Half-Life 2: Episode 215.10.2007, Paul Kautz
Half-Life 2: Episode 2

Im Test:

Kennt ihr das Gefühl, am Ende der Staffel einer wirklich spannenden Serie einfach so mit einem fiesen Cliffhanger zurückgelassen zu werden? So im Stile von Lost oder 24? Hasst ihr das nicht auch? Besonders, wenn die in der Luft schwirrende Story spannend erzählt ist und ihr auf Teufel komm raus wissen wollt, wie's weiter geht? Dann dürftet ihr beim Abschluss von Half-Life 2: Episode 1 laut aufgejault haben. Wärmt schon mal eure Stimmbänder vor...

Achtung, Spoiler!

Wer Episode 1 nicht durchgespielt hat, der sollte seine Augen einen Absatz lang abwenden, denn es folgen einige Story-Spoiler. Auf der anderen Seite: Was macht ihr dann hier? Kuschkusch, kauft euch Episode 1, spielt es durch (das dürfte ja nicht allzu lange dauern), und dann kommt wieder her zum Weiterlesen! Falls ihr darauf keine Lust habt und Fans von Zeitraffer-Zusammenfassungen seid, dann

Der Hunter gehört zu den neuen Gegnern - und ist ein verdammt fieser Hund!
kommt euch Valve ziemlich entgegen - zur Einstimmung von Episode 2 gibt es ein flottes »Was in der vorherigen Folge passiert ist«-Video. Danach seid ihr schlauer: Alyx und Gordon konnten gerade noch so aus der explodierenden Zitadelle in City 17 entkommen. Allerdings erzeugte die Explosion eine gewaltige Druckwelle, die den Zug mit den beiden ordentlich entgleisen ließ. Aber keine Bange, beide sind wohlauf, und die Gravity Gun hat die Katastrophe auch überlebt. Mit der befreit die gute Frau den eingesperrten Wissenschaftler, übergibt ihm das heiße Eisen - und das neue Abenteuer kann beginnen!

Nach dem brillanten Half-Life 2 begann bei Valve die Ära der Episoden, was gleichermaßen Vor- wie Nachteile hat. Letzteres konnte man gut an Episode 1 beobachten, das sich vom atmosphärischen Ansatz des Vorgängers löste und schon in Richtung düsterer Survival-Horrer tendierte - Geschmackssache. Episode 2 geht dankbarerweise wieder in eine andere Richtung, der Großteil der Levels spielt an der frischen Luft; lauschige grüne Wälder, weite Flächen, lange Straßen, die eine oder andere organisch wirkende Höhle hier und da - nicht gerade Oblivion, aber für das Half-Life-Universum ein willkommenes Novum. Euch erwarten sieben lange Kapitel, die euch etwa sechs Stunden beschäftigt halten. Nicht eben viel, allerdings lohnt mehrfaches Spielen: Zum einen, um alle Steam-Achievements freizuschalten, von denen es 16 gibt (und die zu den 360-Erfolgen identisch sind) - zum anderen, um den Audiokommentar genießen zu können. In diesem kommen wieder einige Entwickler zu Wort, die Interessantes bis Witziges zu vielen Spielabschnitten zu sagen haben. Da in diesem Kommentar allerdings viele Szenen gespoilert werden, ist es nicht empfehlenswert, ihn beim ersten Durchspielen zu aktivieren.

Von Stridern und Huntern

Episode 2 bietet weitaus mehr Story-Gehalt als der Vorgänger, u.a. präsentiert in erstklassigen Cutscenes.
Nein, spielerisch erwarten euch bei Episode 2 keine Überraschungen - warum auch? Der schweigsame Dr. Freeman, der nach wie vor weder Arme noch Beine vorweisen kann, geht mit teilweise wundervoll abgefahrenen Waffen gegen die Streitkräfte der außerirdischen Invasoren der Combine-Armee vor. Nützlichste Wumme im Arsenal: Die Gravity Gun, mit der ihr dieses Mal zwar keine Körper durch die Landschaft schmeißen dürft, dafür aber gegen Ende eine Art Kugelmine, das »Magnusson Device«, die die haushohen Strider-Monster im Handumdrehen knackt. Um die Sache nicht zu einfach zu machen, gibt es einige Neuzugänge im Feindeslager: Da wären zum einen die »Antlion Worker«, blasse Arbeitsdrohnen, die aber erschreckend durchschlagskräftiges Gift versprühen - und mit denen man anfangs zu viel Spielzeit verbringt. Zum anderen wären da die »Hunter«: Die stellt man sich am Besten als kleine, teuflisch schnelle und höllisch gefährliche Brüder der Strider vor, die nicht nur explosive Pfeile verschießen, sondern auch einen mörderischen Wumma haben, mit dem sie Gordon gerne mal rammen.       

