The Book of Unwritten Tales06.02.2009, Jan Wöbbeking
The Book of Unwritten Tales

Vorschau:

Es gibt ein Land, in dem keine Feuer speienden Drachen die Lüfte regieren, in dem kein Zauberer je den Stab schwingt, kein Held um magische Ringe ringt. Dort wohnen weder Orks noch Elfen oder spitzbärtige Zwerge. Es gibt nur hart arbeitende Helden der Bürokratie, die sich selbstlos in unwirtlichen Bleiwüsten durch abermillionen Zahlenkolonnen kämpfen, immer den einzigartigen Schatz vor Augen: die wunderbare, für den Verstand Sterblicher unergründliche Steuererklärung!

World of Bureaucracy

Nur noch die Steuererklärung, dann höre ich auf: World of Bureaucracy macht Magier süchtig.
Keine Angst, "The Book of Unwritten Tales (ab 4,25€ bei GP_logo_black_rgb kaufen)" ist kein Deckname für den RTL Steuererklärungs-Simulator 2008, sondern ein klassisches Point&Klick-Adventure für den PC. In den liebevoll gestalteten Renderkulissen von Entwickler King Art Games wuselt das komplette Programm tolkienscher Figuren herum: Drachen, Gnome, Zauberer, Zwerge und allerlei weitere klassische Fabelwesen. Doch wonach sehnt sich jeder Magier insgeheim, um dem grauen Alltag aus Zaubersprüchen, epischen Schlachten und fantastischen Abenteuern zu entfliehen? Genau: Nach Bürokratie. Mit gekrümmten Rücken hocken die zwei Zauberer tagein tagaus vor einem machanisch ratternden Rollenspielkasten. Das Spiel mit dem Titel "World of Bureaucracy" ist nur eines der zahllosen Anspielungen auf diverse Klassiker der Fantasy-Unterhaltung. Wie in einem Adventure üblich, ist es eure Aufgabe, den süchtig machenden Kasten zu sabotieren, damit die Herren Zaubermeister euer Alter Ego zum Magier ausbilden.

Ihr schlüpft in die Rolle des Gnoms Wilbur Wetterquarz. Er kann, anders als in der Sippe üblich, wenig mit Technik anfangen und möchte lieber Pirat - pardon - Magier werden und Abenteuer erleben, statt im Gnomenbau an mechanischen Monstrositäten herumzubasteln. Außerdem würden ihm die magischen Fähigkeiten den Zutritt zum Erzmagier gewähren, der in der oberen Stadt von Seefels residiert. Wilbur hat schließlich einen geheimnisvollen Ring von einem Gremlin geschenkt bekommen, welchen er unter allen Umständen in die richtigen Hände geben will. 

Statt Zwischensequenzen gibt es direkt im Spiel filmähnliche Kameraperspektiven.
Schließlich soll das glänzende Schmuckstück kriegsentscheidend sein in der ewigen Schlacht gegen die Schattenarmee.

Gnom, Mensch, Elfe, Vogel und Vieh

Auf der Suche nach einem mächtigen Artefakt bekommt der kleine Gnom unerwartete Hilfe von drei weiteren Abenteurern: Zu seiner Party gesellen sich die leicht bekleidete Elfe Ivo und der menschlichen Freibeuter Nate, welcher den Part des unvernünftigen Heißsporns übernimmt. Seit einer Reise in arktische Gefilde trottet ihm außerdem ein rotes, haariges Etwas hinterher, welches aussieht wie eine mutierte Variante der Aliens aus der Sesamstraße - nur ohne Füße. Im Gegenzug besitzt es zwei riesige Kulleraugen, welche mit akribischer Genauigkeit jede Bewegung seiner Freunde verfolgen, auch wenn sich der komplette Körper dabei auf abstruse Weise verbiegen muss.

