Microsoft Flight Simulator X13.11.2006, Mathias Oertel
Microsoft Flight Simulator X

Im Test:

Ich erinnere mich noch an gute alte C64-Zeiten: Ein paar Vektor-Linien haben es geschafft, die Illusion eines Flughafens, ja gar eines ganzen Luftraumes zu schaffen, durch den ich mich mit geschätzten drei bis fünf Frames pro Sekunde bewegen durfte. Seitdem sind zig Jahre ins Land gezogen und die Hardwareschraube wurde gewaltig angezogen. Was hat Microsoft denn mit Flight Simulator X in petto? Kommt und begleitet uns auf unserem Testflug...

"Roger, Roger" - "What´s our vector, Victor?"

Diese Textfragmente aus der Kult-Komödie Airplane (Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug) gingen mir beim Spielen des Flight Simulator X (FSX) immer wieder durch den Kopf. Genauso wie die Szene, in der Robert Hays in der Rolle von Ted Striker mit Sturzbächen an Schweiß versucht, die Großraum-Passagiermaschine sanft auf die Landebahn zu bringen.

Das Red Bull Airrace gehört zu den anspruchsvollsten der über 50 Missionen der Pro Edition. In der günstigeren Standard-Variante gibt es immerhin über 30 Aufgaben. 
Denn genau so ging es mir immer wieder: Vollkommen verunsichert von den immensen Möglichkeiten zum Knöpfedrücken, die man in einem Cockpit eines modernen Jets findet, dann wiederum erleichtert ob der leichten Zugänglichkeit und gar fasziniert von der überzeugenden avionischen Simulation führt mich der Flight Simulator X durch ein wahres Wechselbad der Gefühle. Das 25-jährige Jubiläum der Flugsimulations-Serie von Microsoft macht einen Heidenspaß.

Lang ist's her

Dazu muss ich allerdings sagen, dass ich seit fast genau dieser Zeit (damals auf dem C64) das Thema zivile Flugsimulation zwar immer auf dem Radar hatte, mich aber nie intensiv damit beschäftigt habe. Der Grund: Mir war das Thema zu trocken, die Umsetzungen zu spröde und hardwarehungrig und den Einstieg hielt ich für schlichtweg zu schwer.

Doch der FSX hat mich eines Besseren belehrt. Zugegeben: Am Hardwarehunger hat sich nichts geändert. Selbst auf den aufgebohrten Alienware-Rechnern in der Redaktion fand sich unabhängig vom Chiphersteller der Grafikkarte und des Dual-Core-Hauptprozessors keine Konfiguration, in der wir mit allen Details eine zufrieden stellende Bildrate verzeichnen konnten. Und das, obwohl die Umgebungsgrafik ohnehin nur in Ausnahmefällen mit Details glänzt und sich vor allem in geringer Flughöhe eher durch einen Texturmatsch auszeichnet als mit prächtiger Häuserkulisse zu glänzen. Doch dieses Manko dürften die bald erscheinenden Scenery-Packs und ggf. sogar gewiefte Landschaftsbauer aus der Community beheben - inwieweit dies die ohnehin auf Rechner der nächsten Vista-Generation ausgelegte Performance 

Jeder fängt mal klein an: Der motorisierte Drachen ist die perfekte Anfänger-Maschine!
weiter schwächt, bleibt abzuwarten. Dafür jedoch sehen die Flugzeuge und vor allem die Cockpits einfach nur klasse aus. Das kann allerdings nur ein kleiner Trost für die unter dem Strich allenfalls befriedigende, in manchen Momenten sogar ernüchternde Landschaftsdarstellung sein, die in manchen Momenten sogar hinter Google Earth zurückbleibt.

So bleibt mir nur die Möglichkeit, manuell den für mich sinnvollen Kompromiss zwischen optischer Pracht und stabiler Bildrate zu finden. Brauche ich eine 60-Kilometer-Wolken-Sichtweite? Oder sollte ich vielleicht doch die Details an den Flugzeug-Modellen herunter schrauben?

Egal! Für was ich mich auch entscheide: Ich bin leicht enttäuscht, dass das Flight Simulator-Team sich offensichtlich auf die Fahnen geschrieben hat, die offizielle Nachfolge von Origin anzutreten und nur Software für PCs der nächsten und übernächsten Generation zu veröffentlichen.

