Echo04.12.2017, Benjamin Schmädig

Im Test: Wenn die KI vom Spieler lernt

Was, wenn vom Spiel gesteuerte Gegner nicht nur vorgefertigte Bahnen laufen, sondern genau das tun, was ein Spieler macht? Was, wenn die KI beobachtet und nachahmt? Im Test ist mir genau das passiert – und ich war ebenso fasziniert wie frustriert über das Spiel mit dem digitalen Echo.

Der lange Weg

100 Jahre nach ihrer Flucht erwacht En (Leslie Rose) auf der Liege eines Raumschiffs, die einzige andere Stimme an Bord gehört der Künstlichen Intelligenz London (Nick Boulton). Ihr Ziel ist ein sagenumwobener Palast mit der Fähigkeit einen Toten zum Leben wiederzuerwecken. Und tatsächlich erreicht sie das Gebäude auf einem geheimnisvollen Planeten. Beendet ist ihre Reise damit aber lange nicht.

Denn im Inneren befindet sich keine einzige Seele. Kilometerlang erstrecken sich die prachtvollen Hallen des Gebäudes. Fast eine Stunde lang ist man damit beschäftigt, an beeindruckenden Säulen und wertvoll verzierten Leuchtern entlang zu streifen, bevor En endlich ihr Ziel erreicht. Und dann geht das Spiel erst richtig los...

Erleben ist wichtiger als hören

Bevor ich das eigentliche Spiel beschreibe: Dieser Einstieg gelingt Entwickler Ultra Ultra richtig gut. Zum einen sind die ruhigen Unterhaltungen zwischen En und London in ihrer glaubhaften Art fesselnd und zum anderen erhält man durch den langen Abstieg in den Palast ein Gefühl für dessen Ausdehnung sowie eine kalte Leere der Umgebung, die anderen Spielen völlig

Standbilder werden dem eindrucksvollen Palast leider kaum gerecht.
abgeht. Erleben ist wichtiger als davon zu hören – das sollte viel öfter die Devise sein, auch in kurzweiligen Abenteuern!

Zum anderen gibt es einen Moment, in dem die Entwickler auf beeindruckende Art und Weise mit der Beleuchtung spielen. Ich nehme ihn extra nicht vorweg, er zieht sich eine ganze Weile, findet nicht nur in einem Raum statt und ist keine technische Meisterleistung, wie sie z.B. Guerrilla Games vollbracht hat. Doch die kreative Art mit der das dänische Studio in diesem Moment mit dem Licht spielt, macht ihn zum Eindrucksvollsten, das ich seit langem in einem Videospiel gesehen habe.

Es werde Licht!

Es ist der Augenblick, in dem der Palast erwacht, langsam, rhythmisch. Wie ein Computer verarbeitet er Informationen und startet immer wieder neu, um gesammelte Daten einzubinden. Schrittweise werden so aus schwarzen Flecken unförmige Kreaturen, dann wie aus Lehm geformte Puppen und schließlich originalgetraue Abbilder von En.

Diese Echos sind Wachen, an denen En vorbeimuss, was wild schießend nicht funktioniert, weshalb sie meist schleichend den Ausgang sucht. Häufig ist der allerdings verschlossen, weshalb sie erst Schlüssel finden oder eine Reihe „Schalter“ aktivieren muss. Das eigentliche Spiel ist also eine Aneinanderreihung weitläufiger Areale, Checkpunkte befinden sich meist am Eingang eines solchen Gebiets.

KI gestalten

Die Besonderheit des Spiels sind die Echos, denn mit ihnen inszeniert Ultra Ultra Stealth-Action unter einzigartigen Vorzeichen. En wird ja nicht nur während des Erwachens, sondern die gesamte Zeit über vom Palast beobachtet: Sprintet sie, zeichnet er das auf, bleibt sie lange in der Hocke, hält er das fest. Das Gleiche gilt, wenn sie einen Gegner erschießt, über niedrige Mauern hechtet, Türen öffnet, bestimmte Gegenstände aufliest und mehr.

Grundsätzlich laufen die Echos dabei feste Routen, suchen En, wenn sie entdeckt wurde und erwürgen sie, falls sie den Eindringling erwischen – so weit, so vertraut. Haben sie einmal gelernt, z.B. Türen zu öffnen, erweitern sie ihre Patrouillenwege aber den neuen Möglichkeiten entsprechend. Haben sie gelernt zu schießen, greifen sie auch aus der Distanz an. Haben sie gesehen, wie En durch niedriges Wasser läuft, tun sie es ihr gleich. Und genau das verleiht dem vertrauten Versteckspiel seine einzigartige Note: Hier überlegt man nicht, wie man einen Gegner ausschaltet oder umgeht. Hier grübelt man, auf welche Mittel man lieber verzichtet, um im nächsten Zyklus noch im Vorteil zu sein.

