GTR 210.10.2006, Paul Kautz
GTR 2

Im Test:

Die Schweden SimBin haben in beachtenswert kurzer Zeit geschafft, was viele andere Firmen nie hinkriegen: mit wenigen Spielen zum Kultentwickler zu werden. GTR und GT Legends haben in der Simulations-Gemeinde eingeschlagen wie Bomben, die Entwickler wurden zu legitimen Erben von Papyrus Software. Knapp zwei Jahre nach dem Erstling steht jetzt GTR 2 auf dem Prüfstand – und muss sehr hohen Erwartungen gerecht werden.

Alles rundenbasiert

Manchmal, wenn man nachts auf der fast menschenleeren Autobahn dahinbraust, da bekommt man dieses Zucken im Fuß. Dieses Verlangen, das kleine Gaspedal mal mit Gevatter Bodenblech bekannt zu machen. Den Motor lauter brüllen zu lassen als 1000 Löwen in einer Skorpiongrube. Die Tachonadel mal eine 360°-Wanderung machen zu sehen. Nun... das Gefühl mag gelegentlich da sein, die praktische Ausführung scheitert meist daran, dass das eigene 60 PS-Schnauferl nur über fünf Gänge verfügt und schon weit vor 200 km/h heftiger

Abgesehen von den fabelhaften Wagenmodellen ist die GTR 2-Grafik eher konservativ.
kreischt als Paris Hilton im durchschnittlichen Dorf-Aldi. Nicht jeder verfügt über Schumi-Gene, doch die braucht man auch gar nicht - ein möglichst überdurchschnittlich befeuerter PC reicht völlig, um ein nahezu perfektes Renngefühl vor die eigene Nase zu zaubern. Zum völligen Glück fehlt nur noch eine Schnupperkarte, die für den nötigen Reifengeruch im heimischen Spielzimmer sorgt. Doch auch ohne dieses Gimmick setzt GTR 2 Maßstäbe.

Aber es ist nicht alles perfekt: Z.B. gibt es nach wie vor keinen Karrieremodus, der euch motivierend vom kleinen Renngurker zum Über-Pistengott geleitet. Klar, auch so ist viel freizuspielen und es warten genug sonstige Spielvarianten, die euch lange beschäftigen sollten, aber einen knackigen Karrieremodus, vielleicht sogar mit kleiner Story? Nein, das bleibt wohl auf absehbare Zeit der DTM Race Driver-Reihe vorbehalten, GTR 2 ist eine Simulation ist eine Simulation ist eine Simulation. Und zwar erneut von Profis für Profis. Immerhin, Genre-Neulingen kommen die Entwickler so weit entgegen wie nie zuvor: Flaggenregeln aus, Lenk-, Brems- und Traktionshilfe ein, Gegnerstärke und -aggressivität auf Kuschelhasenniveau - und zack, bleibt nur noch ein normal schweres Rennspiel, das fast schon mit Tastatur aus der Außenperspektive gespielt werden könnte. Betonterweise »könnte«, denn wer hier nicht mit gutem Lenkrad zumindest aus der Motorhaubenansicht an den Start geht, sollte die GTR 2-Verpackung gar nicht erst anfassen dürfen. Der Reiz an GTR 2 besteht nun mal darin, hochgezüchtete PS-Boliden auf anspruchsvollen Kursen zu