Der Himmel ist die Grenze

Hardwarelust und -Frust beiseite geschoben, zeigt sich, dass der FSX extrem viel zu bieten hat - selbst solchen blutigen Fluganfängern wie mir. Die blanken Zahlen: Über 24.000 Flughäfen rund um den Globus können mit den über 20 mitgelieferten Flugfahrzeugen angesteuert werden. Dazu gehören aber nicht nur Airliner wie der Airbus A321 oder die Boeing 747-400, sondern auch klassische Propeller-Maschinen von Cessna. Segelfliegen (optional mit visualisierter Thermik) ist ebenfalls möglich, genauso wie das Lenken von Helikoptern oder das Steuern eines Motordrachens, der übrigens in den ersten Tutorial-Missionen die Hauptrolle spielt.

   

Und hier haben wir schon ein weiteres wichtiges Element, das den FSX von seinen Vorgängern unterscheidet: Die Missionen. Mit über 30 Aufgaben in diversen Schwierigkeitsgraden sowie mit variabel einstellbarem Realismusgrad bzw. sogar über 50 Missionen in der Professional Edition bekommt der bislang als "Freakprogramm" in die Genre-Schublade einsortierte Flugsimulator tatsächlich Spielcharakter. Vorbei sind die Zeiten, in denen man sich mühsam in die Mechaniken einarbeiten oder gar erst Flugpläne erstellen musste, um loslegen zu können. Einfach im übersichtlichen, aber dennoch weit verzweigten Menü die gewünschte Mission auswählen und schon kann es losgehen.

Auch Helikopter gehören zum Fuhrpark. Für eine derartige Umgebungsoptik müsst ihr aber entweder einen Megarechner besitzen oder aber mit einer Diashow rechnen. Der FSX scheint für Systeme der nächsten, wenn nicht sogar übernächsten Generation ausgelegt zu sein.
Dabei reicht das Repertoire von kurzen Einführungsmissionen, in denen ihr mit den Grundlagen vertraut gemacht werdet über Kurzstrecken-Jetflüge bis hin zu ausgewachsenen Search & Rescue-Missionen und dem sagenumwobenen Red Bull-Airrace, an das sich nur wahre Flugprofis heranwagen sollten.

Drumherum findet sich für Fluginteressierte z.B. ein weitreichendes Lexikon sowie ein interaktiver Fluglehrer, der euch alle Kniffe lehrt, bevor ihr euch in den freien Flügen daran macht, die Welt zu erkunden. Ob ihr nun den Flug eures Onkels von Hamburg nach München parallel zum realen Pendant begleitet oder euch dem Stress eines Überseefluges aussetzt, bleibt euch überlassen.

Oder aber ihr testet das zugrunde liegende Flugmodell bis an die Belastbarkeit aus und setzt z.B. Gewicht samt Verteilung auf Werte, die jeglicher Flugsicherheit widersprechen. Dem Experimentierdrang wird keine Grenze gesetzt. Dabei wirkt die physikalische Umsetzung aller Parameter stets glaubwürdig und gibt einem das Gefühl, wirklich hinter dem Steuerruder eines Fliegers zu sitzen.

Allerdings könnte mir Microsoft hier auch ein X für ein U vormachen, da meine avionischen Kenntnisse letztlich nicht weiter reichen, als ich eine Statue von Howard Hughes werfen könnte. Doch was für mich hier zählt, ist die perfekt scheinende Illusion, die hier aufgebaut wird. Das betrifft nicht nur das Flugmodell des Fliegers, den ich gerade versuche, in der Luft zu halten: Je nach Rechenpower eures PCs könnt ihr euch auf starken Flugverkehr CPU-gesteuerter Maschinen freuen oder euch an weiteren zivilen Verkehrsströmen z.B. auf einem der in der Pro-Edition über 40 detaillierter dargestellten Flughäfen oder stark befahrenen Hauptverkehrsstraßen sowie Flüssen erfreuen.

