Fragments of Him21.04.2016, Alice Wilczynski
Fragments of Him

Vorschau: Emotionale Geschichten ohne Tiefgang

Auf der gamescom 2015 verriet mir Entwickler Mata Haggis des niederländischen Studios Sassybot, dass die Charaktere und Schauplätze seines interaktiven Erzähl-Adventures Fragments of Him größtenteils auf seinen eigenen Erfahrungen basieren. Dementsprechend stellte die Entwicklung für ihn eine besonders emotionale Herausforderung dar. Ob uns die Beta-Version des Spiels ähnlich berührt hat, lest ihr in der Vorschau.

Ein Leben aus mehreren Blickwinkeln

Als Protagonist Will verabschiede ich mich von meinem Freund, steige in mein Auto und mache mich auf den Weg zur Arbeit. Plötzlich trifft mich ein anderer Wagen frontal und der Bildschirm wird schwarz.

Will wacht kerngesund wieder neben seinem Freund Harry auf. Ist er doch nicht verunglückt?
Kerngesund werde ich im Bett liegend von meinem piependen Wecker genervt. Hm, hatte ich etwa doch keinen Unfall? Ich laufe durch meine Wohnung, philosophiere darüber wie sehr ich meinen Freund Harry liebe und dass zu viele Routinen mein Leben bestimmen. Als ich gerade eine Dusche nehme, wird der Bildschirm schon wieder schwarz. Diesmal spiele ich eine Frau namens Sarah, die mir nach und nach von ihrer Beziehung zum im Einstieg verunglückten Will berichtet. Es macht Spaß die verschiedenen Leute kennenzulernen, die dem vermeintlich verstorbenen Will am nächsten standen und in ihren Erinnerungen zu suchen. Neben Sarah und Harrys Perspektive schildert später auch noch Wills Großmutter wie es war, ihren Enkel aufwachsen zu sehen.

Geschichten gibt’s nur wenn du klickst!

Die Erzählpassagen der Personen werden jedoch nur fortgesetzt, wenn ich die vorgegebenen blau umrahmten Gegenstände nutze. Sobald man nah genug

Die Geschichte wird nur fortgesetzt, wenn man auf die gelb umrahmten Objekte und Personen klickt.
am Objekt steht, erhält es einen gelben Rahmen und ich darf interagieren. Ein Klick auf die gelb umrahmte Sarah hat zur Folge, dass sie sich auflöst und ich ihre Wege plötzlich in Egosicht betrachte. Am nächsten vorgegeben Punkt angekommen, wechselt die Kamera wieder in die Charaktersicht und Sarah berichtet, dass sie gerade in ein Studentenwohnheim gezogen ist und wie sehr sie sich auf ihr neues freies Leben ohne Eltern freut. Klick Klick Klick – mittlerweile befindet sich Sarah in einer Bar und spricht mit Will. Klick Klick Klick – Sarah und Will haben sich bereits zum ersten Mal geküsst und gucken sich zusammen einen Film an. Klick auf die Hand – Sarah beschreibt, dass sie sich nicht traut Wills Hand zu nehmen. Klick auf Will – endlich küssen sie sich erneut.

Identifikationsmöglichkeiten bleiben ungenutzt

Immer wieder inszeniert Fragments of Him Situationen, die ich selbst erlebt habe und die eigentlich etliche Déjà-vus auslösen müssten: Die erste eigene Bude, lange Partynächte und Besuche in siffigen Rockclubs, Zweifel, ob die Person, in die man sich verguckt hat, einen genauso mag wie man selbst. Da meine einzige Aufgabe jedoch darin besteht auf gelb umrahmte Objekte und Personen zu klicken, um neue Gedanken der Charaktere zu hören, bleiben jede Identifikation und jedes Fünkchen Mitgefühl aus. Dabei sind die klickbaren Objekte durchaus durchdacht und nicht willkürlich platziert. Ein Klick auf ein Stofftier lässt Sarah von ihrer Kindheit berichten, ein Klick auf ein Weinglas über die kuscheligen Abende, die sie mit Will in ihrem Zimmer verbracht hat. Das schlimmste daran ist nicht mal das repetitive, sondern, dass ich nicht selbst entscheiden kann, welche Dinge ich hören und welche Bereiche ich erkunden möchte. Als ich an einer Stelle bewusst nicht auf den gelb umrahmten Eingang zum Park klicke, höre ich trotzdem die Geschichte, wie gerne Will und Harry den Park

Romantischer Moment im Kino ohne Mimik und Emotionen.
besuchen. In Dialogen darf man manchmal aus drei Optionen wählen wie die Charaktere antworten sollen. Doch auch hier gibt es keine veränderten Konsequenzen, sobald ich mich beim zweiten Spieldurchgang für eine andere Option entscheide.