Die regelbare KI fährt mit allen Tricks und Finessen.
beherrschen - wer Handbremsen-Slides in glitzernden Metropolen sucht, findet sie in den Need for Midnight Clubs dieser Welt. Selbst komplett heruntergekurbelt ist GTR 2 noch weitaus anspruchsvoller als jeder erhältliche Arcade-Racer. Und dennoch werden sich auch Einsteiger in der Welt von Flaggenregeln, Radsturz und Traktionskontrolle wohlfühlen - der ausufernd umfangreichen Fahrschule sei Dank! Die bringt euch in praktischen Lektionen Grundlagen wie Beschleunigen, Bremsen, Kurvenfahren oder Überholen bei, gibt zu jeder Strecke spezifische Tipps und liefert darüber hinaus noch massig graue Theorie: Jede Menge Texte und Bilder zu Boxenstopps oder Bremstechniken, dazu ein offnes Glossar, in dem jede Frage erklärt werden dürfte. Jede praktische Übung bietet euch eine Herausforderung vom Fahrlehrer, dessen Manöver ihr nach- und besser machen sollt - die innovative Ideallinie, die je nach Beschleunigung oder Bremsvorgang anders eingefärbt ist, hilft euch enorm. Als Belohnung warten in jeder dieser 142 Übungen Medaillen, die nach und nach Boni wie zusätzliche Meisterschaften freischalten. Allerdings wird euch das Leben gelegentlich etwas zu einfach gemacht:

Zum Vergleich empfehlen wir:

GT LegendsEin Timing-Bug sorgt dafür, dass man einen Sekundenbruchteil vor dem Ende des Startcountdowns schon losfahren kann - in einem Sport, in dem Sekundenbruchteile über Sieg und Niederlage entscheiden, ist das ein ärgerlicher Schnitzer. Habt ihr genug gepaukt, traut euch aber noch nicht in die Oberliga, könnt ihr aus drei Schwierigkeitsgraden wählen, die automatisch über gegnerisches Können und aktivierte Hilfen entscheiden.

24 Stunden Dauerstress

Euch stehen mehrere Perspektiven zur Wahl, inkl. der hübschen, aber kaum spielbaren Außenkamera.
Einsame Wölfe finden mehr als genug Möglichkeiten, sich in GTR 2 die Zeit zu vertreiben: Ein paar zwanglose Runden im »Offenen Training« vielleicht? Ihr habt die Wahl zwischen FIA GT 2003 & -2004-Wagen und -Strecken (keine 2005er), außerdem dürft ihr Startzeit und Bewölkungsgrad frei einstellen. Die Startzeit hat vor allem in Kombination mit dem Echtzeit-Tageslichtverlauf eine Bedeutung: Den könnt ihr nämlich bis zu 60fach beschleunigen, was speziell bei längeren Rennen für eine herrlich abwechslungsreiche Kulisse sorgt - Nachtfahrten inklusive. Ausufernder wird es mit dem »Rennwochenende« bzw. den »Meisterschaften«, die euch von doppelten Qualifying- und Practice-Runden übers Warm-Up ins Rennen schicken - ebenfalls mit den 2003/2004er Daten. Hier warten darüber hinaus noch die individuellen Mini-Meisterschaften wie »Viper Challenge Rookie Cup« oder »Midfield Rookie Challenge«, die ihr in der Fahrschule freigespielt habt. Außerdem dürft ihr die Rennlänge der Meisterschaft auf bis zu drei Prozent herunterkurbeln - ein Rennlein gewissermaßen.            

Was bedeuten diese dauernden Hinweise auf die Jahresdaten? Im Klartext heißen sie, dass ihr euch auf 15 offiziellen GT-Strecken austoben dürft, die in bis zu drei Varianten wählbar sind: Donington Park GP 2003, 2004 und National, Hockenheim GP 2004, National und Short, Magny-Cours GP 2003, 2004 und National oder Oschersleben B Course, GP 2003 und 2004 sind ihren Vorbildern zentimetergenau nachempfunden, was summa summarum

