Vorschau: The Age of Decadence (Rollenspiel)

von Jörg Luibl



Entwickler:
Publisher: Iron Tower Studios
Release:
14.10.2015
Erhältlich: Digital (Steam, GOG)
Spielinfo Bilder Videos
Wie ein Abenteuer-Spielbuch

Sobald man eine Fähigkeit besitzt, die ein Gespräch oder eine Herausforderung beeinflussen kann, wird diese als Option angeboten. The Age of Decadence fühlt sich in diesen Passagen fast an wie ein Abenteuer-Spielbuch à la Sorcery!, in dem man von Entscheidung zu Entscheidung blättert: Meistert man eine Einschüchterung oder eine Überzeugung, geht es mit der nächsten Situation weiter – bis man vielleicht scheitert. Auch als Dieb klickt man sich bei einem Einbruch quasi durch (sehr gut beschriebene) Aktionen, die wie Multiple-Choice-Aufgaben links in Textform präsentiert werden, während man auf der rechten Seite ein statisches Bild sieht. Klettert man durch das Fenster, geht man per Seil über das Dach oder versucht man das Türschloss zu knacken? All das macht man nicht aktiv, sondern liest es.

Ein Blick auf die Weltkarte: Man kann nicht aktiv reisen wie in Wasteland 2, sondern klickt auf entdeckte Orte.
Ein Blick auf die Weltkarte: Man kann nicht aktiv reisen wie in Wasteland 2, sondern klickt auf entdeckte Orte.
Je nachdem, welche Fähigkeiten und welche Klasse man besitzt, ergeben sich hier ganz andere Möglichkeiten – der Wiederspielwert ist enorm hoch: Während der Assassin bei entsprechender Schulung manchmal direkt im Dialog töten kann, darf der Dieb in andere Räume schleichen, der Praetor mit seiner Etikette elegant auftrumpfen oder der Loremaster ganz andere Hintergründe erfahren. Eine Fähigkeit wie „Streetwise“ oder „Verkleidung“ kann also manchmal wichtiger sein als ein starker Schwertarm. Es ist allerdings ärgerlich, dass die aktuelle Stufe bei dieser Entscheidung bzw. Fähigkeitenprobe nicht einsehbar ist – man muss also immer auswendig wissen, wie gut man in einem Bereich ist. Warum kann man die kleine Statistik nicht einblenden?

Es macht aber auch so Spaß, eine identische Situation aus der Perspektive einer anderen Klasse zu spielen: Als Händler erlebt man z.B. die Situation als Opfer, die
Stellenweise fühlt sich The Age of Decadence an wie ein Abenteuer-Spielbuch: Man entscheidet und blättert weiter.
Stellenweise fühlt sich The Age of Decadence an wie ein Abenteuer-Spielbuch: Man entscheidet und blättert weiter.
man als Dieb oder Assassin vielleicht als Täter spielte. So erkennt man manchmal auch den wahren Charakter einer Nichtspielerfigur: Hinter dem weisen Antiquitätenhändler steckt also bloß ein gieriger Scharlatan? Es ist erstaunlich, mit wieviel Hingabe die Entwickler diese unterschiedlichen Pfade integriert haben.

Antike Machtkämpfe mit dezentem Fantasy-Flair

Abseits von dem persönlichen Verhältnis zu anderen Fraktionen hat man auch das angenehme Gefühl, dass sich die lokale Geschichte und die Story dynamisch entwickeln – kaum kehrt man von der ersten großen Reise nach Ganezzar zurück nach Teron, gibt es dort ein neues Kräfteverhältnis und die eigene Gilde der Assassine ist scheinbar geschlossen. Die Story ist allgemein gut konstruiert, man wird schnell neugierig gemacht: Zu Beginn geht es zwar lediglich um eine mysteriöse Karte, die man Lord Antidas zeigen soll, aber schon damit öffnen sich mehrere Möglichkeiten, denn man kann sehr subtil, sehr direkt oder über Aufträge zu ihm gelangen - dann müsste man noch das Banditenlager sowie die Mine erkunden und sich um Schmuggelware kümmern.