 

Interessante Ansätze, farblose Umsetzung

Dabei möchte ich wirklich gerne interaktiver Teil der Geschichte werden, die viele spannende Ansätze bietet. Beispielsweise verliebt sich Will während der Beziehung zu Sarah in einen anderen Mann namens Harry, den man bereits im Einstieg des Spiels sieht. Über sechs Monate führen sie eine Dreiecksbeziehung, die Sarah als schön beschreibt. Trotz der im Videospiel bisher wenig vertretenen Thematik von Bisexualität und Liebe im Allgemeinen fehlt den Situationen die Tiefe. Gerade erst wurde ein Thema angeschnitten, schon schlüpft man in eine neue Situation oder eine neue Person. Da das Spiel anhand einer Montagetechnik aufgebaut ist, muss man abwarten, ob die finale Version die einzelnen Schnipsel zu einem befriedigenderen Ganzen zusammenbringt.

Grau in Grau

Einen weiteren Störfaktor stellt das eintönige Artdesign dar. Nicht nur wurde alles in einen gräulichen Sepia-Ton getaucht, allen Charakteren mangelt es an Mimik, alle Nebendarsteller werden als reine Silhouetten dargestellt. Dies kann man natürlich als Symbol für die Vergänglichkeit verstehen, immerhin werden Geschichte über eine nun verstorbene Person erzählt. Auch Entwickler Haggis erzählte mir, dass dieser Stil mit Bedacht gewählt wurde, damit jeder Spieler für sich selbst entscheiden kann, welche Dinge er betrachten möchte und was visuell im Fokus stehen soll. Irgendwie merkwürdig, wo doch so viele Dinge farblich für den Spieler betont werden. Was auch immer der wahre Grund für diese Designentscheidung war, für mich geht sie nicht auf. Als Sarah

Alle Nebendarsteller werden silhouettenhaft dargestellt worunter die Atmosphäre leidet.
beschreibt, wie sie einen miefigen klebrigen Britpopclub der späten 90er betritt, kommt bei mir absolut nichts von dieser Atmosphäre rüber. Anstatt von Oasis und Pulp dröhnt generischer Techno aus den Boxen. Auf der mickrigen Bühne stehen ein paar Mikros ohne Band und alle Clubbesucher werden erneut nur als Silhouetten dargestellt. Auch der Besuch einer laut Sarah urigen verrauchten Kneipe in Holzoptik kommt überhaupt nicht gemütlich, sondern künstlich rüber. Alle Barbesucher werden erneut nur als Silhouetten dargestellt. Zudem muss ich den Raum durch Klicken nach und nach mit Tischen und Stühlen füllen, bis ich endlich eine Szene mit Will und Sarah serviert bekomme. Auch der romantische Moment im Kino wirkt unwirklich, da beide Charaktere keinerlei Mimik besitzen.

Ausblick

Fragments of Him will aus Sicht verschiedener Personen zeigen wie mit dem Tod eines geliebten Menschen umgegangen wird. Dieses ernste, in der Spielwelt allgemein nur wenig vertretene Thema, hat mich auf der gamescom 2015 sehr neugierig gemacht. Ich wollte wissen wie die Charaktere mit dem Verlust umgehen und wie ihr Alltag nach dem schrecklichen Ereignis aussieht. Leider kann das schwache Artdesign keinen atmosphärischen Rahmen für diese emotionalen Momente bieten. Als Spieler darf man nur durch Klicken auf vorgegebene Objekte Teil der Geschichte werden, was auf Dauer immer frustrierender wird. Es ist ein mutiger Schritt von Entwickler Haggis seine persönlichen Erlebnisse zu präsentieren. Leider bringen die spannendsten und traurigsten Geschichten nichts, wenn Spielmechanik und Artdesign sie nicht vermitteln können. Als Film wär die Geschichte von Fragments of Him vielleicht besser aufgehoben.

 

Einschätzung: ausreichend

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