Sherlock Holmes jagt Jack the Ripper14.08.2009, Bodo Naser
Sherlock Holmes jagt Jack the Ripper

Im Test:

Bislang hat Sherlock Holmes meist die Fälle der feinen englischen Gesellschaft gelöst. In Sherlock Holmes jagt Jack the Ripper (ab 9,99€ bei kaufen) begibt sich der Meisterdetektiv allerdings in den übelsten Slum, den das Königreich je hatte. Dort ist er zusammen mit dem getreuen Watson einem mörderischen Phantom auf der Fährte.

In den Slums

"Whitechapel is the gutter of London!", so tönt es vollmundig im englischen Trailer zum fünften Auftritt von Sherlock Holmes. Dieser Stadtteil war zuerst noch ein normales Viertel im Londoner Eastend, das im Laufe des 19. Jahrhunderts allerdings immer weiter runter kam. Wie es zum Armenviertel wurde, weiß niemand mehr zu sagen. Vielleicht lag es an der Nähe zum Hafen, vielleicht an den vielen Einwanderern, die aus aller Herren Länder in die Stadt strömten, um ihr Glück zu machen. Viele schafften es nicht und landeten auf dem Abstellgleis, wo sie von der Hand in den Mund lebten. Hier hauste der Ausschuss der britischen Gesellschaft, der sich fortan mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten musste.

Zum Wegziehen waren die Leute bald zu arm, da sie noch nicht mal das Nötigste hatten. Tags drängten sie sich auf den engen Straßen und nachts wurden sie in billigen Absteigen zusammengepfercht. Besonders hart traf es die Ärmsten der Armen: Frauen, Kinder und Alte. Weil sie keinen anderen Ausweg sahen, prostituierten sich einige Mädchen, um so an ein wenig Geld für Brandtwein oder Essen zu kommen. Da sie keinen Raum hatten, wo sie hingehen konnten, leisteten sie ihre Dienste auf offener Straße.

Themenpark-Atmosphäre

In diesem beinahe unmenschlichen Milieu verübte im Herbst 1888 ein bis heute unidentifiziertes Phantom seine Mordtaten - besser bekannt ist er unter dem Pseudonym "Jack the Ripper", das er sich angeblich in einem Brief selbst gab. Seine Opfer sahen entsprechend aus: Sie machten einen verlebten Eindruck, hatten Zahnlücken und trugen Männerstiefel. Der Mörder hoffte wohl insgeheim, dass sie keiner groß vermissen würde, obwohl er die Leichen stets gut sichtbar liegen ließ. Jeder sollte schließlich sehen, was er mit ihnen angestellt hatte.

Im Spiel kann man selbst durch die schlecht beleuchteten Gassen Whitechapels spazieren, was allerdings nicht wirklich

Die Gestalten auf Whitechapels Straßen sehen eher wie Zombies aus nem Michael Jackson Video aus.
eindrücklich ist. Wer schon mal ein Holmes-Abenteuer von Frogwares gespielt hat, wird wissen, wie man sich das vorzustellen hat: Recht weitläufige, aber auch ziemlich menschen- und detailarme Areale. Obwohl der Stil der tristen Backsteingebäude durchaus mit den damaligen Häusern in Whitechapel und Spitalfields übereinstimmt, sehen die 3D-Gebäude zu scharfkantig aus. Manche Wand erweckt eher den Eindruck einer Tapete. Zudem kann man immer nur die Gebäude betreten, in denen gerade eine Spielsequenz wartet. So nimmt man später meist die praktische Schnellreisefunktion, da man auf den gepflasterten Gassen nichts versäumt.

Da hilft es auch nicht viel, dass man die Straßen wahlweise in Egosicht oder Schulterperspektive durchwandern kann, denn sie sehen einfach künstlich aus. Es schlurfen sogar ein paar bedauernswerte Geschöpfe durch die unschöne Gegend, die immerhin zeitgenössische Kleidung tragen: Ein verrückt aussehender Mann mit Zylinder, eine fette Frau im Korsett oder ein Junge mit Mütze, der Mundharmonika spielt. Allerdings haben sie außer ein paar Standardantworten nicht viel zu sagen, wenn man sie anspricht. Außerdem sind es nur ein paar Gestalten, so dass kein Gedränge aufkommt, wie es damals herrschte. Einige nächtigen zwar auf der Straße, aber einen echtes Tagewerk scheinen die Leute nicht zu haben. Es sieht also nur auf den ersten Blick aus wie die triste Heimat von Saucy Jack, wer näher hinblickt entdeckt schnell Schwächen - es wirkt daher wie ein Jack the Ripper-Themenpark und damit gibt es leider keine Erkundungsreize.

