CrossCode19.08.2016, Mathias Oertel
CrossCode

Vorschau: Das Offline-Online-Action-Rollenspiel

Ein Offline-Spiel, das versucht, ein Online-Rollenspiel zu emulieren? Das gab es doch auf der PS2 schon einmal? Richtig: Die .hack-Serie von Cyber Connect 2 hat seinerzeit über mehrere Teile für gute bis sehr gute Unterhaltung sorgen können. CrossCode (ab 14,99€ bei kaufen) setzt auf ein ähnliches Fundament, verfrachtet das Geschehen aber in eine Zelda-ähnliche 16Bit-Welt. Wir haben uns das interessante Projekt aus deutschen Landen angeschaut.

Das Beste aller Welten

Alles in CrossCode wirkt irgendwie bekannt. Die Prämisse z.B., dass man als „Avatar“ in der Welt eines fiktiven Online-Spiels unterwegs ist und mit zahlreichen Figuren interagiert, die weitere menschliche Spieler darstellen sollen, hat bereits die .hack-Serie auf der PS2 von anderen Rollenspielen abgehoben. Die Charakterentwicklung des Action-Rollenspiels ist zwar nur auf eine Klasse beschränkt, erinnert mit ihrer facettenreichen Ausrichtung sowie Darstellung der Fähigkeiten aber dennoch an eine Light-Version des Sphärobretts aus Final Fantasy 10. Und mit dem generellen Aussehen sowie auf den ersten Blick auch der Kampfmechanik schmiegt man sich an die SNES-Variante eines Helden, der schon wiederholte Male ein Fantasy-Land namens Hyrule gerettet hat. Doch das vom Saarbrücker Team Radical Fish Games entwickelte Action-Rollenspiel, das sich erfreulich vom normalerweise mit dieser Schublade assoziierten Hack&Slay abhebt, ist mehr als nur die Summe seiner Einzelteile.

Auch in der simulierten Online-Welt von CrossCode gibt es Spieler, die einem auf die Nerven gehen.
Das Kampfsystem z.B. setzt auf eine geschickte Verbindung von Nah- und Fernkampf, der mit einem Block (reduzierter Schaden) und einer Ausweichmöglichkeit ergänzt und später sogar um Elementarfähigkeiten erweitert wird. Und das alles mit einer eingängigen Steuerung – sehr schön. Ebenfalls sehr angenehm und außerhalb der Zelda-Serie zu wenig praktiziert: Rätsel innerhalb der Dungeons, die Timing und Fingerfertigkeit erfordern. Bereits im umfangreichen Tutorial wird man auf Eventualitäten vorbereitet: Man lernt Mechanismen kennen, die man (teils in Reihe geschaltet) nur über einen akkuraten Wurf eines Energieballes auslösen kann, der bei Kämpfen auch als Fernkampfprojektil dient. Mitunter muss man dabei auch im wahrsten Sinne des Wortes um die Ecke denken (und lenken), was aber dank der gut eingesetzten Physik kein Problem darstellt. Plattformen, kleine Sprungsequenzen, wobei die Figur hier ähnlich wie der frühe Link automatisch springt, ergänzen das Repertoire. Und selbstverständlich findet man auch die eine oder andere Falle, der man tunlichst aus dem Weg gehen sollte.

Das Massively-Multiplayer-Offline-Rollenspiel

Die Charakter-Entwicklung ist umfangreich.
Auch erzählerisch geht man einen interessanten Weg: Man spielt den Avatar von Lea, einer Teilnehmerin in dem Online-Rollenspiel CrossWorlds, das sie in eine Art CyberFantasy-Welt führt. Dies scheint der einzige Weg zu sein, wie Lea ihre Amnesie besiegen und ihre Erinnerungen wieder zurückgewinnen kann. Erschwert wird dies jedoch durch ihre Stummheit in der Spielwelt, die erst nach und nach mit Sprachfetzen erweitert wird. Das Schicksal von Lea und CrossWorlds scheint miteinander verbunden zu sein und während man sich mit dem Avatar auf den „Weg der  Alten“ (Path of the Ancients) begibt, kommt man auch dem mysteriösen Schicksal Leas immer näher. Obwohl hier auf Sprachausgabe verzichtet und alles klassisch über Textboxen erzählt wird, baut Radical Fish immer wieder spannende Momente auf und verzichtet auch nicht auf Anspielungen zu Videospielen im Allgemeinen und Online-Rollenspielen im Speziellen.

