine Reise in seine eigenen Abgründe. Wir haben dem Psycho-Adventure in die Seele geschaut.

Psychische Verletzung

Wie soll man mit gewalttätigen Patienten umgehen? Einfach wegsperren und mit Medikamenten zudröhnen oder doch lieber therapieren? Und wenn man sich für Behandlung entscheidet, wie soll dies vonstatten gehen? Nach der guten alten "Holzhammermethode", weil man es schon immer so gemacht hat, oder doch lieber mittels einfühlsamer Gesprächstherapie?

Der Held (rechts) hält nicht nur nix von Weißkitteln, er missbilligt auch die lieblosen Methoden seiner Kollegen.
 Das ist einer der Konflikte, den der ehemalige Armeepsychiater David McNamara mit seinen Kollegen austrägt. Als Spezialist für Kriegsveteranen, die den Belastungen während des Einsatzes nicht gewachsen waren, hat der Protagonist eine Vorstellung davon, wie eine solche Therapie aussehen soll. Behutsame Erinnerung an das Geschehene ohne Psychopharmaka.

Was ist überhaupt ein psychisches Trauma? Nun, wenn jemand etwas Schreckliches erlebt, kann es zu einem seelischen Trauma kommen, das ebenso schlecht heilt wie eine körperliche Wunde. Es kann so weit gehen, dass sich ein Mensch nach einem Erlebnis selbst verletzt, ständig dasselbe wiederholt oder nur noch apathisch in der Ecke kauert. Seit dem Vietnamkrieg konnte die US-Armee leidvolle Erfahrungen mit traumatisierten Soldaten sammeln, da sie immer wieder in Kriege verwickelt war. In einer solchen Spezialeinheit für Kriegsneurosen war auch der Held tätig, bis er von einem Tag auf den anderen die Army verließ. Was war der genaue Grund dafür?

Held in Aktion

Der von Alpträumen geplagte McNamara wird von der Regierung eingesetzt, um fünf jungen Erwachsenen zu helfen, die im heutigen New York aufgegriffen wurden. Die drei Männer und zwei Frauen sind orientierungslos, bewaffnet und teils gewalttätig. Man hat sie in einem heruntergekommenen Hospital eingesperrt, das den Charme eines rumänischen Kinderheims aus der Ceausescu-Zeit verströmt. Der zynische Anstaltsleiter und seine bärbeißige Krankenschwester behandeln sie eher wie wild gewordenes Vieh und nicht wie Menschen. Es sollen die letzten Patienten sein, die dort untergebracht werden, da die Verwahranstalt abgerissen werden soll. Als erstes lässt McNamara alle Medikamente streichen, damit die Leute wieder zu Verstand kommen.

McNamara macht sich nicht gerade beliebt im Hospital, aber ganz allmählich findet der Psychiater Zugang, indem er die Patienten an die Geschehnisse erinnert, die noch im Dunkeln liegen. Leider ist das für euch damit verbunden, dass ihr den Leuten bis zum Exzess Soundfiles vorspielen müsst, damit bei ihnen der Groschen fällt, was im Spiel ziemlich übertrieben wird. Zu Beginn noch recht simpel, stapeln sich diese im weiteren Verlauf im PDA des Protagonisten, was nicht gerade sonderlich einfallsreich wirkt. Zudem ist es unübersichtlich, so dass ihr schon mal ein Weilchen sucht, bis ihr die richtige Aussage gefunden habt. Dann läuft meistens ein kurzes Filmchen, das euch per gleißendem Flashback in die Vergangenheit führt.

Vergangene Quests

Ihr landet in einer der Rückblenden, in denen ihr der Reihe nach die fünf Jugendlichen spielt. Da ihr mit der jüngsten Erinnerung startet und euch an den Anfang durcharbeitet, bleibt alles hübsch mysteriös. Die Machart erinnert sofort an die TV-Serie Lost, da ihr euch auch hier regelmäßig in unterirdischen Gängen, einem klaustrophobischen Wohntrakt und

In den Rückblenden erspielt ihr ganz langsam, was mit den fünf Jugendlichen geschah. Die Aufgaben sind meist ein Kinderspiel.  
verlotterten Militärcamps herumdrückt. Stück für Stück müsst ihr herausfinden, was überhaupt vorgefallen ist. Es wird immer klarer, dass die Fünf sich auch untereinander keinesfalls grün sind. Leider fehlt es etwas an Spannung, da bei diesen Passagen kaum echter Nervenkitzel aufkommt. Das liegt sicher auch daran, dass immer wieder unnötige Ladezeiten die Handlung unterbrechen.

