Vorschau: Gefährlicher Kitsch
Fantasy-Parodie in Häppchenform
Mit den „Vieh Chroniken“ gab es zwar bereits 2011 einen Serien-Ableger, doch der lag nach der Pleite von Publisher HMH lange auf Eis und wirkte bei Release dementsprechend unfertig. Diesmal will Entwickler King Art aus Bremen die Rückmeldungen von Spielern fürs Feintuning nutzen: The Book of Unwritten Tales 2 (ab 6,19€ bei kaufen) erscheint scheibchenweise in Steams Early-Access-Programm . Die ersten vier Kapitel sind bereits erhältlich, der Rest wird zum Start der finalen Fassung am 20. Februar freigeschaltet. Irgendwie fühlt es sich schon komisch an, ein klassisches Point&Klick-Abenteuer per Early-Access zu spielen. Unterbewusst geistern mir ständig Fragen im Kopf herum: Was passiert mit meinem Spielstand, wenn sich wichtige Variablen bei Rätseln und Speicherständen ändern?
Dynamische Zeichnungen
Das Verfahren funktioniert hier ähnlich: Die Entwickler legen großflächige Zeichnungen über ein dreidimensionales Gitter, welches dann physikalisch korrekt zurechtgezupft wird. Das Ergebnis wirkt dank warmer Farben und lebendiger Pinselstriche malerischer als gewöhnliche Polygone, ermöglicht im Gegensatz zu klassischen 2D-Kulissen aber auch kleine Kamerafahrten. Hoffentlich machen die Entwickler im finalen Spiel noch häufiger von den Möglichkeiten Gebrauch: Bislang wirkt die Kameraregie noch etwas statisch und altbacken. Gerade im Vergleich zu The Raven oder aktuellen Telltale-Spielen mangelt es an dynamischen Perspektivwechseln und Nahaufnahmen.
Sterblichkeit hat ihre Nachteile
Das Leben von Mensch und Aufreißer Nate ist offenbar deutlich aufregender verlaufen. Schon in der Einleitung segelt er wieder einmal in großer Höhe durch die Luft – und zwar in freiem Fall in Richtung Boden. Neben ihm schwebt der eingeschnappte Flaschengeist Benny, der nicht ganz unschuldig an der Misere zu sein scheint. Er sträubt sich allerdings standhaft dagegen, den Ernst der Lage zu erkennen oder Nate halbwegs lebendig zurück auf den Boden zu bringen. Hier zeigt sich sofort wieder Jan Theysens Gespür für Situationskomik: „Ist ja fast nix passiert, Benny“, bemerkt Nate trocken, “allerdings kommt der Boden immer noch näher!“. Selbst als Nate Interesse an den Wehwehchen des Dschinns heuchelt und näher nachhakt, bleibt der Flaschengeist bockig: „Ich fühle mich heute wirklich nicht danach!“
Gemächlicher Einstieg
Nach der Einführung mit Nate schlüpfe ich in die Rolle von Elfin Ivo. Im idyllischen Anwesen ihrer Eltern erfährt sie davon, dass die Stadt Seefels von einem geheimnisvollen Virus heimgesucht wird, der alle möglichen Dinge und Figuren in pinkfarbene Knuddelwesen verwandelt. Als Ivo sich von nächstgelegenen Mietwagenverleih einen Hippogreif bestellt, hat der sich bei seiner Ankunft bereits in ein unförmiges rosa Nilpferd mit Flügeln verwandelt. Laut einem Zeitungsartikel gehen in der Stadt noch andere seltsame Dinge vor sich: Der gutmütige Wilbur etwa soll angeblich den Erzmagier ermordet haben. Bevor ich diesen Ungereimtheiten auf den Grund gehen kann, muss ich mich aber erst einmal durch den Garten von Ivos Elternhaus rätseln. Ähnlich wie im Vorgänger sind ihre Abschnitte wieder etwas fade geraten. Zuerst muss ich den als Aufpasser abgestellten Vogel Tschiep loswerden.
Klassische Rätselkost
Da Ivo ungewöhnliche Krankheits-Symptome plagen, muss ich diverse Zutaten für einen Heiltrunk sammeln und zum sprechenden Medizinbuch bringen. Auch Anspielungen auf die Rollenspielwelt gibt es wieder: Ivo muss z.B. erst einmal durch tumbes Knöpfchendrücken ihre Angler-Fähigkeiten am Teich aufleveln, bevor sie den benötigten Fisch fangen kann. Hilfe-Funktionen bietet die moderne Zwei-Tasten-Steuerung nicht, mit einem Druck auf die Leertaste werden allerdings die Hotspots angezeigt.
Ausblick
Schön, dass Wilbur, das Vieh & Co endlich ihre überfällige Fortsetzung bekommen. Das Grüppchen ungleicher Helden ist viel zu sympathisch, um es einfach in der Versenkung verschwinden zu lassen. Die häppchenweise Early-Access-Strategie mutet bei einem klassischen Adventure zwar etwas seltsam an – im Gegenzug hoffe ich aber darauf, dass uns diesmal fiese Bugs wie in The Raven erspart bleiben. Mit seinem selbstironischen Humor und der malerischen Kulisse liegt King Art schon jetzt wieder goldrichtig. Beim Rätseldesign und der etwas starren Regie könnten die Entwickler aber kreativer sein. Sei’s drum: Selbst wenn The Book of Unwritten Tales 2 nur ein durch und durch klassisches Point-and-Klick-Abenteuer werden sollte, freue ich mich schon jetzt darauf, es in einem Rutsch durchzuspielen.
Einschätzung: gut
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