The Book of Unwritten Tales 213.01.2015, Jan Wöbbeking

Vorschau: Gefährlicher Kitsch

Endlich bekommt unser Adventure des Jahres 2010 einen waschechten Nachfolger: Kaum ein Spiel nahm das Tolkien-Universum, Rollenspiele und die aufkeimende Nerd-Kultur so schön auf die Schippe wie The Book of Unwritten Tales. Diesmal müssen Wilbur, Nate & Co einer Kitsch-Plage auf den Grund gehen: Ein rätselhafter Virus verwandelt alles und jeden in pinkfarbene Monstrositäten.

Fantasy-Parodie in Häppchenform

Mit den „Vieh Chroniken“ gab es zwar bereits 2011 einen Serien-Ableger, doch der lag nach der Pleite von Publisher HMH lange auf Eis und wirkte bei Release dementsprechend unfertig. Diesmal will Entwickler King Art aus Bremen die Rückmeldungen von Spielern fürs Feintuning nutzen: The Book of Unwritten Tales 2 (ab 6,19€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) erscheint scheibchenweise in Steams Early-Access-Programm . Die ersten vier Kapitel sind bereits erhältlich, der Rest wird zum Start der finalen Fassung am 20. Februar freigeschaltet. Irgendwie fühlt es sich schon komisch an, ein klassisches Point&Klick-Abenteuer per Early-Access zu spielen. Unterbewusst geistern mir ständig Fragen im Kopf herum: Was passiert mit meinem Spielstand, wenn sich wichtige Variablen bei Rätseln und Speicherständen ändern?

Zurück am Himmel!
Ein kompletter Durchgang soll schließlich üppige 20-25 Stunden in Anspruch nehmen. Bekomme ich schon die finalen Kulissen zu sehen? Auch in diesem Punkt würde ich ungern etwas verpassen, schließlich wird die Welt diesmal mit Hilfe von „Projection-Mapping“ animiert – eine Technik, die auch bei Daedalics malerischem Silence: The Whispered World 2 zum Einsatz kommt.

Dynamische Zeichnungen

Das Verfahren funktioniert hier ähnlich: Die Entwickler legen großflächige Zeichnungen über ein dreidimensionales Gitter, welches dann physikalisch korrekt zurechtgezupft wird. Das Ergebnis wirkt dank warmer Farben und lebendiger Pinselstriche malerischer als gewöhnliche Polygone, ermöglicht im Gegensatz zu klassischen 2D-Kulissen aber auch kleine Kamerafahrten. Hoffentlich machen die Entwickler im finalen Spiel noch häufiger von den Möglichkeiten Gebrauch: Bislang wirkt die Kameraregie noch etwas statisch und altbacken. Gerade im Vergleich zu The Raven oder aktuellen Telltale-Spielen mangelt es an dynamischen Perspektivwechseln und Nahaufnahmen.

Was zum Henker ist hier passiert?
Die Geschichte startet ein Jahr nach dem Ende des Vorgängers. Die Armee der Schatten wurde besiegt und die Fantasy-Welt Aventasien muss mit dem ungewohnten Frieden klarkommen. Gnom Wilbur ärgert sich als Zauberei-Professor mit besserwisserischen Magie-Nerds herum und Elfe Ivo langweilt sich in der schrecklich perfekten Idylle ihres Elternhauses.

Sterblichkeit hat ihre Nachteile

Das Leben von Mensch und Aufreißer Nate ist offenbar deutlich aufregender verlaufen. Schon in der Einleitung segelt er wieder einmal in großer Höhe durch die Luft – und zwar in freiem Fall in Richtung Boden. Neben ihm schwebt der eingeschnappte Flaschengeist Benny, der nicht ganz unschuldig an der Misere zu sein scheint. Er sträubt sich allerdings standhaft dagegen, den Ernst der Lage zu erkennen oder Nate halbwegs lebendig zurück auf den Boden zu bringen. Hier zeigt sich sofort wieder Jan Theysens Gespür für Situationskomik: „Ist ja fast nix passiert, Benny“, bemerkt Nate trocken, “allerdings kommt der Boden immer noch näher!“. Selbst als Nate Interesse an den Wehwehchen des Dschinns heuchelt und näher nachhakt, bleibt der Flaschengeist bockig: „Ich fühle mich heute wirklich nicht danach!“

Die Kulissen sehen dank Projection-Mapping prachtvoll aus - und werden malerisch beleuchtet.
Creative-Director Theysen hält auch diesmal mehrere Fäden in der Hand: Neben der Story und vielen Dialogen stammt auch ein Teil des Rätsel-Designs von ihm. Rund 150.000 Wörter wurden diesmal eingesprochen: Promis wie Oliver Rohrbeck (Justus Jonas), Marion von Stengel (Angelina Jolie) und Dietmar Wunder (Daniel Craig) liefern schon zu Beginn des Abenteuers einen richtig guten Job ab. Auch die sanften Streicher-Melodien von Komponist Benny Oschmann passen wieder bestens – diesmal wurden die stücke übrigens mit dem "The City of Prague Philharmonic Orchestra" eingespielt.

