Nikopol: Die Rückkehr der Unsterblichen19.03.2009, Bodo Naser
Nikopol: Die Rückkehr der Unsterblichen

Im Test:

Bislang gab es von Benoit Sokal nur schön gezeichnete Welten im Stil von Syberia, Sinking Island oder Paradise. Jetzt versucht sich der Schriftsteller und Adventure-Macher an einer finsteren Zukunftsvision, deren Vorlage von Enki Bilal stammt. In Nikopol befindet sich Paris sowohl im Klammergriff inländischer als auch fremder Mächte. Wird die Ansammlung von Rätseln dem düsteren Comic gerecht?

Heruntergekommene Stadt

Im Jahre 2023 ist Paris nicht mehr das, was es mal war. In Nikopol erinnert es eher an die verregneten Hinterhöfe aus Blade Runner als an die Stadt der Liebe. Typische Sehenswürdigkeiten wie Eiffelturm, Notre Dames oder Seineufer sind allenfalls

Die Herrschaft von Sarkozy hat Paris wohl nicht gut getan. Im Jahr 2023 erinnert es eher an Mordor als an die Stadt der Liebe.
noch schemenhaft zu erkennen. Die Stadt wirkt finster, herunter gekommen und hat ihre Leichtigkeit eingebüßt. Stattdessen gibt es überall Blinklichter, Neonreklame und Schmierereinen an der Wand. Was ist nur geschehen? Hat Law&Order-Mann Sarkozy doch noch den berüchtigten Dampfstrahler raus geholt, um in den Vorstädten aufzuräumen? Wenn ja, hat es nicht viel genützt, denn nun sieht es überall so aus wie in den trostlosen Plattenbauten der Banlieues.

Kein Wunder - verschanzen sich die Herrschenden doch in einem hermetisch abgeschotteten Stadtviertel, das von allen nur der Bunker genannt wird. Außerhalb lebt der Abschaum der Gesellschaft, wozu auch der Held Alexander Nikopol gehört. Für Ordnung sorgt eine zynische Diktatur, die mit einem riesigen Polizeiaufgebot die Leute kontrolliert und die Reichen bewacht. Wer auffällt, dem werden monströse Wächter auf den Hals gehetzt. Damit nicht genug schwebt wie ein Menetekel eine gigantische Pyramide über der Stadt, die an den Stargate-Film erinnert. Was geschieht da? Die Ankunft führt dazu, dass neben der offiziellen Amtskirche des Diktators Weißkohl (Name klingt lächerlich, stimmt aber) jegliche Form von Aberglaube blüht. Es mischen sich Obrigkeitsglaube, christlicher Fanatismus und altägyptische Gottesfurcht.

Sand im System

Alexander Nikopol ist eigentlich Künstler. Er lebt in einer abgewetzten Wohnung und zeichnet Frauen-Portraits, von denen er

Pietätlos - die Urne der Mutter, die wie ne Coladose aussieht, gibt's aus dem Automaten. 
mehr schlecht als recht lebt. Als der allgegenwärtige Überwachsungsstaat unvermutet an seine Haustür "klopft", gelingt Nikopol gerade mal so eben die Flucht, die der Spieler unter Zeitdruck organisieren muss. Schutz verspricht sich der Held wider Willen von einem ominösen Orden, dem er erst kürzlich beigetreten ist und der auf dem Friedhof beheimatet ist. Es wird immer deutlicher, dass Alexander wegen seiner Herkunft vom Regime verfolgt wird. Sein Vater, der Raumfahrer war, verschwand unter mysteriösen Umständen im All. Gibt es da einen Zusammenhang mit dem pyramidenförmigen Fluggefährt über der Stadt? Fürchtet sich das Regime etwa vor einem einzelnen Mann?

Leider ist diese vielschichtige Hintergrundgeschichte kaum zu verstehen, da sie nicht gescheit erzählt wird. Das recht linear ablaufende Adventure kümmert sich mehr um seine Rätsel, die mit Müll gepflasterten Schauplätze und den coolen Look als um den roten Faden, der von Enki Bilals Comic-Trilogie vorgegeben wird. Und das ist schade, denn so ist es fast ein Wunder, dass überhaupt noch einige Anklänge von Kritik an unserer realen Welt rüberkommen. Auf dem High-Tech-Gottesacker gibt es etwa einen Automaten, an dem man Urnen samt Inhalt rauslassen kann. Um sich die Blechdose mit seiner Mutter "zu ziehen", muss der Spieler allerdings erst die Kollekte des Wärters plündern. Wenn das mal keine Kritik an unserem kommerziellen Bestattungswesen ist?

             

Religiöse Puzzles

Die Rätsel sind das Kernstück des Adventures - wäre man fies, könnte man es als bloße Abfolge von Puzzles bezeichnen. So stößt man in dichter Folge auf sie, etwa zu Beginn 

Rätsel treten zwar in dichte Abfolge auf, sind aber so schwer zu durchschauen wie die dürftig erzählte Story.
der sich über fünf überschaubare Akte ziehenden Science-Fiction-Story. Wie zeichne ich das Portrait? Wie kriege ich das Biest in den Griff? Wie bekomme ich die Haustür auf? Fragen über Fragen, die ihrer Lösung harren. Veteranen werden sich freuen: Die Rätsel sind in der Mehrzahl Kombinationsaufgaben, bei denen man schon scharf überlegen muss. Im Vorübergehen sind viele nicht zu machen, denn man braucht schon einige Zeit, bis man draufkommt, welche Sache wo hingehört. Für Anfänger sind sie daher nicht gedacht, weil auch Hinweise oft fehlen.

