Agents of Mayhem18.08.2017, Mathias Oertel

Im Test: Beklopptes Dutzend auf Weltrettung

Die Saints sind Vergangenheit. Doch Volition kann nicht von dem Universum lassen, in dem man zuletzt sogar als amerikanischer Superhelden-Präsident tätig war und mit Johnny Gat durch die Hölle ging. Mit Agents of Mayhem (ab 3,77€ bei kaufen) ändert sich aber nicht nur der Schauplatz weg von Bandenkriegen: Man darf sich in einem futuristischen Seoul mit einem kunterbuntem Trupp abgefahrener Agenten herumtreiben und in der offenen Welt die Schergen der bösen Organisation "Legion" jagen. Ob sich der Ausflug lohnt, verraten wir im Test.

Ordentlicher Stammbaum

Fans von Saints Row dürfen sich auf einige Déjà-vus freuen. Auch abseits des Purpur werden immer wieder Elemente eingestreut, die auf die Gangster-Abenteuer in Stilwater oder Steelport anspielen: Die Ultor Corporation wird erwähnt. Mit Pierce Washington und Johnny Gat (für Vorbesteller und in der Day-1-Edition) kehren zwei bekannte Charaktere zurück. Und die Lilie als Symbol für die von der zwielichtigen Persephone geführten Mayhem-Agentur für Geheimagenten ist ebenfalls eine alte Bekannte. Auch bei grundsätzlichen Designfragen bleibt man dem Universum treu. Die Action wird in einer offenen Welt inszeniert, in der es neben fast 60 Hauptmissionen nochmal die etwa gleiche Menge an mal mehr, mal weniger umfangreichen Nebenmissionen gibt, so dass man gut und gerne zwischen 15 und 25 Stunden in der kunterbunten Welt verbringen kann.

Bei dem durchgeknallten Humor, der sich durch Agents of Mayhem zieht, wird auch nicht vor "Uranus"-Witzen halt gemacht. Natürlich funktioniert dies nur in Englisch, weswegen man hierzulande nur deutsche Untertitel zuschalten darf.
Der Spaß, den man dabei haben wird, ist allerdings stark davon abhängig, wie empfänglich man für den Humor ist, der sogar für Volition-Verhältnisse ungewöhnlich direkt, mitunter vulgär und schonungslos ist. Und es wird geflucht, was das Zeug hält. Die Rollerderby-Queen Daisy bezeichnet sich selber als ein „Haus aus Beton, das nur Ficken und Kämpfen kann“, während die ehemalige Militär-Ausbilderin Braddock ebenfalls kein Blatt vor den Mund nimmt. Es gibt zwar auch gelegentlich subtileren Wortwitz und man wird auch zahlreiche andere Anspielungen auf Filme, das Musikbusiness sowie Popkultur im Allgemeinen entdecken. Doch wer schon mit Austin Powers nichts anfangen konnte und die Gags in Deadpool für unnötig oder überzogen hält, wird auch hier schnell die Segel streichen. Für mich hingegen hat Volition erzählerisch eine sehr unterhaltsame Persiflage auf einschlägige Superhelden und Agenten abgeliefert.

Das durchgeknallte Dutzend

Denn auch die anderen Agenten, die Persephone für den Kampf gegen die ultraböse sowie kurz vor der Weltherrschaft stehende Organisation Legion zusammengetrommelt hat, haben mitunter nicht mehr alle Tassen im Schrank. Hollywood z.B. ist ein Reality-TV-Star, der als Kopfgeldjäger vor laufenden Kameras einen "Arbeitsunfall" hatte. Red Card ist ein deutscher (!) Hooligan, der sich auf die Mayhem-Seite schlägt, nachdem ein Spiel seines Lieblingsclubs FC Rüdesheim Am Rhein von Legion unterbrochen wird. Auch die Nebencharaktere, die auf den Missionen per Funk mit einem kommunizieren oder auf der so genannten Arche nicht nur mit Dienstleistungen, sondern auch stets einem gut gesetzten Einzeiler warten, passen gut in dieses Bild. Sehr schön übrigens, dass die Dialoge auf den Charakter der Figuren abgestimmt sind, so dass die geheimnisvolle

In den Gefechten wird häufig ein Effektfeuerwerk abgefackelt.
Sheherazade andere Antworten geben wird als der schweigsame Yakuza-Killer Oni oder die sich sowohl für Wissenschaft als auch Mode begeisternde Joule.  Dass die mitunter absurden Dialoge, die man allerdings abseits der Figurenwahl nicht beeinflussen kann und die auch keine neuen Wege öffnen, das simple erzählerische Fundament bei weitem überstrahlen, ist mir an dieser Stelle egal.

