Das Böse unter der Sonne04.01.2008, Bodo Naser
Das Böse unter der Sonne

Im Test:

Die Versoftung des literarischen Erbes von Agatha Christie geht in die nächste Runde. Dieses Mal ist es der Roman "Das Böse unter der Sonne", der als historisches Krimi-Adventure bei The Adventure Company erschien. Darin muss Hercule Poirot einen Mord aufklären, der sich in einem vermeintlichen Urlaubsidyll ereignete. Macht es Freude, mit dem Meisterdetektiv selbst zu ermitteln?

Unsportlichkeit in Person

Hercule Poirot ist so etwas wie die kontinentaleuropäische Ausgabe des Sherlock Holmes. Der von Agatha Christie kreierte Detektiv ist Belgier, ebenfalls blitzgescheit und hat ein Auge fürs Detail. Allerdings unterschiedet er sich in einem Merkmal ganz erheblich von Holmes, denn es ist bei weitem nicht so agil wie der drahtige 

Wie alle seine Kollegen entpuppt sich auch der Detektiv mit dem französischen Akzent als hartnäckiger Nachfrager, der alles ganz genau wissen möchte. 
Londoner. Eher schon erinnert er an einen fetten Pinguin, wie er in seinem maßgeschneiderten Anzug durch die Gegend stapft. Seine teuren Lackschühchen möchte der Mann mit dem französischen Akzent ebenfalls schützen, weshalb er Geländemärsche auch wenn nötig vermeidet. Er würde ohnehin zu schnell ins Schwitzen kommen.

Ins Schwitzen kommt er im Spiel allerdings fast nie, denn er schleicht eher durch die Landschaft am Meer, als dass er mal Gas gibt. Ein behäbiger Detektiv ist freilich kein Schnellzug, aber es kann beim Spieler schon gelegentlich Unmutsausbrüche hervorrufen, die zumindest von gedachten Rufen wie "Jetzt schleich doch nicht so!" begleitet sind. Aber irgendwie passt es auch zur eher betulichen Inszenierung des verzwickten Mordfalls, der im Sommer 1940 und damit mitten im Krieg spielt. Immerhin lässt sich das Verlassen der einzelnen Abschnitte durch Doppelklick verkürzen, was reichlich Nerven spart. Auch das Stoppen mit der Gehzeit mit Uhr geschieht zum Glück automatisch, so dass Poirot hier nicht weiter aufhält.

Kommentare auf dem Off

Grundsätzlich ist es natürlich zu begrüßen, dass ihr mal den Meister selbst spielen dürft und nicht wie letztes Mal nur seine Handlangerin. Freilich taugt er als Identifikationsfigur auch nicht viel mehr, denn wer möchte schon ein dicklicher kleiner Mann sein, der nicht mal willens ist, eine simple Leiter hinabzusteigen. Aus diesem Grund gibt es hier einen Beobachter im Hintergrund, der öfters mal seine professionell gesprochenen Kommentare ablässt, um Poirot etwas ins Lächerliche zu ziehen. Ob diese Hilfskonstruktion besonders gelungen ist, darüber lässt sich streiten, sie ersetzt aber immerhin einen ständigen Begleiter wie Dr. Watson.

Zu Identifikation taugt der ständige Begleiter Hastings schon eher, der allerdings nur sporadisch zu sehen ist und meist auch nur in Poirots Haut schlüpft. Man könnte es als eine Art Wettkampf betrachten: Schafft es Hastings, der letztlich nichts anderes ist als der Spieler selbst, den Mörder nur anhand der Schilderungen Poirots zu finden? Ihr braucht aber nichts zu fürchten, denn für euch heißt das nur, das ihr ab und in Poirots Büro zurückkehrt, um dort alles zu überdenken. Dort bekommt ich auch Hinweise von Poirot. Immerhin reicht das Ganze noch für eine dürftige Parallelhandlung, bei der es um einen geheimnisvollen Gegenstand geht. Ein wenig verirrend ist das alles freilich schon, aber das sind auch Christies Romane.

