Apocalipsis: Harry at the End of the World07.03.2018, Jan Wöbbeking
Apocalipsis: Harry at the End of the World

Im Test: Diabolischer Knobel-Trip

Langsam haben wir alles durch, oder? Woll-Yoshi, Cartoon-Cuphead, Wasserfarben-Okami und viele weitere Stilrichtungen der bildenden Kunst hatten schon ihren Auftritt in der Welt der Videospiele. Der polnische Entwickler Punch Punk Games schafft es trotzdem, eine angenehm eigenwillige Endzeitstimmung aufzubauen. Sein Adventure Apocalipsis: Harry at the End of the World (ab 0,69€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) ist eine spielbare Hommage an die in Holz geschnittenen Endzeit-Visionen von Albrecht Dürer.  

Ansehnliche Endzeit

Ausgangspunkt des düsteren Rätseltrips ist ein Dilemma, das vielen bekannt vorkommen dürfte: Harrys erste große Liebe ist fort, seine Welt zusammengebrochen. Seine Realität erscheint ihm wie ein Sammelsurium aus all den Themen, die man gemeinhin mit apokalyptischen Visionen assoziiert: Krieg, verdorrte Felder, mutierte Monstren, ein aus den Fugen geratenes Sozialverhalten und natürlich viel, viel fiese Folter. Die Entwickler erwähnen im Steam-Store eine ganze Reihe von Vorbildern. Dazu gehören Dante Alighieris "Göttliche Komödie", die als Inspiration für die Geschichte galt, oder Holzschnitte aus dem 15. Und 16. Jahrhundert von Holbein, Wolgemut und Dürer. Das Ergebnis wirkt gelungen: Trotz simpler Animationen und repetitiver Bewegungen wie Harrys ständigem Achselzucken strahlt die Kulisse eine ganz eigene, finstere Faszination aus.

Die Entwickler mögen es schlicht: In der Welt von Apocalipsis gibt es weder eine Hotspot-Taste noch andere moderne Hilfsmechanismen.
Ähnlich wie in Machinarium fordert das bizarre Design der Wesen und Maschinen den Spieler geradezu heraus, auf ihnen herumzuklicken, um neue Mechanismen oder Gesetzmäßigkeiten zu entdecken. Ähnlich wie in Amanitas Knobelspielen oder bei den Gobliiins hantiert man immer nur in einer der rund 25 überschaubaren Szenen herum, bis man ein paar Puzzles gemeistert hat, der Fortschritt gespeichert wird und es weiter zum nächsten Bild geht. Dementsprechend klein bleibt das rechts oben eingeblendete Inventar. So sammelt man z.B. ein paar Knochen ein, um sie nacheinander in der Mulde eines Findlings festzuklemmen, sie mit dem Messer anzuspitzen und sie schließlich als Leitersprossen in die Wand zu rammen.

Symbolkraft

Anderswo versucht man sich an einem der zahlreichen Symbol-Puzzles, in denen es etwa auf dem Deck eines Schiffs Sternbilder zu deuten gibt. Während solcher Puzzles sollte man ab und zu auch einen Blick auf die Umgebung werfen, statt sich zu sehr auf eine Sackgasse zu vertiefen. Auf dem Schiffsdeck z.B. spielen ein Eimer, ein Seil und ein Wischmob eine entscheidende Rolle beim Entdecken der korrekten Zeichenfolge. Lässt man sie an der Reling ins Wasser hinab, hat man danach das Wasser zum Putzen einer verdreckten Zeichnung parat. Im Rahmen der kleinen Kopfnüsse trifft man auf bizarr zusammengezimmerte Folterinstrumente, dämonische Totenkopforgeln, entstellte Humanoide oder achtköpfige Vögel. Oft bewachen die Kreaturen eine wichtige Ecke des Bildschirms und müssen mit anderswo gefundenen Gegenständen weggelockt werden.

Was geht hier vor? Das Entschlüsseln der bizarren Finsterwelt und seiner Symbol-Puzzles ist die Hauptmotivation des Adventures.
Der Großteil der Aufgaben sorgt für einen angenehmen, unterhaltsamen Knobelrhythmus bei einem einfachen bis mittlerem Schwierigkeitsgrad. Zunächst untersucht man, welche Elemente des bizarren Gewusels sich anklicken und für eigene Zwecke missbrauchen lassen, dann beginnt die Bastelstunde an den seltsamen Mechanismen.  Ein klarer Schwachpunkt dabei sind die unpräzise gesetzten Interaktionspunkte – vor allem, da sich die Hotspots nicht per Tastendruck anzeigen lassen. Das Absuchen der Umgebung mit der Maus ist in solch einer Kulisse ein durchaus schöner Zeitvertreib, doch manchmal wird man von den ungenau platzierten Interaktionsbereichen oder der Perspektive in die Irre geführt.