Die Aufgaben, die zu lösen sind, sind unterschiedlicher Natur und im Allgemeinen selten fordernd. Ihr müsst etwa dafür sorgen, dass ihr irgendwo rauskommt, was meistens schlimmer aussieht, als es letztlich dann ist. Echte Rätsel wie das Erkunden eines Codes, Finden eines Schlüssels oder Reparieren eines Apparates sind selten und auch keine große Herausforderung, da es nur wenige Gegenstände und leicht zu findende Handlungsmöglichkeiten gibt. Daran ist auch die komfortable Steuerung "schuld", die alles in ein Kinderspiel verwandelt. Wenn ihr etwa Steine aus einer Mauer schießen müsst, habt ihr unendlich Munition und müsst auch nicht hetzen, da es keine Zeitlimits gibt. Echte Actionsequenzen gibt es aber nicht.

                  

Was erzählst du da?

Obwohl alles schön düster ist, kommt die Story leider recht zaghaft in Schwung. Bis ihr mal ein wenig mehr erfahrt, ist beinahe schon die Hälfte der insgesamt über die Zehn-Stunden-Marke springende Spielzeit vergangen. Zudem kommen die fünf Insassen zwar individuell aber auch wenig ausgefeilt rüber, so dass ihr Handeln 

Der New Yorker Polizist ist eine der ganz Wenigen, der zu McNamara hält. Doch wie lange kann er ihn noch decken?
nicht immer nachvollziehbar wird. Wieso will die blonde Frau die Brünette unbedingt umbringen? Warum prangt ein riesiger Blutfleck auf dem Boden des Wohntraktes? Weshalb wurden beide Mädchen eingesperrt? Leider werden diese und ähnliche Fragen auch nach Durchspielen, Endsequenz und Auflösung nicht restlos geklärt.

So ist es letztlich mehr die wendungsreiche Hintergrundgeschichte des Psychiaters selbst, die neugierig auf mehr macht und euch bis zuletzt durchhalten lässt. Zwar engagiert bei seinen Patienten, entpuppt er sich eher als aufbrausender Antiheld, der glücklos durch die Kneipen des stets verregneten Big Apple pilgert. Warum hat er diese Albträume? Warum ist sein Anwalt und Freund immer so kurz angebunden? Kommt die Sache mit seiner Frau wieder ins Lot? Gelingt es dem Chaoten letztlich doch noch, seine Finanzen zu ordnen? Weiterspielen lohnt sich jedenfalls auch hier, da McNamara selbst einige Leichen im Keller hat.

Nur in eine Richtung

Leider entpuppt sich das Abenteuer als ziemlich linear, da ihr immer nur sklavisch einen Schritt nach dem anderen tun dürft. Wenn ihr nicht mit der einen bestimmten Person gesprochen habt, geht es partout nicht weiter, was für ein Spiel mit dieser ungewöhnlichen Erzählstruktur einfach zu starr ist. Zwar sieht alles aus, als dürftet ihr frei durch die Stadt streifen, das ist aber ein Trugschluss. Da bleibt es nicht aus, dass ihr öfters an die Handvoll Schauplätze zurückkehrt, an denen alles spielt -sei es das Hotel, die Bar oder das Hospital- um erneut nachzusehen. Hier fehlen Innovationen wie mehrere Lösungswege und keinen solch strikten Spielablauf.

