WildStar25.03.2014, Mathias Oertel
WildStar

Vorschau: Die kunterbunte Online-Alternative

Das klassische Bezahlmodell wird nur noch von wenigen Online-Rollenspielen praktiziert. Angesichts hochwertiger kostenfreier Konkurrenz müssen neue Vertreter, die auf monatliche Gebühren setzen, einiges in die Waagschale werfen. Ob es NCsofts Wildstar (ab 4,69€ bei kaufen) gelingen könnte, sich gegen die Abenteuer in Tamriel oder Azeroth durchzusetzen, klärt die Vorschau.

Erste Entscheidungen

Bevor man sich auf die Jagd nach Erfahrungspunkten machen darf, erstellt man seinen Charakter. Dabei trifft man Entscheidungen, die sich nachhaltig auf den Spielverlauf auswirken. Als Fraktionen stehen "Die Verbannten" und "Das Dominion" zur Verfügung.  Neben der Eingrenzung des Startgebiets sorgt diese Grundsatz-Entscheidung auch dafür, auf welcher Seite des Wildstar-Konflikts man in den übergreifenden Spieler-gegen-Spieler-Auseinandersetzungen eingreift. Die Wahl des Volkes hat neben kosmetischen Auswirkungen eher geringen Einfluss auf die Art und Weise, wie sich einem die große farbenfrohe Welt erschließt. Allerdings kann sie zu gewissen Einschränkungen bei der Klassenwahl führen, da nicht alle Grundberufe allen Völkern zur Verfügung stehen. Sechs gibt es von diesen, die sich im Wesentlichen auf Kombinationen von Fernkämpfer/Nahkämpfer mit Heiler/Tank herunterbrechen lassen. Der Arkanschütze z.B., für den ich mich entschieden hatte, ist ein Fernkämpfer/Heiler, der auf Pistolen, Magie und aktivierbare Ausweichmanöver setzt.

Die Klasse bestimmt die Spielerfahrung im Kampf – soweit nix Neues. In Kombination mit dem Pfad, den man bei der Erschaffung der Figur festlegt und den man auch (zumindest derzeit) nicht mehr ändern kann, entscheidet sich allerdings, wie man die Welt erlebt bzw. welche optionalen Aufgaben warten. Als Siedler z.B. kann man helfen, Dörfer auszubauen oder durch Signalfeuer Orte der Ruhe und der Regeneration für Spieler schaffen. Soldaten als Verantwortliche für Attentate und Kundschafter als Kartografen sollen durch speziell auf sie abgestimmte Aufgaben ebenfalls helfen, die Aufgabe für die Spieler bzw. die Fraktion zu erleichtern. Ich hatte mich für einen Wissenschaftler entschieden, der katalogisiert und mit seinem Scanroboter Flora sowie Fauna erforscht, um zusätzliche,  so genannte Pfad-Erfahrung zu sammeln, damit neue Fähigkeiten freigeschaltet werden. Wie sich das angehäufte Wissen, die Attentate der Soldaten, die gebauten Siedlungen oder die kartografierten Gebiete auf das Erlebnis der Fraktionsfreunde auswirken, lässt sich allerdings noch nicht absehen.

Auf Nexus reist man standesgemäß mit Taxi - gesprächiger Fahrer inklusive.
Fest steht jedoch, dass diese zusätzlichen Missionen und die dadurch erreichbaren Belohnungen das Spielerlebnis noch weiter individualisieren. Des Weiteren wird durch die Kombinationen, die sich aus Klasse und Pfade ergeben, ein zusätzlicher Anreiz geboten, neue Figuren auszuprobieren.

Erste Schritte

Nachdem man erste klassentypische Auseinandersetzungen und erste Erfahrungen mit den Auswirkungen seiner Pfadwahl im Tutorial gemacht hat, startet man in der weitgehend offenen sowie frei erforschbaren Welt des Planeten Nexus. Überall zeigen Ausrufezeichen potenzielle Missionsgeber an, während man beim Streunen durch die in sehr interessantem Comicstil gehaltene Welt immer wieder Symbole entdeckt, die Pfad-Aufgaben kennzeichnen. Es gibt unheimlich viel zu tun, wobei allerdings hinsichtlich der Missions-Strukturen und der Präsentation schnell Ernüchterung eintritt. Wo andere Artgenossen von Star Wars The Old Republic über Guild Wars 2 bis hin zu Elder Scrolls Online auf Sprachausgabe und/oder mitunter edle Zwischensequenzen setzen,  beherrschen hier zumeist Textwüsten und minimale Sprach- (eher: Grunz-)Samples das Geschehen. Das ist schade, denn wenn man sich die Mühe macht, nicht nur die umfangreichen Texte in diesem Bereich, sondern auch in der enorm umfangreichen und sich im Laufe des Fortschritts ständig weiter entwickelnden Enzyklopädie zu stöbern, fällt vor allem eines auf: Carbine hat sich viel Mühe gemacht, dem Planeten Nexus eine glaubwürdige und spannende Hintergrundgeschichte zu geben.

