Divinity: Original Sin 224.08.2016, Mathias Oertel
Divinity: Original Sin 2

Vorschau: Solides Fundament, starker Ausbau

Seit fast 15 Jahren haben sich die Larian Studios mit ihrer Divinity-Serie zu einer festen Größe im Rollenspiel gemausert. Am 15. September geht der neue Teil in den Early-Access-Betrieb. Wir haben mit den Entwicklern vorab einen Ausflug nach Rivellon unternommen und verraten in der Vorschau, mit welchen Änderungen Divinity Original Sin 2 überzeugen möchte.

Vertraut und doch anders

Wer Divinity Original Sin  insbesondere in der Enhanced Edition gespielt hat, wird sich auch in der Fortsetzung schnell heimisch fühlen: Steuerung, Kulisse und freie Kameraführung wirken sehr vertraut - dieses Mal wird das Studium der Umgebung aus allen Blickwinkeln sogar noch wichtiger, wenn man alle Geheimnisse und versteckte Schätze bergen möchte. Larian setzt für Original Sin 2 auf inhaltliche sowie mechanische Evolution. Statt mit neuen Konzepten punkten zu wollen, hat sich das Team um Studiogründer Swen Vincke und Lead Designer Farhang Namdar sehr genau angeschaut, was funktioniert hat oder bei den Fans ankam und was basierend auf dem Feedback der Community verbesserungswürdig schien. Dementsprechend wird es trotz aller wiederkehrender Elemente nicht nur Optimierungen, sondern auch zahlreiche Neuerungen geben.

Bei der Erstellung der Helden ist man nicht mehr nur auf Menschen beschränkt. Besondere Aufmerksamkeit hinsichtlich der möglichen Gesprächsverläufe kommt den so genannten "Tags" zu.
Die erste davon zeigte mir Namdar gleich zu Beginn seines Besuchs: Die Charaktergenerierung. Denn zum ersten Mal darf man in einem Spiel der Reihe zwischen fünf Völkern wählen, die alle besondere Fähigkeiten, Talente oder Boni besitzen. Neben den Menschen warten Elfen, Zwerge, Echsenwesen und Untote. Das klingt zwar sehr konventionell, doch in der Art und Weise, wie Larian die Völker interpretiert zeigt sich auch, dass man sich in der Welt von Original Sin 2 nicht sicher sein kann:  Elfen z.B. haben die Möglichkeit, sich über das Essen ihrer Opfer nicht nur zu heilen, sondern ihre Erinnerungen und darüber teilweise ihre Fähigkeiten anzueignen. Es bleibt allerdings dabei, dass die Entwicklung der Charaktere auf größtmögliche Freiheit ausgelegt ist. Man kann zwar Archeklassen zum Start wählen, doch letztlich stehen einem alle Wege offen.

Komplexe Erzählung aus acht Federn

Wichtiger als irgendwelche Klassenkorsetts sind die so genannten "Tags", mit denen jede Figur quasi charakterisiert wird. Sechs darf jeder Charakter maximal haben, teilweise werden sie von der Auswahl von z.B. dem Volk vorgegeben, teilweise wird man sich Tags durch Aktionen verdienen oder frei verteilen dürfen. "Held" könnte so ein Tag sein. Oder "Schurke". Auch "Schatzsucher" oder "Grausam" gehören zu den Attributen, mit denen die Figuren umschrieben werden. Allerdings haben diese Bestimmungen nicht nur Auswirkung auf die Erzählung. Denn je nachdem, mit welchen Tags man versehen ist, starten Gespräche mit NPCs oder dem KI-Partner der Gruppe anders und können sich in komplett unterschiedliche Richtungen entwickeln. Dementsprechend spielt es auch eine Rolle, mit wem man das Gespräch beginnt.

