Pro Evolution Soccer 625.10.2006, Jörg Luibl
Pro Evolution Soccer 6

Im Test:

Die Faszination naht. Es wird wieder Fußball auf höchstem Niveau zelebriert. Seid ihr schon unterwegs zum Händler? Oder ist eure Vorbestellung schon eingetroffen? Dann viel Spaß mit diesem Kick, denn besser kann man den Ballzauber nicht simulieren. Falls ihr noch unentschlossen seid, hilft euch dieser Test. Denn man sollte genau hinschauen, welche Version man sich zulegt: Konamis Wundertüte aus Dribblings, Lattenkrachern & Co ist nicht überall gleich prall gefüllt.

Man(n) kreischt wieder

Männer, die wie Ferkel quieken. Fans, die wie Affen brüllen. Frauen, die aus Wohnzimmern flüchten. Sobald der Bildschirm flimmert und 22 Mann über den Rasen jagen, ist diese Welt vergessen und eine andere, herrlich irrationale übernimmt die Körperfunktionen des Homo fußballiens. Man starrt, man drückt, man flucht, man jubelt und will immer wieder diesen einen magischen Augenblick des Einnetzens erleben. Mach ihn rein Junge, dann ist alles gut...

Michael Ballack bei der Hymne im neuen WM-Modus: Ihr bestimmt den Kader und müsst euch von der Quali bis zum Finale bewähren - allerdings nur auf PC und PS2. (PC)
So wie Pandoras Büchse traditionell das Unheil über die Welt bringt, bringt Konamis Wundertüte traditionell die Faszination ins Spiel - und diesmal auch auf der Xbox 360. Pro Evolution Soccer ist und bleibt ein Phänomen. Das japanische Team um Seabass hat es auch dieses Jahr geschafft, der ballistischen und emotionalen Perfektion einen Schritt näher zu kommen. Man spielt, man versinkt, man will mehr. Und man ertappt sich dabei, unheimlich blöde Sprüche zu machen:

"So ist Fußball."

"Wer gewinnt hat Recht."

"Erst hatte ich Pech, dann kam kein Glück dazu."

"Du kannst doch gar nix außer blöde Tore schießen."

"Meine Männer waren einfach nicht nah genug dran am Mann."

Wer Pro Evolution Soccer 6 (ab 14,90€ bei kaufen) (PES6) länger als zwanzig Minuten zu sich nimmt, wird die eigene Verdolli- oder magathisierung gar nicht wahrnehmen und plötzlich wie ferngesteuert herrlich dämliche Floskeln abschießen. Wer das Ganze auf Stadion-Niveau mit Currywurstlogik runterschrauben will, braucht nur noch ein paar Freunde einladen und etwas Alkohol servieren. Eine Turnierchen, ein paar Bierchen und das Wohnzimmer ist die Südkurve, die Scheidung nur noch eine Frage der Gästeliste und Lautstärke.

Die Bundesliga fehlt

Dass man auf allen Plattformen damit leben muss, dass die deutschen Bundesliga nicht mehr dabei ist, haben wir ausführlich besprochen (vgl. News). Das war ein herber Rückschlag, denn all die Jahre war es möglich, diese bloß abgebildete Liga zu

Vor allem die Profis des FC Bayern München sehen ihren Vorbildern ähnlich. Hier ein Blick auf Deisler, der gegen Norwegen zum wertvollsten Spieler gekürt wurde, (PC)
nutzen. Das schmerzt vor allem Fans hierzulande, denn Teams wie Westfalen aka BVB oder Weser aka Werder Bremen sind nicht mehr dabei. Allerdings trifft Konami hier keine Schuld, denn alles war vorbereitet und integriert, bevor die DFL ihr Verbot ausgesprochen und begründet hat (vgl. News). Die Entwickler waren angesichts dieses Lizenzmachtspiels, bei dem auch EA als Inhaber der Rechte seine Finger im Spiel hatte, genau so sauer wie die Fans - Seabass hat uns im Interview deutlich gemacht, dass alle in Japan stinksauer waren, denn die ganze Arbeit war für die Katz. Wer seinem Unmut in einer Petition Luft machen will, kann dies hier tun.