Promialarm

Der Fall ist schnell zusammengefasst, wer schon das Buch gelesen oder den Film mit Peter Ustinow gesehen hat, weiß ohnehin Bescheid. Die Leinwandgöttin Arlena Marshall wirbelt die feine Urlaubsgesellschaft auf der kleinen Insel ganz schön

Dieser Strand ist für Poirot erreichbar, da er eine Treppe besitzt. Unten am Meer findet der ungelenkige Belgier Antworten auf seine Fragen.
durcheinander und insbesondere die Männer sind ihr verfallen. Allerdings macht sie sich auch schnell Feinde, da sie sich in eine Liebesaffäre verstrickt, obwohl sie doch verheiratet ist. Feinde gibt es also genug, als die Schauspielerin ermordet aufgefunden wird. Wer hatte ein Motiv, sie um die Ecke zu bringen? Wer hatte den Mumm dazu? War es Eifersucht oder steckt etwas anderes dahinter? Arlenas Mann ist natürlich unter den Hauptverdächtigen, aber auch das Hotelpersonal war ihr nicht gerade wohlgesonnen.

Eine geradezu klassische Suche nach dem Täter über acht Akte entspinnt sich, die natürlich von den ganz unterschiedlichen Charakteren lebt. Das sind die Typen die ihr vielleicht aus anderen Hercule Poirot-Romanen kennt. Der vertrottelte Offizier a.D., der eigentlich nur Augen fürs vermeintlich schwächere Geschlecht hat. Das frustrierte Ehepaar, das sich anderweitig vergnügt, oder das naturverbundene Mauerblümchen, das aber ein finsteres Geheimnis mit sich herumträgt. Hier ist das besser gemacht als bei Sinking Island, wo die Suche nach den Verdächtigen eher öde war. Zwar gibt es dieses Mal auch Multiple-Choice-Dialoge, aber was bringt das schon, wenn man wieder alles fragen muss. Was ist das für eine Wahl? Der Fall kommt daher nur langsam in Schwung, wie Poirot selber.

                

Rätsel ohne Finesse

Dass sich Das Böse unter der Sonne in erster Linie an Einsteiger wendet, merkt man auch gleich an den eher simplen Rätseln. Ein Beispiel ist, wie ihr ans Fernglas kommt: Es macht überhaupt keine Mühe, die Frau im Turm zu überreden, es euch zu

Das Notizbuch dient euch als Hilfe, um die verwirrenden Eindrücke zu ordnen. Hier werden Verdächtige, gestoppte Zeiten und aktuelle Rätsel notiert.
geben, obwohl sie ja eigentlich nach deutschen U-Booten Ausschau halten möchte. Das ist viel zu einfach und macht keinen Spaß. Auch das Stoppen der Gehzeit ist automatisiert und somit ohne Reiz. Hinzu kommen Logikschwächen, wie etwa dass ihr die Zeiten stoppt, obwohl Arlena noch gar nicht ermordet wurde. Es gibt nur Drohbriefe. Poirot scheint ein wahrer Hellseher zu sein, er beginnt seine Ermittlung, obwohl noch gar nichts passiert ist.

Die meisten Rätsel sind Inventarrätsel, wo ihr Gegenstände richtig einsetzen bzw. kombinieren müsst; es gibt aber auch Dialog- und Logikrätsel. Wie bei solchen Adventures üblich, solltet ihr immer darauf achten, dass ihr auch alles erledigt habt, denn sonst geht die Handlung einfach nicht weiter. Es kann also sein, dass ihr feststeckt, weil ihr euch mit einer bestimmten Person noch nicht unterhalten, eine Stelle noch nicht untersucht habt oder ein Video noch nicht gezeigt wurde. Ansonsten ist freies Umherschweifen in 3rd-Person-Sicht aber durchaus möglich, auch wenn die Welt aus einzelnen Räumen besteht. Es gibt eine Hilfefunktion, wenn ihr nicht mehr weiter wisst, sollte ihr Poirot um Rat fragen.

Strudel der Ereignisse

Für Agatha Christie typisch: Je tiefer ihr in die Ermittlungen einsteigt und je mehr ihr durch die vielen Gespräche herausfindet, desto mehr menschliche Abgründe tun sich auf. Das wurde gut getroffen. Jede Figur hat bildlich gesprochen eine Leiche im Keller, aber wer ist der Mörder? Was hat es mit dem älteren Fall von einem ermordeten Mädchen von der Insel auf sich? Gibt es einen Spion? Auch der nahende Krieg wird immer bedrohlicher, da eine deutsche Invasion der britischen Inseln droht. Alles stellt sich darauf ein, es finden Evakuierungen statt und die Leute die da sind, sind sozusagen das letzte Aufgebot. Immerhin gibt es hier Entwarnung, denn die deutsche Landung fand trotz heftiger Bombenangriffen ja nie statt.