Eines ist House of Tales freilich dieses Mal eindeutig besser gelungen als noch bei Moment of Silence: die Handhabung. An dem modernen Bedienelement, das sich immer zeigt, wenn es was zu tun gibt, gibt es wenig auszusetzen. Es funktioniert wie es soll und verhindert, dass ihr Bilder Pixel für Pixel absuchen müsst. Langwierige Reisen verhindert die Schnellreisefunktion. Die vielen Gespräche sind zwar nicht Multiple Choice, ihr dürft aber zumindest das Thema auswählen. Hier stimmen aber öfters die Symbole nicht: Ihr wollt euch mit Dr. Young unterhalten. Statt des tatsächlichen Themas ist aber nur der Kopf von Dr. Young abgebildet. Das legt den Schluss nahe, dass ihr euch mit Dr. Young über ihn selbst unterhaltet wollt. Stattdessen sprecht ihr aber über einen Patienten. Ihr könnt die Dialoge aber abbrechen.

Beklemmende Stimmung

Das Manhattan, das House of Tales zeichnet, ist finster, stürmisch und einsam. Es gibt sogar Originalschauplätze wie die Bar, die Edward Hopper einst malte, oder den Central Park. Solche Anspielungen wie etwa eine Werbung von Overclocked sind

Die Hotelrezeption ist zwar nicht original aus New York, dennoch müsst ihr euch dort öfters rechtfertigen, als dem Helden lieb ist.    
aber leider viel zu selten. Die 3D-Grafik liefert ein atmosphärisches Abbild des Geschehens, das in mancher Einstellung sogar an den Klassiker Blade Runner erinnert. Leider sind viele der Animationen der Personen ziemlich missraten, etwa wenn der Held etwas einsteckt. Anatomische Grausamkeiten finden sich auch bei den Gesichtern, die zu maskenhaft aussehen. Im Gegenzug bekommt ihr diverse hochwertige Renderfilme serviert, die dem Ganzen einen cineastischen Touch verleihen.

Beklemmung löst auch der Sound aus, der von einem ständigen Brummton im Hintergrund geprägt ist. Auch die Musik lässt das Gefühl aufkommen, das hier etwas nicht stimmt. Die deutschen Sprecher sind bis auf ein paar einzelne Ausrutscher professionell und vielfach aus Filmen bekannt. Allen voran ist da die Stimme von McNamara selbst, die dank Stephan Schwarz angenehm klingt. Den Gegenpol dazu bildet der Typ in der Bar, der unangenehm kehlig spricht. Leider gibt es ein Problem, da die Stimmen in manchen Passagen zu leise sind, so dass ihr schon mächtig aufdrehen müsst, um was zu hören.

        

Fazit

Die einen sagen, Overclocked sei ein Meisterwerk, und andere wiederum, dass es gescheitert sei. Was ist es denn nun? Weder das eine noch das andere, denn die Antwort liegt wie so oft im Leben in der Mitte. Das 3D-Adventure der Moment of Silence-Macher darf sich zurecht interaktiver Psychothriller nennen, denn die mysteriöse Story und beklemmende Stimmung sind überdurchschnittlich. Auch in Sachen Bedienung, Sprache und New Yorker Umgebung können wir ein Lob aussprechen - auch wenn manche Animation merkwürdig anmutet. Für ein richtig großes Werk fehlt es allerdings an Innovationen, so dass es spielerisch nur Mittelmaß bietet. Die Rätsel haben die Bezeichnung in den meisten Fällen nur mit viel Wohlwollen verdient, da sie schon für den Durchschnittsrgrübler keine Herausforderung darstellen. Ihr könnt allerdings unter Beweis stellen, dass ihr Audiodateien am PDA richtig hin- und herspulen könnt. Der Aufbau ist so linear wie eh und je und es gibt weder mehrere Lösungswege noch ein alternatives Ende. So lebt Overclocked letztlich ganz von seiner düsteren Atmosphäre, die sich aus ständigem Regen, Einsamkeit in der Großstadt und verstörendem Sound speist.

Pro

finsterer Psycho-Thriller
sehr atmosphärisch
psychologische Story
ungewöhnliche Erzählweise

Kontra

oft zu simple Rätsel
Story braucht ne Weile
kaum Nervenkitzel
Soundfiles nerven

Wertung

PC

Kein Meisterwerk, aber ein sehr atmosphärischer, interaktiver Psychothriller

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