Agents of Mayhem zelebriert ein klares Schwarz-gegen-Weiß, Mayhem gegen Legion. Punkt. Immerhin werden die Hauptantagonisten hinsichtlich der Inszenierung ebenso gewürdigt wie die Mayhem-Agenten und bekommen erstklassige Cartoon-Sequenzen spendiert, um sie in der Geschichte vorwärts zu bringen. Diese aufwändig produzierten, teils mehrere Minuten langen Szenen passen gut zum allgemeinen knallbunten Comic-Artdesign, das sich hinsichtlich der Spielgrafik irgendwo zwischen Borderlands, Team Fortress 2 und dem einen oder anderen Telltale-Adventure einsortiert. Dementsprechend sollte man auch die überkandidelte Action mit ihren gleißenden Explosionen und den an die Action-Helden der späten 80er/frühen 90er Jahre erinnernden Kommentaren der Agenten nicht ernst nehmen.

Trio Infernale auf Solopfaden

Obwohl man zwölf Helden zur Verfügung hat und man letztlich nur einen davon im Einsatz steuert, ist man in einem Dreierteam unterwegs, zwischen dessen Mitgliedern man auch während der Gefechte hin und her schalten darf. Da die Agenten nicht nur über unterschiedliche Bewaffnung und damit Reichweite bzw. Effektivität, sondern auch verschiedene Spezial- und so genannte Mayhem-Fähigkeiten verfügt, kommt der Auswahl eine leicht taktische Bedeutung zu. Rama z.B. ist eine exzellente Bogenschützin und daher besonders gut geeignet, um gegnerische Sniper auszuschalten, während Hardtack mit seiner Pumpgun eher für die grobe Kelle in engen Räumlichkeiten prädestiniert ist. Es gibt Agenten, die besser mit gepanzerten Gegnern fertig werden als andere. Manche können beim Hacken von Stationen das Minispiel auslassen, um Zeit zu sparen und ggf. gegnerischem Beschuss auszuweichen. Andere wiederum können sich kurzzeitig tarnen und diese Unsichtbarkeit nutzen, um verheerenden Schaden bei Bossen anzurichten.

Das futuristische Seoul ist ein prall gefüllter Action-Spielplatz. Auf ein glaubwürdiges NPC-Verhalten wird allerdings verzichtet.
Zusammen mit dem umfangreichen und teilweise teambezogenen Upgrade-, Aufstiegs- und Gadget-System hat man zahlreiche Möglichkeiten zur Verfügung, sich nicht nur seine Lieblingsagentenkombo zurechtzulegen, sondern den Kampf gegen Legion an seine bevorzugte Spielweise anzupassen. Dazu gehört auch der sehr variable Schwierigkeitsgrad. Zum einen kann man auf der Arche vor dem Start einer Mission das allgemeine Anforderungsniveau von Stufe 1 bis Stufe 15 festlegen, wobei  höhere Stufen mehr Erfahrung und mehr Geld als Belohnung bedeuten. Zusätzlich kann man eine Zielunterstützung aktivieren und sogar einstellen, wie flexibel der Winkel der Zielautomatik reagiert, um einen Treffer als solchen anzuerkennen. Wer sich nur auf die Dialoge und die Geschichte bzw. die Erkundung der Welt konzentrieren möchte, hat ebenso Gelegenheit dazu wie derjenige, der von der solide, aber nur auf direkte Konfrontation sowie auf Masse setzenden Gegner-KI ans Limit gebracht werden möchte.

Licht und Schatten

Mit Johnny Gat ist neben Kingpin (aka Pierce Washington) ein alter Bekannter der Saints-Row-Serie mit von der Partie.
Doch obwohl Volition erzählerisch Gas gibt und der Humor passt, ist Agents of Mayhem nur ein erster (wenngleich wichtiger) Schritt, um eine neue Marke zu etablieren. Denn vor allem beim Missionsdesign der Hauptgeschichte bietet man erstaunlich wenig Variation. Viel zu selten gibt es Abwechslung wie im letzten Drittel, wenn man mit Sheherazade unter Zeitdruck Dimensionslöcher stopfen muss – dass dies nur eine Variante eines Kontrollpunkt-Rennens ist: geschenkt! Denn man ist viel zu häufig nur damit beschäftigt, von A nach B zu kommen, dort Legion-Schergen abzuknallen, irgendwann über Punkt C und D in eines der zu häufig identisch aussehenden Legion-Verstecke einzubrechen, dort alles abzuknallen und den einen oder anderen Computer zu hacken. Sprich: Die Action wird bereits mittelfristig vorhersehbar und redundant. Bosskämpfe, die sporadisch eingestreuten neuen Gegnertypen sowie zufällige Ereignisse wie Dunkelmaterie, die man beseitigen muss, während man von Legion angegriffen wird oder die Eroberung von Stützpunkten in luftiger Höhe tragen zur Ehrenrettung der Action bei. Doch dass die Nebenmissionen, in denen man die zwölf Agenten kennenlernt (bzw. 13 mit Johnny Gat) und sie bei persönlichen Aufgaben begleitet, mehr zu bieten haben und unter dem Strich abwechslungsreicher sowie unterhaltsamer sind als die Kampagne, ist schade.

