Bombshell04.02.2016, Mathias Oertel
Bombshell

Im Test: Dukes kleine vorlaute Schwester

3D Realms, die Kultschmiede hinter Shooter-Ikonen wie Lo Wang oder Duke Nukem, ist wieder da. Derzeit ist man zwar nicht als Entwickler unterwegs, sondern kehrt vorerst nur als Publisher zurück. Doch das vom dänischen Studio Interceptor Entertainment (Rise of the Triad Reboot) entwickelte Bombshell verkörpert alle Retro-Tugenden, die man von 3D Realms erwartet: Laut, direkt, kompromisslos. Doch reicht das, um einen erfolgreichen Neustart zu gewährleisten? Der Test gibt die Antwort.

Dukes schwesterlicher Sidekick auf Solopfaden

Wer oder was ist Bombshell? Hinter dem Spitznamen verbirgt sich Shelly Harrison, eine ehemalige Expertin für Bombenentschärfung, die nach einem Arbeitsunfall mit einem bionischen bzw. robotischen Arm ausgestattet wurde. Mittlerweile ist sie als Söldnerin unterwegs, die auf den Plan gerufen wird, nachdem Aliens das Weiße Haus in Washington angreifen und einen persönlichen Rachefeldzug beginnt, der sie mit einem alten Feind zusammen führt. Doch sie ist mehr als das. Ursprünglich sollte sie ein Sidekick in Duke Nukem Forever sein und tauchte auch kurz im E3-Trailer aus dem Jahr 1998 auf, bevor sie in der Versenkung verschwand, aus der sie jetzt hervorgeholt wurde.

Schwer bewaffnet und immer einen flotten Spruch auf den Lippen: Die geistige Nähe zu Duke Nukem ist fast immer spürbar.
Doch dies ist nicht die einzige Querverbindung zum Duke. Denn ursprünglich war er als Hauptdarsteller dieser isometrischen Action vorgesehen.  Doch ein Gerichtsprozess zwischen Gearbox und 3D Realms bzw. Interceptor verhinderte dies. Dementsprechend disponierte man um und entwickelte eine schlagkräftige weibliche Hauptfigur, besagte Shelly Harrison. Allerdings teilt sie sich einige Eigenschaften mit Nukem, ihrem Bruder im Geiste: Sie flucht wie ein Rohrspatz. Sie hasst Außerirdische. Und sie hat immer irgendeinen Einzeiler auf den Lippen, mit dem sie ihre Aktionen kommentiert. Sie hat meist das letzte Wort – sei es nur in Form eines Projektils.

Überall Déjà-vu

Aliens greifen das Weiße Haus an? Das gab es doch schon mal? Richtig: Independence Day. Aber das meine ich in diesem Fall gar nicht. Denn auch in Volitions Saints Row 4 haben Außerirdische bereits vergeblich versucht,

Die Action wird effektreich inszeniert.
den amerikanischen Präsidenten zu töten bzw. gefangen zu nehmen. Die Kyrr (ausgesprochen: Karrr), die hier als primäre Antagonisten aufgebaut werden, haben zwar augenscheinlich mehr Erfolg und nehmen Madame Präsident als Geisel, doch sie haben nicht mit Bombshell gerechnet. Dies ist allerdings nicht das einzige Merkmal, das einem bekannt vorkommt. Die isometrische Action wird als Zweistick-Shooter inszeniert. Sprich: Bewegung und Zielen funktionieren unabhängig voneinander. Im Gegensatz zu Neon-Ballereien wie Geometry Wars 3 muss jeder Schuss bzw. jede Salve aber wie bei Housemarques Dead Nation manuell abgefeuert werden. Da sowohl Knopfbelegung als auch vor allem die angenehm direkte Steuerung der Figur per Pad durchweg gelungen sind, habe ich mich schnell von der zwar ebenfalls akkuraten, aber nicht ganz so rund anfühlenden Maus-/Tastatur-Kombo verabschiedet.

Die sehr schmächtigen Elemente, die man dem Action-Rollenspiel entliehen hat, sind Charakterentwicklung, die sich auf Schild- und Lebensenergie sowie ein Quartett von Spezialfähigkeiten beziehen. Und natürlich gibt es auch ein rudimentäres Waffenfortschrittssystem: Jede der acht Knarren kann in diversen von Bombshells Levelfortschritt abhängigen Stufen aufgewertet werden – insofern man zusätzlich das nötige Kleingeld aufgesammelt hat, das in den großräumigen Abschnitten herumliegt oder von Opfern fallen gelassen wird. Die einzige hier nennenswerte Mechanik: Mit der dritten Stufe jeder Waffe muss man sich für eine von zwei Sekundärfähigkeiten entscheiden. Der Rest ist Routine, wie man sie schon in zahlreichen Spielen von besagtem Dead Nation über Narco Terror, Helldivers bis hin zu Renegade Ops oder Warhammer 40K: Kill Team gesehen hat.