Erste Morde

Obwohl auch der Mord an Martha Tabram kurz vorkommt, beginnt im Spiel alles mit dem Mord in der Buck's Row. Hier wurde am Morgen des 31. 

Der Hinterhof in der Hanbury Street sieht ziemlich echt aus, was man von Annie Chapmans Leiche nicht sagen kann.
August 1888 die Leiche von Polly Nichols gefunden, über die wie schon in der Vorschau berichteten. Das erste Opfer von Jack the Ripper lebte sogar noch, als man es fand. Doch der Schnitt durch die Kehle war für die zierliche Frau zu tief, als dass man ihr noch hätte helfen können - der unbekannte Täter hat ihr beinahe den Kopf abtrennt. Nur eine Woche später wurde am 8. September die zweite Frau umgebracht, die man in einem Hinterhof in der Hanbury Street gefunden. Annie Chapman war stärker verunstaltet als Polly Nichols. Scheinbar hatte das Phantom Blut geleckt und er brachte in kurzer Zeit noch drei Frauen um.

Das Spiel hält sich bei den Morden erstaunlich genau an die Tatsachen - offenbar hat sich die Zusammenarbeit mit Fachleuten ausgezahlt. Holmes untersucht den Tatort zwar erst, als die Leiche bereits entfernt ist, aber die Vorgehensweise wird nicht wie etwa im Film "From Hell" falsch dargestellt. Dr. Watson erfährt am eigenen Leib, als Holmes ihn als Versuchskaninchen missbraucht, dass die Opfer zuerst gewürgt wurden und dann erst am Boden der tödliche Schnitt erfolgte. So konnte der Mörder verhindern, über und über mit Blut besudelt zu sein. Zudem wird auch klar, dass die Frauen an Ort und Stelle umgebracht wurden. Denn die Tatorte waren, wo Prostituierte mit ihren Freiern verkehrten. Auch Dutfield's Yard, in dem das dritte Opfer gefunden wurde, lag abseits und war schlecht beleuchtet. Ein Transport der Leichen fand also nicht statt - schon gar nicht mit der königlichen Kutsche wie in From Hell.

                           

Harmlose Taten?

So genau man sich bei den Morden an die Tatsachen hält, so verhalten ist man bei der Darstellung der Gewalt. Derart blutleer schafft es das Spiel trotz der brutalen Thematik mühelos ein

Selbst der völlig verunstaltete Körper von Cathy Eddowes sieht im Spiel noch einigermaßen erträglich aus.
"ab 12" abzuräumen - das Thema hätte aber wesentlich morbider inszeniert werden müssen. Wer einmal in die toten Gesichter geblickt hat, von denen es noch originale Schwarz-Weiß-Fotos gibt, wird das nicht so schnell vergessen. Man sieht ihnen an, was sie durchmachen mussten. Und im Spiel? Keine Spur von Grauen! Obwohl Watson mal die armen Frauen bedauert, ist von dieser Intensität kaum was zu spüren: Stattdessen untersucht man durchsichtig gezeichnete Comic-Leichen, die nur entfernt an die echten Opfer erinnern. Mit diesem Kunstgriff will man zu viel Blut verhindern, was aber an der Authentizität zerrt.

Sonst ist es auch nicht sonderlich spannend, was angesichts der Mordserie verwundert, die bis heute Leute in ihren Bann zieht. Alle Zutaten für ein gruseliges Spektakel scheinen gegeben: Der finstere Schauplatz, die seltsamen Gestalten und geheimnisvolle Hintermänner. Und dennoch liefert Frogwares nur einen müden Aufwasch der Ereignisse ab. Nicht mal, wenn es total dunkel ist und man über virtuelle Betrunkene stolpert, läuft einem ein Schauer über den Rücken. Das erinnert an Holmes gegen Cthulhu, das auch viel zu harmlos war. Hier würde man sich die drastischeren Darstellung aus From Hell wünschen. Auch die Filmsequenzen können daran wenig ändern, da sie nicht echt genug wirken. Holmes und Watson bewegen sich ungelenk, was ebenfalls fast schon ein Markenzeichen der Reihe ist. Immerhin haben sie ihre gewohnten deutschen Stimmen bekommen, was für einen gewissen Wiedererkennungswert sorgt.

Wer steckt dahinter?

