Finding Paradise22.12.2017, Alice Wilczynski

Im Test: Auf der Suche nach Emotionen

Ganze sechs Jahre ist es her, dass Kan Gao uns mit dem Adventure To the Moon auf eine gefühlvolle Reise in 16 Bit schickte. So schrieb Ben damals in seinem Fazit: „ To the Moon hatte mein Herz gefangen und bis zum Finale nicht mehr losgelassen.“ Nachdem die spielbare Kurzgeschichte A Bird Story bereits einen ersten Eindruck davon vermittelte, erleben wir im offiziellen Nachfolger Finding Paradise die ganze Lebensgeschichte von Patient Colin. Ob uns auch diese fesseln konnte, lest ihr im Test.

Steckt die Taschentücher weg

Wenn Kan Gao ein Spiel entwickelt, kann man sicher davon ausgehen, dass ich am Ende schluchzend und doch glücklich in einem Tränenmeer versinke. So schaffte Gao es in To the Moon mich intensiv in die Lebensgeschichte seiner Charaktere zu ziehen, die so wunderbar verträumt, mal naiv und mal tragisch war. Leider schafft Finding Paradise dies nicht.

Dabei sind die Grundvoraussetzungen zunächst dieselben: Dr. Rosalene und Dr. Watts erhalten erneut einen Auftrag den letzten Lebenswunsch eines sterbenden Patienten zu erfüllen. Dafür implementieren sie ihm mit der Technologie der „Sigmund Corp“ eine alternative Biografie, die auf seinen persönlichen Erinnerungen basiert. Protagonist Colin gibt sich jedoch schrecklich bescheiden, denn sein einziger Wunsch ist es glücklich zu sterben, ohne dass zu viele Erinnerungen verändert

Dr. Rosalene und Dr. Watts sollen den letzten Wunsch eines sterbenden Menschen erfüllen.
werden. Doch das ist nicht so einfach, wie es klingt. Wie im Vorgänger durchläuft man daher verschiedene Altersstufen  und sammelt Erinnerungskugeln, um die jeweils nächste Stufe zu aktivieren und etwas über das Leben des Protagonisten zu lernen. Wie im Vorgänger erfährt man dabei erst im Verlauf der Reise, wie man dem Patienten seinen Wunsch erfüllen kann.

Erinnerungen Sammeln wie ein Roboter

Leider klickte ich mich irgendwann nur noch wie ein Roboter von Raum zu Raum. Es gab kaum Erkundungsreize und man fand keine Notizen oder Erinnerungsstücke, was mittlerweile in fast jedem Adventure Standard ist. Und das eine stumpfe Schieberätsel, das man mit leichten Variationen immer wieder machen musste, war viel zu leicht. Wieso sollte ich mich also anstrengen? Die Objekte, die Erinnerungskugeln enthalten, sind so offensichtlich gekennzeichnet, dass man zu keinem Zeitpunkt nach ihnen suchen muss. Auch weiß man stets wie viele Kugeln man noch finden muss, um zum nächsten Abschnitt zu gelangen. So besteht das ganze Spiel aus den immer gleichen Abläufen: Kugeln finden, zu Gegenständen bringen, die als Tore in neue Erinnerungen dienen, Schieberätsel lösen und das Ganze von vorne. Wieder und wieder und wieder

Der immer gleiche Rätseltyp ist kaum mit der emotionalen Geschichte verknüpft.

Es fehlen Spannung und Aha-Momente abseits der Geschichte. Zuletzt zeigte die erneut am Soundtrack beteiligte Laura Shigihara mit ihrem Rakuen, wie viel intensiver eine Geschichte wirkt, wenn Rätsel und Erkundungsreize mit der Erzählung verknüpft sind. Und Gao versucht sogar im letzten Drittel mit kleinen Arcade-Einlagen etwas Abwechslung in die Routine zu bringen. Leider fühlte es sich genauso an: Wie ein Element, das man einfügt, um wenigstens etwas Spielerinteraktion abseits vom Klicken anzubieten. Auch werden neue Elemente wie das Wechseln zwischen Rosalene und Watts oder das Verändern ihrer Kleidung, inklusive Gurkensocken und lustigem Schnauzbart, nur kurz zu Beginn ermöglicht und direkt wieder verworfen. Die Finesse eines What Remains of Edith Finch oder Night in the Woods ist weit entfernt.

