Sacred 2: Fallen Angel11.09.2008, Mathias Oertel
Sacred 2: Fallen Angel

Vorschau:

Jahrelang freut man sich auf Sacred 2 als legitimen Diablo-Nachfolger und dann kommt, wie es kommen muss: Blizzard bestätigt (endlich) Diablo 3. Doch Ascaron braucht die Flinte nicht ins Korn werfen. Zum einen werden bis zur dritten Teufelsjagd noch einige Monate, wenn nicht sogar Jahre ins Land ziehen. Und zum anderen konnten wir uns bei ausgedehnten Beutezügen durch Ancaria davon überzeugen, dass Fallen Angel auf einem richtig guten Weg ist.

Das Kreuz mit dem Teufel

Kommt man auf Action-Rollenspiele mit Rechenknecht-Anbindung zu sprechen, landet man zwangsläufig irgendwann bei Blizzards Diablo-Serie, deren jüngst angekündigter dritter Teil schon jetzt für reichlich Furore sorgt.

Unterhält man sich länger mit Genre-Fans, besteht sogar die Chance, dass man auf Darkstone zu sprechen kommt, sich ein paar schwelgende Minuten über Westwoods Nox auslässt und schließlich bei Titan Quest landet - natürlich nicht, ohne vorher einige Worte über den bekanntesten und erfolgreichsten deutschen Vertreter seiner Art zu verlieren: Sacred. 

Auch Fantasy aus deutschen Landen kann düster sein.
Vergessen sind viele andere, teils gut gemeinte Versuche, die Wartezeit bis zum nächsten vermeintlichen Action-RPG-Highlight zu überbrücken oder endlich die Wachablösung für Diablo 2 zu schaffen. Natürlich hat man Spaß gehabt an Titeln wie Silverfall, Hard to be a God, Loki, Titan Quest, Dungeon Siege oder Legend - Hand of God; mal mehr, mal etwas weniger.

Doch unter dem Strich konnte keiner dieser Titel dem Blizzardschen Balance-Wunderwerk oder der überraschenden Wundertüte aus Gütersloh ernsthaft gefährlich werden. Man spielt, man hat Spaß, aber letztlich vergisst man.

Das Geheimnis des Erfolges

Um den Erfolg von beiden Titeln auf die Spur zu kommen, muss man nicht einmal eine riesige Forschungsabteilung beschäftigen - außer vielleicht bei Gas Powered Games und dort mit Misserfolg, wenn man Space Siege betrachtet. Das Prinzip ist denkbar einfach: Jagen und vor allem Sammeln, dazu ein sinnvolles und durchdachtes Charakteraufstiegsprinzip sowie eine eingängige Steuerung. Was Blizzard mit Diablo 2 perfektionierte, soll auch im dritten Teil beibehalten werden.

Ascaron setzt für Sacred 2 - Fallen Angel (S2) ebenfalls auf Bekanntes: Die Welt Ancaria ist identisch zum Schauplatz des Vorgängers, allerdings wurde das Geschehen in die Zeit 2000 Jahre vor Sacred 1 verlegt.

Wir werden an dieser Stelle auch nicht speziell auf die Geschichte und die wesentlichen Features eingehen, da wir uns dies zum einen für den Test vorbehalten wollen, uns zum anderen in der letzten Vorschau mit den wesentlichen Spielinhalten beschäftigt haben. Nur so viel sei gesagt: Die Story um die Beschützer der ancarischen Natur, die auch mit leicht kritischen Untertönen sowie einigen futuristischen Anleihen daher kommt, macht neugierig. Ich hoffe, dass Ascaron diese Spannung über die gesamte Spielzeit zu halten versteht.

So gleich und doch so anders?

Natürlich wird die Geschichte und die Art und Weise, wie sie in die umfangreiche Queststruktur eingebunden wird -insgesamt gibt es an die 600 Missionen, von denen gut ein Fünftel auf die Hauptgeschichte fällt- eine wichtige Rolle spielen, wenn es um die Endnote geht. Ebenso die Möglichkeiten, sich auf die böse oder gute Seite zu schlagen Doch auch das Drumherum wird diesbezüglich eine hohe Priorität genießen. Und hier zeigt sich S2 auf guten Wegen.

Die Kulisse dürfte neue Genre-Standards setzen!
Die sechs vorgegeben Charakterklassen (leider kann man keine eigenen Figuren erstellen) decken im Wesentlichen die klassischen Archetypen ab und haben sich allesamt in unseren Vorabausflügen in Ancaria als gut spielbar und balanciert gezeigt.

Allerdings ist aufgefallen, dass neue Fähigkeiten spärlicher, als man es noch von Sacred gewöhnt ist, hinzugewonnen werden können. Sprich: Die Beuterate an Fähigkeitsrunen ist mehr als mager. Hier muss Ascaron noch einmal ansetzen, um zu verhindern, das man stundenlang seine Gegner mit dem ewig gleichen Spezialangriff malträtiert. Aber dieses Problem ist den Entwicklern bekannt und man hat bis zur Release-Version Besserung gelobt.