Was bleibt, ist die bloße Suche nach dem Täter, die alle Verdächtigen bietet, die heiß gehandelt werden. Nach den ersten

Holmes bringt alle zum Reden. Manch ein Zeuge, von dem man es nicht gedacht hätte, weiß mehr über den Täter.
Morden ist es der Schuster John Pizer, der in Verdacht gerät, weil man angeblich seine Schürze am Tatort fand. Die findet auch Sherlock Holmes, aber messerscharf kombiniert er, dass sie schon länger da liegen muss. Pizer ist also erstmal raus und er ist nicht der Letzte. Im Lauf der vertrackten Ermittlung trifft man noch den Maler Walter Sickert, den Reporter Thomas Bulling und schließlich den amerikanischen Quacksalber Francis Tumblety. Letzterer wurde erst nach der Steward Evans Buch "Jack the Ripper: First American Serial Killer" als Verdächtiger reaktiviert, obwohl er schon 1888 von der Polizei als Täter gehandelt wurde. Obgleich Tumblety Frauen hasste, war er zum Tatzeitpunkt fast schon zu alt. Er stand zudem eher auf Männer, was ihn als sexuell motivierten Killer ausschließt, der ausschließlich Frauen tötete.

Die Suche zieht sich oft hin wie Kaugummi, denn man erfährt meist nicht viel über einen Verdächtigen. Der Name taucht beiläufig in einem Gespräch auf, aber es dauert ganz schön, bis man mal mehr erfährt. Trifft man endlich den Gesuchten, kann man ihn nur grob nach Themen fragen - davon abgesehen laufen die Dialoge automatisch ab. Man hört vom mysteriösen Gast, der in einer Pension wohnt, seltsame Dinge tut und nachts oft lange fortbleibt. Er war damals fast so etwas wie ein eigener Mythos, den man sich unter vorgehaltener Hand erzählte. Steckt der exzentrische Tumblety dahinter? Ansonsten ist die Jagd stilecht umgesetzt, denn überall erwarten einen Fahndungsfotos, Aktenauszügen und Zeitungsartikel der damaligen Zeit.

In die Länge gezogen

Die Mordserie hörte am 9. November 1888 mit dem Mord an Mary Jane Kelly ebenso unvermutet auf wie sie Wochen zuvor begann. Der letzte Mord unterschied sich in einigen Punkten von den vorigen. Das fünfte Opfer war obwohl auch Prostituierte

Man spielt abwechselnd Holmes und Watson. Letzterer ist für die Drecksarbeit zuständig, die keinen Spaß macht.  
jünger, wurde in einem Raum umgebracht und noch mehr verstümmelt. Die Bezeichnung Schlachthaus für Mary Kellys Zimmer nach der Tat ist durchaus wörtlich zu nehmen. Trotz aller Aufregung muss Sherlock Holmes stets kühlen Kopf bewahren, um alle Spuren zu finden und ins antik anmutende Inventar zu verfrachten. Sie werden durch Lupensymbole symbolisiert, die man sich auch alle anzeigen lassen kann. Sobald ein Ort untersucht wurde, wird der Zeiger grün. Leider darf Holmes aus Gründen der Pietät nicht immer ran ans Opfer, so dass man oft erst lesen muss, was sich zugetragen hat.

Allerdings sind nicht alle Aufgaben kriminalistischer Natur, da die fünf Morde einfach zu wenig Stoff bieten würden für ein fast 20-stündiges Abenteuer. Daher müssen sich die beiden auch um allerhand Krimskrams kümmern, der gar nichts mit dem Fall zu tun hat. Hier will ein Vermieter seine Ruhe haben, dort wird eine Gang hoch genommen, die gar nix mit den Ripper-Morden zu tun hat, und hier in Sachen Organhandel nachgeforscht. Der gute Watson verkommt dabei oft zum Laufburschen, der nicht nur Zeugen verhört sondern auch noch Medikamente und Gott-weiß-was durch die Gegend schleppt. Er läuft von Hinz zu Kunz und wieder zurück, was mit Hilfe der Karte zum Glück keine Herausforderung ist, da alles eingezeichnet ist. Spannend ist das aber nicht und zudem auch verdammt linear.

                

Was zu knacken

Echte Rätsel bilden so fast die Ausnahme, wenn Holmes mal wieder um die Ecke denken muss. Der Spieler knackt dabei Schlösser, findet Chemikalien heraus und repariert Maschinen, was in den allermeisten Fällen kein Hexenwerk ist. Es gibt

Richtige Knobeleien wie die hier gibt's im Spiel leider zu selten. Es regiert Mittelmaß. 
genug Hinweise, die einem den Weg zur Lösung weisen. So trifft man auf der Suche nach Tumblety auf ein Rätsel, bei dem man Daten von Schlachten aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg eingeben muss. Dazu muss man noch wissen, wer gewonnen hat. Einzig das Datum von Fredericksburg fehlt als Hinweis, den man selbst erschließen muss. Ein echter Holmes weiß so was natürlich aus dem Stehgreif. Nicht umsonst macht Watson große Augen, wenn Holmes mal wieder was hinkriegt. "Wie in Gottes Namen haben sie das geschafft?", hört man dann.

