Mord im Orient-Express03.01.2007, Bodo Naser
Mord im Orient-Express

Im Test:

Unsere Wahl für das Adventure 2006 ist gefallen: Geheimakte Tunguska. Doch mit Agatha Christie: Mord im Orient-Express gibt es jetzt ein weiteres Krimi-Point&Click, das im Vorfeld viel Beachtung fand. Mit einem klassischen Mordfall in einer luxuriösen Umgebung will es euch ködern. Haben wir hier den ersten großen Favoriten für das Adventure 2007 vor uns?

Reise aus dem Orient

Zugegeben: Ich war etwas verwundert, als ich mich zu Beginn des Abenteuers vor dem prächtigen Istanbuler Bahnhof wiederfand. Denn ich ging davon aus, dass dieser die Endstation des legendären

Auf dem Vorplatz des Bahnhofs gehen die Verwicklungen schon los. Ihr wollt nur vorbei, aber die Leute wollen etwas von euch haben...
Zuges markierte. Allerdings war dieses Missverständnis mein Fehler, denn das Spiel hält sich akribisch an den Fahrplan des Kriminalromans, der in den 30er-Jahren auf der Fahrt von Istanbul nach Calais spielt. Einen Unterschied gibt es jedoch: Ihr spielt nicht Hercules Poirot, sondern eine junge Dame. Diese assistiert dem belgischen Detektiv, der leider das Bett hüten muss. Auch die Auflösung des Falles ist eine andere, da es sonst für Kenner der Vorlage zu langweilig wäre.

Bevor ihr den Zug allerdings besteigen dürft, beginnen die Probleme: Auf dem Vorplatz des Bahnhofs wird die französische Anstellte der Eisenbahn, die ihr spielt, immer wieder durch verschiedene Leute aufgehalten. Da sind die zwei Herren, die über türkische Kachelmuster fachsimplen. Sie fragen euch, welche die schöneren sind? Na ja, wenn man sonst nichts zu tun hat! Oder die russische Fürstin, die mitten in der kalten Jahreszeit ihren kostbaren Sonnenschirm sucht. Nur ein paar der Mini-Aufgaben, die euch überflüssigerweise Zeit kosten. Denn eigentlich seid ihr Poirot auf den Fersen, der immer wieder entwischt, ohne es aber selbst zu merken.

Mord im Luxuszug

Schließlich schafft ihr es irgendwann doch in den Zug, wo euch der berühmte Detektiv unter seine Fittiche nimmt. Nachdem ihr ihm euer Abteil überlassen habt, ist er euch auf ewig verbunden. Ihr seid

Der Detektiv in seinem lästerlichen Element macht einem Waschweib alle Ehre. Allerdings einem mit Stil.
sozusagen sein weiblicher Azubi, der die Laufarbeit übernimmt, die Hinweise einsammelt und die Zeugen befragt. Bereits am ersten Abend spielt ihr mit Poirot ein Spielchen, bei dem es um die Einschätzung der Leute im Zug geht. Vom amerikanischen Industriellen über ein britisches Liebespaar bis zur schwedischen Erzieherin ist alles vertreten, wie Poirot natürlich genüsslich ausbreitet.

Im Kurswagen an die Kanalküste wird auf jugoslawischem Gebiet plötzlich ein Mann umgebracht, den viele an Bord nicht leiden konnten. Verdächtige gibt es daher genug. Der Zug wird daraufhin im Gebirge vom Schnee eingeschlossen, so dass alle Passagiere an Bord bleiben müssen - auch der Mörder! Das ist eure Chance, das Verbrechen im nachhinein aufzuklären, ohne dass euch der Täter durch die Lappen gehen kann. Auch die Zeugen bleiben hübsch in Reichweite, so dass ihr sie jederzeit ausquetschen könnt. Andererseits könnt ihr nicht einfach die Polizei holen. Die Story bleibt dabei allerdings harmlos und könnte so auch im Kinderprogramm laufen.

Üppige Dialoge

Die Gespräche -insbesondere mit eurem belgischen Mentor- sind teils recht ausufernd, tragen aber auch zur Erhellung bei. Per Multiple Choice könnt ihr die nächste Frage wählen, am Ende müsst ihr

Der eiskalte Mr. Ratchett ist nicht gerade beliebt an Bord, weshalb er ins Gras beißen muss.
aber immer alles fragen. Auswirkung hat es daher nicht, was ihr wann fragt. Der Vorteil daran ist, dass ihr euch so nicht unbeliebt machen könnt. Der Nachteil ist aber, dass alles recht eingefahren läuft und nach einiger Zeit die Motivation durchhängt. Das gilt insbesondere für diejenigen, die schon das Buch kennen.

Erfreulich ist allerdings, dass alle Gespräche professionell auf Deutsch vertont wurden, auch wenn ganz bekannte Stimmen fehlen. Poirot hat eine vorwitzige, leicht näselnde Stimme bekommen, die gut passt. Er streut ohnehin den einen oder anderen Brocken Französisch ein, obwohl er natürlich darauf besteht, Belgier zu sein. Die Protagonistin hat eine angenehme Stimme, die ein wenig behäbig klingt aber nicht nervt. Betulich ist das richtige Adjektiv für viele andere Sprecher, was aber wiederum zum Thema passt. Ganz im Gegensatz zum unfreiwilligen Humor, den die eine oder andere Stimme wie etwa die des Lokführers bietet. 