Okay, damit muss man leben, das ist ein Kontrapunkt, aber immerhin ist der FC Bayern München komplett lizenziert. Habe ich komplett gesagt? Nein, Oliver Kahn ist nicht dabei, da seine persönliche Lizenz scheinbar nicht in der gekauften enthalten war;  dafür steht Rensing im Kasten und leistet sich aufgrund seiner schlechteren Werte so einige Patzer, die King Oli sicher nicht zeigen würde. Immerhin konnten auch weitere Mannschaften gewonnen werden: Der FC Chelsea, Manchester United, Olympiacos Piraeus, Sporting sowie Benfica Lissabon und der FC Barcelona laufen ebenso mit offiziellen Namen und Trikots auf wie die komplette erste französische Liga. Hinzu kommen die originalen Nationalmannschaften (die deutsche tritt mit verfremdeten Namen wie "Kruger" statt "Ballack" auf; nur als Vereinsspieler des FC Chelsea darf "Ballack" "Ballack" heißen) der Tschechen, Italiener, Franzosen, Holländer, Argentinier, Spanier, Schweden und Australier. International hat PES6 dazu gewonnen, nur national leider verloren.                

Buh-Rufe aus der Xbox-Kurve

Und diesmal wird man auch mit lauten Buh-Rufen leben müssen, wenn man in den Fanblock der Xbox 360 reinhört, denn die bekommen zwar ein schöneres, aber auch im Offline-Modus ab und zu ruckelndes und um viele Funktionen kastriertes Spiel. Für Microsofts Konsole hat Konami an allen Ecken und Enden abgespeckt: Es gibt keinen grafischen Editor, mit dem man Wappen, Trikots, Gesichter oder Schuhe

Pavel Nedved beim Freistoß auf der Xbox 360: Neu ist die schnelle kurze Variante, bei den Distanzschüssen bleibt alles beim Alten. (360)
den eigenen Wünschen anpassen könnte. Sprich: Man kann nichts verändern außer Namen. Es gibt auch tatsächlich keine Torspeicherfunktion, was völlig unverständlich ist. Wer also auf der Xbox 360 seine Meisterliga spielt, wird seine Traumtore nicht aufzeichnen und Freunden zeigen können - wieso geht das bloß nicht auf einer Next-Generation-Konsole? Argh, das ist wirklich ärgerlich...

Außerdem gibt es hier keinen Shop und keine Trainingsherausforderungen - lediglich das Ecken-, Freistoß-, Schuss- und freie Training sind dabei. Allerdings ohne die wertvollen Beispiele inklusive Praxistest, inklusive Zielscheibenschuss und Hütchenslalom, die euch gezielt in die Steuerungsfinessen einweihen. Das ist gerade für Einsteiger ein Nachteil, die werden also eher auf PS2 und PC ordentlich üben können und auch nur dort Belohnungen einheimsen, um neue Bälle, Spieler oder Stadien freizuschalten.

Davon gibt es auf der Xbox 360 nur magere acht - im Vergleich zu über 30 für PS2 und PC. Die Liste lässt sich leider fortsetzen: Es gibt keinen WM-Karrieremodus, der euch erstmals in die Rolle eines Teamchefs versetzt, um von der Qualifikation bis zum Finale mit Kaderbenennung, Verletzungen und Formschwankungen zu kämpfen. Dieser Modus ist ähnlich aufgebaut wie die Meisterliga und nur auf PC bzw. PS2 spielbar. Außerdem gibt es auf der Xbox 360 keine Zufallsmatches, die euch schnell einen offenen Kader zusammenstellen. Auf den anderen Plattformen könnt ihr z.B. einen Kontinent wie Europa wählen und euch auf Wunsch ein Team aus zufällig gewählten Profis servieren lassen, um gegen eine südamerikanische Mannschaft anzutreten, die eurem Gegner z.B. neben Messi auch Ronaldo serviert.