Leider sind bei weitem nicht alle Rätsel liebevoll gestaltet, denn das meiste lässt sich im Vorbeigehen lösen. Man stößt auf derart viele Aufgaben, die nicht der Rede wert sind, dass man die meisten davon schnell wieder vergisst. Einmal muss man mit Dietrich ein Schloss knacken und dabei eigentlich nur ein wenig rumfummeln. Dann kommen wild aussehende Zahlenschlösser vor, bei denen man ebenfalls mit Trial&Error schnell zum Erfolg kommt. Wenn man nur zu einem bestimmten Typ gehen muss, fragt man sich oft genug, was das soll. Denn bei solchen Nichträtseln kommt auch kein Stolz auf, dass man sie gelöst hat. Auch hier nährt sich der Verdacht, dass auf Zeit gespielt wird.

Futter für Ripperologen

Allerdings gibt es dann wieder unvermutete Highlights, die sich besonders an Krimifans wenden. Niemand erklärt so schön

Mit diesen Schlussfolgerungen quält einen Holmes nach jedem Mord. Aber man kapiert so auch einiges. 
wie Holmes die zeitliche Abfolge der Morde, die einem aufgrund sich widersprechender Zeugen total verwirrend vorkommt. Minutiös werden alle Aussagen in ein Zeitraster eingeordnet und am Schluss muss Watson, der niemand anderer ist als der Spieler, dann raten, wann die Tötung stattfand. Manche Sachen habe ich so zum ersten Mal richtig verstanden, obwohl ich mich seit Jahren für die Whitechapel Morde interessiere. Etwa, dass der Täter am 30. September, als zwei Frauen umgebracht wurde, genug Zeit hatte, vom einen Schauplatz zum nächsten zu laufen.

Am virtuellen Mitre Square sieht man dann, warum der Mörder in der Dunkelheit leicht verschwand, denn die damaligen Lampen waren einfach zu schwach. Einen Applaus hat sich Holmes auch verdient, wenn er per Versuch nachweist, wie vermutlich die Tatwaffe aussah. Leider wurde die echte nie gefunden, so dass es viele Theorien gibt. Holmes fährt ein paar Messer auf, die der Spieler an Schweinen erproben darf - das ist eine der wenigen Stellen, wo tatsächlich etwas Blut fließt. Hier erfährt man, warum es dem Mörder nicht gelang, den Kopf abzutrennen. Wohlgemerkt: Das alles hat sich Frogwares nicht etwa ausgedacht, das ist quasi die zeitlos aktuelle Diskussion um die Morde

          

Fazit

Von Sherlock Holmes jagt Jack the Ripper habe ich mehr erwartet. Zwar schafft es das 3D-Abenteuer, den Mordfall anschaulich aufzubereiten, aber es fehlt deutlich an Nervenkitzel. Holmes erklärt zwar nüchtern, ergebnisoffen und sachlich den Ablauf des Geschehens, was zu begrüßen ist, aber diese kühle Präsentation sorgt auch dafür, dass es nicht sonderlich spannend ist. Und das, obwohl das einer der mysteriösesten Kriminalfälle ist, die es je gab. Obwohl alle wichtigen Opfer, Schauplätze und Verdächtige vorkommen und obwohl man das Flair des 19. Jahrhunderts einfangen kann, gelingt es Frogwares allerdings nicht, so etwas wie Gefühlsmomente zu erzeugen. Nicht mal, wenn man durch die spärlich beleuchteten Gassen streift, hat man die Befürchtung, dass gleich Saucy Jack um die Ecke biegt - es gibt kaum Herzklopfen oder Überraschungen. Stattdessen darf man sich in recht steriler Kulisse mit den Passanten unterhalten, die wiederum nicht viel von sich geben. Die Aufgaben sind zwar alle logisch aufgebaut, viele davon sind jedoch kaum der Rede wert, so dass echte Rätselknacker unterfordert werden. Außerdem wird der eigentlich interessante Fall durch unnötige Nebenaufgaben künstlich in die Länge gezogen. Das hätte ein morbides Adventure der Extraklasse werden können, mit dichter Atmosphäre und spannender Story, aber im Gedächtnis bleiben unterm Strich nur Holmes scharfsinnige Analysen und ein gut recherchierter Stand der Ripperforschung.

Pro

berühmter Mordfall
aktueller Stand der Ripper-Forschung
Holmes sorgt für Durchblick
logische & machbare Rätsel
Holmes und Watson spielen

Kontra

oft zu simpel
künstlich in die Länge gezogen
öde Holdienste
wenig Nervenkitzel
sterile Kulissen

Wertung

PC

Vorbildlich recherchierter, aber wenig aufreibender Mordfall. Schade - da war mehr drin.

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