Nexus hat eine weitreichende Geschichte, die man entdecken kann. Leider wird sie größtenteils über Texte und damit sehr altbacken präsentiert.
Schade ist jedoch, dass man diese Historie hinter einer staubtrockenen Präsentation versteckt, bei der nur wenig Hoffnung besteht, dass  sich diese bis zum Release im Juni signifikant ändert. NCsofts Guild Wars 2 ist mit seiner Erzählstruktur deutlich weiter. Bei den Missionen bleibt man ebenfalls konservativ: Auch wenn die Hintergrundgeschichten (die ich irgendwann desinteressiert wegklickte) etwas anderes suggerieren, verlässt man sich beim Design der Aufgaben auf Bewährtes. Sprich: Meist ist man mit „Suchen -Finden-und-Transportieren“ oder "Suche-und-Töten" beschäftigt. Und das ist leider zu wenig. Von Zeit zu Zeit findet man zwar auch Aufgaben, bei denen man z.B. einen entlaufenen Bullen mit Futter zurück zu seinem Besitzer "ködern" oder ein Laufvogel-Rennen bestreiten muss. Doch diese sind deutlich in der Minderheit - schade. Zwar laufen einem in den abwechslungsreichen Gebieten auch immer wieder besondere Aufgaben über den Weg, doch diese speziellen "Herausforderungen" sind meist auch nur Variationen der bekannten Muster.

Erste Umgewöhnung

Die angesprochenen Design-Mankos im Questbereich können jedoch zu großen Teilen kompensiert werden. Denn auch wenn im Hintergrund eigentlich alles nach klassischer Online-Rollenspiel-Unterhaltung aussieht, hat sich bei mir schnell ein ungewöhnliches Spielgefühl eingestellt. Und das sorgte dafür, dass ich Wildstar mittlerweile nur noch als "Online-Action-Adventure" betrachte, quasi als Massively-Multiplayer-Variante von Titeln wie Ratchet & Clank. Daran ist nicht nur die Kulisse schuld, die mit ihren Comic-Ansätzen immer wieder an die Vorzeige-Action von Insomniac Games erinnert. Die erstaunlich akkurate Sprungfähigkeit mit sauberer Kollisionsabfrage, die abhängig vom Pfad für fiese Herausforderungen genutzt wird, ist für einen "Onliner" ungewöhnlich - dass sie sinnhaft eingesetzt werden muss, ebenso.

Hinzu kommt das interessante, semi-dynamische Kampfsystem mit seinen Spezialfähigkeiten, das mich nicht nur ständig fordert, sondern großen Anteil daran hat, dass die Gefechte selten nach Schema F verlaufen. Es gibt zwar immer noch klassische Mechaniken wie Abkühltimer oder Fertigkeitswerte, die nach einem Figurenaufstieg auch modifiziert werden können. Doch Carbine versucht ähnlich erfolgreich wie Obsidian in South Park: Der Stab der Wahrheit das Ganze mit Echtzeit-Elementen aufzuwerten - auch wenn man hier einen etwas anderen Weg einschlägt. Jeder Angriff, egal ob von mir oder meinen Gegnern, wird z.B. auf dem Boden durch einen Konus oder eine andere geometrische Form gekennzeichnet, die den Schadensbereich angibt und die sich abhängig von der jeweiligen Attacke auch kurzfristig verändern kann. Das ist an sich nicht neu und wird in abgewandelter Form z.B. auch in The Elder Scrolls Online eingesetzt.

Reaktion und Fähigkeit

Neu sind jedoch die Möglichkeiten, seine Angriffe über kleine Aktionen am Keyboard zu modifizieren. Ein Spezialangriff des Arkanschützen ist z.B. der aufgeladene Schuss: Nicht nur, dass man sich beim Aufladen nicht bewegen darf, wobei das Schwenken der Schussrichtung weiterhin erlaubt ist. Zusätzlich kann man warten, bis die vierte Stufe aufgeladen ist, die natürlich den meisten Schaden anrichtet. Wenn es knapp wird und man merkt, dass der Gegner ebenfalls eine Offensivaktion vorbereitet, was durch ein Auffüllen der Angriffsmarkierung gekennzeichnet wird, hat man die Möglichkeit, schon vorher abzufeuern. Dann richtet man zwar weniger Schaden an (die Abkühlzeit bleibt unverändert), hat aber die Möglichkeit, der Feindaktion durch einen Seitschritt oder Wegrollen (muss danach ebenfalls erst wieder aufladen) auszuweichen. Bei einem Multischuss hingegen, der bis zu fünf Gegner im Einzugsbereich treffen kann, muss jedes Auslösen innerhalb eines Zeitfensters manuell gestartet werden. Dabei kann man die Pausen auch nutzen, um seine Position zu verändern, damit man mehr Feinde vor die Flinte bekommt. Mit diesen aktiven Möglichkeiten, den Kampfausgang zusätzlich zur Ausrüstung und den Fähigkeitswerten zu beeinflussen, bekommen die Auseinandersetzungen beinahe eine Echtzeit-Note. Zumal hier neben Sichtlinien wirklich ausschlaggebend ist, wo man sich befindet, wenn der Angriff abgefeuert wird - sowohl die eigene als auch die Position des Gegners sind dabei wichtig.  