Ansonsten hält man trotz Wechsels in eine komplett dreh- und zoombare 3D-Ansicht an erstaunlich vielen der Elemente fest, die im Vorgänger begeistern konnten - und auch an denen, die zur Verzweiflung getrieben haben.

Positiv anzumerken ist u.a. die gute Karte, die nicht nur Questziele aktualisiert, sondern auch potenzielle Auftraggeber gut sichtbar markiert. Ebenfalls schön ist die enorme Ausschüttung an Gegenständen, die mit ihren seltenen Sets usw. auf dem Wege ist, das Diablo-Erbe anzutreten.

Weniger angenehm in diesem Zusammenhang ist die derzeit eher umständliche Benutzerführung hinsichtlich Gegenstandsvergleich. Anstatt sich beim "Mouseover" die Vergleichswerte anzeigen zu lassen, muss zusätzlich noch eine Taste gedrückt werden. Manch einer mag mir jetzt Faulheit vorwerfen oder auch Kleinkariertheit. Aber wenn man sieht, dass andere Vertreter diesen einen Tastenklick einfacher zu bedienen sind und auch Genre-Kollegen auf Konsolen dem Abenteuer in Ancaria eine Nasenspitze voraus sind, stellt sich die Frage, wieso Ascaron hier weiterhin in der Vergangenheit weilt. Doch dies ist nur ein kleiner Punkt - aber einer, der mich vor allem in der Anfangsphase irritiert hat.

      

Dass allerdings minderstufige Gegner, die mir im Bestfall einen Erfahrungspunkt beim Ableben überlassen (abgesehen von einem Haufen Beutemüll), wie in Teil 1 nach wie vor wie die Lemminge auf mich zustürmen, ist für mich ein Unding in Zeiten von Online-Rollenspielen, in denen dieses Problem schon lange keines mehr ist. Doch auch dies ist den Entwicklern bekannt und soll in der Verkaufsversion anders gelöst werden.

Klick-und-Blöd?

Wenn wir redaktionsintern von "Kloppmist" reden, klingt dies abfälliger, als dies eigentlich ist. Denn dahinter steckt zumeist nur der liebevolle Kosename für Action-Rollenspiele, die sich nicht unbedingt auf die Fahne geschrieben haben, die Kampfmechanik neu zu erfinden. Also Spiele, die im schlimmsten Fall mit einer 1-Klick-Technik (plus ggf. per Hotkey Einsatz

Die Kampfmechanik zeigt sich konservativ.
von Spezialfähigkeiten) über die Runden kommen. In diese Kategorie fällt Sacred 2. Amen.

Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass Ascaron etwas über den Tellerrand geblickt hätte und sich z.B. an Konsolenkollegen orientiert oder vielleicht sogar schaut, was (zumindest im Ansatz) erfreuliche Genre-Revoluzzer wie Hard to be a God oder Avencast versucht haben und die sich so erfreulich nahe an Konsolen-Kloppmist angenähert haben. Das kann ein aktiveres Kampfsystem, ein aktiver, vom Spieler ausgelöster Block usw.

Doch das Gütersloher Team verlässt sich hier auf Altbewährtes. Zu alt? Vielleicht. Zu bewährt? Das wird sich ebenfalls erst im längeren Testbetrieb zeigen, wenn wir mit den jeweiligen Figuren jenseits der Zehn-Stunden-Marke landen, die wir während der Vorschau-Phase nur in Ausnahmefällen überschreiten wollten.

Dass es mir bis hierhin trotz der simplen Kampfmechanik schwer gefallen ist, mich aus dem Griff von Sacred 2 zu lösen, ist ein Indiz dafür, dass das Umfeld über die unter dem Strich sehr klassischen Auseinandersetzungen hinweg trösten kann.

Die Vorfreude bleibt

Denn ebenso, wie ich angesichts der Kämpfe kaum in Jubelstürme verfalle, freue ich mich höllisch auf das Gesamterlebnis Sacred 2 - nach wie vor.

Denn zum einen sieht S2 richtig klasse aus, wenn man mit einem potenten Rechner ausgestattet ist. Dichte Gräser, die sich mit der Spielfigur oder im Wind bewegen, atmosphärische Beleuchtungsspielereien in den gut 200 handgezeichneten Dungeons, liebevolle Details in den Landschaften, lebende Städte, Reittiere, dynamisches Wetter, Tag-/Nachtwechsel, ein breit gefächertes Animationsarsenal und aufwändige Zaubereffekte: Es wird viel geboten und nur selten fallen Fehler wie Clippings oder Texturflackern auf die Netzhaut.

