The Elder Scrolls 4: Oblivion03.03.2006, Jörg Luibl
The Elder Scrolls 4: Oblivion

Vorschau:

Es reicht. Es muss endgültig Schluss sein. Diese Flaute ist kaum noch zu ertragen. Gothic 2, KotOR, Vampire – alles zu lange her. Wann kommt mal wieder ein episches, ein ausuferndes, ein interessantes, ein packendes Rollenspiel? Eines, das den Namen auch verdient? Hadert nicht! Am 24. März klopft eine Hoffnung mit langem Namen an die Tür: The Elder Scrolls IV: Oblivion. Drei Jahre war sie unterwegs. Wir haben sie reingelassen…

Naive Schwärmerei

Als ich ein kleiner Junge war, habe ich immer davon geträumt, als Abenteurer frei durch die Wildnis zu streifen. Und zwar durch echte Wälder. Nicht durch gerade gezüchtete Schonungen, künstliche Baumplantagen oder geschniegelte Parks. Nein,

Idyllisch, natürlich, einfach schön: Die Landschaften von Oblivion demonstrieren, wie die nächste Generation der Spiele aussehen wird.
es sollten urige Wälder sein, mit hohem Gras und steilen Hängen, mit bizarren Felsformationen und turmhohen Wipfeln. Wälder, in denen das Laub raschelt und Rehe plötzlich aus dem Unterholz preschen. Mit Pilzen, seltenen Blumen und rauschenden Flüssen. Und natürlich mit verwitterten Ruinen, versteckten Dungeons und und und…

….ja, diese naive Schwärmerei. Blöd, wenn man in einer Großstadt aufwächst. Blöd, wenn es kaum noch echte Wälder gibt. Also stellt man sich alles vor, stöbert in alten Legenden, liest Jack London, Tolkien oder bucht einen Tracking-Kurs in Nordnorwegen. Oder man geht gewaltige visuelle Kompromisse ein und spielt World of WarCraft , Gothic 2 & Co. Aber bisher konnten diese Welten nie die Magie eines natürlichen Waldes beschwören. Alles wirkte zu künstlich, zu beengt, zu unnatürlich. Also wieder ab nach Norwegen, Kanada oder in die nächste Rollenspiel-Gruppe?

Ein Traum aus Wald

Nein, bald gibt es eine ebenso günstige wie  fantastische Alternative: Die Wälder von Tamriel. Sie bedecken die 41 Quadratkilometer große Welt von The Elder Scrolls 4: Oblivion (ab 3,60€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) zur Hälfte und werden euch nicht so schnell loslassen. Ich war drin und wollte nicht wieder raus. Bisher hatte ich nur Trailer gesehen, nie selbst einen Fuß auf diesen Fantasyboden gesetzt. Deshalb war das eine regelrechte Erstbeeindruckung. Wer hätte gedacht, dass ein Spiel mal eine dermaßen verblüffend natürlich wirkende Landschaft darstellen kann? Ich habe mich in den ersten Minuten einfach nur voller Staunen umgeschaut. Eigentlich bleibe ich ungern an grafischen Details kleben, aber hier geht es gar nicht anders: Wenn man als frisch gebackener Held aus seinem Kerker flieht und das erste Mal Frischluft zwischen Gras und Abendrot schnuppert, ist man schlichtweg überwältigt. Später darf man sogar zu Pferd die Gegend erforschen.

Ist das endlich die Next-Generation, die uns Microsoft & Co versprochen haben? Oh ja. Und zwar sowohl auf PC und Xbox 360. Beide Versionen entführen euch in eine Art Fantasy-Far Cry : Ihr habt eine unglaublich weite Sicht, es gibt satte Farben beim Sonnenuntergang, die sich auf idyllischen Seen spiegeln und selbst beim Blick in die Baumwipfel erkennt man das Zittern der Blätter. Auch in den hunderten Höhlen und Dungeons weht der Wind der nächsten Generation: Das Mauerwerk wirkt körnig und plastisch, das Interieur reagiert physikalisch korrekt. Nehmt ihr einen Schädel auf und lasst ihn fallen, schlittert er einen Hang hinunter. Stoßt ihr gestapelte

Euer Held sammelt im Laufe des Spiels Dutzende von Hieb- und Stichwaffen sowie Rüstungen. Aber Vorsicht: Wer zu viel mitschleppt, kann sich nicht mehr bewegen!
Baumstämme an, rollen sie los und begraben evtl. Feinde unter sich. An vielen Stellen bringt euch diese Interaktion weiter. Hab ich schon erwähnt, dass man Pilze, Kräuter und Blumen pflücken kann, um Tränke daraus zu brauen?

