Ein großer Fortschritt
Frankreich, die Felder von
Agincourt, das Jahr 1415: Ein Meer aus Fahnen, Wappen und Wimpeln. Da sind die drei goldenen Löwen des englischen Königs auf rotem Grund. Ganz ohne Kavallerie hat sich das Heer der Briten zwischen zwei Wäldern aufgestellt. Im Zickzack haben sich die Bogenschützen zwischen die Reihen gespitzter Pfähle postiert, dazwischen Speerkämpfer, abgesessene Ritter und die Leibgarde von
Henry V. Ein kleiner Haufen im Angesicht der stolzen französischen Rittermacht.
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Im Angesicht des Feindes: König Henry V. und seine Briten auf den Feldern von Agincourt. Die Spielgrafik ist so gut, dass Filme nahtlos in die Feldtatktik übergehen. Creative Assembly verblüfft mit einer atemberaubenden Kulisse. |
Der
Hundertjährige Krieg wartet auf eine der interessantesten Schlachten der Militärgeschichte, die Spielewelt auf einen der spektakulärsten Titel des Jahres 2006. Es ist zwar schade, dass wir den Strategiemodus mit der Karte noch nicht testen konnten, aber auch diese historische Schlacht hat es in sich. Die Steuerung bleibt altbewährt: Entweder wählt ihr Truppen über einen Klick auf ihre Flagge, per Drag&Drop oder ihr Symbol aus; haltet ihr die rechte Maustaste gedrückt, könnt ihr Formationen aufziehen. Schon im Tutorial inhaliert man nach dem Abnicken der edlen Benutzeroberfläche und der hervorragenden Stimme des Mentors die vor Feinheiten nur so strotzende Landschaft.
Egal ob Bäume, Gras oder Blumen - alles wirkt unheimlich lebendig und natürlich. Rome hatte gar keine Vegetation, hier gibts blühende Wiesen und bewegtes Gras. Lediglich die Flussufer hätten etwas mehr Vegetation wie Schilf & Co verdient. Aber da ist noch der Himmel, da sind die Wälle, diese mächtigen Burgen. Die Kulisse sieht einfach klasse aus, die Armeen sogar ausgezeichnet. Bis zu 33.000 Mann will man in internen Tests gleichzeitig auf den Monitor gebracht haben - hier sind es erstmal ein paar Tausend, aber auch das reicht aus.
Man zoomt ganz nah ran, um sich von dieser nächsten Generation des Kriegsspiels verblüffen lassen: Vorbei sind die Zeiten, da fast alle einfachen Krieger geklont wurden - man sieht selbst unter Lanzenträgern oder Men-at-Arms bärtige, strumpfhosige, rotlederne, langarmige, glatzköpfige, behelmte, unbehelmte. Natürlich gibt es auch Doppelgänger, aber der Illusion einer Armee aus Individuen war noch kein Spiel so nah. Nicht nur diese Variation in Sachen Gesichter und Ausrüstung verblüfft, auch der Wechsel in der Bewegung.
Asynchrones Mittelalter
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Das knackige Tutorial weiht euch in die Steuerung ein. Wer den Vorgänger kennt, wird sich problemlos zurechtfinden; Einsteiger profitieren von der aufgeräumten Benutzeroberfläche und klaren Anweisungen. |
Erinnert ihr euch an
Rome: Total War ? Dort wedelten alle Pferde im synchronen Takt mit dem Schwanz. Erst, wenn man die Funktion der Desynchronisierung aktivierte, sah man unterschiedliche Bewegungen. Jetzt sieht man gleich auf einen Schlag zig asynchrone und eigenständige Animationen - sowohl in den Reihen der Soldaten als auch der Reiter. Und das ist nur die stille Faszination des Anfangs, noch hat die Schlacht nicht begonnen. Erst wenn die Schwerter klirren erreicht Medieval 2 Gänsehautniveau.
Aber noch sind die Armeen ein paar hundert Meter auseinander. Was bewegt sich da hinten? Da ist dieser aufgewühlte Dreck, der sich in Form feiner Staubwolken um die Kriegshaufen wühlt. Aus der Distanz sehen sie mit ihren langen Piken, aus wie langsam kriechende Igel. Bewegt man die Pfeiltasten über die sanft geschwungenen Felder von Agincourt, kommt man zur blauen Lilie der Franzosen. Ihr Heer ist nicht nur größer als das der Briten, sondern auch weitaus prächtiger: Stolze Ritter marschieren da in voller Montur auf, Pferde warten ungeduldig auf den Galopp.
Historisch korrekt?
Das Team von Creative Assembly hat dieses ungleiche Machtverhältnis und die Aufteilung der Truppentypen sehr gut recherchiert. Zwar vermisst man abseits der königlichen Lilie die Hauswappen der fränkischen Adelsgeschlechter, aber sowohl die Landschaft als auch die Formationen entsprechen in
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Wappen und Wimpel, Stahl und Leder: Wenn die Truppen aufeinander treffen, wird der Nahkampf mit zig individuellen Manövern zelebriert. |
etwa den Quellen. Wenn ihr ein Freak seid wie ich, der sich Ospreys Military Books kauft, Miniaturen bemalt oder Klassiker der Militärgeschichte wie John Keegan liest, werdet ihr trotz kleiner Fehler voll auf eure historischen Kosten kommen. Ihr könnt aber auch einfach drauf pfeifen und so euren Spaß haben.
Denn spätestens, wenn die französische Kavallerie zur Attacke bläst und die ersten blauen Lawinen aus Stahl mit lautem Kampfgeschrei auf euch zurollen, ist es vollkommen egal ob das Drama auf mittelalterlichen Quellen beruht oder nicht: das Herz pocht! Wenn man sich in diesem Moment mit dem Zoom und der Kamera in etwa auf Augenhöhe der einfachen Kämpfer in der vordersten Linie begibt, ihnen quasi über die Schulter schaut und die Geschwindigkeit der Franzosen spürt, liebt man dieses Spiel. Es nähert sich diesen adrenalinhaltigen Momenten, die man nur erahnen kann.