Just Survive23.02.2015, Benjamin Schmädig

Vorschau: Friedliche Nachbarschaft

Gerade erst habe ich bemerkt, dass ich meine Notizen zu H1Z1 auf Papier von Bohemia Interactive gekrakelt habe. Treffender könnte es kaum sein, immerhin ist die Zombie-Apokalypse dem von Bohemia entwickelten DayZ frappierend ähnlich. Kann das Abenteuer trotzdem seine eigene Identität entwickeln?

Selbst ist der Überlebende

Auf den ersten Blick ist alles bekannt: Man erwacht mit einer Taschenlampe "bewaffnet", sucht in verlassenen Autos, Wohnhäusern, Tankstellen oder Supermärkten nach Waffen, Munition und Nahrung und verdrischt oder erschießt aufdringliche Untote. Es geht ums Überleben. Dabei wehrt man sich nicht nur gegen Angreifer, sondern muss ständig essen, trinken und Wunden verbinden.

Aus Stoffresten, die man aus Hemden oder Hosen reißt, entstehen Bandagen. Kaffee kann man in Wasser kochen, Holzplanken und Metall werden zu einer Machete und aus Holz entsteht ein Lagerfeuer, über dessen Flamme schmutziges Wasser zu sauberem wird. Selbst ist der Überlebende!

Ein Spiel der Spieler

Und auf den zweiten Blick? Genau wie das aktuelle DayZ wurde H1Z1 so früh veröffentlicht, dass etliche Inhalte noch fehlen. So erstreckt sich etwa die begehbare Welt nur über einen Bruchteil des Gebiets, das sie irgendwann einnehmen soll.

Das wird noch eine ganze Weile so bleiben: Derzeit ist Daybrerak Game Company (ehemals Sony Online Entertainment) ausschließlich um den fehlerfreien Betrieb des Onlinespiels bemüht. Weitere Inhalte sollen in

Willkommen in der Apokalypse - schon wieder!
den kommenden Monaten hinzugefügt werden.

Einem geplanten Kurs folgen die Entwickler dabei nicht. Vielmehr sollen die Spieler durch das Einbringen von Vorschlägen mitbestimmen, welche Inhalte ihren Weg ins Spiel finden. Grundsätzlich ist das lobenswert.

Was womit?

Immerhin macht H1Z1 schon jetzt einiges richtig – richtiger als DayZ. Obwohl die ländliche Umgebung etwa deutlich künstlicher als der lebensnahe Wald in Chernarov aussieht und sich etliche Gegenden zum Verwechseln ähnlich sind, gefällt mir die direkte Steuerung: Hier muss ich keine Aktionstaste drücken, um über einen Zaun zu klettern, sondern springe einfach drüber. Taktische Finessen wie das Robben durch hohes Gras fallen zwar weg, aber der unkomplizierte Einstieg in eine kurze Runde hat Vorzüge.

Schnell geht auch das Lernen neuer Rezepte: Klickt man auf einen Gegenstand, werden alle damit kombinierbaren Objekte markiert. Bis zu vier Gegenstände fügt man so zusammen und erkennt, was sich daraus herstellen lässt. In einem zweiten Menü kann man das entdeckte Rezept jederzeit anwenden, falls man alle benötigten Materialien bei sich hat.

Man muss ja immer noch clever genug sein, um eine neue Formel zu entdecken – um jene Gegenstände ins knapp bemessene Inventar zu legen, die einer rudimentären Logik nach zusammenpassen. Ein Selbstläufer ist

Praktisch: Landkarten geben einen Überblick über die nahe Umgebung.
die Herstellung also nicht. H1Z1 erspart mir aber das mühselige Abklappern der Rezeptelisten im Internet. Ärgerlich nur, dass ich beim Ansehen eines Objekts nicht sehe, wofür ich es verwenden kann. Das erschwert das gelegentliche Aussortieren des Inventars.

Unser trautes Heim

Immerhin kann ich das viele Holz und die große Metallstücke nicht ständig bei mir tragen. Solche Ressourcen lagere ich lieber an meinem Rückzugsort: einem derzeit gerade mal mannshohen Verschlag am Rand einer kleinen Siedlung. Mehrere Spieler haben sich dort niedergelassen, manche in kleinen Hütten, andere hinter einem hölzernen Zaun auf einer erhöhten Plattform.

Der Bau eines Heims gleich dem in Rust: Aus den richtigen Materialien errichtet man vorgefertigte Bretter und Türen bis hin zu kleinen Hütten. Auch Werkzeuge entstehen im Eigenbau, ebenso wie ein Kompass, Fallen oder Pfeil und Bogen. Für manche Aktionen muss ich sogar erst einen Schmelzofen errichten.

