Guild Wars: Factions29.05.2006, Mathias Oertel
Guild Wars: Factions

Im Test:

Denkt man an Online-Rollenspiele, denkt man fast automatisch an World of Warcraft. Vergessen sind Wegbereiter wie EverQuest, Ultima Online etc. Ein Titel jedoch hat sich parallel zum WoW-Phänomen seine Fangemeinde gesichert: Guild Wars. Ein Jahr ist vergangen und mit Guild Wars Factions lagert das nächste Kapitel der Gildenkrieg-Saga vor den Toren.

Kampf gegen Windmühlen?

Im Lauf des letzten Jahres haben viele Online-Rollenspiele versucht, mit einem Sturm das schier allmächtige WoW vom Platz an der Sonne zu pusten. Doch in den seltensten Fällen ist mehr dabei raus gekommen als ein laues Lüftchen. Nur ein Spiel konnte der Geldkuh aus dem Hause Blizzard einigermaßen Paroli bieten: Guild Wars.

Der Ritualist (hier natürlich in der weiblichen Form) ist eine der zwei neuen Klassen in Factions.
Mit einem erfrischend anderen Bezahlkonzept (ohne monatliche Gebühren), einer prachtvollen Kulisse sowie einer gelungenen Mischung aus PvE (Player vs. Environment, Spieler gegen Monster) und PvP (Player vs. Player, Spieler gegen Spieler) konnten sich die Gildenkriege einen Stammplatz in den Herzen der Online-Rollenspieler sichern.

Und nun steht das Add-On, pardon: die Fortsetzung, nein, Entschuldigung: die neue, vollkommen eigenständig spielbare Kampagne Factions an.

Gleiche Rezeptur, neue Zutaten

Am grundlegenden Prinzip hat sich natürlich auch bei Factions nichts geändert, weswegen wir hier auf den Test der Original-Kampagne (mittlerweile mit Prophecies untertitelt) verweisen: Spielerisch irgendwo zwischen Diablo und World of Warcraft angesiedelt, findet sich eine ausgewogene Mischung aus reinen Duellen von Spielern gegen Spielern sowie gut erzählten Rollenspiel-Missionen, die ihr sowohl mit einer menschlichen Gruppe als auch solo unterstützt von KI-Mitstreitern angehen könnt.

Die Welt, die ihr dabei durchstreift, ist nach wie vor in persistente Zonen und instanzierte Bereiche aufgeteilt. In den Städten (persistent) habt ihr die Möglichkeit, mit menschlichen Mitspielern Kontakt aufzunehmen und Recken für eure Gruppe zu finden (wahlweise auch CPU-gesteuert), bevor es wieder in die Instanz geht, in der ihr und eure Gruppe ohne störende Einflüsse durch andere Spieler die Geschichte verfolgen könnt.

So weit, so gut, so Guild Wars wie gehabt. Aber wie es sich für eine Erweiterung (egal ob eigenständig oder nicht) gehört, gibt es haufenweise neue Inhalte: Vollkommen losgelöst vom ursprünglichen Spielgebiet Tyria habt ihr mit dem deutlich an fernöstlicher Architektur und Bevölkerung angelehnten Kontinent Cantha eine frische Spielwiese, die es zu erkunden gilt. Dank der ohnehin schon prächtigen, aber für Factions auf Hochglanz polierten und mit frischen Effekten versehenen Kulisse gibt es selbst für verwöhnte Online-Rollenspieler einiges zu sehen. Besonders das versteinert-gerfrorene Jade-Meer hat es mir angetan und ich habe mich ertappt, wie ich mit meiner Figur einfach nur da stand und die ruhige, teilweise meditative Atmosphäre aufsog, die auch durch den famosen Soundtrack von Jeremy Soule (Oblivion) gebildet wird.

