Bounty Bay Online10.04.2007, Sebastian
Bounty Bay Online

Im Test:

Es kracht in den Wanten, Windböen lassen die Segel knallen und Gischt spritzt über die Reling. Dazu mischt sich der sanfte Klang von Eisenkugeln, die gerade die Bordwand durchschlagen und der Donner der Kanonen vereint sich mit dem Lärm der Naturgewalten: Willkommen an Bord von Bounty Bay Online (ab 8,99€ bei kaufen). Ob das Online-Rollenspiel seetauglich ist?

 Auswahl - mal nein, mal ja

Die Charaktererstellung ist der erste Dämpfer auf dem Weg zum ruhmreichen Seefahrerleben. Es gibt nur vier (zwei weibliche und zwei männliche) Figuren zwischen denen man wählen kann. Dann noch eine Hand voll, meist asiatischer) Gesichter und ein paar Haarfarben. Dieser Minimalismus ist eines aktuellen Online-Rollenspiels nicht würdig und spätestens nach zwei Stunden Spielzeit läuft euch der fünfte Zwillingsbruder über den Weg. Die Wahl der Figur legt übrigens auch den Beruf fest: Krieger, Händlerin, Entdecker und Seefahrerin - Klasse und Geschlecht sind dabei fest miteinander verbunden.

An Land gibt es Aufgaben, Rohstoffe und Händler.
Allerdings hat die anfängliche Wahl später eh kaum Auswirkungen, denn jeder Figur stehen alle Fähigkeiten (Seekampf, Navigation, Schwert- oder Säbelkampf, usw.) zur Verfügung und jeder kann diese erlernen. Was ihr seid hängt mehr davon ab, was man im Spiel macht. Es gibt viele Fähigkeiten (auch handwerkliche), die der Seemann von Welt in Bounty Bay Online erlernen kann, jedoch können nur maximal sieben davon auf die höchste Stufe gebracht werden. Wer sich später einmal anders betätigen will, der kann auch umschulen.
Ort der Handlung:

Die Meere der Welt und 60 historische Hafenstädte

Zeit der Handlung:

15./16. Jahrhundert

- Beginn der Renaissance und des Humanismus

- Zeitalter der großen Entdeckungen und Entdecker

- Aufblühen der Naturwissenschaften

- Beginn des Kapitalismus

Aufgabe:

Ruhm, Ehre und Geld durch

- Handel zwischen den Städten

- Handwerk (Herstellung von Waffen, Schiffen etc.)

- Entdeckungen (ca. 1500 sind auf der Welt versteckt)

- Seeräuberei oder Bekämpfung dieser

So klein die Wahl beim Charakter ist, so vielfältig ist die Zahl der Schiffe: Etwa 100 Typen tummeln sich auf den Weltmeeren. Natürlich beginnt jeder angehende Möchtegern-Jack Sparrow mit einer kleinen Nussschale. Aber wer fleißig handelt, Aufgaben erfüllt oder Schiffe plündert, der wird bald in den Genuss größerer Schiffe kommen. Wer möchte, kann neben verschiedenen Kanonentypen oder Galionsfiguren sein Schiff noch anpassen - Geld und Rohmaterial wie Farben, Segeltuch usw. vorausgesetzt.

Kulisse - nicht mehr ganz frisch

Die Schiffe sehen als Modelle gut aus und sichtbare Kanonen, Ladung oder die Schäden an Segeln und Rumpf sind schön anzusehen und lassen sofort das Seefahrerherz höher schlagen - aber wo ist zum Beispiel die Mannschaft? Auf den zweiten Blick offenbaren sich dann leider die optischen Schwächen des Spiels. Die Grafik-Engine ist nicht zu vergleichen mit den leistungsstarken Produkten der Konkurrenz und ganz offensichtlich wird das dann in Küstennähe oder an Land. Steuert man eine Stadt an, so gelangt man nicht sofort an Land, sondern muss noch ein Stück Küstenregion durchqueren, was nach einiger Zeit nervt. Dabei sieht man eine hässliche Modellausgabe der Stadt, inklusive lieblos in die Landschaft geklatschter Wahrzeichen.

Die vielfältigen Schiffe sehen richtig gut aus - nur auf Dauer etwas unbelebt.

An Land wird der Eindruck leider nicht besser. Zwar kann man stolz Rüstungen, Kleidung und Waffen herumtragen, jedoch sind die Animationen der Figuren weder geschmeidig noch umfangreich und die Landtexturen eher bescheiden und langweilig. Beim ersten Mal richtig erschreckend ist auch der Tag/Nacht-Wechsel, denn es gilt das Schalterprinzip: Licht an, Licht aus - einen fließenden Übergang sucht man vergebens.Die akustische Untermahlung ist ebenso zwiespältig wie der Grafikeindruck: die Kanonen donnern mächtig und zu Beginn löst das Rauschen des Meeres ein Riecht-das-hier-nach-Fisch-Gefühl aus, doch nach einiger Zeit klingt das dann doch eher nervig. Vor allem weil man teilweise das Gefühl bekommt, die Fahrgeräusche würden aus einer Zugsimulation stammen. Wie bei der Grafik hätte hier mehr Leben gut getan: Matrosen, die Befehle brüllen; Möwen die kreischen - eben mehr Abwechslung.              

Eine gute Idee geht baden?