Ein kleiner Blick in die Zukunft: So soll der FSX unter Windows Vista mit DX 10 und entsprechender Grafikkarte aussehen.
Der gemeinsame Luftraum

Besonderen Reiz gewinnt der FSX (allerdings vornehmlich in der Professional Edition) auch durch die Möglichkeit, sich online über Gamespy in einen gemeinsam von bis zu 16 Spielern geteilten Luftraum zu begeben.

Die Standard Edition lässt zwar die Internet-Verbindung ebenfalls zu, dort ist man aber auf einen Piloten pro Maschine beschränkt. In der Pro-Edition hingegen kann man auch als Pilot-/Co-Pilot-Gespann oder Schüler-/Fluglehrer-Duo gemeinsam in einer Maschine sitzen.

Und nur in dieser Version habt ihr die Möglichkeit als Fluglotse zu versuchen, den Luftraum so sicher wie möglich zu gestalten, was sich im Praxistest aber als extrem stressig und unübersichtlich herausstellte, allerdings keinen Einfluss auf die Wertung hatte. Denn trotz aller Unübersichtlichkeit wird es sicherlich Spieler geben, die Spaß haben, sich einzuarbeiten und den Flugverkehr zu leiten.

Was sich im gemeinsamen Luftraum allerdings als etwas störend herausgestellt hat, sind die kleinen Lags, die zusätzlich zu den Bildratenproblemen an der Atmosphäre nagen.

Trotzdem kann ich Microsoft für die Entscheidung, diesen gemeinsamen Luftraum anzubieten, nur meinen Respekt zollen, da man hier trotz der Mankos wie den letztlich "nur" 16 Piloten den richtigen Weg einschlägt.

Fazit

Inhaltlich macht der Flight Simulator X eigentlich alles richtig. Anders wäre es kaum zu erklären, dass jemand wie ich, der in etwa so viel von Avionik versteht wie von fermentiertem Reis, Stunde um Stunde vor dem Monitor verbringt, um von z.B. Hamburg nach Berlin zu fliegen. Über 24.000 Flughäfen weltweit, über 20 Flugvehikel, eine sehr niedrige Hemmschwelle und eine nahezu perfekte Lernkurve haben mich zum begeisterten Hobby-Piloten gemacht. Wenn sich der FSX jetzt sogar noch als nicht so hardwareintensiv und optisch ansprechender herausgestellt hätte, wäre sogar mehr möglich gewesen. Wie auch beim generell interessanten gemeinsamem Luftraum über LAN und Internet, der allerdings nur 16 Piloten zulässt. Doch abseits von "hätte, wäre, wenn" ist der Flight Simulator X ein gewaltiges Stück Software, vor dessen Komplexität, Umfang und optionalem Realismus-Grad auch Anfänger nicht zurückschrecken müssen. Denn selbst wenn man sich nur auf die Missionen konzentriert, die absoluten Spielcharakter demonstrieren, ist man lange beschäftigt - und gewinnt nach und nach tatsächlich Lust am Fliegen, so dass man sich sogar an das Nachfliegen kommerzieller Linien oder Rundflüge heran wagt. Ein feines Stück Software, das allerdings erst mit entsprechender zukünftiger Hardware- und Windows Vista- (samt DX10-) Unterstützung technisch aufblühen wird.

Pro

über 24.000 Flughäfen auf der ganzen Welt
schöne Flugzeugmodelle
Fluglotsen-Modus (Professional Edition)
akkurat nachgebaute Cockpits
individuell einstellbarer Schwierigkeits- und Realismusgrad
über 50 Missionen (über 30 in der Standard Edition)
Fluglehrer
gemeinsamer Luftraum über Internet oder Netzwerk für bis zu 16 Spieler
FS 2002- und FS 2004-Add-Ons und -Scenery Packs im Normalfall aufwärtskompatibel
Grundlagentraining
umfangreiche Flug-Enzyklopädie
idyllische Musik
über 20 Flugfahrzeuge
reales Wetter über Internet-Abgleich möglich

Kontra

extrem hardwarehungrig
in Relation zu den Anforderungen schwache Umgebungsgrafik
Anfänger werden von Infos, Optionen und Features erschlagen
unergiebiger „Beipackzettel“
sehr komplexes Fluglotsen-Dasein

Wertung

PC

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