Auch Missions- und Erzählstruktur halten mich nach Stunden immer noch bei der Stange. Allerdings wird sich zeigen müssen, ob die Nebenmissionen auf lange Sicht genügend Abwechslung bieten und sich nicht in irgendwelchen Hol-/Bringdiensten oder stupiden Tötungsaufgaben verlieren, wie es momentan den Anschein hat.

Die sechs abwechslungsreich scheinenden Figuren mit ihrer jeweils eigenen Geschichte und Agenda machen mich ebenfalls neugierig.

Mal stimmungsvoll und idyllisch, mal düster und bedrohlich: Sacred 2 zieht alle visuellen Register.
Gleichsam gespannt bin ich auf die Mehrspieler-Anbindung, die wir in der Vorschau-Version noch nicht austesten konnten, die aber mit ihrer jederzeit möglichen Einkoppelung in ein anderes Spiel oder dem Einladen von Freunden einiges Potenzial besitzt.

Ebenso könnte das Crafting, das wir auch noch ausgespart haben und das sogar als Sonderfähigkeit bei den Charakteren den Schmied arbeitslos macht, einen weiteren enormen Motivationsschub bringen.

Kleine Wermutstropfen

Bei der Akustik hingegen ist derzeit eine absolute Hassliebe festzustellen. Während die Kampfgeräusche herrlich brachial tönen und die Musikuntermalung mal lieblich, mal donnernd das Geschehen unterstützt, ist die Sprachausgabe grenzwertig.

Dabei sind die Sprecher für die Hauptfiguren durchaus gut ausgewählt und mit Elan bei der Sache. Doch die Kreativabteilung hat eine Designentscheidung getroffen, mit der ich einfach nicht warm werde: Sie hat die "vierte Wand" aufgemacht. Dieser Begriff aus der Schauspielerei bezeichnet den direkten Dialog des Akteurs mit dem Zuschauer. Was in der Theater- und Filmwelt geschickt eingesetzt für eine Steigerung der Atmosphäre und eine höhere Einbeziehung des Zuschauers sorgen kann, geht hier leider nach hinten los.

Denn interessant wäre dieses Stilmittel für mich nur dann gewesen, wenn ich mehr über die Figur erfahre, mit der ich unterwegs bin. Dass ich allerdings auf dieser Seite des Bildschirms von den Spielfiguren im Wartezustand im schlimmsten Fall richtig blöd angemacht werde und im besten Fall nur einen gezwungen witzigen Kommentar bekomme, der mich nicht zum Lachen bringt, stört mich und reißt mich immer wieder aus der idyllisch-bedrohlichen Welt Ancarias heraus.   

Ausblick

Viel Licht und einiges an Schatten. Das sind die Eindrücke, die ich aus den ersten langen Urlaubsstunden in Ancaria gewinnen konnte. Die wesentlichen Elemente, die nicht nur das Genre, sondern auch den Vorgänger geprägt haben, sind immer noch da, strahlen eine enorme Souveränität aus und scheinen auch in Sacred 2 einen Großteil der Motivation auszumachen: Eine intuitive Steuerung, haufenweise Gegner und Gegenstände ohne Ende. Und obendrauf ein Mehrspieler-Modus, Reittiere, Crafting, gut 600 Missionen und sechs gut balanciert scheinende Arche-Charaktere inkl. der einen oder anderen Überraschung. Dass sich das Kampfsystem als konservativ präsentiert, muss per se nicht schlecht sein und wird erst im Dauertest mit einem Siegel versehen. Und über die gelungene Kulisse, die Ancaria mit all seinen sowohl wunderschönen als auch düsteren Facetten zeigt, braucht man nicht viele Worte verlieren. Man kann sich einfach in der riesigen Welt verlieren, die zudem noch an die 200 Dungeons bietet. Im Benutzerführungsdetail gibt es allerdings noch Verbesserungsbedarf. Auch die penetrant angreifenden Niedrigstufen-Gegner sind mir irgendwann enorm auf den Geist gegangen. Nicht so sehr allerdings wie die zwar professionelle, aber inhaltlich grenzwertige Sprachausgabe, die mich immer unnötig aus dem Geschehen gerissen hat. Sacred 2 - Fallen Angel könnte sich dennoch als würdige Fortsetzung präsentieren, die konsequent auf den Stärken des mittlerweile in die Jahre gekommenen Vorgängers aufbaut - ohne allerdings -ausgehend vom Stand der Vorab-Version- die Schwächen komplett auszumerzen. Ich hoffe, dass das Team genug Zeit hatte, sich all der kleinen und großen Unstimmigkeiten annehmen zu können. Dann nämlich könnte Sacred 2 die Tür zum Action-Rollenspiel-Olymp weit aufstoßen. In der derzeitigen Form scheitert man denkbar knapp an einer "Sehr gut"-Einschätzung.


Ersteindruck: gut

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