Sprechen kann das fusselige Etwas ebensowenig wie der tschilpende Tschiep-Tschiep, welcher als Sidekick stets neben Elfe Ivo hinterherflattert. Trotzdem sind die beiden Begleiter durchaus nützlich. Das »Vieh« drückt sich mit allerlei albernen Verränkungen und Gutturallauten aus und das Vögelchen dient als Stichwortgeber für Ivos selbstreflektierende Monologe. Er ist quasi das gefiederte Gegenstück zu Droggelbecher aus Edna bricht aus.

Let's have a party!

In den detailreichen Kulissen kann man leicht Kleinigkeiten übersehen. Glücklicherweise zeigt die Hilfe-Funktion sinnvolle Orte und Gegenstände an.
Wie in den großen Fantasy-Vorbildern üblich wechselt die Handlung von einem Schauplatz zum anderen. Mit Ausnahme vom Piepmatz dürft ihr mit allen Protagonisten Rätsel lösen - mal alleine, mal im Teamwork mit den Mitstreitern. An anderen Stellen dürft ihr entscheiden, mit welchem Charakter ihr des Rätsels Lösung suchen wollt. Jede der Figuren besitzt seine persönlichen Vorzüge. Das Vieh etwa kann sich auf erstaunliche Weise dehnen und verbiegen und somit durch schmale Ritzen schlüpfen.

Zu Beginn schlägt sich Filbur mit dem versoffenen Kellermeister in der Zwergenbastion und seinem senilen Großvater herum. Eure Aufgabe ist es, den alten Hausherren dazu zu bringen, eine Maschine zu konstruieren, die Wilbur in die Stadt Seefels bringt. Um das zu erreichen, experimentiert ihr im Gnomenbau mit allerlei absonderlichen mechanischen Konstruktionen und Flüssigkeiten herum. Zu letzteren Substanzen gehört beispielsweise der mutierte Schleim auf einer uralten Suppe. Das glibbrige Etwas wehrt sich allerdings handgreiflich gegen eure Annäherungsversuche.               

Mumien-WG ohne Frischluft

Neben der Kombination von insgesamt gut 250 Gegenständen erwarten euch in den 60 Schauplätzen auch Logik- und Dialogrätsel, bei denen ihr durch geschickte Wahl der Antworten auf des Rätsels Lösung kommt. In den Sarkopharg der schusseligen Mumie,  die mit dem entführten Gremlin in einer WG lebte, ist seit tausenden von Jahren nicht mehr all zu viel Frischluft gelangt.

Nicht gerade der Hellste: Dem senilen WG-Mitbewohner des Gremlins wurde bei der Mumifizierung das Hirn durch die Nase gezogen.
Habt also keine Skrupel, ihre Vergesslichkeit auszunutzen.

Nicht nur in dem Dialog zwischen Ivo und der Mumie sorgt die professionelle Vertonung für ein Déjà-Vu-Erlebnis. Die Liste der Sprecher liest sich wie das Who-ist-who der deutschen Synchronisation. Dem in Mullbinden verpackten Schussel leiht John Cleeses deutscher Sprecher die Stimme, bei Ivo ist es die von Angelina Jolie und Wilbur wird von Oliver Rohrbeck vertont, der Justus Jonas von den Drei Fragezeichen und diverse Hollywood-Stars spricht. Dabei sind außerdem Stimmen wie die von Assil aus Ankh, Captain Blaubär, Daniel Craig, Mel Brooks, Antonio Banderas, Arnold Scharzenegger, Whoopie Goldberg und George Clooney. An der nicht immer korrekten Betonung merkt man, dass die Sprecher nicht so viel Zeit für die Synchronisation hatten wie bei einem Leinwand-Blockbuster. Doch dank dem hohen Grad an Professionalität der Sprecher-Riege erwartet euch trotzdem eine gute Adventure-Vertonung.

Fantasievolle Kulissen

Auch visuell macht der Titel einiges her: Den Entwicklern war es wichtig, die Polygon-Charaktere besonders glaubhaft in die Umgebungen einzubinden. Dank der Farbgebung, geschicktem Licht- und Schattenwurf sowie diversen Reflektionen ist ihnen das durchaus gelungen. Dazu kommen von Zeit zu Zeit filmähnliche Kameraperspektiven und einige unterschiedliche Gesichtsanimationen.