Die Kämpfe in Guild Wars Factions sind gleichermaßen actionlastig wie taktisch fordernd.
Zwei neue Klassen

Doch natürlich ist nicht nur das Drumherum neu. Mit dem Assassinen und dem Ritualisten stehen zwei neue Klassen zur Verfügung. Wie? Nur zwei neue Klassen? Hört sich nach wenig an, doch wenn man bedenkt, dass jede Figur eine Primär- und eine Sekundärklasse haben kann, stehen einem insgesamt 56 verschiedene Kombinationen zur Verfügung.

Die zwei neuen Klassen haben sich nach ausgiebigem Spiel als genauso durchdacht erwiesen wie die sechs bisherigen und stellen unterschiedliche Anforderungen an euch: Der Meuchelmörder spielt sich ähnlich wie der Krieger, hat aber u.a. Teleportation und extrem tödliche Kombos parat. Daher ist der mit Dualklingen ausgerüstete Todesspezialist eine gern gesehene Unterstützung an der Front.

       

Der Ritualist hingegen ist eine reinrassige Unterstützungsfigur. Er kann Geister beschwören, die an ihren Platz gebunden sind und sich nach einer gewissen Zeit wieder auflösen. Während dieser Zeit jedoch haben die Geister je nach Herkunft unterstützende Wirkung (u.a. als temporärer Schild bzw. als Verstärkung bestimmter Eigenschaftswerte) oder greifen aktiv ins Geschehen ein und stören die Gegner mit verheerenden Fernangriffen.

Der Jadeozean ist eines der optischen Highlights der Factions-Kampagne!
Allianzen an die Front

Wer erst über Factions in das Universum der Gildenkriege hinein gerutscht ist, hat selbstverständlich weiterhin die sechs Ursprungsklassen zur Auswahl (die allerdings auch noch ein paar neue Fähigkeiten zur Auswahl bekommen) und kann bei Gefallen auch später noch die Geschehnisse der Prophecies-Erzählung nachholen - natürlich mit dem in Factions generierten Charakter.

Gleichermaßen ist es im Zusammenspiel zwischen Prophecies und Factions möglich, seine Figur aus Tyria nach Cantha zu holen, um dort die neue Geschichte zu erleben und sich an den ebenfalls neuen Missions-Typen zu versuchen, die sich allerdings vorrangig an hochstufige Gildenkämpfer richten.

Denn um dem Namen gerecht zu werden, können sich bis zu zehn Gilden in einer Allianz zuammen schließen, die sich wiederum für eine von zwei Fraktionen entscheiden müssen, die um die Vorherrschaft in den Außengebieten von Cantha streiten: die Luxons und die Kuzicks.

Diese Allianz-PvP-Schlachten drehen sich um Gebiete, deren Grenzen basierend auf den Kampf-Ereignissen tagesaktuell dynamisch generiert werden.

Da es aber auch Gilden gibt, die sich hauptsächlich um den Rollenspiel-Aspekt (sprich: Spieler gegen Monster) kümmern, werden diese in die Allianz-Auseinandersetzung mit eingebunden: Denn nur über PvE-Missionen können die Gildenzusammenschlüsse Fraktionspunkte gewinnen, die letztlich darüber entscheiden, ob in den neu gewonnenen Gebieten auch irgendwelche Städte kontrolliert werden können. In den Städten wiederum gibt es Zutritt zu so genannten Elite-Missionen, die natürlich am Ende mit ganz besonderer Ausrüstung locken.

Diese neuen Missions-Typen sowohl im PvP- als auch im PvE-Bereich sind ebenso durchdacht wie gut umgesetzt und zeigen an, dass es ArenaNet ernst damit ist, mit jeder Erweiterung neue Spielmechanismen einzuführen.

Die Architektur bietet einen stimmungsvollen Mix diverser asiatischer Einflüsse.
Aber: Vor allem diese hochstufigen Inhalte sind für Gelegenheitsspieler, die nur mal ein bisschen Spaß mit Factions wollen und evtl. keine Lust auf großes Gilden-Gedudel und entsprechende Verpflichtungen haben, nicht zu erreichen.