Selbst der sonst so grandiose Soundtrack will sich diesmal nicht so richtig ins große Ganze einfügen. Die Klavierstücke sind zwar erneut allesamt atmosphärisch, doch es fehlen starke Themen wie ein „For River“ aus To the Moon oder „Searching my Life“ aus Rakuen, die immer wieder an wichtige Momente und Charaktere erinnern und so die emotionale Geschichte untermalen.

Keine Geschichte zum Wegträumen

Auch To the Moon kämpfte mit diesen spielerischen Defiziten, jedoch reichte die rührende Geschichte als Motivation zum Weiterspielen aus. Man wollte immer tiefer in die Vergangenheit des Protagonisten dringen, um seine tragischen und freudigen Höhepunkte zu erleben und ihm endlich seinen Lebenstraum zu erfüllen.

Doch auch in dieser Beziehung enttäuscht Finding Paradise. Anfangs war es toll wieder in einer pixelig verträumten Spielwelt zu sein und dabei zuzusehen wie Colin sich als Kind mit der geheimnisvollen Nachbarin anfreundet, oder als Erwachsener seinen neugeborenen Sohn in den Armen hält. Gute Ansätze gab es genügend, doch dümpelte die in meinem Spieldurchgang

Leider kann man nur oberflächlich an wichtigen Momenten in Colins Leben teilnehmen.
über sechs Stunden lange Geschichte aus dem Leben eines einsamen Tagträumers zu oft einfach nur vor sich hin, ohne wirklich zu fesseln - ein Genickbruch bei einem Spiel ohne Erkundung und Rätsel!

Ein Ende ohne Tränen

So erhielt ich zwar viele Einblicke in Colins Leben, doch durfte ich kaum eine Situation wirklich nacherleben. Es wird beispielsweise erwähnt, dass er in der Schule ausgeschlossen wird. Bis auf eine Situation wo er allein auf dem Schulhof sitzt, war ich als Spieler aber nie dabei. Auch seine Faszination am Fliegen wird nicht wirklich thematisiert. So geht er eines Tages zum Flughafen und wird eben irgendwann Pilot. Zu viele Momente werden so oberflächlich präsentiert, dass sie mich gar nicht berühren konnten. Auch die Schauplätze reichen diesmal nur von einem nicht sehr liebevoll gestalteten Haus inklusive Balkon, über Flughafen-Hallen bis zu einem Wäldchen. Dabei hätte man doch gerade einen einsamen Tagträumer so viele schöne Orte besuchen lassen können!

Die große Auflösung am Ende versucht der Geschichte die nötige Tiefe zu geben und zu erklären wieso nur bestimmte Momente aus Colins Leben ausgewählt wurden. Doch selbst mit dieser Prämisse muss es möglich sein, die gezeigten Momente intensiv und fesselnd darzustellen. Auch die wichtige Frage, wie sehr man das Leben eines Menschen beeinflussen sollte, wird nicht ausreichend tief beleuchtet, um wirklich zum Nachdenken anzuregen. Hier hätte man die Sigmund Corp. zum Beispiel kritisch unter die Lupe nehmen können. Meine Augen blieben jedenfalls erstmalig bei einem Spiel von Freebird Games trocken.

Fazit

War der Druck vielleicht zu hoch? Trotz guter Ansätze gelingt es Kan Gao mit Finding Paradise nicht eine fesselnde Geschichte zu erzählen. Zum einen gibt keine Erkundungsreize und nur ein immergleiches Schieberätsel - es fehlt eine sinnvolle Verbindung zwischen Spiel und Erzählung. Zum anderen kratzt selbst die nur an der Oberfläche, denn allzu gerne wäre ich tiefer in die Lebenswelt des Tagträumers Colins eingetaucht - habe stattdessen aber nur kurze Ausschnitte seines Lebens gesehen, anstatt ihn wirklich kennenzulernen. Nur wenige starke Momente und der atmosphärische Soundtrack sorgen dafür, dass die Fortsetzung zu To the Moon überhaupt noch ein befriedigendes Erlebnis ist.

Pro

Atmosphärischer Soundtrack...
Colins Geschichte enthält interessante Ansätze...

Kontra

... dem der Wiedererkennungswert fehlt
...weiß aber nicht zu fesseln
keine Erkundungsreize
einzige Rätselart ist zu einfach und langweilig

Wertung

PC

Finding Paradise schafft es nicht, den Spieler auf eine emotionale Reise mitzunehmen, was die fehlenden Erkundungsreize und Rätsel nur noch mehr vermissen lässt.

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