Holprige Suche

Warum kann Harry auf der einen Seite um ein großes Objekt gehen, aber nicht auf der anderen? Warum muss man bei der Befreiung einer abgemagerten Kuh mit dem Messer nicht direkt das Geschirr durchschneiden, sondern auf eine viel zu hohe Rolle klicken, die Harry eigentlich gar nicht erreichen kann? Am Rande des Zeltes führte einmal sogar wildes Herumklicken auf eine Begleiterin zum Ziel, die dann plötzlich in die Behausung ging und den Weg zu neuen Objekten öffnete. Warum? Keine Ahnung. Glücklicherweise leidet aber nur eine Minderheit der Puzzles unter den genannten Problemen, so dass man nach kurzer Suche und ein wenig Grübeln meist auf die Lösung kommt.

Die Zwischensequenzen beschränken sich auf bebilderte und vorgelesene Textpassagen.
Schade auch, dass die Geschichte um Plagen, übernatürliche Phänomene und Hexenprozesse so minimalistisch und ohne Dialoge präsentiert wird: Nachdem seine Freundin Zula einem in der Atmosphäre verglühten Kometen nachging, bricht eine verheerende Plage über ihren Heimatort herein, so dass sie der Hexerei bezichtigt wird. Sicher, auf Harrys Rettungsmission wird einiges visuell in Form der Symbolik erzählt. Trotzdem hätte ich mir mehr gewünscht als kurze, vorgelesene Texte oder Begegnungen mit anderen Figuren, die oft zu einfachen Rädchen der Rätselmechanik verkommen. Als Erzähler wurde übrigens Adam Darski aka Nergal engagiert. Seine Band Behemoth steuert auch den Soundtrack zum rund vier Stunden langen Spiel bei: Die bedächtigen Synthie- und Orgelmelodien klingen allerdings viel ruhiger als die üblichen Stücke der Gruppe. Nur die leicht übersteuerte Aufnahme des Erzählers erinnert noch an den sonst lauteren Ton der Metal-Band. Für einen weiteren Stimmungsdämpfer sorgt das Ende. Ich will nicht zu viel verraten, aber die Art und Weise, mit der man Einfluss auf die alternativen Ausgänge nimmt, hat mich ziemlich geärgert.

Fazit

Schön, dass alle paar Jahre wieder eines dieser gemütlichen, überschaubaren Knobelspiele im Stil der Gobliiins erscheint: Zunächst untersucht man die Umgebung, startet dann ein paar Experimente und schon wenige Minuten später wechselt man mit einem Erfolgserlebnis zum nächsten Bild. Auch in Apocalipsis funktioniert dieses kompakte Prinzip, zumal der eigenwillige Stil alter Holzschnitte und Kupferstiche eine ähnlich starke Faszination entfaltet wie bei den Vorbildern Samorost oder Botanicula. Das Adventure baut mit seinen surrealen Apparaten und dämonischen Kreaturen eine schöne Endzeit-Stimmung auf, die dazu einlädt, alles ganz genau mit der Maus zu untersuchen. Auch der Großteil der Symbolrätsel wirkt gelungen, doch die holprige Umsetzung sorgt hier und da für unnötigen Frust. So wurden z.B. die Interaktionspunkte ungenau platziert, was in Kombination mit der fehlenden Hotspot-Anzeige immer mal wieder Verwirrung stiftet. Weitere Stimmungsdämpfer sind die minimalistische Präsentation der Geschichte und eine Enttäuschung, die mit den alternativen Enden zusammenhängt. Das kleine Studio Punch Punk Games erreicht zwar noch nicht den Feinschliff von Fire oder Machinarium, trotzdem steckt ein unterhaltsamer Knobel-Trip hinter der diabolischen Kulisse von Apocalipsis.

Pro

faszinierende Kulisse im Stil alter Holzschnitte und Kupferstiche
gemütliches häppchenweises Knobeln
unterhaltsames Gebastel an ungewöhnlichen dämonischen Maschinen

Kontra

unpräzise gesetzte Hotspots erschweren die Suche
minimalistisch präsentierte Geschichte bleibt zu sehr im Hintergrund
enttäuschend umgesetztes alternatives Ende

Wertung

PC

Atmosphärische, mitunter etwas holprig umgesetzte Rätselreise durch eine apokalyptische Holzschnittwelt.

Echtgeldtransaktionen

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