Guild Wars: Nightfall24.10.2006, Benjamin Schmädig
Guild Wars: Nightfall

Vorschau:

Guild Wars mausert sich: Was vor seinem Erscheinen wie ein trotziger Angriff auf das Blizzard-Monopol aussah, ist inzwischen ein dicht besiedelte Onlinewelte. Ohne monatliche Gebühren und mit einem starken Mehrspieler-Modus kann sich ArenaNet von der Konkurrenz abheben – und mit Nightfall wollen die Entwickler auch Solospieler begeistern. Welcher Stilmittel bedient man sich in der zweiten eigenständigen Erweiterung?

Weniger könnte mehr sein

Was hält Solo-Rollenspieler davon ab, sich in die Onlinewelten eines MMORPGs zu stürzen? Genau: Den Abenteuern fehlt eine mitreißende Handlung, die von großen Kriegen und menschlichen Schicksalen erzählt. Außerdem bleiben die eigenen Charaktere im Verlauf der Geschichte meist blass, so dass man sich nur über trockene Werte (m., 1,87, 43 Monde alt, beruflich als Mönch tätig&) mit dem Alter Ego identifizieren kann. Guild Wars und 

Einer der zwei neuen Charaktere bei der Arbeit: Im Fernkampf ist der Paragon eigentlich besser aufgehoben.
insbesondere die erste Erweiterung Factions legten den Schwerpunkt sogar bewusst auf Multiplayer-Gefechte (... sucht Attentäter für gelegentlichen Plausch und PvP-Treffs) - Solospieler mussten sich hingegen durch Textfenster und sterile Aufträge kämpfen, um wenigstens den Hauch eines echten Abenteuers zu spüren. Mir macht es Spaß, aber gegen Kaliber wie Knights of the Old Republic oder Oblivion kann Guild Wars nicht anstinken.

Um es vorweg zu nehmen: Letzteres wird sich auch in Nightfall nicht ändern. Aber zumindest sollen Solisten diesmal eine spannende Geschichte erleben. Zu den Zutaten zählen charismatische Helden, schöne Zwischensequenzen und eure eigene Party. Ihr seid nämlich nicht mehr alleine oder mit einer Hand voll unpersönlicher Gefolgsleute unterwegs, sondern tretet viele Missionen mit einem oder mehreren echten Helden an - mindestens zwölf davon begegnet ihr auf eurer Reise. Allerdings werdet ihr nur drei davon in eure Gruppe aufnehmen, mitunter habt ihr deshalb die Qual der Wahl: Wer ist euch sympathischer, wessen Fähigkeiten ergänzen sich besser mit euren eigenen?

"Ihr kämpft nie allein"

So weit, so gut, aber schon in Guild Wars: Prophecies (der Untertitel des Hauptspiels) sowie der ersten Erweiterung seid ihr selten solo losgezogen. Auch dort waren es höchstens drei Begleiter, die euch zur Seite standen. Warum macht Nightfall also so viel Wirbel darum? Ganz einfach: Die Helden sind keine profillosen Mitläufer, sondern begegnen euch in filmisch inszenierten Dialogen, haben unterschiedliche Hintergründe und vor allem ihre eigenen Motive, um durch das neue Land Elona zu ziehen. Koss z.B., den ihr gleich am Anfang trefft, ist ein junger Krieger wie er im Buche steht. Er gehört zum militärischen Orden der Sonnenspeere, führt seine Leute mit dem Charisma eines Anführers an und will sie stark genug machen, um die schon im Titel drohende Finsternis abzuwenden.

Euch selbst erteilen die Figuren dabei keine Befehle, denn nach wie vor bringt ihr den Ablauf nur mit euren eigenen Aktionen voran. Ihr könnt den Helden allerdings Anweisungen geben. So bestimmt ihr Wegpunkte, zu denen sie vorstoßen sollen, legt ihre Angriffslust (aggressiv, normal, zurückhaltend) fest  und kümmert 

Solchen Gemäuern begegnet ihr oft. Katapulte wie das im Vordergrund könnt ihr selbst benutzen.
euch wie beim eigenen Alter Ego um deren Ausrüstung sowie das Zuweisen von Fähigkeiten. Die Helfer steigen zudem im Rang auf und wenn das geschieht, kümmert ihr euch um die Verteilung von Erfahrungspunkten - genau so, wie ihr es von den Begleitern anderer Rollenspiele kennt. Bislang konnte ich leider allerdings nicht entdecken, dass die Akteure ein Eigenleben abseits der Zwischensequenzen entwickeln: Sie unterhalten sich zwar über Textfenster miteinander, das konnten die bisherigen Gefolgsleute aber ebenfalls. Auch könnt ihr keine echte Unterhaltung mit den Gefährten führen, sondern entlockt ihnen lediglich Monologe.

Mehr für Mehrspieler

Die Entwickler haben aber nicht vergessen, dass sie trotz ihrer Bemühungen in Sachen Solospiel an einem Multiplayer-Titel werkeln und so dürft ihr die Helden sogar in PvP-Kämpfe mitnehmen: In einer speziellen Variante der Auseinandersetzungen tretet ihr mit eurem Team gegen die Mannschaft eurer  Widersacher an. Dabei geht es nicht nur ums Erledigen der gegnerischen Gruppe, sondern z.B. um das Halten bestimmter Stellungen. Falls ihr das Zeitliche segnet, bleibt die Kamera übrigens nicht auf dem Toten fixiert; stattdessen beobachtet ihr das Geschehen bis zur Wiederbelebung aus der Sicht eurer Mitstreiter.          

