Divinity: Original Sin20.01.2014, Benjamin Schmädig
Divinity: Original Sin

Vorschau: Ein Erbe von Ultima VII?

Ein profanes Absperrband blockiert meinen Weg: "Baustelle – noch in Entwicklung." Kann doch nicht sein! Kann wohl sein. Immerhin ist die spielbare Version von Divinity: Original Sin (ab 29,99€ bei kaufen) eine Alphafassung. Es fehlt die richtige Musik, zahlreiche Kleinigkeiten, sogar manche Dialogoption. Und trotzdem fühle ich mich in dem stimmungsvollen Rollenspiel schon jetzt richtig wohl.

Garriotts Erbe

Ultima VII war ein Wegweiser für Rollenspiele. Weil es nicht nur eine gute Geschichte erzählte, sondern in gewisser Weise das tägliche Leben einer mittelalterlichen Fantasywelt simulierte. Wenn heute Helden Waffen schmieden und ihre eigene Nahrung zubereiten, ließen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit von Richard Garriotts Klassiker inspirieren.

Das trifft auch auf die Abenteurer in Original Sin zu – ein Spiel, mit dem Swen Vincke ein neues Kapitel der Divinity-Serie aufschlägt. Vincke ist der Gründer des belgischen Larian-Studios und Ultima-Fan. Als ich vor einigen Monaten schon gemeinsam mit ihm in Rivellon unterwegs war, hob er Ultima VII als Inspiration hervor. Besonders wichtig ist ihm die Handlungsfreiheit. Das Heldenpaar soll die Welt nicht nur frei erkunden, sondern viele Aufgaben auf verschiedene Weise lösen können. Für wichtige Hinweise könnte ich z.B. lange suchen, töten oder stehlen. Ein

Für ein rundenbasiertes Abenteuer konnten die Entwickler lange keinen Publisher begeistern. Vor drei Jahren machte sich das belgische Team Larian Studios selbstständig und begann die Arbeit an dem Wunschprojekt. Die Entwickler waren mit dem Ergebnis zwar zufrieden - sahen aber eine Chance, ihr Spiel auszubauen: Kickstarter. Mit der zusätzlichen Finanzierung wurde die Welt um viele Figuren, Gebiete, Entscheidungen sowie einen Tag-/Nachtrhythmus erweitert. Die Charakterentwicklung wurde vertieft und aus Söldnern wurden Begleiter mit eigenen Geschichten.
bestimmter Weg führt dabei stets zum Ziel, kreative Köpfe dürfen sich aber nach Herzenslust austoben.

Mit Topf und Angel

Einen wichtigen Anteil an dieser Freiheit hat das Zusammenspiel verschiedener Bestandteile. Immerhin können die beiden Helden nicht nur ihre eigene Nahrung kochen. Sie können auch Kisten und Fässer anheben, werfen und finden darin etliche Objekte, diekaum in ihre Rucksäcke passen. Sie kombinieren zudem Nägel mit einem Ast, während die offizielle Webseite eine Voodoopuppe der Marke Eigenbau zeigt. Das habe ich zwar noch nicht ausprobiert, ich habe ihnen aber schon Eimer auf den Kopf gesetzt. Ich hätte auch eine Angel als Schwert missbrauchen und einen ausgehöhlten Kürbis zum Helm erklären können. Vincke vergisst trotz seiner Liebe zur aufrichtigen Fantasy nie mit den Augen zu zwinkern.

Nicht nur das Kombinieren und Zweckentfremden vieler Gegenstände, auch die physikalischen Besonderheiten öffnen zahlreiche Möglichkeiten. Kältezauber machen Wasser etwa zu Eis, Hitze lässt es verdampfen. Das behindert nicht nur die Sicht, Elektrizität könnte die feuchte Luft anschließend zu einer gefährlichen Falle machen. Gleich zu Beginn hatte ich außerdem die Wahl ein brennendes Schiff mit einem magischen Regenzauber zu löschen oder es verbrennen zu lassen und nicht zuletzt stehen an allen Ecken und Enden explosive oder mit Gas gefüllte Fässer herum – ich bin mir sicher, früher oder später wird diese Tatsache mit einer spitzen Bemerkung bedacht.