Nettes Gimmick: Die Boxencrew werkelt neuerdings voll animiert an eurem Hobel herum.
in 34 Pisten mündet. Keiner will dort zu Fuß entlang laufen, deswegen erwartet euch die volle Lizenzladung Rennwagen: über 140 Varianten von 17 bis zur Unkenntlichkeit auf Höchstgeschwindigkeit getrimmten Straßenwagen stehen zur Verfügung - vom Ferrari 550 Maranello über Porsche GT3-RS (der mit 39 Variationen völlig den Vogel abschießt!) und Lamborghini Murcielago R-GT bis Lister Storm, Maserati MC12 und TVR 4400R glänzt der interne Schauraum mit der Creme de la Creme der Rennszene. Mit denen dürft ihr euch auch in die vorher nur per Patch möglichen Proximus 24h-Rennen stürzen, die beinharte Freaks tatsächlich in Echtzeit fahren dürfen! Normalsterbliche können das Spektakel auch auf minimal 24 Minuten verkürzen, was ungeübten Lenkradschwingern schon genug Herausforderung liefern dürfte. Profis können sich natürlich auf jede Schraube ihrer Kiste stürzen, und vor den Rennen an Optionen wie Reifendruck, Federstärke, Nachlauf, Differentialsperrwirkung oder Bremsdruck herumfuhrwerken sowie MoTec-Telemetriedaten analysieren - und natürlich sind Reifenverschleiß, Treibstoffverbrauch und technisches Versagen veränder- oder völlig abschaltbar.

Ein schönes Gefühl

Was euch mit GTR 2 erwartet, wird spätestens dann klar, wenn ihr im Training einfach mal das Gaspedal durchdrückt - ein beeindruckendes Reifenquietschen später steht ihr falsch herum auf der Fahrbahn und taucht die nähere Umgebung in eine dichte Qualmwolke. Nochmal: Das hier ist kein Need for Speed, sondern vielmehr Need for Fingerspitzengefühl, was die Benutzung von Gas und Bremse betrifft. Zu viel Gas = durchdrehende Reifen, zu viel Bremse = blockierende Räder. Wer hier binär handelnd auf die Strecke geht, wird das Lenkrad schon nach kürzester Zeit völlig frustriert und »Was, 90% für den Dreck?

Per Tastendruck (oder TrackIR-System) könnt ihr euch im 3D-Cockpit umsehen.
4Players stinkt!«-schreiend zu anderweitiger Software greifen. GTR 2 ist schwer, GTR 2 braucht, wie jede andere Simulation auch, viel Einarbeitungszeit - man kann es nicht oft genug betonen! Ebenfalls nicht unerwähnt sollte abermals bleiben, dass die Kulisse auf vollster Detailstufe selbst Rechner mit Vierfachauspuff zum Schluchzen bringt. Und dass das optische Endresultat nicht dem entspricht, was man erwarten könnte: Die Ladezeiten sind selbst mit zwei Gigabyte RAM erschreckend lang, die Grafik auf mittelprächtigen System nur so lange flüssig, wie keine anderen Fahrer auf der Strecke sind - spätestens wenn 36 Hobel an den Start gehen, ist oftmals Dia-Modus angesagt. Das Papp-Publikum ist genauso hässlich wie 1992, die gut animierte Boxencrew aus zweieinhalb Polygonen zusammengesetzt, die gelegentlich eingespielten Videos sind grobpixelig wie amerikanische Sims auf der Toilette.

Und doch: GTR 2 sieht super aus. Allerdings nur so super, wie es Kamerad Realität zulässt. Auf den Strecken gibt's halt nicht viel zu sehen, hier geht mehr um zentimeter- und GPS-genau übertragene Strecken und perfekte Wagenmodelle. Und noch mehr feine Details: Da glänzt die Felge im Sonnenschein, da rinnt der Regentropfen über die Scheibe (übrigens, ohne von einem Scheibenwischer aufgehalten zu werden - merkwürdig), da wandern die Echtzeit-Schatten durch die 3D-Cockpits, da blenden die gleißenden Lensflares, die verschmitzt durch die Bäume hindurchstacheln, da glühen die Bremsscheiben nach einem beherzten Pedaltritt wütend

Die Crashphysik ist wenig glaubwürdig - besonders gut in den Replays zu erkennen.
orange auf. Und die Wagen, ja die Wagen: Ein Traum. Ausdrucken, einrahmen, an die Wand pappen, jeden Tag ein paar mal ansehen. Ist es in dem Zusammenhang nun gut oder schlecht, dass das Schadensmodell wie gewohnt zumindest optisch eher rudimentär daherkommt? Und so brillant die Fahrphysik sonst auch ist - die Crashes, besonders jene, bei denen ein Wagen mal abhebt, erinnern nach wie vor an die Benny Hill Show.