Das ist eine so große Liste an Kürzungen, dass Konami hier erstmals in unserer Wertungshistorie den Platin-Award für PES verspielt. Natürlich kann man wie in jedem anderen 360-Titel seine Gamerscore füllen, wenn man Pokale gewinnt, online erfolgreich ist oder in der Meisterliga glänzt, aber das sind nur virtuelle Placebos. Gold vergeben wir, weil trotz des kastrierten Drumherums die Spielseele mit üppiger Tiefe begeistert. Aber immerhin zahlt der Käufer da draußen mehr für sein 360-Spiel und bekommt im Gegenzug viel weniger. Können die bessere Grafik und der Online-Modus das ausgleichen? Nein. Die Kulisse sieht zwar vor allem dank des an Filz erinnernden Rasens, der vielen erweiterten Animationen (z.B. bei der Ballannahme) und der plastischer wirkenden Fußballer besser aus, aber die

Auf der Xbox 360 gibt es zwar weniger Spielmodi, aber dafür mehr Animationen: Schussbewegung, Ballannahme und die komplette Fußspitzenfreiheit gehören dazu. (360)
Zuschauer und das Stadiondrumherum bleiben fast so enttäuschend wie zu PS2-Zeiten - da hat Microsofts Konsole mehr zu bieten. Und natürlich auch der PC: Obwohl er technisch selbst die 360 übertrumpfen könnte, bleibt es auch hier bei grafischem Mittelmaß und Texturmatsch in der Fan-Frontale. Für die nächste Ausgabe hat uns Konami übrigens im Interview schon Besserung versprochen.

Erfahrungen mit der Xbox-Steuerung

Wie steuert sich das Spiel eigentlich auf der 360? Als wir den Journalisten-Cup in Dublin ausgespielt haben, wollte niemand auf der besser aussehenden Next-Gen-Konsole ran, weil sich der Kick dort anders anfühlt. Bevor man PES6 hier so punktgenau beherrscht wie auf Sonys Plattform, braucht es eine Zeit. Man muss sich nach jahrelanger PS2-Praxis umgewöhnen, denn das Gamepad ist einfach nicht dasselbe und die Koordination der Buttons eine andere: Man sprintet mit dem rechten Bumper, die analoge Schultertaste gab es gab es gar nicht. Immerhin kann man die Steuerung individuell anpassen. Und spätestens nach einem halben Dutzend Matches geht das Spiel mit all seinen Stopp- & Dribbelfinessen genau so in Fleisch und Blut über wie auf der PS2.

Aber es fühlt sich immer noch anders an. Konami hat zwar dieselbe Datenbibliothek genutzt wie für die PS2, aber die enthaltenen 4000 bis 5000 Animationen erweitert und angepasst - die frühe Annahme, die voll bewegliche Fußspitze, die Schusstechnik. All das führt dazu, dass man auf der Xbox 360 zwar kein anderes, aber ein leicht verändertes Spielerlebnis hat. Wir haben sogar das Phänomen beobachtet, dass jemand mit Holland auf der PS2 fast immer gegen Deutschland gewinnt, aber mit Holland auf der Xbox 360 nicht so gut klarkommt. Liegt das nur an der anderen Steuerung? Wie dem auch sei: Wir haben uns mittlerweile an beide Fassungen gewöhnt.

Erfahrungen mit Xbox Live

Schon im Menü der PS2-Fassung zeigt sich, wie viel üppiger Käufer hier bedient werden: Zufalls-Match, Editor, internationaler Wettbewerb - all das gibt es auf der 360 nicht. Selbst das Speichern von Toren ist nicht möglich.
Und online? Die Japaner wollten sich ja auf Xbox Live konzentrieren. Konami präsentiert hier allerdings ein wirklich mageres Menü: keine Lobby, keine Turniere, keine Ligen, kein Chat, keine Rückspiele, keine Ablehnung von Spielern. Sprich: Ihr legt ein Match an und könnt den Herausforderer nicht ablehnen, weil er z.B. schlechtes Feedback bekommen hat. Ihr könnt auch nicht seine Verbindungsqualität erkennen, sondern lediglich die bisherigen Statistiken durchstöbern. Vergleicht man das mit dem üppigen Komfort eines NHL 2K7 , ist das einfach enttäuschend. Natürlich gibt es eine Rangliste, die ihr nach Freunden oder Zeitraum sortieren könnt, aber die gab's schon bei PES5.