                        

Konventionelle Rätsel

Die Aufgaben, die ihr lösen müsst, sind recht unterschiedlicher Natur, was sowohl Qualität als auch Umfang betrifft. Das Gros der Puzzle dreht sich um Inventargegenstände, die am richtigen Ort

Auf der Suche nach dem Mörder erwarten euch kleine und große Hürden, bei denen die Spielhilfe oft nicht weiterhilft. 
eingesetzt werden müssen. Oft ist das schnell gemacht, es gibt aber auch komplizierte Abläufe: Um einen Zettel lesbar machen zu können, benötigt Poirot Feuer und Drahtgeflecht, die ihr ihm in die Kabine bringen müsst. Natürlich geht es auch darum Spuren zu sichern, z.B. wenn ihr Fingerabdrücke nehmt, um sie dann zu vergleichen. Die Handhabung des Inventars ist dabei so umständlich wie die Ausdrucksweise mancher Passagiere.

Hin und wieder gibt auch Kombinationsrätsel, bei denen Köpfchen gefragt ist. So müsst ihr ein z.B. Kästchen knacken, das mittels eines komplizierten Mechanismus verschlossen ist. Doch diese Kopfnuss entpuppt sich schnell als Stolperstein, bei dem euch auch die vielen Tipps im Spiel nicht weiterhelfen. Wer hier hängt, dem hilft nur die Komplettlösung im Internet weiter. Immerhin sorgt die Schnellreisefunktion für eine flotte Anreise, denn ihr müsst öfters mal den Zug durchqueren. Irgendwann wird jedenfalls klar, dass ein Täter beileibe nicht ausreichte, um den Mord zu begehen...

Um die Rätsel doch etwas leichter zu gestalten, gibt es auch eine In-Game-Hilfe. Poirot erteilt auf Wunsch Hinweise, die leider nicht immer sonderlich aufschlussreich sind und daher dem Begriff "Hilfe" nicht gerecht werden. Bisweilen erzählt er nur das, was ihr ohnehin schon wisst. Bei den Knobelaufgaben werdet ihr sowieso allein gelassen. Eine Option, diese zu überspringen und sich auf die Story zu konzentrieren, gibt es nicht.

Edle Optik

Ob vor dem Bahnhof, im Zug oder im Schneegestöber: Das Adventure sieht immer edel aus. Das liegt weniger an der typischen Mischgrafik aus 2D-Hintergründen und 3D-Akteuren als an der tollen

Die Einrichtung ist schon sehr luxuriös, was in den filmreifen Videos etwas verwaschen rüberkommt.
Einrichtung, die das Innere der Eisenbahnwaggons ziert. Optisch fühlt ihr euch tatsächlich wie auf einem Trip im Luxuszug, wenn ihr kostbares Geschirr, Schnitzarbeiten oder Vasen in Augenschein nehmt. Hinzu kommen Effekte wie dynamische Schatten, aufsteigender Dampf und sogar kondensierende Atemluft. Die Darstellung kommt an Grafikperlen wie Syberia ran, ohne allerdings dessen Originalität zu erreichen.

So etwas wie Kinofeeling kommt bei den Zwischensequenzen auf, die spannende Szenen des Spiels gekonnt illustrieren. Die Render-Videos kommen immer dann, wenn ihr es erwartet - nicht zu spärlich und nicht zu üppig. Leider ist es bisweilen mit der Auflösung der Videos nicht weit her, wenn es in Szenen, bei denen viel los ist, verwaschen wird. Zudem gibt es nur eine Handvoll Schauplätze, da ihr euch fast immer im Zug aufhaltet, was natürlich der Vorlage entspricht. Gerade ein einziges Mal geht es per Schneeschuhe hinaus in die Winterlandschaft.

          

Fazit

Mord im Orient-Express ist ganz nett gemacht, reißt aber wahrlich nicht vom Hocker. Das liegt natürlich daran, dass der Mordfall altbekannt ist und zunächst nichts Überraschendes bietet. Dennoch ist es eine der klassischen Krimigeschichten aus der Feder von Agatha Christie, die hier durchaus stilecht wiedergegeben wird. Das liegt auch am tollen Design der Einrichtung, die euch in eine untergegangene Welt des Luxus entführt. Auch die Zwischensequenzen verbreiten Leinwandstimmung, ohne dass allerdings großartig Spannung aufkommen würde, da das Abenteuer zu harmlos bleibt. Die Rätsel müssten viel ausgeglichener sein. Da gibt es viele Aufgaben wie das Bringen des Gebisses, die quasi ohne großes Nachdenken im Vorbeigehen gemacht sind - und dann wiederum Kopfnüsse, die euch auf längere Zeit, wenn nicht sogar für immer ausbremsen können. Die gut gemeinte In-Game-Hilfe von Poirot ist oft unbrauchbar, da sie keine neuen Hinweise liefert. Zudem ist vieles linearer, als es eigentlich sein müsste. Unterm Strich ist die Reise durch den Orient vom Niveau her mit dem Vorgänger vergleichbar und soll in erster Linie Fans ansprechen, was bis zu einem gewissen Grad auch gelingt. Der ganz große Knaller ist AWE Games aber auch dieses Mal nicht gelungen, da alles zu sehr in konventionellen Strukturen gehalten ist.

Pro

kniffliger Fall
hält sich an Romanvorlage
viele Dialoge
auf Wunsch In-Game-Hilfe
Schnellreisefunktion
wundervolle Einrichtung
filmreif inszenierte Videos
professionelle Sprachausgabe

Kontra

Inventar-Chaos
häufig unnütze Hilfe
linear
nerviger Beginn
kaum Spannung
verwaschene Zwischensequenzen
wenig Schauplätze
man kann nicht Poirot spiele

Wertung

PC

Leider nicht das ganz große Krimi-Abenteuer, dass viele vielleicht erwarteten.

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