Viele der zur Auswahl stehenden Antworten in Gesprächen sind von den "Tags" abhängig.
Und selbstverständlich wirken sich einige Folgen der Dialog-Führung auch auf das mögliche Ende aus.  Da dies innerhalb der ohnehin deutlich breiter aufgestellten Erzählung zu enormen Verzweigungen führen kann, hat man in diesem Bereich personell aufgestockt.

War bei Original Sin letztlich nur eine Person für das Skript verantwortlich, sitzen mittlerweile acht Schreiber an der Geschichte und den Dialogen, die in der endgültigen Version komplett vertont sein sollen. Und das hat Auswirkungen: Wie Namdar erklärte, habe man etwa zur Hälfte des ersten Aktes von Original Sin 2 bereits mehr Texte als im gesamten Vorgänger. Das verwundert auch insofern nicht, da das Geschehen hier satte 1000 Jahre später stattfindet, die man irgendwie irgendwo Revue passieren lässt und man sich mit seinen Figuren anderen Vorzeichen gegenübersieht. Der gesamte erzählerische Unterbau wurde neu gestaltet: Musste man in Original Sin die magische "Source" eindämmen, ist man nun ein "Sourcerer", deren Fähigkeiten nach dem Tod der Gottheit als Nebeneffekt dafür sorgen, dass Kreaturen aus der Leere in die Welt einfallen. Da die Sourcerer daher für den nahenden Untergang der Welt verantwortlich gemacht werden, muss man sich nicht nur der Gruppierung der "Göttlichen Ordnung"  widersetzen, die die Sourcerer gebrandmarkt hat, sondern auch versuchen, das Mysterium aufzuklären.

Ursprung und Erweiterungen

Wohin nur mit der ganzen Beute? Trotz Gegenstandsflut ist das Inventar übersichtlich - auch dank zahlreicher Sortier-Tabs.
Dialoge und Erzählung sind wie schon im Vorläufer einer der Eckpfeiler des Erlebnisses. Party-Interaktion und –Dynamik sind ein weiterer, den man ebenfalls schon aus Original Sin kennt, der hier jedoch gewaltig aufgebohrt wurde. So kann man z.B. nicht nur mit einem individuellen Charakter starten, sondern bietet auch gleichzeitig vorgefertigte Figuren an, mit denen man eine der so genannten "Ursprungsgeschichten" erleben kann. Sehr clever: Diese Helden, von denen vier in der Mitte September startenden Early-Access-Phase zur Verfügung stehen werden, laufen einem auch über den Weg, wenn man mit einem eigenen Charakter startet. Und selbst wenn man sie nicht mit in die Gruppe aufnimmt oder sie sich weigern mitzukommen, werden diese Geschichten mit in die Erzählung eingeflochten, die der Spieler erlebt. Auch die Erforschung der weiträumigen sowie mit Geheimnissen gespickten Gebiete und taktische Kriegsführung sind in ihren Grundzügen bekannt, wurden für Orginal Sin 2 aber ebenfalls erweitert. Nicht alle versteckten Wege und Gebiete sind z.B. auf Anhieb sichtbar, sondern werden erst erkannt, wenn man die Kamera entsprechend justiert. Zudem kann man nie sicher sein, dass in einer Truhe in einem verlassenen Haus nicht doch ein lebensrettender Zauber oder einfach "nur" eine enorme Menge Gold auf einen wartet.