Auch Frühabbrecher haben zu viel Freiraum: Wer will, kann seine Auswechselzeit einfach runterlaufen lassen und trotzdem bleibt das Spiel unterbrochen. Ihr führt 2:0 und kurz vor Schluss müsst ihr mit ansehen, wie jemand aus Frust künstlich unterbricht, ohne weiter zu machen. Theoretisch kann er jetzt duschen gehen und die Xbox 360 laufen lassen, während ihr auf den eingefrorenen Bildschirm schaut. Das ist ärgerlich, denn es geht erst weiter, wenn er das Spiel verlässt. Erst dann bekommt ihr die Punkte für den Sieg und ein 3:0 zugesprochen. Hätte man das nicht mit einem Zeitlimit verkürzen können?

Aber wichtig ist bekanntlich nur auf dem Platz. Wie sieht das Online-Erlebnis aus? Konami wollte den Netzcode verbessern. Das ist in Ansätzen gelungen, denn es spielt sich einen Tick sauberer als mit PES5 im Netz, aber im Resultat ist es noch nicht ganz befriedigend. Wir erinnern uns: Wenn man PES5 auf der Xbox 360 online gespielt hat, gab es bei schlechter Verbindung Unterbrechungen innerhalb eines Zuspiels. Also: Ich spiele einen Pass, der Ball friert kurz ein, überspringt unsichtbar ein paar Meter und kommt dann beim Mitspieler an. Man musste damals manchmal schon im Voraus drücken, um die Verzögerung zu umgehen.

Das gibt es so nicht mehr, denn in PES6 wird selbst bei schlechter Verbindung alles gezeigt. Sprich: Man spielt einen Pass, der Ball rollt ohne Unterbrechung zum Gegner. Allerdings wird bei schlechter Verbindung die Geschwindigkeit des Spiels dermaßen heruntergefahren, dass man manchmal das Gefühl hat, in Gelee oder unter Wasser zu spielen - alles wirkt plötzlich sehr pomadig. Natürlich gibt es immer noch saubere Spiele, vor allem in einer Halbzeit, denn Host und Client wechseln sich ab. Aber die volle Kontrolle vermisst man bei dieser künstlichen Verlangsamung.

Schon beim Abschlag bewegt sich der Torhüter oft wie in Zeitlupe und die Feinjustierung der Schussenergie bei Ecken oder Freistößen ist kaum möglich. Unterm Strich bleibt festzuhalten, dass auch für PES6 das gilt, was für alle Sportspiele im Konsolen-Netz gilt: Man kann Glück haben und ein flüssiges Match erleben, aber man wird nie dieselbe punktgenaue Kontrolle erfahren wie mit Freunden vor einem Bildschirm. Konami hat die Darstellung des Spiels jetzt von künstlichen Brüchen befreit, sich um eine homogene Darstellung bemüht, aber es gibt noch viel Luft nach oben.

             

Kastriert, aber faszinierend!

Nach all der Kritik zurück auf den Rasen, zurück zur Faszination auf allen Plattformen: Gab es die im letzten Jahr nicht auch schon? Warum soll man sich das wieder geben? Ist das nicht immer dasselbe blöde Toreschießen? Muss man das wieder

Bei der Gegneranalyse könnte Konami im nächsten Jahr noch zulegen: Man sieht nur das System, bekommt aber keine taktischen Hinweise. (PC)
kaufen? Das ist eine böse Frauenfrage, die man selbstverständlich strikt verneinen muss - auch, wenn ein Körnchen Wahrheit drin steckt. Es ist nur so, dass die Japaner an so vielen kleinen Schrauben gedreht und gewerkelt haben, dass - mal wieder- ein völlig neues Spielgefühl entstanden ist. Wer einmal PES6 gespielt hat, will nie mehr PES5 spielen und denkt an PES4 höchstens in nostalgischer Ehrfurcht wie an den C64.

Das zeigt sich sofort in der Meisterliga, in der man jetzt die Alterung der Profis abschalten kann: Selbst Kenner von PES5 werden sich auf der vierten der fünf Schwierigkeitsstufen richtig schwer tun, die KI zu besiegen. Nicht nur, weil man mit einem relativ schwachen No-Name-Team antritt, sondern weil man sich erstmal wieder einfühlen und andere Taktiken anwenden muss. Kleiner Tipp für schnellere Erfolgserlebnisse: Spielt die Meisterliga am besten auf der dritten Stufe, dabei nicht die alte Standardmannschaft mit Espimas, Ximelez & Co wählen, sondern die neue, die deutlich bessere Spielerwerte besitzt. Allerdings sind die Jungs hier teilweise weit über 30, haben auch in der Statistik ihren Zenit überschritten und deshalb man sollte die ersten Transfers recherchieren...