Darum geht’s übrigens: Lange vor den Ereignissen des ersten Divine Divinity droht Chaos über Rivellon hereinzubrechen. Und als zwei Helden, ein Mann und eine Frau, die kleine Stadt Cyseal erreichen, um einen Mord aufzuklären, folgen sie der Spur des Unheils bis zu seiner Quelle.

Die gerechte Rache?

Ganz klassisch schaut die Kamera von schräg oben auf das liebevoll gestaltete Rivellon.
Noch habe ich nur den Anfang der Geschichte erlebt, denn die Alphaversion begrenzt das frühe Abenteuer auf die nahe Umgebung von Cyseal. Doch schon dort wurde klar: Wie üblich werden die Helden binnen weniger Minuten in die Angelegenheiten der Anwohner verstrickt. Der eine sucht seine Schafe, der andere ein wertvolles Relikt, verschwundene Personen gehören auf die Tagesordnung. Vor allem aber wird Cyseal von Untoten im Norden und Orks im Süden belagert, die Ränge der zur Verteidigung bestellten Legionäre dünnen langsam aus.

Dabei musste ich in den ersten Stunden keinen einzigen Lieferauftrag erfüllen. Einen Soll zu tötender Monster bekam ich ebenso wenig diktiert. Natürlich spielt der Kampf eine zentrale Rolle und ich muss verlorene Objekte wiederbeschaffen. Doch im Kern drehen sich alle Aufgaben um kleine oder große Geschichten, die zum Teil miteinander verknüpft sind. Vor vielen Jahren adoptierte der Bürgermeister etwa ein Orkmädchen – jetzt arbeitet sie als Bibliothekarin und wird mir im fertigen Spiel beim Stöbern in der Datenbank helfen. Stunden später treffe ich völlig unabhängig davon einen alten Kauz, einen Elf, dessen Volk von den Orks niedergemacht wurde. Seine Rache kennt jetzt nur noch ein Ziel

In Gesprächen müssen viele Entscheidungen getroffen werden. Im Onlinespiel übernehmen zwei Spieler die Rolle jeweils eines Helden.
In Gesprächen müssen viele Entscheidungen getroffen werden. Im Onlinespiel übernehmen zwei Spieler die Rolle jeweils eines Helden.
und ich muss entscheiden, ob ich ihn anzeige, die Sache fallenlasse oder seiner mörderischen Absicht nachkomme.

Meine Ethik, deine Moral

So stand ich also vor dem Anführer der Legionäre, um den blutrünstigen Elf dem Gesetz zu übergeben. Die endgültige Entscheidung muss ich treffen, als der Wachmann meine Heldin fragt, ob sie den vom Hass zerfressenen Alten wirklich anzeigen will und ich antworte mit "Ja". Daraufhin meldet sich jedoch mein Held zu Wort, dem ich eine ganz andere Antwort in den Mund legen könnte. Seine Argumentation gegen die Verhaftung scheint aus seiner Sicht plausibel, also stimme ich mit ihm dagegen. Das Schöne daran: Würde ich Original Sin online spielen, müsste ich mit der Antwort des zweiten Spielers Vorlieb nehmen. Ob sie mir passt oder nicht.

Schon als ich vor einigen Monaten mit Vincke spielte, gerieten wir deshalb im Zwist um ethische oder philosophische Fragen "aneinander" - eine interessante Erfahrung! Solisten haben es natürlich schwieriger, wenn sie sich in zwei verschiedene Charaktere hineindenken wollen. Widerspricht mir ein Mitspieler, verleiht das den Wortgefechten aber eine ganz neue Dimension. Und wer gewinnt die Diskussion, wenn eine Entscheidung getroffen werden muss? Dann kommt es je nach Situation auf Werte an wie Durchsetzungsvermögen, Charme oder die Fähigkeit, logisch zu argumentieren.