Diese beiden Neuzugänge tragen ihren Teil zu den Höhen und Tiefen des Spieldesigns bei, denn wie bereits erwähnt ist der Anfang etwas schwach: Ihr kämpft euch durch viele ähnlich aussehende Höhlen, zermatscht Antlions samt ihrer Worker und wartet auf Abwechslung. Die kommt, sobald ihr die schummrigen Naturtunnel verlassen habt - nachfolgend einige der Highlights: Ihr holt einen ballerfreudigen

Die Animationen der Figuren sind der Hammer, gerade Begleiterin Alyx zeigt im Spielverlauf viele Emotionen.
Helikopter mit seinen eigenen Minen vom Himmel, verteidigt ein von Combine belagertes Haus, müsst zwei Antlion-Bosse größtenteils mit der Gravity Gun besiegen und liefert euch ein klasse Rennen mit Robo-Töle »Dog«. Lowlights? Endlose Antlion-Wellen in einer Höhle abwehren sowie der anfangs intensive, aber schon kurz darauf langweilige Endkampf gegen immer mehr Strider samt Hunter-Folgschaft - hallo Valve, das hier ist Half-Life und nicht Serious Sam! Dankbar wird zur Kenntnis genommen, dass die Entwickler deutlich an der Story-Schraube gekurbelt haben; die Geschichte wird in vielen exzellent animierten Skript-Szenen weitergeführt, die nahtlos ins Spielgeschehen eingebunden sind. Aber natürlich bleiben auch dieses Mal am Ende einige Fragezeichen übrig: Was ist mit Dr. Breen? Was für eine Rolle spielen die Advisors? Und wie zum Teufel passt der G-Man in das alles? Die englische Sprachausgabe ist wieder mal über alle Zweifel erhaben, die deutsche traditionsgemäß zwei Klassen darunter. Wer genau hinhört und nicht einfach durch die linearen Levels stürmt, bekommt auch herrliche Dialoge zu hören, die sich u.a. um das Würgen von Huntern sowie den Enkelwunsch von Eli Vance drehen (inklusive eines verschwörerischen Zwinkerns in Richtung Gordon). Außerdem nimmt sich das Spiel gelegentlich auch selbst auf die Schippe: »No pit would be complete without the Freeman climbing out of it« - so ist es.

Nicht irre, aber irre schön

Die Landschaft ist nicht gerade Oblivion, aber eine wohltuende Abwechslung zu den düsteren Tunneln des Vorgängers.
Wir spielen in Zeiten, in denen die Polycounts mittlerweile in die Millionen gehen, in denen einzelne Blätter an Bäumen physikalisch korrekt wippen und in der jeder Grashalm einen eigenen Schatten wirft. Um es kurz zu machen: Prinzipiell ist die Source-Engine technisch nicht mehr auf der Höhe, auch wenn die neuste Version Echtzeit-Schatten und ähnlichen technischen Schnickschnack beherrscht. »Prinzipiell« deswegen, weil es tatsächlich keine Rolle spielt, dass die Wälder dezent leblos oder manche Texturen vermatscht aussehen - denn das Gesamtbild ist einfach der Hammer! Ganz besonders im Bereich der Animation macht Valve einfach keiner etwas vor; wer einmal gesehen hat, wie Dog gegen einen Strider antritt, ein Haus in tausende Einzelteile explodiert oder die besser denn je aussehenden Figuren brillante Mimik und Gestik zeigen, der pfeift auf beeindruckende Statistiken. Auch das Physiksystem ist nach wie vor ausgezeichnet, auch wenn es dieses Mal weniger ins Spieldesign eingebunden ist - in der Welt des Gordon Freeman ist das schlimmste physikalische Malheur, dass irgendwo ein Stecker herausgezogen ist. Der größte Vorteil der Source-Engine ist der gerade im Vergleich zu Konkurrenzprodukten erstaunlich geringe Hardwarehunger - wenn Half-Life 2 gut lief, dann läuft auch Episode 2 prima!

Das größte Ärgernis betrifft mal wieder die deutschen Spieler: Aus irgendeinem Grund wurde bei Episode 2 an mehreren Stellen die Zensurschere angesetzt! Es gibt keinerlei Blut mehr, Gegner lösen sich in dem Moment, in dem sie erledigt werden, in Luft auf - bizarr, besonders angesichts der Tatsache, dass alle vorherigen Versionen ungeschnitten waren.  

Fazit

Beginnen wir mal mit den Kontra-Punkten: Auch Episode 2 hat seine Längen und Schwächen - besonders das elend lange Finale gegen schier endlos viele heranstapfende Strider samt ihrer Hunter-Schoßhündchen ist mehr Arbeit als Spaß. Außerdem ist kaum nachzuvollziehen, wieso die deutsche Fassung auf einmal so viele Schnitte vorzuweisen hat, gerade angesichts der Tatsache, dass die Vorgänger komplett ungeschnitten auf den Markt kamen. Das war’s allerdings auch schon an Punkten, die mir sauer aufstießen, der Rest ist fantastisch: Die Abkehr vom Taschenlampen-Massaker von Episode 1 kommt mir sehr entgegen, die Frischluft-Levels sehen exzellent aus und eröffnen neue spielerische Möglichkeiten. Allgemein ist die Präsentation eine Wucht; Valve hat es einfach drauf, ihren perfekt animierten Figuren Leben und Emotionen einzuhauchen - und sie in einer glaubwürdigen Welt agieren zu lassen, die von der ersten bis zur letzten Spielminute (die leider wieder zu schnell kommt) an das Keyboard fesselt wie kaum eine andere. Episode 2 erreicht fast die Klasse des Hauptprogramms - für den Abschluss der Trilogie hat Valve jetzt einiges zu tun, um dieses Glanzstück zu übertreffen!

Pro

prächtige Grafik
brillante Animationen
exzellente Gestik und Mimik
tolle Skriptsequenzen
fantastische Soundkulisse
spannendes Leveldesign
dichte Atmosphäre
großartige englische Sprachausgabe
coole Physiknutzung
verhältnismäßig lang

Kontra

langweilige deutsche Sprachausgabe
häufige und lange Ladezeiten
geschnittene deutsche Fassung
einige Schwächen im Spielverlauf
mäßige KI

Wertung

PC

Brillant inszenierter, abwechslungsreicher Shooter, der fast die Klasse des Hauptprogramms erreicht!

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