Die Cartoon-Zwischensequenzen machen einiges her.
Wenn man hier ebenso viel Abwechslung und Herzblut investiert hätte wie bei der Story und der Charakterzeichnung, hätte Agents of Mayhem eine größere Rolle im illustren Kreis der Action in offenen Welten spielen können. Denn auch wenn das futuristische Seoul angesichts von Monstern wie GTA 5, Just Cause 3 oder auch Ghost Recon Wildlands vergleichsweise klein ist, habe ich mich gerne vor diesem Hintergrund ausgetobt. Das Design der Stadt mit seinen teilweise im Bau befindlichen Wolkenkratzern macht einiges her und wirkt um ein Vielfaches frischer als Steelport oder die Quickie-Hölle, in der man mit Johnny Gat aufgeräumt hat. Noch schöner, wäre es allerdings gewesen, wenn man auch nur den Hauch eines glaubwürdigen NPC-Verhaltens spüren würde. Doch letztlich sind die Zivilisten nur animierte Pappkameraden, die als Statisten dazu verdonnert wurden, alles über sich ergehen zu lassen, was um sie herum passiert. Dass auf potenten PCs und der Pro-Variante der PS4 neben einer stabileren Bildrate auch mehr Einwohner und Verkehr auf den Straßen gibt, macht das Geschehen allerdings nicht glaubwürdiger. Auch die sogenannten Missionen des „Globalen Konflikts“ wirken wie draufgestülpt. Hier kann man einen (später drei) Agenten in Krisengebiete auf der ganzen Welt schicken, um dort Probleme zu lösen. Das klingt allerdings spannender als es ist. Denn letztlich kann man hier nicht scheitern, während man für den Zeitraum des Einsatzes nicht auf den oder die Agenten zurückgreifen kann, um sie in Seoul abzusetzen. Und die Belohnungen hier sind jetzt auch nicht so üppig, dass man viel Zeit in dieses Metaspiel investieren sollte. Interessanter sind die "Contracts", ein asynchroner Koop-Modus, in dem man gemeinsam mit anderen Spielern versuchen kann, bestimmte Meilensteine zu erreichen, um zusätzliche Beute freizuspielen.

Fazit

Überzogene Action in einer offenen Welt mit einem Dutzend durchgeknallter "Geheim"-Agenten, die Kugeln ebenso schnell und zielsicher verschießen wie zotige Einzeiler, vulgäre Flüche oder subtilen Wortwitz: Was die Integration von Humor in die schicke Spielwelt betrifft, macht Volition alles richtig. Sicher: Die Komik à la Austin Powers oder Deadpool ist nicht jedermanns Sache. Aber ohne die Gags und die zwölf interessanten Agenten samt ihrer skurrilen Ansichten oder Verhaltensweisen, wäre dies nur solide Open-World-Action von der Stange, bei der Volition routiniert all das abspult, was man sich in den letzten elf Jahren mit der Saints-Row-Serie erarbeitet hat. Was die Spielwelt an Glaubwürdigkeit und Lebendigkeit vermissen lässt, macht sie durch ein cooles futuristisches Design sowie einen prall gefüllten Pool an Nebenaufgaben wett. Doch die Missionen der Hauptkampagne laufen zu häufig nach Schema F ab. Es schleicht sich eine gewisse Routine ein, die weder durch die fulminant inszenierte Action mit ihren Spezial- und mitunter spektakulären Mayhemangreifen noch durch den sehr flexibel einstellbaren Schwierigkeitsgrad oder die umfangreiche Personalisierung der Agenten aufgefangen wird. Als actionreiche Persiflage auf Superhelden und James Bond vor dem Hintergrund einer offenen Welt kann man aber dennoch eine Menge ungezügelten Spaß haben. Und an den Mankos kann Volition für die hoffentlich kommende Fortsetzung arbeiten.

Pro

zwölf abgefahrene Agenten
futuristisches Seoul als Schauplatz sieht klasse aus...
cooler Humor zwischen Austin Powers und Deadpool
frei wählbare Dreierteams sorgen für taktischen Einschlag
umfangreiches Upgrade-System
sehr flexibel einstellbarer Schwierigkeitsgrad
überkandidelte, explosive Action
schick inszenierte Spezial- und Mayhem-Angriffe
starke Cartoon-Zwischensequenzen
Dialoge und Reaktionen sind von der Team-Zusammenstellung abhängig

Kontra

zu wenig Abwechslung im Missionsdesign
... ist aber unglaubwürdig bevölkert
nur auf Angriff fixierte Gegner-KI
draufgestülptes Metaspiel "Globaler Konflikt"
Cutscenes in Spielgrafik nicht immer überzeugend

Wertung

XboxOne

Abgefahrene Agenten-Persiflage mit einem ganzen Haufen durchgeknallter Figuren und einem Riesenschuss Humor. Das Missionsdesign in der unbelebten offenen Welt hat aber Luft nach oben.

PlayStation4

Abgefahrene Agenten-Persiflage mit einem ganzen Haufen durchgeknallter Figuren und einem Riesenschuss Humor. Das Missionsdesign in der unbelebten offenen Welt hat aber Luft nach oben.

PC

Abgefahrene Agenten-Persiflage mit einem ganzen Haufen durchgeknallter Figuren und einem Riesenschuss Humor. Das Missionsdesign in der unbelebten offenen Welt hat aber Luft nach oben.

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