Aber was passiert abseits der durchwachsenen Technik? Ein "Sid Meier's Pirates!" als Online-Rollenspiel ist eigentlich ein Traum für jeden Fan des 20 Jahre alten Klassikers und klingt auch nach einer willkommenen Abwechslung für die fantasymüden Helden des MMORPG Einheitsbreis der letzten Monate - wenn nicht Jahre. So aufregend die Idee klingt, so holprig ist die Umsetzung. Die Lokalisation ist nicht nur mangelhaft, sie ist grauenvoll.

Von See aus sehen die Städte wenig attraktiv aus
Neben zahlreichen Schreib- und Grammatikfehlern tauchen an allen Ecken noch Ketten von Sonderzeichen auf, wohl Reste von Worten aus dem fernen Osten. Seit Everquest II gab es wohl keine qualitativ so miserable Übersetzung eines MMORPGs mehr, und das in einem Spiel, in dem es an hilfreichen Texten, Einführungen usw. mangelt.

Wie schon bei der Grafik zeigt auch die Steuerung zwei Gesichter: Ist das Bewegen des Schiffes per Mausklick auf See oder im Gefecht noch eine feine Sache, so sehr versagt diese Steuerung an Land. Eine Wegfindungsroutine wurde gleich gar nicht versucht zu implementieren, allerdings sucht man eine Umstellungsmöglichkeit auf benutzerfreundlichere Tastensteuerung vergeblich. Ansonsten ist das Interface recht schlicht gehalten, man findet sich dort erst nach einiger Zeit zurecht, denn es gibt immer wieder Untermenüs oder weitere Infos erst nach Auswahl einer Fähigkeit.

Das Rentier in die Wüste geschickt

Die Welt von Bounty Bay Online bietet den Spielern viel Freiheiten: Kein Weg, Beruf oder Ort ist den Spielern verschlossen (sofern man den Weg dorthin überlebt), doch so schön diese Freiheit ist - es mangelt dafür an wirklich schönen Quests. Diese sind wirklich nur 08/15-Standard: "Bringe 20 Kisten davon nach dort" oder "Zerstöre fünf Piratenschiffe". Eine nette Idee sind dafür die Entdeckungen, die jeder Spieler machen kann (Tiere, Bauwerke, etc.). Diese geben nicht nur viel Ruf, sondern spülen auch meist eine ordentliche Summe in die Barkasse. Was allerdings Rentiere in der ägyptischen Wüste zu suchen haben, das muss mir mal wer erklären.

Auf der Weltkarte steuert ihr neuen Abenteuern entgegen - oder direkt in die Arme von Piraten.
Einen großen Unterschied zu der Mehrzahl der Konkurrenzprodukte ist, dass der Charakter keine Stufe hat. Jede Fähigkeit (und auch das Schiff) hat eine eigene Stufe und man bekommt je nachdem was man gerade tut Erfahrungspunkte für das jeweilige Fachgebiet. Das Umhersegeln und Erforschen der Welt bringt Punkte in Seefahrt, Entern und Versenken von Schiffen erhöht das Können bei Seegefechten. Wer sich lieber friedlich im Hinterlande der Städte um den Abbau von Rohstoffen oder der Herstellung von Gegenständen widmend, der kann das sehr gerne tun und diese Fähigkeiten steigern. Nach Erreichen von gewissen Stufen kann dann eine Fähigkeit erweitert werden oder es können Spezialfähigkeiten (einige Sekunden stärkere Schusskraft der Kanonen, etc.) erlernt werden.

Grind oder nicht Grind - das ist die Frage

MMOs aus Asien haben immer eines gemeinsam: erstaunlich hohe Spielerzahlen im Herkunftsland und nervigen Grind als zentralen Spielinhalt. Auch bei Bounty Bay Online treffen beide Vorurteile zu (angeblich 4,5 Mio Spieler in Asien), allerdings kann man über den Grindfaktor streiten. Das Abbauen von Rohstoffen oder das Abschlachten von Tieren um einen seltenen Gegenstand zu bekommen (der nötig ist, damit man diese Tierart entdecken kann) fällt eindeutig unter die Kategorie sinnfreier Grind, hingegen bietet das Handeln und Erforschen der Meere großen Unterhaltungswert und Handlungsfreiheit. Hier unterscheidet sich Bounty Bay Online angenehm von seinen Kollegen.               

Fazit

Blackbeard oder Anne Bonny werden sich ärgern: Aus Bounty Bay Online hätte dank der frischen Idee und der guten Ansätzen auch ein wirklich gutes Spiel werden können. Ich hatte mich gefreut, endlich mal abseits dunkler Kerker, Spinnen verseuchter Höhlen und dem üblichen Rest, meine Abenteuer zu erleben - aber die Euphorie wurde immer wieder ausgebremst. An allen Ecken blitzen die pfiffigen Ideen und Konzepte auf, nur um schnell wieder hinter einem Berg von Problemen, Fehlern oder schwacher Umsetzungen zu verschwinden. Bounty Bay Online spielt mit meinen Gefühlen wie das Meer bei schwerem Seegang mit einem Schiff: Auf und Ab und am Ende bin ich seekrank. Für robuste Seebären ist das Spiel vielleicht einen Blick wert, allerdings sind ca. 10 Euro pro Monat happig. Vor allem, da es in den USA unter dem Namen "Voyage Century" quasi kostenlos ist! Dort muss lediglich der Erwerb besonderer Gegenstände bezahlt werden.

Pro

<P>
frisches Szenario
große Handlungsfreiheit
interessante Charakterentwicklung</P>

Kontra

<P>-&nbsp;magere Charakterauswahl
veraltete Grafik
wenige, langweilige Quests
miserable Lokalisation
an Land unbrauchbare Steuerung</P>

Wertung

PC

Klasse Idee von schlechter Umsetzung versenkt!

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