Mit Herz und Scherz

Warum die Überlebenden dieser Apokalypse so dicht nebeneinander siedeln? Weil ich auf einem PvE-Server spiele. Hier können Spieler keine anderen Spieler angreifen. Gut, dass H1Z1 diese Möglichkeit von Haus aus bietet! Das mag nicht realistisch sein – das Team-Deathmatch des sonst üblichen PvP-Spiels ist es ebenso wenig.

Hier kann ich mich auf das Herzstück konzentrieren: den Überlebenskampf in einer unwirtlichen Welt. Weil wir uns nicht gegenseitig an die Gurgel springen, errichten wir gemeinsam eine Art Nachbarschaft. Es entsteht ein Zugehörigkeitsgefühl, das anderswo fehlt. Scherzkekse schaden Mitspielern zwar durch den indirekten Einfluss von z.B. Fallen, aber das sind Ausnahmen.

Mir gefällt auch, dass jeder Charakter nur auf einem Server existiert. So kann sich niemand ausloggen und mit gleicher Ausrüstung auf einem anderen Server weitermachen. Das verstärkt das Gefühl einer tatsächlich persistenten Welt.

Pay-to-win oder nicht?

Für Aufruhr sorgte die Möglichkeit, gegen Bezahlung Waffen und andere Gegenstände per Fallschirmabwurf zu erhalten. Viele Spieler klagten über das vermeintliche Pay-to-win-Element.

Tatsächlich ist die Luftlieferung nicht dazu gedacht einem einzigen Spieler einen großen Vorteil zu erschaffen. Sie soll vielmehr dafür sorgen, dass sich viele Überlebende zu einem spannenden Kampf an der Abwurfstelle einfinden.

Obwohl die Entwickler verschiedene Parameter inzwischen so verändert haben, dass viele Spieler eine höhere Chance auf das Einsacken der wertvollen Ware haben, sind die Air-Drops manchen Überlebenden nach wie vor ein Dorn im Auge. Mit jeweils fünf Euro sind die Abwürfe zudem keine Schnäppchen.

Klicks ins Nichts

Weil von anderen Spielern praktisch keine Gefahr ausgeht, müssen die Zombies allerdings gefährlicher sein. Sie sollten zahlreicher auftreten und sich den Menschen schneller nähern. Wäre es notwendig, dass am besten mehrere Spieler eine Position verteidigen, während ein oder zwei andere nach Lebensmitteln suchen oder Holz hacken – das könnte dem Schema DayZ eine neue Facette verleihen!

Gegenwärtig wird der Überlebenskampf leider schnell zur drögen Routine – auch weil viele Gegenstände nicht als sichtbare Objekte in der Spielwelt liegen. Ich klicke daher auf zahllose Schränke und Autos, um vom Zufall Fundstücke zu erwürfeln. Weniger Klicks würden H1Z1 sehr gut tun! Ein selteneres Auftauchen wichtiger Gegenstände könnte die Spannung erhöhen.

Ohne Wucht gegen den Tod

Und so eingängig die Steuerung auch ist: Die stark verzögerten Aktionen nach dem Auslösen eines Schusses oder dem Öffnen einer Tür machen vor allem den Nahkampf zum Lag-Ratespiel. Dem profanen Klicken mit Brecheisens oder Messer fehlt ohnehin die Wucht des dreckigen Prügelns um Leben und Tod. Weder bleibt die Axt mal im Körper eines Untoten stecken noch schwingt man sie mit der Wucht eines schweren Gegenstands.

Hinzu kommen vertraute Fehler wie Zombies, die durch geschlossene Türen laufen. So leicht der Einstieg in diese Zombie-Apokalypse auch ist, so schnell geht ihr trotz guter Ideen derzeit die Luft aus.

Ausblick

Mir gefallen die vielseitigen Möglichkeiten beim Aufbau einer Zuflucht. Im Gegensatz zum etwas sperrigen DayZ findet man sich in H1Z1 schneller zurecht, stellt im Handumdrehen eigene Waffen und Bandagen her und macht sich mit den Grundlagen des Überlebenskampfs vertraut, ohne von angriffslustigen Spielern attackiert zu werden. Sollte die Zusammenarbeit zwischen den Spielern durch größere Umweltgefahren stärker forciert werden, freue ich mich auf weitere Ausflüge in das fiktive Nordamerika! Bis dahin scheint es für H1Z1 allerdings ein weiter Weg, auf dem die Spielwelt nicht nur größer werden muss. Die Suche nach Lebensmitteln und Material sollte mehr als ein Klick-Fließband sein, die Reaktionszeit des Netzcodes muss verkürzt werden und der Kampf gegen einen Untoten darf gerne packender sein als drei Klicks auf seine hässliche Fratze. Ich traue dem Abenteuer eine deutliche Steigerung zu. Noch ist es aber kaum mehr als eine rudimentäre Kopie seiner Vorbilder.

Einschätzung: befriedigend

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