Experience 11204.03.2008, Jan Wöbbeking
Experience 112

Im Test:

»Wo warst du die ganze Zeit?« Diesen Satz habe ich bisher nur von Frauen aus Fleisch und Blut zu hören bekommen. »Ganze drei Stunden bin ich durch die Gänge gelaufen ohne ein Lebenszeichen von dir.« Tatsache, drei Stunden war ich weg vom Rechner, habe die Wohnung aufgeräumt, mit meiner Freundin gechattet, zu Abend gegessen. Doch dass mich eine Frau durch das flackernde Bild einer Überwachungskamera dafür maßregeln würde, habe ich nicht erwartet.

Wo warst du?

Nun gut, irgendwie kann ich verstehen, dass sie aufgebracht ist - schließlich bin ich der einzige Kontakt zur Außenwelt für die mysteriöse Wissenschaftlerin im grünen Kittel.

Auf der Übersichtskarte unten links schaltet ihr die Lampen, Kameras und andere Objekte an. Im Computersystem könnt ihr auch in den Mails der Crew stöbern. 
Ohne meine Hilfe kommt sie nicht an die Substanz, die für sie lebenswichtig ist. Moment mal, bitte was? Ich kann die Empfindungen eines hübsch gerenderten Pixelhaufens nachvollziehen?

Ja, so ist es. Der verfallene Forschungstanker, auf dem mysteriöse Dinge vorgehen, ist für mich zu einer glaubwürdigen Welt geworden. Die Entwickler haben es tatsächlich fertiggebracht, dass ich völlig in diesem Spieluniversum versinke. Ich bin nicht darauf angewiesen, mich mit irgendeiner Person zu identifizieren - nein - ich selbst bin eine Hauptfigur! Ich bin der Mann vor dem Computer, der sich in das Überwachungssystem des havarierten Forschungstankers gehackt hat und jetzt die Protagonistin auf der anderen Seite der Kameras durch das Schiffswrack lotst. Warum? Ich weiß es nicht, doch genau das macht mich neugierig.

Big Brother

Was ich weiß, ist, dass an dem unheimlichen Ort Versuche mit Menschen und einem neu entdeckten Lebewesen stattgefunden haben. Die Forschung dreht sich um die Substanz Hydroxid-Oxydrin, die beim Menschen einen erstaunlichen Effekt hervorruft.

Mit der Zeit installiert euch Lea immer mehr nützliche Kameraerweiterungen wie Zoom, Nachtsicht und Infrarot.
Statt zu viel darüber zu verraten, wende ich mich lieber wieder Lea zu, die sich hustend an der Wand abstützt. Sie braucht das Medikament, also machen wir uns auf die Suche. Die übliche Point & Click-Steuerung gibt es hier nicht, also müssen wir uns anders helfen.

Statt dessen schweift mein Blick über drei Überwachungsbildschirme, auf denen ich sehe, was Lea gerade treibt. Das komplette Schiff ist mit Kameras ausgestattet, so dass ich sie in beinah jedem Winkel erspähen kann. Ein Klick ins Fenster und schon rücke ich mit der Maus die Perspektive zurecht. Oder ich aktiviere die automatische Verfolgung. Doch wie bekomme ich Lea überhaupt dazu, an den richtigen Ort zu gehen? Ganz einfach: Auf der Übersichtskarte kann ich nicht nur Kameras auswählen, sondern auch Lichter und Maschinen an- und ausschalten. Gesagt, getan: Ich aktiviere eine Lampe mit deinem Klick auf das Symbol. Lea entdeckt den neuen Lichtkegel und geht an seinen Ursprungsort, vorbei an verrosteten Rohren und sperrigen Apparaturen. Wobei das Wort gehen noch übertieben ist für die schleppend langsame Laufgeschwindigkeit, welche die lethargische Medizinerin an den Tag legt. Okay, sie ist geschwächt, aber muss sie denn gleich derart schleichen?             

Bildstörungen

Na also, endlich ist sie im richtigen Zimmer angekommen. Die aktive Kamera flackert und blitzt, also wähle ich eine andere an. Die ruhige aber verstörende Musik unterstützt das mulmige Gefühl, dass mich beim Betreten der Kammer überkommt.

Dreistigkeit siegt: Lockt Lea immer wieder mit dem Einschalten von Lampen und Geräten an interessante Orte, bis sie schließlich etwas findet.
Nun gilt es, Lea dazu zu bewegen, die Umgebung näher unter die Lupe zu nehmen. Auch dazu schalte ich die einzelnen Funzeln im Zimmer an. Lea folgt dem Licht und sobald sie etwas Interessantes entdeckt, nimmt sie es an sich. Normalerweise jedenfalls, denn ausgerechnet jetzt weigert sie sich, die auf dem Boden liegende Leiche zu untersuchen. Doch wie so oft in Adventures hilft auch hier Hartnäckigkeit. Ein ums andere mal knipse ich das Licht an und aus. Siehe da: Jetzt lässt sich die Gute doch zu einer Leibesvisitation der Verblichenen überreden. In ihrer Tasche findet sich die Karte mit dem Namen der toten Wissenschaftlerin: Resa Leeglind. Außerdem liegt ein Foto ihrer Tochter Mathilda in der Tasche.