In Echtzeit – Zug um Zug

Die Charakterentwicklung folgt vertrauten Mustern, wobei ich hauptsächlich spezifische Fähigkeiten wie den Umgang mit bestimmten Waffen steigere. Selten darf ich Grundfähigkeiten steigern und meinen Helden spezielle Fertigkeiten verleihen. Dazu zählen das schnellere Sammeln von Erfahrungspunkten und das Beherrschen der Sprache von Tieren. Letzteres könnte meine Detektivarbeit deutlich erleichtern...

Eine andere Fähigkeit sind zusätzliche Aktionspunkte, mit denen ich im Rundenkampf weiter laufe oder häufiger attackiere. Doch was geschieht eigentlich, wenn die Figur eines menschlichen Mitspielers am anderen Ende Rivellons spazieren geht, während ich angegriffen werde? Dann läuft unser Abenteuer in Echtzeit weiter, während ich in aller Ruhe taktiere. Sollte der zweite Spieler das Kampfgebiet betreten, würde auch er ins Rundengefecht gezogen – ein cleveres Arrangement.

Kampf der Elemente

Im Kampf kommt dem Ausnutzen der Elemente eine große Bedeutung zu: Ein Feuerzauber lässt nicht nur Fässer explodieren, kleine Brände fackeln anschließend auch

Eis lässt Wasser gefrieren, Feuer lässt es verdampfen: Die Physik der Elemente macht die Kämpfe taktisch interessant.
Eis lässt Wasser gefrieren, Feuer lässt es verdampfen: Die Physik der Elemente macht die Kämpfe taktisch interessant.
einige Züge lang weiter. Auf gefrorenem Wasser rutschen Gegner und Mitstreiter hingegen aus. Ein ebenso einfacher wie cleverer Zauber ist die Telekinese: Der luftige Transport richtet beim Fall nicht nur Schaden an, meine Magierin hält ihrem grobschlächtigen Mitstreiter damit auch den Rücken frei.

Dabei hätte ich auch sie zur Nahkämpferin oder Bogenschützin machen können, denn ich gebe beiden Figuren nicht nur Namen, sondern weise sie auch einer der drei Klassen zu. Und weil beide Helden bis zu zwei Begleiter engagieren oder beschwören können, ziehen sie mitunter als halbes Dutzend durch Rivellon. Spätestens dann muss ich aufpassen, wohin ich ziele, denn Waffen und Zauber schaden auch Gleichgesinnten. Sollte ich einen Zivilisten treffen, ziehe ich eventuell sogar den Unmut des gesamten Dorfs auf mich. Ähnlich ungehalten reagieren die Einwohner übrigens, wenn sie mich beim wiederholten Diebstahl beobachten. Rilvellon soll eine umfassende, glaubhafte Fantasywelt sein. Und was ich bisher gesehen habe, wir diesem Anspruch tatsächlich gerecht.

Ausblick

Sowohl erzählerisch als auch spielerisch hält sich Divinity: Original Sin noch zurück: In den ersten Stunden deuten Handlung und Rollenspiel ihr Potential nur an – Euphorie löst die unfertige Alphaversion nicht aus. Trotzdem bin ich gespannt, was hinter dem Bauzaun wartet, wie groß Rivellon ist und welches Abenteuer mich in der offenen Welt erwartet. Immerhin haben mich schon die kleinen Geschichten um das Dorf Cyseal fasziniert. Nicht jeder Feind in diesem vielseitigen Universum ist böse, ich darf jede Aufgabe unterschiedlich lösen und ich muss mit den Konsequenzen meiner Taten leben. Dass auch die Rundenkämpfe den kreativen Umgang mit physikalischen Elementen fördern, steht den taktischen Gefechten gut. Vor allem freue ich mich aber auf das gemeinsame Erleben mit einem Mitspieler und das Entwickeln unserer Helden zu eigensinnigen Charakterköpfen mit unterschiedlichen Moralvorstellungen. Gerät das Abenteuer zum Wettlauf um das Durchsetzungsvermögen bei wichtigen Entscheidungen? Oder werden wir stärker sein, weil wir gemeinsam am selben Strang ziehen?

Einschätzung: gut

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