Poirot hat es da nicht so leicht, denn seine Heimat ist bereits seit Monaten von den Deutschen besetzt. Dass er trotzdem stets ruhig bleibt, ist wohl seinem stoischen Gemüt zu verdanken, das nichts zu erschüttern vermag. Das kommt in seiner stets zuvorkommende Art zum Ausdruck, die auf gute Erziehung schließen lässt. Sein französischer Akzent ist daher erträglicher als bei manch einem seiner Sprachgenossen. Das ist auch der professionellen Sprachausgabe zu verdanken, die stimmig ist und eine solide wenn auch nicht überragende Arbeit abliefert. Es gibt bekannte deutsche Sprecher, die meistens etwas älter klingen, was aber daran liegt, dass es kaum junge Charaktere gibt.

Vornehm geht die Welt zugrunde

Optisch bietet es eine maritime Landschaft, eine stilvolle Hoteleinrichtung und sogar ein wenig Urlaubsidylle. Für den

Der Rest von Urlaubsidylle ist schnell verflogen, als sich die Ereignisse zuspitzen. Dann passiert ein Mord, den jeder begangen haben könnte.
Abgesang auf die feine Gesellschaft vor dem Zweiten Weltkrieg ist das Ganze aber ein bisschen zu schlicht geraten, denn so prächtig wie beim Mord im Orientexpress letztes Jahr geht es hier nicht mehr zu. Viel wichtiger als optische Leckerbissen ist allerdings, das alles authentisch wirkt und das ist durchaus gelungen. Die Charaktermodelle der 3D-Personen überzeugen. Auch wenn alles ein wenig kahl aussieht und man vieles nicht betreten darf, es gibt den englischen Pub, ein zerfallenes Kloster und den bewachten Kiesstrand. Fehlt nur noch, dass einem der hauseigene Butler den Tee in den Liegestuhl ans Meer bringt.

Die Qualität der filmischen Zwischensequenzen geht im Rahmen der Agatha Christie-Adventure-Reihe in Ordnung, aber dieses Mal wurde damit eindeutig gegeizt. Zwar sind öfters mal Filmschnipsel zu sehen, etwa wenn ihr auf die See schaut und Badegäste erblickt. Die gerenderten Videos sind aber meistens recht kurz und echte Filmsequenzen sind selten. Das war beim Vorgänger anders, wo es zahlreiche lange Sequenzen für Abwechslung sorgten.

      

Fazit

Es hätte so schön sein können! Eine Portion Hercule Poirot quasi als Entschleunigungsprogramm für gestresste Großstädter unserer Tage. Ein Mordfall aus längst vergangenen Zeiten, als die Welt noch vermeintlich besser war. Bei der reinen Schilderung der Krimigeschichte vermag das Adventure durch Authentizität durchaus zu punkten, auch wenn alles etwas betulich daher kommt und nicht gerade sonderlich aufregend ist. Der Gang von Poirot ist jedenfalls eine Kampfansage an moderne Geschwindigkeitsfanatiker, denn der belgische Detektiv möchte anscheinend gar nicht schneller gehen. Das mag beneidenswert sein, denn er hat die Zeit, die uns vielleicht manchmal fehlt. Aber leider ist "Das Böse unter der Sonne" wenig mehr als ein solide inszenierter, interaktiver Krimi, bei dem es kaum etwas zu tun gibt. Wenn sich Probleme auftun, dann sind sie meistens schneller gelöst als es Poirot recht sein kann, denn er hat schließlich Spaß am Raten. Nicht immer ganz logisch geht es auch beim Rätsellösen zu, wo ihr wieder mal Dinge tut, die eigentlich noch gar nicht nötig sind. Natürlich sollte eine Geschichte immer auch spannend erzählt werden, was hier öfters einmal außer Acht gelassen wird. Das liegt auch an den vielen Verdächtigen, mit denen ihr euch unterhalten müsst. Die Nebenhandlung mit Hastings hätte man sich sparen können, denn sie wirkt aufgesetzt und verwirrt nur zusätzlich. Unterm Strich und auf lange Sicht bleibt daher leider nur wenig Krimispaß übrig.

Pro

Poirot spielen
einfache Bedienung
für Anfänger geeignet
Parallelhandlung
stiller Begleiter

Kontra

betuliche Inszenierung
Poirot schleicht durch die Gegend
viel umherlaufen
oft simple Rätsel
Logikschwächen
oft verwirrend

Wertung

PC

Pomadig inszenierter Fall mit Hercule Poirot, der nicht immer ganz logisch ist.

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