Verfeinertes Spielerlebnis

So viele Superlative, so viel Schwärmerei - wie ist das Spiel? Wir konnten bisher nur an der Oberfläche kratzen, nur ein paar Stunden Erfahrung sammeln. Aber es ist vor allem eines: unheimlich vielfältig. Ihr könnt vom Magier über den Dieb bis hin zum Kämpfer alles spielen. Ihr habt Attribute wie Stärke, Intelligenz, Ausdauer, Wille oder Agilität. Ihr könnt euer Aussehen, das Geschlecht, das Volk und ein Sternzeichen wählen. Ihr könnt Gilden beitreten und Klassen während des Abenteuers wechseln: Tötet ihr z.B. einen Unschuldigen, kontaktiert euch die Gilde der Meuchelmörder und fragt dezent an, ob ihr euch nicht anschließen wollt. Wollt ihr? Es liegt an euch.

Zwar lässt sich noch nicht absehen, ob sich das Spielgefühl zwischen einem Bogenschützen und einem Dieb tatsächlich unterscheidet und ob euch die Story tatsächlich mehrere Pfade anbietet. Hier werden erst die späteren Quests zeigen, ob die Klassen in Beliebigkeit aufgehen oder tatsächlich einmalige Erlebnisse bieten. Aber das Gesehene stimmt bereits sehr optimistisch.

           

Auch deshalb, weil Oblivion dem epischen Konzept von Morrowind treu bleibt. Trotz der opulenten Kulisse gibt es keine Abstriche: Ihr bewegt euch in einer riesigen Welt mit neun großen Städten und zig kleinen Siedlungen, in der über tausend Charaktere ihrem Tagwerk nachgehen. 200 Dungeons und 9000 Objekte warten auf euch - darunter alleine 400 Bücher, die

Ihr könnt problemlos zwischen der Schulterperspektive und dieser Egosicht wechseln. Die Kämpfe sind fordernder und dynamischer als im Vorgänger.
ihr lesen könnt, um eure Werte zu steigern. Abseits dieser beeindruckenden Masse hat das Team auch viel Klasse im Vergleich zum Vorgänger eingebaut. Die Bewohner reagieren intelligenter als zuvor: Man kann nicht einfach überall einbrechen, stehlen oder Zivilisten töten - alles hat Konsequenzen. Wer nicht aufpasst, landet also schnell im Knast. Erst der Test kann allerdings zeigen, ob Bethesda in Sachen künstlicher Intelligenz an die Glaubwürdigkeit eines Gothic 2 heran kommt.

Einsamer Held

Im Mittelpunkt steht eure Karriere als Held von Königs Gnaden. Das Tutorial stimmt euch wunderbar darauf ein, der letzte Hoffnungsträger eines bedrohten Reichs zu sein und ist in Sachen Dramaturgie ein kleiner Leckerbissen: Ihr begleitet euren König auf seiner Flucht durch die Katakomben. Er hat großes Unheil vorausgesehen, das aus der dämonischen Parallelwelt Oblivion nach Tamriel kommen soll. Euch hat er angeblich schon in seinen Träumen gesehen, weshalb ihr die Verurteilung kurzerhand gegen die Freiheit austauschen könnt. Stimmt das alles? Aber wer würde das ablehnen?