Hier sollte man bei den nächsten Erweiterungen nicht nur die Hardcore-Spieler im Kopf haben, die Zeit haben, sich um Gildenkram zu kümmern.

Lohnenswertes "Solo"-Erlebnis

Doch auch der Spielbereich jenseits von Gilden und Auseinandersetzungen von Spielern-gegen-Spieler kann sich sehen lassen. Insgesamt zwar nicht ganz so zeitaufwändig und erzählerisch leider nicht mehr so stark wie im Vorgänger, finden sowohl Guild Wars-Anhänger als auch Einsteiger wieder einmal ansprechende Kost, die fast schon mit klassischen Offline-Rollenspielen mithalten kann und das weiterhin vorbildliche Modell ohne monatliche Abo-Kosten mehr als rechtfertigt.

Außerdem wurde das "Offline"-Erlebnis in anderen Bereichen verfeinert: So gibt es in den Gebieten deutlich weniger unsichtbare Levelgrenzen, die in der Prophecies-Kampagne häufiger für ungläubiges Kopfschütteln gesorgt haben. Ergebnis: Die Welt wirkt homogener und glaubwürdiger. Zusätzlich gibt es mehr spontane Interaktion der CPU-gesteuerten Party-Mitglieder. Zwar können die sich nach einiger Zeit wiederholenden Einzeiler und Dialoge zwischen den Figuren absolut nicht menschliche Mitstreiter simulieren, doch wird hier erfolgreicher als im Vorgänger versucht, den Figuren etwas Leben einzuhauchen.     

Fazit

Ich war skeptisch, ob das Konzept einer eigenständig spielbaren "Quasi-AddOn-Fortsetzung" aufgehen könnte. Doch wie bei der ersten Kampagne der Gildenkriege wurde ich eines Besseren belehrt: Die bewährten Spielmechanismen wurden nicht einfach wieder aufbereitet wie es bei Add-Ons usw. normalerweise der Fall ist, sondern vor allem im Hinblick auf PvP-Inhalte und Gilden gewaltig aufgebohrt – von der verfeinerten Kulisse mit ihrem stimmungsvollen Asia-Mix ganz zu schweigen. Und auch wenn man in Verbindung mit der ersten Kampagne ein extrem umfangreiches Komplettpaket erhält, kommen auch Einsteiger voll auf ihre Kosten. Im Vergleich zur Prophecies-Variante ist die erzählerische Kraft der Kampagne allerdings nicht mehr ganz so fesselnd und auch die im späteren Spielverlauf deutlich an Hardcore-PvP-Spieler gerichteten Inhalte haben etwas von der Faszination geraubt, die ich noch vor etwas mehr als einem Jahr gespürt habe. Trotzdem: Das Konzept von ArenaNet, weiterhin gegen den Strom zu schwimmen, geht immer noch eindrucksvoll auf und ist äußerst spielenswert. Allerdings hoffe ich für die zukünftigen Kapitel der Saga, dass man sich im Hinblick auf Langzeit-Motivation auch wieder etwas mehr auf Einsteiger und Spieler ohne starke Gilde besinnt.

Pro

eigenständig spielbar
keine monatlichen Abo-Kosten
zwei neue Klassen
insgesamt 56 Klassen-Kombinationen möglich
Allianzen von bis zu zehn Gilden möglich
prächtige Grafik
gute Mischung aus PvE und PvP
auch solo spielbar
Hunderte neuer Fähigkeiten (auch viele für die "alten" Klassen)
klasse Soundtrack
stärkere Party-Interaktion
Zuschauer-Modus für Gilden-Auseinandersetzungen

Kontra

viele Inhalte nur für Hardcore-Gilden-Spieler
schwache Story in der Kampagne
immer noch unsichtbare Wände vorhanden
Mitläufer-KI nicht optimal
gelegentlich Animationsprobleme

Wertung

PC

Für PvP-Fans ein gefundenes Fressen, das ohne monatliche Abo-Kosten auskommt. Wer braucht da noch WoW?

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