Also gebe ich die Kennung »r.leeglind« und das Passwort »Mathilda« in den Überwachungscomputer ein. Und siehe da: In ihren persönlichen Unterlagen befinden sich nicht nur Mails an andere Crew-Mitglieder, sondern auch der dringend benötigte Code für das Inhalationslabor. Diese Szene ist typisch für das mit Rätseln vollgestopfte Spiel. Ihr sucht im Schiff nach Kennungen und Passwörtern, um danach in den persönlichen Unterlagen herumzustöbern und so auf weitere Passwörter zu stoßen. Ganz nebenbei erfahrt ihr dadurch auch mehr über die geheimnisvolle Substanz und die geheimen Machenschaften, Feindschaften und Affairen zwischen den ehemaligen Crew-Mitgliedern. Und natürlich darüber, was es mit dem hochbegabten menschlichen Versuchskanninchen mit der Nummer 112 auf sich hat. Der Proband hatte kurz vor dem Unglück eine Beziehung mit Lea aufgebaut und erscheint ihr nun ständig in Visionen, die das Spiel mit Renderfilmchen unterbrechen.

Überblick ist alles

Bevor ihr die Türen zu wichtigen Labors öffnen könnt, warten jede Menge Rätsel auf euch: Mal müsst ihr ein Passwort dechiffrieren, dann wiederum behutsam einen der vielen Roboterarme an Deck in die richtige Position bringen.

Experience 112 (ab 4,99€ bei kaufen) wartet mit einer beeindruckenden Inszenierung auf. Achtet aber darauf, dass euer Rechner die Mindestvoraussetzungen deutlich überschreitet.
Habt ihr z.B. alle einzelnen Substanzen für die Herstellung von Hydroxid-Oxydrin gefunden, müsst ihr sie im richtigen Verhältnis mischen und dann das Gefäß zum Erhitzen in einen Laserstrahl bewegen. Auch die Überwachungskamera-Erweiterungen, die Lea im Laufe des Abenteuers findet und für euch installiert, helfen euch beim Knacken der Rätselnüsse. Es gibt einen Zoom, Nachtsicht sowie Erweiterungen für Infrarot und einen mysteriösen Pheromonaufsatz.

Leider sorgt die Vielzahl an Rätseln nicht selten für Verwirrung. Da ihr euch außerdem erst einmal in das Steuerungskonzept hineinfuchsen müsst, solltet ihr eine Menge Geduld und eine gute Kombinationsgabe mitbringen. Im Gegenzug haben die Entwickler sich aber einiges einfallen lassen, um euch das Leben leichter zu machen: Im Audiotagebuch lest ihr nach, was Lea euch vor kurzem erzählt hat und nach einem Druck auf die Hilfe-Taste teilt sie euch mit, an welcher Aufgabe ihr gerade arbeitet. Im Übersichtsmenü sind außerdem alle aktiven Ziele übersichtlich untereinander aufgelistet. Falls ihr trotzdem nicht weiter wisst, könnt ihr einen Blick in die Komplettlösung in unserem 4P-Spieletipps-Bereich werfen. Besitzer älterer Rechner sollten übrigens überprüfen, ob ihr System die Mindestvoraussetzungen übertrifft. Bei einem Testspiel auf einem Pentium 4 mit 2,6 Gigahertz, einem Gigabyte Arbeitsspeicher und einer Radeon 9800 Pro hatte das Spiel nur mit heruntergeregelten Schatten und niedriger Auflösung eine einigermaßen annehmbare Bildrate.        

Fazit

Wow – so intensiv wie Experience 112 hat mich bisher kein anderes Adventure abtauchen lassen. Es sind nicht nur die detaillierte Grafik und der stimmungsvolle Soundtrack, welche diese glaubwürdige Welt auf der anderen Seite des Bildschirms erschaffen. Der Spieler selbst wird zum Hacker, der die überlebende Wissenschaftlerin über das unheimliche, havarierte Forschungs-Schiff lotst. Genau diese Identifikation ist es, die mitreißt. Die knacksenden und rauschenden Kameras tun ihr Übriges, um die Inszenierung glaubwürdig wirken zu lassen. Auch das Stöbern in den Dateien und Mails der Crew macht Spaß. Leider haben es die Entwickler mit der Rätseldichte übertrieben. Da es, von Rückblende-Filmen abgesehen, kaum Dialoge gibt, arbeitet ihr euch ohne Pause durch Schlüsselcode-Kopfnüsse. Dazu kommt, dass das neue Steuerungskonzept mit all seinen Fenstern und Menüs etwas gewöhnungsbedürftig ist. In Kombination mit Leas langsamer Laufgeschwindigkeit sowie dem Wust an Rätseln kann man sich schnell überfordert fühlen. Doch wenn ihr Ruhe bewahrt und den Überblick behaltet, erwartet euch ein frisches und erstaunlich stimmungsvolles Abenteuer.

Pro

innovatives Adventure-Konzept
glaubwürdige Welt
unheimlich stimmungsvolle Inszenierung
detailliert gestaltete Kulissen
klaustrophobische Atmosphäre...
...die von Grafikeffekten und flackernden Kameras noch verstärkt wird
gelungener mysteriös-ruhiger Soundtrack
professionelle deutsche Synchronisation
die Story wird nach und nach in Filmen und Mails erzählt
persönliche Dokumente der Crew laden zum Herumstöbern ein

Kontra

Protagonistin schleicht träge durch die Gänge
Bedienung könnte komfortabler sein
durch hohe Rätseldichte geht schnell der Überblick verloren
keine Dual-Monitor-Unterstützung
umständlicher Wechsel zwischen einzelnen Decks

Wertung

PC

Innovativ, faszinierend aber auch etwas umständlich: Experience bringt angenehm frischen Wind ins Adventure-Genre.

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