Nur ein paar schwer bewaffnete Leibwächter sind dabei, als ihr euch durch eine Geheimtür auf den Weg macht. Plötzlich werden sie aus heiterem Himmel angegriffen, wehren schattenhafte Feinde ab und ihr dürft kräftig helfen. Schon hier zeigt sich die Lebendigkeit der NPCs, wenn euch die Wachen anherrschen, dem König ja nicht zu nahe zu treten. Später könnt ihr eure Gesprächspartner in Multiple-Choice-Dialoge verwickeln oder ihnen gezielt schmeicheln bzw. sie bestechen, um Informationen zu bekommen. Außerdem zeigt sich die Qualität des im Vergleich zum Vorgängers stark verbesserten und jetzt wesentlich dynamischeren Kampfsystems. Ihr könnt fließend zwischen Schulter- und Egosicht wechseln, könnt blocken und in schnellen Stafetten zuschlagen. Alles sehr einfach, aber durchaus kein blödes Haudrauf. Eure Ausdauer sinkt bei jedem Hieb und je nach Waffe zeigt sich eine andere Trägheit: Wer z.B. mit der Doppelaxt hinlangt, wird z.B. ein Nachziehen aufgrund des Gewichts bemerken. Auch die physikalischen Details sind beachtlich: Ein Schuss auf Holz und der Pfeil bleibt stecken; ein Schuss auf Fels oder Stein und er prallt ab. Die realistische Umgebung, die in Shootern schon längst üblich ist, hält endlich auch in Rollenspielen Einzug.

Im Namen des Königs

Aber so tapfer sich die Leibwächter auch schlagen: Plötzlich müsst ihr mit ansehen, wie der König vor euren Augen von einem vermummten Assassin erstochen wird - eine packende Szene, die sofort unter die Haut geht. Kurz vorher hat er euch

Das Highlight bleiben die Sonnenuntergänge, die die Welt alle 30 Minuten in ein idyllisches Farbenmeer tauchen.
noch ein Amulett übergeben, das ihr seinem einzigen noch lebenden Sohn überbringen sollt. Allerdings müsst ihr erst mal lebend aus den Katakomben fliehen, in denen es vor Ratten, Goblins und Schurken nur so wimmelt. Zwar konnten wir bereits fleißig blockende und ausweichende Feinde bemerken, aber es gab auch viele blinde Kamikaze-Attacken; wir sind gespannt, wie sich die künstliche Intelligenz in der Testfassung präsentiert. Das Design der Unterwelten lädt aber zu mehr ein als stupidem Monstergemetzel: Wer genau hinschaut, wird überall Auslöser zu Fallen finden - von der fiesen Druckplatte bis hin zu Stolperdraht.

Deshalb lohnt es sich, die Unterwelt schleichend zu erforschen. Auch, weil ihr Gegner so überraschen und dann mit doppeltem Schaden zuschlagen könnt - ein kleines Auge-Icon zeigt euch an, ob ihr im Sichtfeld eines Monsters seid. Je nachdem, was ihr anwendet, welche Waffe ihr nutzt - kurzum: wie ihr spielt, verbessern sich eure Fähigkeiten z.B. beim Schleichen, Schießen, Abwehren oder Schlösser knacken. Bei Letzterem kommt ein interessantes kleines Spiel zum Einsatz: Ihr seht das Schloss mit seinen Bolzen im Querschnitt. Dann müsst ihr den Dietrich einführen und z.B. vier Bolzen aus dem Weg nach oben schieben - sobald einer oben angelangt ist, müsst ihr mit gutem Timing noch mal drücken. Schafft ihr es, bleibt er oben und ihr könnt euch dem nächsten widmen; schafft ihr es nicht, zerbricht euer Dietrich - knifflig, aber gut!

          

Ausblick

Believe the Hype! Freunde der epischen Fantasy: Da ist etwas ganz Großes, vielleicht sogar etwas Überwältigendes im Anmarsch. Nein, ich halte den Ball jetzt nicht flach, obwohl ich erst das Tutorial und einige kleine Quests hinter mir habe. Sicher muss sich die Story, müssen sich KI und Spielwelt noch auf lange Sicht beweisen - kein Thema. Aber das Erlebte war einfach so ausdrucksstark, dass ich bereits jetzt gar nicht anders kann, als zu schwärmen. Mal abgesehen von der Freiheit in Sachen Klasse und Fähigkeiten, abgesehen vom verbesserten Kampfsystem und kleinen Finessen wie der glaubwürdigen Physik oder dem Schlösser knacken, ist es vor allem diese freie Kulisse, die beeindruckt: Bethesda Softworks hat tatsächlich die Magie eines natürlichen Waldes eingefangen, hat tatsächlich eine 41 Quadratkilometer große Welt der nächsten Generation erschaffen. Diese idyllischen Sonnenuntergänge, diese schroffen Hänge, diese bleichen Ruinen. Selbst ohne Quests und Monster würde ich Tamriel erforschen wollen.

Ersteindruck: ausgezeichnet

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