Denn der Rhythmus der ständigen Neustarts bleibt immer bestehen. Alle paar Minuten gehen die Lichter aus – gehen sie wieder an, erwachen alle erledigten Wachen und sämtliche Gegner verfügen über Ens zuvor gezeigten Aktionsspielraum. Was

En kann Wachen u.a. erwürgen - auch das lernt die KI allerdings. Die Gegner übernehmen viele aufgezeichnete Aktionen.
übrigens auch heißt, dass sie z.B. das Schießen nach dem folgenden Reset wieder verlernen, falls En im aktuellen Zyklus nicht erneut schießt. Auf diese Weise verhindert das Spiel Sackgassen. Man kann durchatmen, sich in den ersten Sekunden eines Zyklus‘ sogar ungesehen neue Deckung suchen und die KI anschließend neu „gestalten“.

Idee und Wirklichkeit

Das Konzept ist interessant und tatsächlich macht es Spaß, den Verlauf so direkt zu beeinflussen. Doch so ungewöhnlich Echo auf dem Papier erscheint, so wenig unterscheidet es sich in der Realität von vergleichbaren Spielen. Zum einen macht es selten einen großen Unterschied, ob die Wachen nun geduckt gehen oder schon aus der Ferne attackieren: Umgehen sollte man sie so oder so und mal nutzen sie eben diesen Weg, mal jenen.

Zum anderen fühlt sich En vergleichsweise starr an. Sie kann Wachen zwar anlocken, ablenken, von hinten erwürgen und sich auf verschiedene Art gegen Angreifer wehren. Ist sie einmal entdeckt, bleiben ihr aufgrund begrenzter Energie und Ausdauer aber lediglich zwei, drei schnelle Aktionen, bevor sie hinter eine Deckung rennen muss, um wieder unterzutauchen. Ihre Gegner kennen zudem nur abgesteckte Routen und gerade mal drei Zustände: patrouillieren, suchen, angreifen. Gerade in einem Spiel, das die KI in den Vordergrund rückt, wirkt das zu wenig.

Manche Räume sehen beeindruckend aus - fast alle Areale sehen sich aber auch sehr ähnlich.

Einfluss – aber wenig Varianz

Mir fiel immer wieder ein, wie viel abwechslungsreicher die Verhaltensmuster der Wachen anderer Stealth-Action-Abenteuer sind, wie aufmerksam die Wachen in Metal Gear Solid 5 etwa auf Veränderungen reagieren (in Echo nehmen sie nicht einmal tote „Kollegen“ wahr), wie penibel sie nach einem Eindringling suchen, wie unvorhersehbar ihre Laufwege mitunter sind und mit wie vielen Mitteln man dieses Geflecht manipulieren kann. Dagegen wirkt „Waffe nutzen oder nicht“ einfach fahl.

Der Spielfluss wird zudem von frustrierendem Trial&Error unterbrochen, weil man nicht immer ausreichend gut auf Gefahren reagieren kann und anschließend an einen Checkpunkt von vor zehn Minuten oder mehr zurückgeworfen wird. In Verbindung mit dem todschicken, aber auch immer gleichen Schauplatz sorgt das für ein über weite Strecken zähes Vorankommen, das für sich genommen nur ein halbwegs befriedigendes Spiel ausmacht.

Fazit

Experimentierfreudige Science-Fiction-Fans mit einem Faible für faszinierende Ansichten kommen auf ihre Kosten – sie sollten sich aber darüber bewusst sein, dass sowohl die auf dem Papier einzigartige KI als auch die mit ihr gestalteten Herausforderungen spielerisch enttäuschen. Die sich ständig wiederholende rudimentäre Stealth-Action ist trotz der scheinbar lernfähigen Gegner eine profane Patrouille-und-Verfolgen-Kiste, die das Spiel nicht trägt. Und so sind es vor allem die stellenweise umwerfend schöne Kulisse sowie die interessante Geschichte der zwei ungleichen Charaktere, dank derer ich am Ball geblieben bin. Die einzigartige Welt trägt viel dazu bei, dass Echo unter dem Strich ein gerade noch gutes Erlebnis ist.

Pro

einzigartiges Katz-und-Maus-Spiel mit Gegnern, die sich dem Verhalten der Heldin anpassen
Lernpausen und Resets verhindern Frust und motivieren zum Experimentieren
spannende Geschichte mit interessanten und gut gesprochenen Charakteren
teilweise überwältigend schöne Kulissen

Kontra

Verhalten der Gegner ist im Grunde rudimentär und durchschaubar: Wachen nutzen einige wenige Aktionen eben oder nicht
viele Situationen fühlen sich nach Trial&Error an, weil man Fehler schwer ausmerzen kann
nahezu keine Abwechslung das gesamte Spiel über

Wertung

PlayStation4

Erzählerisch interessantes Abenteuer, das seine spielerischen Ideen nicht voll entfalten kann.

PC

Erzählerisch interessantes Abenteuer, das seine spielerischen Ideen nicht voll entfalten kann.

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