Die regelbare KI ist immer noch mustergültig, nutzt clever den Windschatten, macht glaubwürdige Fehler, muss genauso oft in die Boxengasse wie jeder andere Fahrer auch und kämpft um jeden Millimeter. Aber natürlich ist keine KI ein vollwertiger Ersatz für einen ins Lenkrad beißenden Menschen: Via LAN oder Internet dürft ihr in einem vollen Rennen gegen bis zu 27 Piloten antreten - aus GT Legends gewohnte Qualität, ohne die Lag-Probleme des direkten Vorgängers. Und natürlich haut auch wieder mal die Soundkulisse die Plomben aus den Zähnen: Im Menü dröhnen euch rockige bis orchestrale Klänge entgegen, im Wagen (wo es auf Wunsch auch Musik gibt) warten einige der besten Soundeffekte, die es je in einem Rennspiel zu hören gab. Allerdings klingen die Karren aus der Cockpit- und Kühlerperspektive völlig gleich, nur in der Außenkamera gibt's eine Extraportion Motorenbrummeln. Dazu gibt es klar verständliche, deutsche Anweisungen aus der Boxengasse, die das aktuelle Streckengeschehen hilfreich kommentieren.        

Fazit

Wenn man fies wäre, könnte man sagen, dass GTR 2 eigentlich nur ein aufgebohrtes GTR-Add-On sei - denn bis auf die neuen 2004er Daten samt der damit einhergehenden Fahrzeuge und Strecken bietet GTR 2 nicht viel Neues. Man würde sogar Recht haben. Aber das wäre reichlich oberflächlich. Denn selbst eine Stunde GTR 2 sorgt für ein einmaliges Renngefühl. Ein Gefühl, das man etwas erreicht hat, etwas Schwieriges bewältigt, etwas Hartes gemeistert – selbst wenn man kein Rennen gewonnen hat. GTR 2 ist anspruchsvoll, sehr anspruchsvoll. Ich kann nicht sagen, ob es realistisch ist, denn »realistisch« ist so ein allgemeines Wort – wer von uns kann denn schon wirklich einschätzen, wie realistisch sich diese Boliden fahren? Nichtsdestotrotz fühlt sich GTR 2 realistisch schwer an. Es fühlt sich gut an, es fühlt sich »echt« an. Es gibt mir das Gefühl, dass 600 wahnsinnige PS unter dem verstellbaren Sitz wummern, die nur auf den Tippser meines Gaspedals warten, um nach Gummi riechenden Zorn auf der Straße zu verteilen. Die gerade angesichts der leicht größenwahnsinnig wirkenden Hardwareanforderungen insgesamt nur mäßige Grafik (natürlich mit Ausnahme der glorreichen Fahrzeuge!) ist mir reichlich wurscht, wenn das Lenkrad in meiner Hand zittert, ich vor der Haarnadelkurve mit Schweißperlen auf der Stirn das Bremspedal pumpe und im Rückspiegel fast schon das Grinsen meines Konkurrenten sehen kann. Ein großartig anspruchsvolles Rennerlebnis, das sich jeder gönnen sollte, der von den Glitzer-Racern dieser Welt genug hat.

Pro

vorbildliche Fahrschule
glorreiche Wagenmodelle
liebevolle Grafikdetails
großartige Fahrphysik
gut dosierbarer Schwierigkeitsgrad
grandiose Soundkulisse
tolles Force Feedback
authentische Strecken
sehr clevere Gegner-KI
hilfreicher Boxenfunk
Optionsvielfalt für Profis

Kontra

beachtliche Hardwareanforderungen
lange Ladezeiten
hässliches Papp-Publikum
insgesamt kein Eye Candy
kein Karrieremodus
Timing-Bug in der Fahrschule
simples Schadensmodell
unglaubwürdige Crash-Physik

Wertung

PC

Exzellentes, anspruchsvolles Rennerlebnis für Profis und solche, die es werden wollen!

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