Freibeuter Nate übernimmt den Part des unvernünftigen Menschen.
In der Vorabfassung schauen die Figuren teils noch etwas seltsam aus der Wäsche. Da noch nicht alle Bewegungen integriert wurden, könnten die Gesichtsausdrücke die Laune der Charaktere in der Vollversion aber recht detailliert wiedergeben. Auf den Schirm gezaubert wird das Fantasy-Spiel von der kAGE-Engine des Entwicklers King Art, welche auf der Ogre-Grafik-Engine basiert. Mit einem aktuellen Rechner könnt ihr den Figuren eine achtfache Kantenglättung spendieren und sie in einer Auflösung von bis zu 1680 x 1050 über den Bildschirm watscheln lassen. Zur Not genügt aber auch ein Rechner, der Ankh zum Laufen brachte, da sich Beleuchtungs- und Schattendetails herunterschrauben lassen.

Zu Beginn des Spiels sind alle Rätsel erfreulich logisch aufgebaut: Wildes Herumprobieren wie bei Edna bricht aus ist nicht möglich. Stattdessen zeigt euch das Spiel nach der Wahl eines Gegenstandes nur solche Objekte an, mit denen eine Kombination sinnvoll sein könnte. Mit ein wenig Herumprobieren kam ich also bisher immer relativ schnell auf die richtige Lösung. Ob Charaktere wie die depressiven Geisterwesen, riesige Softie-Drachen, eine Ork-Amazone und der Tod persönlich sich genauso leicht austricksen lassen, wird sich zeigen. Einen Teil der Kopfnüsse des Spiels dürft ihr übrigens parallel angehen.

Kaminholz, ick hör' dir knistern

In meiner Preview-Fassung habe ich zwar erst das erste von fünf Kapiteln durch und das zweite angezockt, doch schon das hat fünf Stunden in Anspruch genommen. Insgesamt könnte das Abenteuer also für rund 20 Stunden vergnüglichen Knobelspaß sorgen - die gleiche Spielzeit prophezeien auch die Entwickler. Hoffentlich halten sie den Veröffentlichungstermin am 26. März ein, denn solch ein hübsches Fantasy-Spiel muss man dann zocken, wenn es draußen noch lange dunkel und drinnen warm und muckelig ist.         

Ausblick

Da frohlockt das Adventure-Herz: Schon wieder steht ein vielversprechendes Abenteuer aus deutschen Landen in den Startlöchern. Die liebevollen Rendergrafiken und die glaubwürdig darin eingebetteten Polygon-Charaktere haben mich sofort eingelullt und in die hübsche Fantasiewelt hineingezogen. Auch die hochkarätige Synchronisation und die vom Kompositions-Studenten Benjamin Oschmann arrangierte Orchester-Musik unterstützen die Stimmung. Die Geschichte bedient sich mit zahllosen Zitaten und Andeutungen bei allen möglichen Fantasy-Klischees. Die Entwickler wollen schließlich große Vorbilder wie Der Herr der Ringe, Scheibenwelt und World of Warcraft auf die Schippe nehmen. Die Dialoge haben mich bisher zwar nicht vom Stuhl gehauen wie in Edna oder Ceville und auch die Charaktere wirken nicht so gnadenlos geisteskrank wie in den genannten Konkurrenztiteln. Trotzdem haben die verschrobenen Figuren und vielen kleinen Gags schon zu Beginn für ein angenehmes Dauergrinsen in meinem Gesicht gesorgt. Dank logischem Aufbau und kleiner sinnvollen Hilfen konnte ich mich bisher nicht über Rätselfrust beklagen. Ob das Spiel auch für Hardcore-Knobelprofis taugt, wird der Test zeigen. Ich kann es jedenfalls kaum erwarten, weiter in Wilburs fantastische Welt vorzudringen.

Ersteindruck: sehr gut

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