Ganz ähnlich wie bei der Story ist es allerdings auch bei den Rätseln, denn man versteht nicht immer auf Anhieb, was zu tun ist. Das liegt sicher daran, dass auf jeglichen modernen Schnickschnack verzichtet wurde. Es gibt weder eine Hotspot-Anzeige noch sonstige Lösungstipps, obwohl so etwas mittlerweile Standard im Genre ist und sich nicht mit Anspruch beißen muss - im Gegenteil: Wenn ich weiß, wo das Problem liegt, kann man sich auf die Lösung konzentrieren.

Es gibt natürlich ein paar klare Rätsel, wo man irgendwann auch weiß, was zu tun ist. So muss man im zweiten Kapitel eine Beschwörung vornehmen. Man weiß aber weder wofür noch wie es gehen soll. Aber immerhin gibt es eine dürftige Notiz, aus der sich dann alles schließen lässt. Man muss die teils religiösen Symbole richtig anordnen, doch einige sind kaputt. Was tun?

Darüber hinaus kommen immer wieder Aufgaben vor, bei denen gnadenlos die Uhr tickt. Wer gleich am Anfang zu langsam ist, den holt das schnüffelnde Monster. Wenn man auf dem Schlauch steht, tut man sich schwer und muss noch mal laden. Diese hektischen Intermezzi sollen für Schwung sorgen, stoßen aber insbesondere bei der Zielgruppe der Vielrätsler auf wenig Gegenliebe. Wer das nicht peilt, ist auf eine Kompletlösung aus dem Internet angewiesen, was mehr als einmal vorkommen dürfte. Die Mehrzahl der Aufgaben ist in den linearen Verlauf eingebettet, da man Dinge macht, die nicht gänzlich sinnlos sind. Es ist aber nicht einfach, das Richtige in den mit Details überfrachteten Hintergründen zu finden.

Kaum Atmosphäre

Sokal schafft es, dem Adventure seinen typischen stilistischen Stempel aufzudrücken, der aber bei Nikopol weit weniger

Trotz schaurig-schöner Bilder transporiert das Abenteuer kaum Stimmung.  
ausgeprägt ist als sonst. Er hält sich zugunsten von Enki Bilal zurück, dessen teils alptraumhafte Kreationen immer mal wieder auftauchen. Da gibt es etwa den Stil der Bilder, die der Held malt, die eindeutig von Bilal stammen. Obwohl die Render-Grafik technisch veraltet ist, wirkt die Umgebung durchgestylt, was an den Film Das Fünfte Element von Luc Besson erinnert. Dem Spiel kommt es zugute, dass es aus der Egosicht gespielt wird, was für mehr Mittendrin-Gefühl sorgt. Um einen richtig rein zu ziehen, ist es aber insgesamt zu wenig spannend, auch weil es immer wieder nur ums Rätseln geht.

Obwohl ständig Glaubenssprüche aus den Lautsprechern zu hören sind, ist die Gottlosigkeit der Spielwelt offensichtlich. So ist es auch kein Wunder, dass die alten Götter versuchen, wieder Macht zu erlangen. So trifft Nikopol ganz selbstverständlich altägyptische Gottheiten wie Anubis oder Horus, die ihre Ränke schmieden und mit denen man sich unterhalten kann. Die Sprachausgabe ist nicht schlecht, auch wenn meist nur Nikopol seine Selbstgespräche führt. Ansonsten sind die Gespräche dünn gesät und sie laufen leider automatisch ab.

    

Fazit

Was hätte man alles aus der Enki Bilals Trilogie machen können? Sicher zehn tolle Spiele. Und was macht Sokal daraus? Wenig mehr als eine bloße Verkettung von Rätsel, bei denen die vielschichtige Story allenfalls Beiwerk ist. Von Blade Runner wissen wir, wie wichtig eine glaubwürdige Zukunftswelt für ein Cyberpunk-Adventure ist. Hier gelingt es einfach nicht, die Stimmung der klasse Comic-Erzählung ins Adventure zu transportieren, das letztlich fast schon steril wirkt. Die Story wird so unverständlich dargeboten, dass sie nicht mal mit viel gutem Willen zu verstehen ist. Und selbst Fans der Comicwelt dürften sich mehr schlecht als recht in einer Welt mit vielen schweren Rätseln zurechtfinden. Die sind vielfach genauso schwer zu durchschauen wie die Geschichte, weil Hinweise fehlen. Eine Spielhilfe hat man sich gleich ganz gespart, was sich in dem Wirrwarr fatal auswirkt. Zu steif wirkt die finstere 2D-Umgebung, die wenig mehr als reine Kulisse für die Rätsel ist. Bei den brillanten, aber viel zu kurzen Videosequenzen, die angenehm an die Comicvorlage erinnern, blitzt auf, wie Nikopol hätten sein können. Man hätte dafür allerdings den Hintergrund ernst nehmen müssen - genau so, wie es etwa der Sin City-Film gemacht hat. Hier bleibt es bei der üblichen lieblosen Portierung, mit der letztlich trotz guter Ansätze niemand glücklich wird.

Pro

Cyberpunk-Adventure
Diktatur trifft auf Religion
finstere Vision
Rätsel in dichter Folge
knackige Kombinationsaufgaben

Kontra

Story schwer verständlich
Hinweise fehlen
fast nur Rätsel
Aufgaben auf Zeit nerven
wenig glaubwürdig

Wertung

PC

Wenig mehr als eine Ansammlung von unverständlichen Rätseleien

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