Umfangreich, aber leer

Die Menüs werden im Retro-Stil präsentiert.
So kämpft man sich über etwa 15 Stunden durch Hundertschaften mal platzierter, mal unvermutet auftauchender, mal geskripteter Gegner. Und damit circa fünf Stunden mehr, als Bombshell gut tut. Denn auch wenn die dank Unreal-Technologie ansehnlichen Kulissen ebenso überzeugen wie die Effekte und Explosionen, wird man des Action-Overkills irgendwann überdrüssig. Die Nebenaufgaben sind ebenso monoton wie die auf Dauer ermüdenden Gefechte, die nur bei Bossen und bei den sporadisch eingestreuten neuen Gegnertypen mit neuer Frische erwachen. Die Spielzeit wird durch unnötiges Backtracking gestreckt, das erneute Schleusen der Spielfigur durch bereits besuchte und gereinigte Gebiete. Die Exekutionen, die Bombshell bei stark geschwächten Gegnern durchführen kann, sind zwar gut für das Erfahrungspunktekonto, nutzen sich aber ebenso schnell ab wie ihre auf Dauer lahmenden Einzeiler.

Zudem gibt es auch mit dem Patch 1.01, der bestimmte nervende Situationen entschärft, immer noch einen stark schwankenden Schwierigkeitsgrad. Die meiste Zeit hat man nur wenige Probleme,

Umgebungen, Effekte und prinzipielle Mechanik passen. Doch Spannung oder Abwechslung sucht man hier vergebens - auch wenn man mal hinter stationäre Geschütze darf.
sich durch die Gegnerhorden zu ballern. Ab und an muss man zwar auf Gepanzerte aufpassen, die die Projektile reflektieren, so dass man sich mit Dauerfeuer nur selbst schadet. Doch in etwa einer Hand voll Situationen springt das Anforderungsprofil abrupt nach oben und kann so für Frust sorgen. Überhaupt ist die Balance hinsichtlich der Waffenaufrüstung nicht optimiert: Vor allem die Standard-Ionen-Pistole, die stellvertretend für den Humor Ion Maiden getauft wurde, macht Probleme. Denn zum einen ist sie ab etwa der sechsten Aufrüstungsstufe leicht übermächtig. Zum anderen macht es keinen Unterschied, ob man am Ende des sich automatisch aufladenden Magazins angekommen ist. Drückt man wie wild den Abzug, kann man auch mit dem ständig zwischen 0 und 1 springenden Munitionsvorrat die Gegner plätten – hmm. Bei den anderen Waffen wie dem Raketenwerfer (PMS, hach wie witzig) oder der Schrotflinter (MotherFlakker), die auf physischen Munitionsnachscchub angewiesen sind, ist wenigstens der taktisch richtige Zeitpunkt gefordert, um die entsprechende Knarre einzusetzen.

Fazit

Bombshell ist als Twinstick-Ballerei primitiv, redundant und besitzt einen spröden sowie aufgeblähten Mittelteil, der nicht nur mit unnötigem Backtracking an den Geduldsnerven sägt. In der Anfangsphase der etwa 15 Stunden dauernden Kampagne ist man noch neugierig, wie sich die plakative Figur und die Geschichte entwickeln. Man ist noch nicht sehr mächtig. Und die aus allen Richtungen angreifenden Gegner stellen punktuell immer wieder eine Gefahr dar. Im letzten Viertel legt sich Interceptor ebenfalls ins Zeug. Quasi aus dem Nichts kommen ordentliche Schalterrätsel hinzu. Die Gefechte werden wenigstens durch Masse wieder spannend. Und die Nebenmissionen lassen sich auch nur lösen, wenn man jeden Winkel der Abschnitte durchsucht. Es hätte zwar durch Anfälligkeit der Gegner gegen bestimmte Waffen noch mehr Abwechslung sowie minimaler taktischer Anspruch in die ballistischen Auseinandersetzungen kommen können. Doch es gibt unter dem Strich punktuell immer wieder ordentliche Momente. Leider hat Interceptor in der Mitte den Faden in vielerlei Hinsicht verloren. Die Mechanik punktet zwar weiterhin mit supersolider, aber auch vorhersehbarer  Action. Doch Spannung, Dramaturgie oder Überraschung sucht man hier vergebens. Auch mit Duke als Hauptfigur (wie ursprünglich vorgesehen, aber dann durch ein Gerichtsurteil gestoppt) hätte die Premiere des neu formierten 3D Realms es schwer, sich gegen die inhaltlich potentere Konkurrenz wie Dead Nation, Helldivers oder Renegade Ops durchzusetzen.

Pro

solides Dualstick-Ballern
passable Kulisse
Umgebungs-Rätsel...
gute Steuerung
acht aufrüstbare Waffen

Kontra

aufgeblähter Mittelteil
vorhersehbare Action ohne jegliche Überraschung
... die aber viel zu spät eingesetzt werden
Einzeiler und Exekutionen nutzen sich ab
viel Backtracking
wenig Gegner-Variation

Wertung

PC

Der Neuanfang für 3D Realms ist nur eingeschränkt geglückt. Mechanik und Kulisse zeigen sich solide, Shelley als Duke-Ersatz bietet Potenzial, doch das Team von Interceptor verliert im Mittelteil vollkommen den Faden.

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