Wer die neuen Stärken entdecken will, muss gar nicht genau hinschauen, denn vieles ist bereits nach einem Match offensichtlich: Im Vergleich zum Vorgänger laufen die Spiele flüssiger ab, weil die Schiedsrichter endlich nicht mehr so penibel pfeifen. Jetzt könnt ihr Tacklings einleiten und die Doppeldeckung aktivieren, ohne dass gleich für einen Freistoß unterbrochen wird. Und wenn es tatsächlich einen Pfiff gibt, kann man das Spiel mit dem neuen schnellen Freistoß wieder überraschend einleiten. Dieser angenehme Fluss fehlte in PES5.

Schuss- & Ballphysik

Aber das ist nur die Oberfläche, auch darunter haben die Japaner einiges spürbar verbessert. Man nehme die Ballphysik:

Der Meister in Dublin: Shingo "Seabass" Takatsuka eröffnete die offizielle EM und stand uns im Interview Rede und Antwort.
Vor allem das Abziehen aus der zweiten Reihe sowie die Direktabnahmen wurden aufgewertet. Schüsse aus der Distanz machen jetzt endlich Sinn. Wenn ein schussgewaltiger Spieler aus 25 bis 30 Metern draufhält, beschreibt das Leder schon mal eine flache Flugkurve und senkt sich tödlich in den Winkel. Das sind wunderbare Momente, die das Spiel um eine ganz neue Gefährlichkeit aus der Ferne bereichern.

Hinzu kommen diese knackigen Halb- und Vollvolleys: War es in PES5 noch im wahrsten Sinne des Wortes ein Himmelfahrtskommando, den Ball aus der Luft Richtung Tor zu zimmern, können Spieler mit hohem Technik- und Schusswert jetzt fantastische Raketen Richtung Kasten zünden. Natürlich gibt es immer noch Schüsse gen Flutlicht, aber jetzt hat man wesentlich öfter gute Chancen aus Dropkick & Co Kapital zu schlagen.

Apropos Direktabnahmen und Technik: Erstklassige Spieler wie van Nistelroy zeigen ganz neue Kabinettstückchen. Nach einer halbhohen Flanke nimmt der Holländer den Ball mit dem linken Oberschenkel direkt an, lässt ihn gezielt auf seinen rechten Fuß fallen und zimmert ihn dann Volley aufs Tor - herrlich! Diese beidbeinigen Bewegungsfinessen bereichern das Spiel um Feinheiten, die man gar nicht alle aufzählen kann.

Vielleicht zwei Kleinigkeiten für Kenner: In PES5 konnte man Flankenwechsel bei voll durchgedrückter Schussenergie sehr sicher vollziehen, ohne abgefangen zu werden. Jetzt ist es so, dass sie häufiger von den gegnerischen Mittelstürmern unterbrochen werden können, wenn sie nicht gut getimt sind oder über den Druck des rechten Bumpers sehr hoch geschlagen werden. Das sorgt für eine weitere unberechenbare Note und verhindert sterile Flankenwechsel mit Landungsgarantie. Außerdem wurde der Lupfer wieder aufgewertet: In PES4 konnte man den Torwart elegant und komfortabel überlupfen, in PES5 war das aufgrund der erhöhten Sensibilität der Schuss-Stärke kaum möglich, und jetzt ist es endlich wieder praktikabel - entweder mit hoher oder flacher Flugkurve.

Es ist vor allem dieser üppige Katalog an Animationen, der aus jedem Spiel selbst nach hunderten Matches immer wieder ein einzigartiges macht: Das Sichern des Balles mit dem Körper, der sich jetzt regelrecht in den Gegner dreht und ihn abprallen lässt. Als Ball führender Spieler könnt ihr jetzt auf elegante Absatzkicks zurückgreifen, die die Ferse deutlich nachpendeln lassen. Auch die Dribblings wirken flüssiger, sind bei Top-Spielern wie Ronaldinho ein ansehnlicher Garant, um die Verteidiger zu umkurven. Man hat jetzt viel öfter das Gefühl, dass diese Techniker ihren Gegenspielern den Ball quasi durch die Nase ziehen können.