Man begegnet haufenweise Figuren, die natürlich fast alle ebenfalls Spieler von CrossWorlds sind und die stellvertretend für die Archetypen stehen, die man in nahezu jedem echten MMO von World of WarCraft bis Neverwinter oder The Old Republic finden kann: Es gibt Gildenrekrutierer; man findet hilfsbereite (wenngleich sprachlich nicht immer sichere) Mitspieler, Wichtigtuer (die einen hier z.B. des Cheatens bezichtigen), Besserwisser und viele mehr. Mit den einfachen Mitteln, die CrossCode anbietet, holen die Entwickler viel aus dem Thema raus und haben für mich eine ähnlich glaubhafte Offline-Onlinewelt mit viel Atmosphäre geschaffen wie seinerzeit die .hack-Serie. Zumindest haben sie es geschafft, dass ich mich für CrossWorlds und die darin integrierten Spieler interessiere. Ich hoffe, dass diese vorgegaukelte Lebendigkeit bis zum Ende Bestand hat und nicht irgendwann mangels Überraschung verpufft.

Unreal? Unity? HTML5!

Die 16Bit-Ästhetik versprüht ihren ganz eigenen Charme.
Überrascht war ich auch, als bereits zu Beginn HTML5 im Zusammenspiel mit der Impact-JavaScript Engine als Codeplattform genannt wurde und nicht etwa Grafikmotoren von Epic, Crytek oder Unity. Okay: Ganz sauber ist das Scrolling der farbenfrohen Fantasywelt nicht - was mich aber nur umso stärker an die Klassiker erinnerte, an denen sich CrossCode orientiert. Auch die Animationen könnten vielfältiger sein. Doch Farbpalette, Level- und Figurendesign sind dafür wie aus einem Guss und ziehen mich mit ihrem 16Bit-Ansatz in die Spielwelt. Denn inhaltlich baut man nicht nur auf leicht zugängliche Kämpfe, ausufernde Gespräche und Levelerforschung, sondern auch auf vielschichtige Charakterentwicklung. Allerdings bleibt das Questsystem in den ersten Stunden sehr oberflächlich. Zwar orientiert man sich hier an den gegenwärtig üblichen Standards echter Spiele wie Hol-und-Bring-Diensten oder „Töte-X-davon-Missionen“, doch gerade hier hätte man die Möglichkeit nutzen und mehr Abwechslung bieten können als die Realität. So baut sich die Spannung eher über die zwar eingeschränkte aber intelligente Interaktion von Lea mit anderen Figuren auf.

Dafür kann man auf ein umfangreiches Handwerks-System zurückgreifen, für das man allerdings in der freien Wildbahn Zutaten finden muss. Noch spannender ist allerdings das "Circuit"-System, bei dem man in einem weit verzweigten Fähigkeiten- und Eigenschaftsbaum versucht, einen Weg zu einer bestmöglichen Charakterentwicklung zu finden. Mit seinen Möglichkeiten, Abhängigkeiten sowie den bereits angesprochenen Elementen erinnert es an eine 16Bit-Version des Sphärobretts aus Final Fantasy 10, immerhin eines der ganz großen Highlights der PS2-Generation. Ob CrossCode einen ähnlichen Status erreichen kann, wage ich zu bezweifeln, doch als Action-Rollenspiel, das seine Inspiration aus zahlreichen Vorbildern zieht, diese aber mit spielerischer Leichtigkeit zu etwas Eigenständigem und Neuen vermengt, macht es mich neugierig.

Ausblick

CrossCode ist für mich bislang einer der unerwarteten Geheimtipps des Jahres. Angefangen von der sehr schick eingefangenen 16Bit-Ästhetik bis hin zur mysteriösen Geschichte scheint das deutsche Team von Radical Fish Games die richtigen Entscheidungen getroffen zu haben. Die simulierte Online-Welt z.B. steckt voller Geheimnisse und Anspielungen auf Spielkultur im Allgemeinen und Multiplayerspiele im Besonderen. Die Mischung aus abwechslungsreichem Kampf und cleveren Umgebungsrätseln wirkt bereits in der Version 0.7 ausgewogen und motivierend. Zählt man nun noch die Zelda’eske Erforschung, das umfangreiche Inventar bzw. Gegenstandssystem sowie eine leicht an das Spährenbrett aus Final Fantasy 10 erinnernde Charakterentwicklung hinzu, bietet CrossCode eine schmackhafte Zutatenliste. Es wird sich zwar noch zeigen müssen, wie alle Elemente ineinandergreifen und ob die starke Faszination irgendwann schnöder Routine weicht. Doch Radical Fish scheinen auf einem richtig guten Weg zu sein.

Einschätzung: gut

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