Trotz alledem zieht ihr nicht nur mit den neuen Helden los, sondern füllt eure Ränge bei Bedarf mit den aus Prophecies und Factions bekannten Gefolgsleuten. Das ist schon deshalb wichtig, weil der Großteil eures Tuns nach wie vor aus dem Erledigen von Aufträgen besteht, welche die Handlung nicht voran bringen. Erst wenn ihr eine vorgegebene Erfahrungsstufe erreicht, könnt ihr der Geschichte weiter folgen. Am Umgang mit den Gefolgsleuten hat sich nichts geändert: Sie stehen euch zwar zur Seite, wollen aber weder ausgerüstet noch im Kampfverhalten beeinflusst werden.

"Schiffe versenken"

Auch die entsprechenden Missionen bieten das aus Hauptprogramm und Factions bekannte Repertoire, so dass ihr Nachrichten übermittelt, besondere Bösewichter 

Der zweite neue Charakter: eine Derwisch.
kaltstellt oder Gegenstände besorgt. Nur wenn ihr der Handlung folgt, erwarten euch Aufgaben, die umfangreicher als gewohnt ausfallen. Gleich zu Beginn wehrt ihr z.B. einen Angriff ab, indem ihr erst alle Fieslinge erledigt und anschließend deren Schiffe versenkt. Um das zu erreichen, sucht ihr Pulverfässer, bringt sie zu einem Katapult und feuert die explosive Ladung gegen die feindlichen Boote. An anderer Stelle könnt ihr hingegen festlegen, an welcher Position weitere Helfer der Sonnenspeere zur Verteidigung in Position gehen sollen.

Um die Missionen in die Story einzufädeln, gibt es immer wieder vertonte Zwischensequenzen, in denen euer Alter Ego erstmals mit Lippbewegungen zum Sprechen kommt. Das klingt nach einer unbedeutenden Änderung? Oberflächlich gesehen ist es das auch, doch der scheinbar kleine Schritt macht die Einspielungen glaubhafter und erzählt die Geschichte intensiver als bisher.

Bildschöne Fantasie

Apropos Alter Ego: Selbstverständlich fügt auch Nightfall der Online-Welt mehr als 300 neue Fähigkeiten, jede Menge Monster sowie zwei Berufe hinzu. Mit der Derwisch-Lady zieht ihr als Nahkämpfer los, während ihr als Paragon aus der Ferne attackiert und die Energie, Gesundheit oder Moral eurer Truppe stärkt. Und in was für einer Welt seid ihr diesmal unterwegs? Schon für Prophecies hat sich ArenaNet bei asiatischen Elementen bedient und Factions verstärkte den Eindruck noch. Setzt Nightfall den Trend fort? Mitnichten. Anstatt ausgetretene Fußstapfen zu vertiefen, hat es die Entwickler gedanklich nach Afrika verschlagen, so dass ihr in den staubigen Wüsten an vielen Gebäuden und Schiffen vorbei kommt, welche die Glanzzeit ägyptischer Pharaonen ins Gedächtnis rufen. Für Abwechslung sorgen Areale, die an den Regenwald Südamerikas erinnern. Inzwischen seht ihr an der Grenze zwischen Stadt und Wildnis übrigens Portale, die an ein Stargate erinnern. Somit laufen unaufmerksame Spaziergänger nicht mehr aus Versehen in den Ladebildschirm. Ich fand den bisher unsichtbaren Übergang zwar stimmiger, aber sei's drum: Guild Wars entführt euch auch mit der zweiten Erweiterung in die derzeit schönste Online-Fantasywelt.           

Ausblick

Es ist interessant, dass Elona, der Name des Gebiets, in dem ihr in Nightfall unterwegs seid, ein Anagramm des Wortes alone, auf Deutsch: allein, darstellt. Wollen die Entwickler bewusst darauf hinweisen, dass sie die bisherige Bedeutung von Solo-Abenteuern in MMORPGs umzukrempeln versuchen? Das Unterfangen steht scheinbar auf soliden Füßen, denn was von der Solo-Kampagne bislang zu sehen war, macht Lust auf mehr. Endlich bin ich wirklich Teil dieser Welt, weil ich eine lebendige Geschichte erlebe und ArenaNet Personen mit nachvollziehbarem Eigenleben zeichnet. Dass die Kampagne dem bisherigen Eindruck nach nicht mit Größen wie Oblivion mithalten kann, liegt einfach daran, dass sich die Zwischensequenzen auf Kamerafahrten um die Akteure beschränken und der Großteil eures Daseins noch immer aus Tätigkeiten besteht, welche die Handlung nicht voran bringen: Gegenstände beschaffen, Monster metzeln oder Nachrichten überbringen treibt meist nur eure Erfahrungswerte in die Höhe. Da ich jetzt die Entwicklung meiner Party steuern und meine Gefährten über das Feld dirigieren kann, könnte die Motivation beim längeren Spielen allerdings einen starken Schub erfahren. Der frische Schauplatz tut sein Übriges. Und falls ihr weiterhin spannende PvP-Schlachten erleben wollt, schlagt ihr mit dem Helden-Modus fordernde Kämpfe mit erweiterten taktischen Möglichkeiten. Jetzt hoffe ich nur, dass die Persönlichkeit der Helden auch abseits der vorgefertigten Sequenzen durchschimmert, so dass ich mehr über deren Hintergrund erfahre.

Ersteindruck: sehr gut

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