           

Der Profi & das Team

Man merkt dem Spiel auf allen Plattformen seine individuelle Note an. Nicht jeder kann aus jeder Situation glänzen - es

Top-Stars wie Henry streicheln den Ball selbst in hektischen Situation butterweich ins Netz. (360)
kommt auf seine Fähigkeiten an. Nehmen wir z.B. das neue Grätschen: Verteidiger wie Metzelder oder defensive Mittelfeldspieler wie Frings oder Gattuso können dem heranstürmenden Gegner jetzt den Ball ohne Foul von der Seite abnehmen, indem sie ihn anvisieren, hineingrätschen und danach sichern. Während der Flügelflitzer am Boden liegt, kann man wieder den Spielaufbau starten. Damit wurde auch die Verteidigung bereichert.

Allerdings muss man die Doppeldeckung jetzt mit Vorsicht einsetzen, denn es gibt hier einen neuen Grätschautomatismus, der unglücklich wirkt: Wer einen zweiten Verteidiger zum Pressing auf den Ball führenden Gegner schickt, muss damit rechnen, dass dieser plötzlich von hinten in den Mann grätscht, ohne dass man selbst etwas eingeleitet hätte. Wer also Pressing im Strafraum spielt, muss mit dem Elfmeter rechnen.

Dafür wird die Balldeckung diesmal besser simuliert, da ihr euren Körper jetzt effektiver zur Absicherung des Leders und zum Abdrängen des Gegners nutzen könnt. Je nachdem, wie schnell ihr ihm entgegen lauft, könnt ihr den Stürmer aus dem Rhythmus und ins Straucheln bringen - das führt zu packenden Laufduellen.

Die Folgen der Weltmeisterschaft

Egal ob Freistoßgenauigkeit, Schnelligkeit, Dribbling, Manndeckung, Flanken oder Sprungkraft - es gibt mehrere Dutzend Statistiken, die eure Profis kennzeichnen und auf dem Platz spürbar sind. Konami hat diese fast schon an ein Rollenspiel

Schön ist, dass die alten Hasen Nedved und Zidane auch noch dabei sind. Sie prägen mit ihrem individuellen Pass- und Spielstil immer noch jede Begegnung.
erinnernden Persönlichkeitswerte wieder überarbeitet und will hier auch in Zukunft den Hebel ansetzen. Vor allem die WM in Deutschland hat den Japanern genug Material geliefert, um die virtuellen Kicker möglichst ihren realen Vorbildern anzugleichen.

Ballack schießt z.B. wie ein junger Gott, passt mit dem Außenrist wie ein Zidane in den freien Raum - in PES5 war er noch eine verhältnismäßig graue Maus, jetzt ist er ein Star mit individuellem Bewegungs- und Schussverhalten. Auch Spieler wie Lahm, Podolski oder Borowski wirken hier wie zu besten WM-Zeiten. Sie sind schneller, torgefährlicher und im Deckungsverhalten besser.

Seabass höchstpersönlich hat sich um die Programmierung des deutschen Teams gekümmert. Wer den Bundesadler in PES5 getragen hat, musste sehr mutig sein, denn Deutschland spielte sich pomadig und wenig effizient. Wer ihn jetzt trägt, spürt sehr schnell die offensive Klinsmann-Philosophie: aggressives Zweikampfverhalten, schnelles Spiel über außen, gefährliche Schüsse aus der zweiten Reihe. Auch die Vereinsteams haben alle ihren eigenen Rhythmus, den es herauszufinden gilt: Barcelona spielt z.B. überaus offensiv und mit Vorliebe durch die Mitte. Wir sind gespannt, wie Konami die taktische Seele der Mannschaften für die nächste Ausgabe noch markanter herausarbeiten will. Fest steht, dass auch weitere individuelle Charakterwerte hinzukommen und die Japaner ihrem Simulationsanspruch treu bleiben.