Die Spürnasen unter den Spielern haben so einen zusätzlichen Anreiz, während die Taktiktüftler sich auf die stark erweiterten Möglichkeiten in den Gefechten freuen dürften. Ein Blick zurück: Über die Option, elementare Einflüsse in der Umgebung mit Zaubern  zu erweitern, so dass sie zu neuen Kombinations-Ergebnissen mit verheerenden Folgen zu führen, waren schon in Original Sin kaum Grenzen in den mitunter harten Auseinandersetzungen gesetzt. Und jetzt darf man sich auf noch mehr Kombinationen freuen, um die Gegner einzufrieren, unter Strom zu setzen, einzuäschern und vieles mehr. Aber Vorsicht: Natürlich sind auch die Mitstreiter nicht vor den Auswirkungen dieser Elemente gefeit. Und selbstredend nutzen auch die Gegner in den hinsichtlich der Aktionspunkte überarbeiteten Rundengefechte die Umgebung zu ihrem Vorteil. Dazu zählen auch die neuen Mechaniken der Höhenunterschiede, so dass es unter Umständen Sinn ergibt, ein paar Aktionspunkte zu opfern um einerseits eine höhere Reichweite zu haben, während man andererseits ein schwerer zu treffendes Ziel abgibt. Oder auch das neue Rüstungssystem, das zwischen physischem und magischem Schaden unterscheidet, entsprechend erst "abgearbeitet" werden muss , bevor man Schaden zufügt bzw. nimmt und so

Wie soll man bloß an die Truhe kommen? Es gibt in Original Sin 2 viel zu entdecken und noch mehr Möglichkeiten, zu experimentieren.
den Gefechten eine weitere Note hinzufügt. Mit hunderten neuer Fähigkeiten, Schriftrollen oder Zaubern werden die spannenden sowie auf Sichtlinien setzenden  Auseinandersetzungen zusätzlich erweitert. Natürlich muss sich angesichts der potenziellen Quantität die Qualität im Detail ebenso beweisen wie die Freiheit der Figurenentwicklung, die erzählerischen Spannungsbögen oder die Option, von den Sourcerer-Fähigkeiten im Kampf Gebrauch zu machen. In den etwa zwei Stunden, die wir bislang spielen konnten, ist das Potenzial aber von Beginn an spürbar. Die Atmosphäre wird übrigens auch wieder vom sehr effektiv eingesetzten Soundtrack aufgebaut, der neuerdings von Borislav Slavov (u.a. Crysis 2 & 3, Two Worlds 2) stammt, nachdem der bisherige Komponist Kirill Pokrovsky leider verstarb. Dabei setzt man nicht nur auf sich dynamisch anpassende Melodien, sondern auch auf Akzente, die von den gespielten Charakteren abhängen: Jede Figur wird mit einem bestimmten Instrument assoziiert und wer den entscheidenden Hieb im Kampf setzt, wird im Tusch mit seinem speziellen Klangwerkzeug gewürdigt - eine nette Idee.

Kleinigkeiten?

In den Runden-Kämpfen hat man mehr Optionen zur Verfügung, um seine Gegner mit elemantaren Kombinationen zu malträtieren.
Unter dem Strich gibt es kaum einen Stein innerhalb der Inhalte oder Mechaniken, der nicht umgedreht wurde – ohne dabei die Statik des bewährten Fundaments aus dem Vorgänger ins Wanken zu bringen. Man hat größtmögliche Freiheit, um einerseits seine Aufgaben zu erfüllen, andererseits, die für düstere Fantasy immer noch etwas zu bunte, aber dessen ungeachtet sehr ansehnliche Welt nach eigenem Gutdünken zu erforschen. Man kann mit allen NPCs sprechen sowie mit jeder freundlich gesonnenen  Figur handeln. Und natürlich kann man auch seiner böse Seite frönen: Man kann alle NPCs töten, muss dann aber mit Konsequenzen wie fehlenden Questgebern und feindlich gesonnenen Wachen rechnen. Die treten übrigens auch auf den Plan, wenn man beim Taschendiebstahl oder Einbruch erwischt wird. Larian gibt dem Spieler vom Gegenstands- und Zaubercrafting bis hin zu physikalisch manipulierbaren Objekten in der Welt unzählige Optionen in die Hand, die einem zig Wege zum Ziel öffnen. Feuerbälle statt eines Schlüssels, um eine Tür zu öffnen? Kein Problem. Und wenn die Truhe, die man entdeckt hat, partout nicht zu erreichen ist, kann man einen Teleportationszauber zweckentfremden.