Taktisch werden die Kämpfe jedoch nicht nur durch die Positionierung und die Echtzeit-Elemente bestimmt. Da die Zahl der im Gefecht zur Verfügung stehenden Fähigkeiten limitiert ist und man sich im Laufe der Zeit den Zugriff auf deutlich mehr Kampfoptionen als Plätze erarbeitet, muss man sich entscheiden: Nimmt man lieber den Schaden über Zeit oder das Einfrieren? Lieber die Gruppenheilung oder den Selbstheilungs-Ticker?

Beim Kampfsystem sind Reaktionen und eine gute Positionierung gefragt.
Je nachdem, ob man sich für ein Solospiel oder das Spiel mit einer Gruppe vorbereitet, wird die Entscheidung anders ausfallen. Zusätzliche Möglichkeiten, die Figur an seine Spielweise anzupassen, bekommt man mit den "Sets". Dahinter verbergen sich leichte Einzel-Modifikationen der Fähigkeitswerte, die zur besseren Übersicht in Kategorien wie "Unterstützung" oder "Angriff" eingeteilt wurden, die man jedoch nach Belieben kombinieren kann. Doch nochmal zurück zu Echtzeit-Reaktionen: Da Wildstar ohnehin viel mit aktivem Eingreifen arbeitet, verwundert es nicht, dass man z.B. Zeiten der Schockstarre dadurch verkürzen kann, dass man wie wild auf eine Taste hämmert, um das Bewusstsein wiederzuerlangen. Oder dass man Bomben durch Tastendruck im richtigen Timing entschärfen kann. Da diese Reaktionstests auch außerhalb der Kämpfe Verwendung finden, hat man auf Nexus nur selten das Gefühl, dass das Spiel "an einem vorbei" läuft.

Erste Immobilie

Mit Stufe 14 wird eine neue Missionsreihe geöffnet, an deren Ende die Reise in den Himmel über Nexus steht, genauer gesagt: zum eigenen Grundstück. Was Wildstar in dieser Hinsicht auffährt, kann sich sehen lassen. Nicht nur, dass man auf seinem Land auch allerlei Handwerksstationen oder sonstige Freudenspender für sich und seine Freunde errichten darf. Selbstverständlich übersteigen die Auswahlmöglichkeiten die Anzahl der möglichen Bauplätze um ein Vielfaches. So ist eine taktische Auswahl nötig, um die Ausbauten auf seine Bedürfnisse anzupassen - oder auf die der häufiger mit einem in den Kampf ziehenden Freunde. Dass die einzelnen Bauten ggf. wiederum mit eigenständigen Herausforderungen und entsprechenden Belohnungen aufwarten, macht die Entscheidung nicht leichter. Gleiches gilt für das Haus: Bei der Gestaltung der Inneneinrichtung sind nahezu keine Grenzen gesetzt, insofern man auf seinen Reisen zahlreiche Trophäen gesammelt oder das nötige Kleingeld angespart hat. Gegenstände können gezogen und skaliert werden, es gibt keine festen Positionen, wo sie abgelegt werden müssen, man hat größtmögliche Freiheit.

Obwohl oder vielleicht gerade weil die Möglichkeiten wirklich enorm sind, ist die Benutzerführung hier noch nicht optimal. Menüs sind zu klein, zu verschachtelt und obwohl auch hier ein Mini-Tutorial für einen unkomplizierten Einstieg sorgen soll, wirkt hier vieles  trotz deutlicher Symbole überladen. Man kommt schnell zu einigermaßen vorzeigbaren Ergebnissen. Doch will man mehr erreichen und zu einem Architekten oder Inneneinrichter werden, der in aller Munde ist, muss man nicht nur viel Zeit, sondern auch Geduld investieren, wenn man sich mit den Werkzeugen auseinandersetzt.