Gemächlicher Einstieg

Nach der Einführung mit Nate schlüpfe ich in die Rolle von Elfin Ivo. Im idyllischen Anwesen ihrer Eltern erfährt sie davon, dass die Stadt Seefels von einem geheimnisvollen Virus heimgesucht wird, der alle möglichen Dinge und Figuren in pinkfarbene Knuddelwesen verwandelt. Als Ivo sich von nächstgelegenen Mietwagenverleih einen Hippogreif bestellt, hat der sich bei seiner Ankunft bereits in ein unförmiges rosa Nilpferd mit Flügeln verwandelt. Laut einem Zeitungsartikel gehen in der Stadt noch andere seltsame Dinge vor sich: Der gutmütige Wilbur etwa soll angeblich den Erzmagier ermordet haben. Bevor ich diesen Ungereimtheiten auf den Grund gehen kann, muss ich mich aber erst einmal durch den Garten von Ivos Elternhaus rätseln. Ähnlich wie im Vorgänger sind ihre Abschnitte wieder etwas fade geraten. Zuerst muss ich den als Aufpasser abgestellten Vogel Tschiep loswerden.

Ivos erstes Problem: Dem Hausarrest entkommen.
Ich lege ein paar Sonnenblumenkerne in eine offene Spieluhr, stelle einen Spiegel davor und schon flattert der eitle Vogel in die Falle, um ausgiebig sein Spiegelbild zu bewundern. Nachdem die Kugel zuschnappt, schlummert das Vögelchen in der Dunkelheit seelig ein und ich kann über den Balkon in den Garten klettern. Auch unten gibt es eine Reihe klassischer Inventar-Rätsel zu lösen, die sich parallel angehen lassen und über eine Hand voll Bildschirme erstrecken.

Klassische Rätselkost

Da Ivo ungewöhnliche Krankheits-Symptome plagen, muss ich diverse Zutaten für einen Heiltrunk sammeln und zum sprechenden Medizinbuch bringen. Auch Anspielungen auf die Rollenspielwelt gibt es wieder: Ivo muss z.B. erst einmal durch tumbes Knöpfchendrücken ihre Angler-Fähigkeiten am Teich aufleveln, bevor sie den benötigten Fisch fangen kann. Hilfe-Funktionen bietet die moderne Zwei-Tasten-Steuerung nicht, mit einem Druck auf die Leertaste werden allerdings die Hotspots angezeigt.

Nicht besonders nützlich, aber lustig: Die vergessliche Mumie und Ivos esoterischer Elfen-Vater geben jede Menge alberne Weisheiten von sich.
Der Schwierigkeitsgrad bewegt sich im Mittelfeld - allzu kreativ sind die Puzzles bislang nicht gestaltet. Ich hoffe darauf, dass in späteren Kapiteln komplexere Kopfnüsse auftauchen. Nate und sein Sidekick, das Vieh, gelangen später z.B. in die Fänge ihres Erzfeindes, den Roten Piraten, der sich erneut ein magisches Artefakt unter den Nagel reißen will. Vermutlich muss man auch diesmal wieder zwischen den beiden wechseln und die Spezialfähigkeiten des dehnbaren Wuschelwesens ausnutzen. Es kann schließlich durch enge Lücken schlüpfen und andere bizarre Aktionen starten. Auch seine Animationen sehen bereits richtig schön albern aus: Wenn das Vieh z.B. einen Würfelbecher schüttelt, bleibt der Becher stocksteif wie ein Hühnerkopf in der Luft stehen, während der Körper in wilden Zuckungen durch die Gegend geschleudert wird. Auch kleine Kampf-Minispiele sowie ein Ausflug in ein klassisches Text-Adventure sollen das Abenteuer auflockern.

Ausblick

Schön, dass Wilbur, das Vieh & Co endlich ihre überfällige Fortsetzung bekommen. Das Grüppchen ungleicher Helden ist viel zu sympathisch, um es einfach in der Versenkung verschwinden zu lassen. Die häppchenweise Early-Access-Strategie mutet bei einem klassischen Adventure zwar etwas seltsam an – im Gegenzug hoffe ich aber darauf, dass uns diesmal fiese Bugs wie in The Raven erspart bleiben. Mit seinem selbstironischen Humor und der malerischen Kulisse liegt King Art schon jetzt wieder goldrichtig. Beim Rätseldesign und der etwas starren Regie könnten die Entwickler aber kreativer sein. Sei’s drum: Selbst wenn The Book of Unwritten Tales 2 nur ein durch und durch klassisches Point-and-Klick-Abenteuer werden sollte, freue ich mich schon jetzt darauf, es in einem Rutsch durchzuspielen.

Einschätzung: gut

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