Auch aus der Nähe ist das Design von Figuren und Gegnern ansehnlich.
Wie in der Enhanced Edition wird es vier Schwierigkeitsgrade geben, von denen in der Early-Access-Version nur der klassische sowie der Explorationsmodus enthalten sein werden, wobei sich Letzterer an diejenigen richtet, die vor allem die Story erleben und die Welt entdecken wollen. In der finalen Version werden die Varianten für Taktiker (noch schwerere Kämpfe) sowie für die Hartgesottenen ergänzt, die glauben, dass sie unbesiegbar sind: Im "Honour-Modus" gibt es nur einen Spielstand, der gelöscht wird, falls man stirbt. Neu wiederum ist die Möglichkeit, mit bis zu vier Spielern die Story zu erleben, wobei je nach Figur und ggf. Ursprungsstory auch Konflikte bei der Questbewältigung entstehen können: Falls sich ein Spieler dazu entscheidet, den Auftraggeber eines anderen zu töten, sind Spannungen innerhalb der Gruppe vorprogrammiert. Dass dies jedoch überhaupt möglich ist, finde ich bemerkenswert und ist ein Zeichen dafür, dass sich Larian hinsichtlich des „Rollenspiels“ sehr ernst nimmt. Und die eventuell entstandenen Zwistigkeiten können im ebenfalls frischen Arena-Modus beseitigt werden. Hier werden zum Release Divinity-Varianten von Deathmatch, Capture the Flag und King of the Hill zur Verfügung stehen, in denen man auch mit Teams antreten kann. Die Duelle sind auf kurze Spielzeiten von etwa 20 Minuten ausgelegt und ausgehend von dem Gelächter und der Schadenfreude, die die zwei Gefechte mit dem Lead Designer prägten, scheint Larian auch hier auf einem interessanten Weg - auch wenn die PvP-Kämpfe natürlich nicht die vollwertige Kampagne ersetzen, aber erstaunlich effektiv ergänzen können.

Ausblick

Original Sin war bereits auf einem ordentlichen Weg und scheiterte mit der Enhanced Edition nur denkbar knapp an Gold. Diese Hürde könnte Larian mit Divinity Original Sin 2 knacken. Basierend auf dem bewährten Fundament hat sich das Studio Gedanken gemacht, wie man die Stärken des Vorgängers ausbauen und gleichzeitig die Schwächen minimieren kann. Und ausgehend von den zwei Einstiegsstunden sowie zwei PvP-Duellen scheint das Vorhaben zu gelingen. Vor allem der Fokus auf das „Rollenspiel“ gefällt mir: Der Spieler bekommt angefangen von der Charakterkreation über die klassenfreie Entwicklung bis hin zu Problemlösungen, Umgang mit Figuren (man könnte in der Theorie jeden NPC  töten) sowie Dialogen die größtmögliche Freiheit, ohne die Konsequenzen aus dem Auge verlieren zu können. Natürlich ist das bei dieser großen und für ein eigentlich düsteres Thema immer noch zu farbenfrohen Welt ein hehres Unterfangen. Und die Erzählung muss beweisen, dass sie nach den stimmungsvollen sowie abwechslungsreichen Einstiegsstunden auch langfristig zu unterhalten versteht. Doch mit Erweiterungen und Ergänzungen in jedem Spielbereich angefangen vom intensiven Runden-Kampf mit noch mehr elementaren Kombinationsmöglichkeiten über das Inventar und Crafting bis hin zu den zwölf Fähigkeitsbäumen, aus denen man seine Figur bestückt, ist Larian auf einem sehr guten Weg. Divinity Original Sin 2 geht am 15. September in die Early-Access-Phase auf Steam. Über mögliche Konsolenversionen wurden noch keine finalen Angaben gemacht.

Einschätzung: sehr gut

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