Erste Umgewöhnung
Die angesprochenen Design-Mankos im Questbereich können jedoch zu großen Teilen kompensiert werden. Denn auch wenn im Hintergrund eigentlich alles nach klassischer Online-Rollenspiel-Unterhaltung aussieht, hat sich bei mir schnell ein ungewöhnliches Spielgefühl eingestellt. Und das sorgte dafür, dass ich Wildstar mittlerweile nur noch als "Online-Action-Adventure" betrachte, quasi als Massively-Multiplayer-Variante von Titeln wie Ratchet & Clank. Daran ist nicht nur die Kulisse schuld, die mit ihren Comic-Ansätzen immer wieder an die Vorzeige-Action von Insomniac Games erinnert. Die erstaunlich akkurate Sprungfähigkeit mit sauberer Kollisionsabfrage, die abhängig vom Pfad für fiese Herausforderungen genutzt wird, ist für einen "Onliner" ungewöhnlich - dass sie sinnhaft eingesetzt werden muss, ebenso.
Hinzu kommt das interessante, semi-dynamische Kampfsystem mit seinen Spezialfähigkeiten, das mich nicht nur ständig fordert, sondern großen Anteil daran hat, dass die Gefechte selten nach Schema F verlaufen. Es gibt zwar immer noch klassische Mechaniken wie Abkühltimer oder Fertigkeitswerte, die nach einem Figurenaufstieg auch modifiziert werden können. Doch Carbine versucht ähnlich erfolgreich wie Obsidian in South Park: Der Stab der Wahrheit das Ganze mit Echtzeit-Elementen aufzuwerten - auch wenn man hier einen etwas anderen Weg einschlägt. Jeder Angriff, egal ob von mir oder meinen Gegnern, wird z.B. auf dem Boden durch einen Konus oder eine andere geometrische Form gekennzeichnet, die den Schadensbereich angibt und die sich abhängig von der jeweiligen Attacke auch kurzfristig verändern kann. Das ist an sich nicht neu und wird in abgewandelter Form z.B. auch in The Elder Scrolls Online eingesetzt.
Reaktion und Fähigkeit
Neu sind jedoch die Möglichkeiten, seine Angriffe über kleine Aktionen am Keyboard zu modifizieren. Ein Spezialangriff des Arkanschützen ist z.B. der aufgeladene Schuss: Nicht nur, dass man sich beim Aufladen nicht bewegen darf, wobei das Schwenken der Schussrichtung weiterhin erlaubt ist.
Video:
Auch wenn im Hintergrund viele klassische Mechaniken werkeln, fühlt sich der Kampf frisch und "anders" an.
Zusätzlich kann man warten, bis die vierte Stufe aufgeladen ist, die natürlich den meisten Schaden anrichtet. Wenn es knapp wird und man merkt, dass der Gegner ebenfalls eine Offensivaktion vorbereitet, was durch ein Auffüllen der Angriffsmarkierung gekennzeichnet wird, hat man die Möglichkeit, schon vorher abzufeuern. Dann richtet man zwar weniger Schaden an (die Abkühlzeit bleibt unverändert), hat aber die Möglichkeit, der Feindaktion durch einen Seitschritt oder Wegrollen (muss danach ebenfalls erst wieder aufladen) auszuweichen. Bei einem Multischuss hingegen, der bis zu fünf Gegner im Einzugsbereich treffen kann, muss jedes Auslösen innerhalb eines Zeitfensters manuell gestartet werden. Dabei kann man die Pausen auch nutzen, um seine Position zu verändern, damit man mehr Feinde vor die Flinte bekommt. Mit diesen aktiven Möglichkeiten, den Kampfausgang zusätzlich zur Ausrüstung und den Fähigkeitswerten zu beeinflussen, bekommen die Auseinandersetzungen beinahe eine Echtzeit-Note. Zumal hier neben Sichtlinien wirklich ausschlaggebend ist, wo man sich befindet, wenn der Angriff abgefeuert wird - sowohl die eigene als auch die Position des Gegners sind dabei wichtig.
Taktisch werden die Kämpfe jedoch nicht nur durch die Positionierung und die Echtzeit-Elemente bestimmt. Da die Zahl der im Gefecht zur Verfügung stehenden Fähigkeiten limitiert ist und man sich im Laufe der Zeit den Zugriff auf deutlich mehr Kampfoptionen als Plätze erarbeitet, muss man sich entscheiden: Nimmt man lieber den Schaden über Zeit oder das Einfrieren? Lieber die Gruppenheilung oder den Selbstheilungs-Ticker?
Beim Kampfsystem sind Reaktionen und eine gute Positionierung gefragt.
Je nachdem, ob man sich für ein Solospiel oder das Spiel mit einer Gruppe vorbereitet, wird die Entscheidung anders ausfallen. Zusätzliche Möglichkeiten, die Figur an seine Spielweise anzupassen, bekommt man mit den "Sets". Dahinter verbergen sich leichte Einzel-Modifikationen der Fähigkeitswerte, die zur besseren Übersicht in Kategorien wie "Unterstützung" oder "Angriff" eingeteilt wurden, die man jedoch nach Belieben kombinieren kann. Doch nochmal zurück zu Echtzeit-Reaktionen: Da Wildstar ohnehin viel mit aktivem Eingreifen arbeitet, verwundert es nicht, dass man z.B. Zeiten der Schockstarre dadurch verkürzen kann, dass man wie wild auf eine Taste hämmert, um das Bewusstsein wiederzuerlangen. Oder dass man Bomben durch Tastendruck im richtigen Timing entschärfen kann. Da diese Reaktionstests auch außerhalb der Kämpfe Verwendung finden, hat man auf Nexus nur selten das Gefühl, dass das Spiel "an einem vorbei" läuft.