Kein Schwarz-Weiß, kein Kitsch: Die Nichtspielerfiguren agieren nach eigenen Interessen.
Kein Schwarz-Weiß, kein Kitsch: Die Nichtspielerfiguren agieren nach eigenen Interessen.
Um es kurz zu machen: Es gibt viel zu tun, nicht streng linear, sondern angenehm offen. Schade ist nur, dass man die Konflikte nicht direkt in der statischen Spielwelt, also in den Straßen beobachten kann. Nur ganz selten werden kleine Aufstände oder "Menschenmengen" auch tatsächlich inszeniert. Aber die Unterschiede zwischen den Häusern werden erzählerisch deutlich, die wie die historische Machtkämpfe zwischen Caesar und Pompeius anmuten. Man wird auch auf die dezenten Fantasy-Aspekte neugierig gemacht: Was hat es mit den drei „Lords of the Higher Planes“ auf sich, die angeblich dem Imperium zur Hilfe eilten? Gibt es tatsächlich Dämonen und Luftschiffe, Magier und alte Ruinen mit mächtigen Kriegsmaschinen?

Sterile Spielwelt mit wenig Interaktion

Schon die erste Questreihe bis zum Treffen mit dem Lord ist sehr gut geschrieben. Danach zeigen sich nicht nur mehr Orte auf der Weltkarte, sondern es ergeben sich auch außenpolitische und religiöse Verstrickungen: Ähnlich wie in Telltales
Die Spielwelt wirkt mit ihren antiken Anleihen architektonisch gut, aber es fehlt an Leben in Gassen und Gemäuern.
Die Spielwelt wirkt mit ihren antiken Anleihen architektonisch gut, aber es fehlt an Leben in Gassen und Gemäuern.
Adventures wirken sich dann die Entscheidungen auf spätere Kapitel bzw. Orte aus – bei einem Wechsel wird einem angezeigt, welche Allianzen man geschmiedet oder für welche Fraktionen man etwas getan hat. Hat man z.B. dem Prediger in Teron zugehört oder ihn mit Steinen beworfen? Je nachdem wird man in einer anderen Stadt auch anders empfangen. Wer sich für Religionsgeschichte interessiert, wird einige interessante Parallelen zum Aufstieg des Christentums finden.

Das größte Problem von The Age of Decadence ist aber nicht die schwache Kulisse, sondern die schon erwähnte Statik: Die Erkundungsreize innerhalb der Spielwelt sind einfach kaum vorhanden und liegen weit unter dem Niveau des ersten Baldur's Gate. Selbst wenn man eines der wenigen offenen Gebäude betritt, kann man im Inneren kaum etwas tun, weil es nur ganz selten etwas per blauem Augensymbol zu
Ein Blick auf das Inventar - zu viel Gewicht wirkt sich negativ aus.
Ein Blick auf das Inventar - zu viel Gewicht wirkt sich negativ aus.
untersuchen oder per gelbem Icon zu interagieren gibt. Und das, obwohl vielleicht überall Kisten oder Regale stehen. Man kann auch nur sehr selten etwas einfach so finden. Man kann nichts aktiv stehlen oder Türen aufbrechen. So fühlen sich auch Tavernen & Co, die laut Fließtext voll sein sollen, eher wie Staffage an. Und das dämpft die Stimmung merklich, denn heutzutage gibt es auch in isometrischer Perspektive ansehnliche Vertreter wie etwa Shadowrun. Man kann auch lediglich die Siedlungen, aber nicht die eigentliche Spielwelt frei begehen bzw. bereisen – sobald man ein Tor verlässt, kann man auf der Weltkarte einen Ort anklicken (falls entdeckt) und reist automatisch dorthin. Dabei gab es bisher weder Zwischenfälle wie z.B. in Wasteland 2 noch muss man sich um die Versorgung kümmern.
 