Erste PvP-Gefechte und erste Abo-Zahlung

In den bisherigen Preview-Wochen habe ich mich vorrangig auf die klassischen Elemente Spieler-gegen-Umgebung (Player-vs-Environment, PvE) konzentriert. Das soll allerdings nicht bedeuten, dass Wildstar keine oder nur leidlich umgesetzte PvP-Gefechte anbietet. Ganz im Gegenteil: Angefangen von Duellen über kleine Arena-Scharmützel, die von Zwei-gegen-zwei bis Fünf-gegen-fünf reichen, bis hin zu Auseinandersetzungen in und um Todesfestungen mit 40 Spielern auf jeder Seite, ist scheinbar für alle etwas dabei. Von den epischen Schlachten, die in ähnlichen Arealen in Guild Wars 2 oder Elder Scrolls Online entstehen, vom grandiosen Dark Age of Camelot möchte ich gar nicht erst anfangen, ist man hier zwar weit entfernt. Doch das gleicht man durch eine angenehme Hektik aus: Wenn die Kontrahenten aufeinander zustürmen und am Boden alle möglichen Angriffs-Anzeiger aufleuchten, hat man alle Hände voll zu tun, um seine Attacken abzusetzen, während man gleichzeitig versucht, sich so gut wie möglich zu schützen. In diesen Momenten spielt das sperrige Kampfsystem seine ganze Stärke aus. Ob die PvP-Faszination auch langfristig Bestand hat und ihren Teil dazu beiträgt, sich mit der monatlichen Abo-Gebühr anzufreunden, werden wir im Test klären.

Apropos Abo-Gebühr: Auch hier versuchen Carbine und NCsoft etwas Neues. Zwar kann man sich auch über die so genannten Time Cards oder eine klassische monatliche Abo-Zahlung zusätzliche Spielzeit nach den 30 Probetagen verschaffen. Doch man bietet auch ein System an, das es einem ermöglichen soll, durch in das Spiel investierte Zeit zusätzliche Spielzeit zu erhalten. Das C.R.E.D.D. betitelte System soll folgendermaßen funktionieren: In der spielinternen Warenbörse können Spieler (vorzugsweise solche mit Goldmangel) für Echtgeld gekaufte C.R.E.D.D. (derzeit auf der Website ausgewiesener Preis: 16,99 Euro) anbieten. Spieler, die kein Abo abgeschlossen haben, aber dennoch durch Vielspielen Gold angesammelt haben, das sie ausgeben können, haben jetzt die Möglichkeit, an der Warenbörse C.R.E.D.D. (also Spielzeit) zu erstehen. Dabei wird der Preis vom Anbieter vorgegeben, die Käufe finden anonym statt, so dass in der Theorie keine Subventionierungen von Freunden stattfinden können. Dabei gilt: Der derzeit niedrigste eingestellte Preis wird zuerst verkauft, danach arbeitet man sich die Liste hoch. Ob dieses Marktwirtschaftssystem aufgeht, ob Regulierungen notwendig werden oder ob man mit Abo oder Zeitkarten vielleicht doch besser aufgehoben ist, wird ebenfalls erst der Praxisbetrieb zeigen.

Ausblick

Wenn Wildstar im Juni startet, muss es mit seinem eigentümlichen Abomodell den Kampf mit dem Dauerbrenner World of WarCraft sowie The Elder Scrolls Online annehmen, was wie eine Mammutaufgabe scheint. Doch Wildstar bringt viel Potenzial mit. Vor allem, da bei den wichtigen Elementen wie Kampfdynamik oder dem generellem Spieldesign mit seinen Erforschungs-Anreizen  neue Wege beschritten werden, die aus Wildstar eine Art Online-Action-Adventure machen. Ein Eindruck, der durch die kunterbunte Kulisse verstärkt wird. Dem gegenüber stehen eine konventionelle Charakterentwicklung sowie ein oberflächliches Standard-Missionsdesign, das gelegentlich Richtung Grind tendiert. Doch diese Gewöhnlichkeit hat mich nicht so sehr gestört, wie ich befürchtet habe - zu groß war der Anreiz, noch mehr über Nexus herauszufinden und neue Gebiete kennenzulernen. Dennoch hätte die Präsentation der Aufgaben etwas weniger angestaubt ausfallen dürfen. Dafür jedoch bekommt man eine schier unglaubliche Personalisierung des virtuellen Eigenheims sowie variantenreiche Möglichkeiten, sich solo, in kleinen oder großen Gruppen mit anderen Spielern zu messen. Wildstar spielt sich momentan teilweise angenehm "klassisch", überrascht dann wieder mit sperrigen Momenten und bringt einen eigentümlichen Humor mit. Im Juni werde ich massive Schwierigkeiten bekommen, wenn ich mich für Nexus oder Tamriel entscheiden muss.

Einschätzung: sehr gut

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