       

Fazit

Ruft die Kumpels an, schaltet das Telefon aus, füllt die Vorratskammer: Pro Evolution Soccer 6 ist da! All das, was die Weltmeisterschaft im Sommer hierzulande entfachte, wird Konamis Kick in diesem Herbst erneut beschwören - die Magie des Augenblicks, den Zauber des runden Leders, den Unsinn der Floskel. Ihr wollt Traumtore, Glanzparaden und Volleys? Gnadenlose Tore in letzter Sekunde? Schreie, Flüche, Jubel? Dann greift zu. Gebt euch die volle Dosis. Das Team um Chefentwickler Seabass ist der Perfektion wieder einen Schritt näher gekommen und serviert den besten Fußball, den man derzeit virtuell erleben kann. Erst wenn der Ball rollt und die Latte kracht, weht dieser Hauch der Faszination durchs Wohnzimmer - es riecht nach Rio, Rasen und spätestens in der Analyse auch nach Currywurst-Pommes. Aber die japanische Wundertüte ist diesmal nicht überall gleich prall gefüllt: Besitzer der Xbox 360 müssen mit einer stark beschnittenen Variante leben, die sich zwar ebenso herrlich spielt und natürlich einen Tick besser aussieht, aber weder den vollen Editor noch alle Modi, den Shop oder Torspeicherungen bietet - das tut weh. Und auch der Online-Modus ist technisch durchwachsen und alles andere als üppig: keine Lobby, keine Liga. Auf allen Plattformen müsst ihr bekanntlich auf deutsche Vereine verzichten, da die DFL Einspruch erhoben hat. Auf der PS2 und dem PC kann die Szene oder der fleißige Fan den BVB, HSV & Co nachtragen. Auf der Xbox 360 riecht das Fehlen wichtiger Features entweder nach fehlender Entwicklungszeit oder künftigen Xbox Live-Downloads. Wie dem auch sei: Wenn ihr Fußball mögt, werdet ihr Pro Evolution Soccer 6 lieben - auf allen Plattformen!

(Zum Testzeitpunkt konnten wir das plattformübergreifende Spielen zwischen PC und PS2 noch nicht ausgiebig genug prüfen. Anm. d. Red.)

Pro

klasse Ballphysik
sehr gute Steuerung
hervorragendes Spielgefühl
erstklassige Animationen
motivierende Meisterliga
enorme taktische Tiefe
neuer schneller Freistoß+ gute deutsche Kommentare
freie Steuerungsbelegung+ konsequente Schiedsrichter
gute Fan- & Zuschauerakustik
neue Schuss- & Torwartszenen
Online-Modus für alle Systeme
kooperative Matches (PC, PS2)
Online-Spiel zwischen mehreren PC & PS2 möglich (PC, PS2)
Torspeicherfunktion (PC, PS2)
umfangreicher Editor (PC, PS2)
Trainingsherausforderungen (PC, PS2)
über 30 Stadien (PC, PS2)
neue Zufallsmatches (PC, PS2)
neuer WM-Karrieremodus (PC, PS2)
Shop zum Freispielen (PC, PS2)
feine Zusatzanimationen (360)+ körnige Rasendarstellung (360)

Kontra

keine deutsche Liga
keine Online-Ligen/Turniere
keine Online-Lobby, kein Online-Komfort
grauenhafte Menümusik
wenig dynamisches Eckensystem
veraltete Zuschauerdarstellung
Online-Erlebnis teilweise sehr pomadig
keine Next-Gen-Kulisse (PC, 360)
kein grafischer Editor (360)
keine Torspeicherfunktion (360)
nur zehn Stadien (360)
keine Zufallsmatches (360)
kein WM-Karrieremodus (360)
keine Trainingsherausforderungen (360)
keine kooperativen Matches (360)
kein Shop, nichts freizuspielen (360)
ab und zu Framerateneinbrüche (360)

Wertung

360

Spielerisch großartig; leider fehlen auf der 360 einige Features.

PlayStation2

Einschließen, anpfeifen, kicken: Das ist der beste Fußball, den man derzeit erleben kann.

PC

Authentisch, packend, mittendrin - auch auf dem PC das beste Fußballspiel.

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