AUSBLICK



The Age of Decadence ist schon sehr lange ein Geheimtipp für Rollenspiel-Liebhaber alter Schule. Allerdings für jene, die nicht nur ein technisches Auge zudrücken: Die isometrischen Kulissen sind hoffnungslos veraltet - Wasteland 2 sieht dagegen aus wie Next Generation. Außerdem fehlen aktive Erkundungsreize und Interaktionen in der meist unbelebten Spielwelt. Warum kann ich mich trotzdem nicht davon lösen? Weil es sich stellenweise wie ein spannendes Abenteuer-Spielbuch anfühlt. Und weil es einige Pen&Paper-Tugenden pflegt: Das ist keine 08/15-Kitschfantasy, sondern ein historisch inspirierter Schmöker für Freunde von Entscheidungen und Konsequenzen mit wirklich guter Story. Ich kenne zudem kein Spiel, in dem sich die Werte, sowohl kriegerische als auch zivile, so stark auswirken: Wer seine „Überzeugungskraft“ oder sein „Straßenwissen“ erhöht, bemerkt sofort die Wirkung. Hinzu kommt ein anspruchsvolles Kampfsystem und eine Regie, die einen nicht als strahlenden Helden umarmt, sondern wie einen Nobody behandelt. Die Entwickler haben die Story für jede Klasse angepasst – so erlebt man als Händler eine Situation als Opfer, die man als Assassin vielleicht als Täter spielt. Auch wenn es mir jetzt schon unheimlich Spaß macht, die Perspektiven zu wechseln, scheint diese komplexe Regie ihren Tribut zu fordern: The Age of Decadence wirkt nach all den Jahren immer noch sehr leer, steril und spröde. Selbst das letzte Update "Ganezzar" sorgt in dieser Hinsicht für Ernüchterung. Hoffentlich können Vince D. Weller und sein Team dieses ambitionierte Rollenspiel dieses Jahr finalisieren.

Einschätzung: gut

Kommentare

T.H. schrieb am
Ich habe es auch angespielt und freue mich darauf, dass die letzten Orte fertig werden.
Ich habe bislang nur die Non-Combat-Charaktere gespielt.
Ich bin nicht gut genug um die Combat-Charaktere zu spielen. Ich spiele Rollenspiele gerne - aber leider nicht gut.
Was ich ein wenig an diesem sehr guten Game vermisse, ist die Möglichkeit in Städte nach dem Ende der Questline zurückzukehren. Neue Questreihen in veränderten Städten würden viel Glaubwürdigkeit schaffen. Aber man muss realistisch sein... Das würde bedeuten, dass auf Basis einer Vielzahl von verschiedenen Szenarien Folgeszenarien entwickelt werden müssten und das ist mit 4 Leuten nicht zu machen.
For what's worth - Eine Empfehlung von mir.
VDWeller schrieb am
FieserMoep hat geschrieben:Manches Statements aus diesem Test kann ich so leider im Spiel garnicht wiederfinden.
Always a pleasure to meet a fan.
Anspruchsvolles Kampfsystem? Leider nicht wirklich. Der wichtigste Stat ist Verteidigung...
Defense IS and always should be an important stat, otherwise damage you take is simply not an issue. No defense - you're dead in 2-3 turns as it should be, UNLESS you're very good at killing people fast, in which case you can skip defense and jump straight to offense, which is a risky build and not for the new players.
...und ob ich den nun durch Dodge oder Block bekomme ist einerlei - beides hat seine minimalen Vor und Nachteile.
Dodge requires light armor (most armor have a penalty to Dodge), mobility (the more empty squares around the better), and it's focused on Offense - the passive ability is counter-attack plus you have your off hand free for, which means you can grab throwing nets, bolas, alchemical vials and bombs, or use a two-handed weapon.
Block is focused on Defense. It works best with heavy armor and its pasive allows you to deflect all damage. However, you can only use one-handed weapons.
Basically, they require different play styles, but other than that, you're right - no difference whatsoever.
Das tatsächlich wichtige an diesem Stat ist, das er Kämpfe in die Länge zieht ohne sich dabei selbst zu gefährden. Man kann so ohne Probleme die Offensive vernachlässigen - dann schlägt man eben zweimal mit 50% als einmal mit 75% Trefferchance zu:
Except for the longer it takes you to kill someone, the higher the chance of you ending up dead because you WILL take damage over time, even if your skills are high.
Mit maximaler Verteidigung hast du locker dafür Zeit und Kämpfe degenerieren in gegenseitige Abnutzung aus welcher der Spielercharakter nahezu immer triumphierend hervor geht.
Tatsächlich ist das derart lächerlich, das man bereits bei der Charaktererschaffung minmaxen sollte da sich die Attribute nicht im Spiel steigern...
LeKwas schrieb am
FieserMoep hat geschrieben:Manches Statements aus diesem Test kann ich so leider im Spiel garnicht wiederfinden.
Anspruchsvolles Kampfsystem? Leider nicht wirklich. Der wichtigste Stat ist Verteidigung und ob ich den nun durch Dodge oder Block bekomme ist einerlei - beides hat seine minimalen Vor und Nachteile. Das tatsächlich wichtige an diesem Stat ist, das er Kämpfe in die Länge zieht ohne sich dabei selbst zu gefährden. Man kann so ohne Probleme die Offensive vernachlässigen - dann schlägt man eben zweimal mit 50% als einmal mit 75% Trefferchance zu: Mit maximaler Verteidigung hast du locker dafür Zeit und Kämpfe degenerieren in gegenseitige Abnutzung aus welcher der Spielercharakter nahezu immer triumphierend hervor geht.
Gleiches gilt leider auch für die Skill und Attribut Checks. Tasächlich hat dies recht wenig mit einem P&P zu tun, da nicht gewürfelt sondern schlicht ein hard-check ausgeführt wird. Sprich du hast Stärke 8+ oder eben nicht. Daran bemisst sich der automatische Erfolg oder Misserfolg. Tatsächlich ist das derart lächerlich, das man bereits bei der Charaktererschaffung minmaxen sollte da sich die Attribute nicht im Spiel steigern lassen jedoch maßgeblich dafür ausschlag gebend sind welche Areale man im Spiel überhaupt besuchen kann. Hierbei werden zudem recht selten bis garkeie Allternativen angeboten - gleiches für etwaige Encounter die nicht umgangen werden können; nichtmal durch einen angeheuerten Sölder oder Bodyguard auch wenn man gerade den extrem charismatischen und reichen Händler spielt.
Das Spiel ist nett, aber nach zwei Durchläufen mit unterschiedlichen Charakteren hat man quasi das meiste von der Story gesehen. Was sich dann unterscheidet ist, ob man eben die richtige Statkombination hat um das ein oder andere Goodie mehr zu finden. Die Klassen erlauben zwar manche Szene aus unterschiedlichen Perspektiven zu sehen, jedoch gibt es nur recht wenige solcher Szenen weshalb auch der individuelle Durchlauf recht kurz ausfällt. Insgesammt...
FieserMoep schrieb am
Manches Statements aus diesem Test kann ich so leider im Spiel garnicht wiederfinden.
Anspruchsvolles Kampfsystem? Leider nicht wirklich. Der wichtigste Stat ist Verteidigung und ob ich den nun durch Dodge oder Block bekomme ist einerlei - beides hat seine minimalen Vor und Nachteile. Das tatsächlich wichtige an diesem Stat ist, das er Kämpfe in die Länge zieht ohne sich dabei selbst zu gefährden. Man kann so ohne Probleme die Offensive vernachlässigen - dann schlägt man eben zweimal mit 50% als einmal mit 75% Trefferchance zu: Mit maximaler Verteidigung hast du locker dafür Zeit und Kämpfe degenerieren in gegenseitige Abnutzung aus welcher der Spielercharakter nahezu immer triumphierend hervor geht.
Gleiches gilt leider auch für die Skill und Attribut Checks. Tasächlich hat dies recht wenig mit einem P&P zu tun, da nicht gewürfelt sondern schlicht ein hard-check ausgeführt wird. Sprich du hast Stärke 8+ oder eben nicht. Daran bemisst sich der automatische Erfolg oder Misserfolg. Tatsächlich ist das derart lächerlich, das man bereits bei der Charaktererschaffung minmaxen sollte da sich die Attribute nicht im Spiel steigern lassen jedoch maßgeblich dafür ausschlag gebend sind welche Areale man im Spiel überhaupt besuchen kann. Hierbei werden zudem recht selten bis garkeie Allternativen angeboten - gleiches für etwaige Encounter die nicht umgangen werden können; nichtmal durch einen angeheuerten Sölder oder Bodyguard auch wenn man gerade den extrem charismatischen und reichen Händler spielt.
Das Spiel ist nett, aber nach zwei Durchläufen mit unterschiedlichen Charakteren hat man quasi das meiste von der Story gesehen. Was sich dann unterscheidet ist, ob man eben die richtige Statkombination hat um das ein oder andere Goodie mehr zu finden. Die Klassen erlauben zwar manche Szene aus unterschiedlichen Perspektiven zu sehen, jedoch gibt es nur recht wenige solcher Szenen weshalb auch der individuelle Durchlauf recht kurz ausfällt. Insgesammt scheint es einfach das die...
Ivan1914 schrieb am
Lil Ill hat geschrieben:Eine gute Grafik macht noch lange kein gutes Spiel.
Das is ja mal eine "last-gen" Aussage :) DA:I hatte eine tolle Grafik und wäre fast Spiel des Jahres (Leserwahl) geworden. :?
Gibt's denn auch was zu sammeln in AoD, oder sogar Türme? Falls nein, wirds wohl eh kaum einem gefallen.
schrieb am