Der Zahn der Zeit
Zehn Jahre sind schon eine Menge Holz, in denen viel passieren kann. Auch im Shooter-Bereich. Doch auch wenn manche der Mechaniken eines Gears of War mittlerweile etwas angestaubt wirken, kann die Ultimate Edition innerhalb weniger Minuten vermitteln, warum der Action-Kracher unter der Regie von Cliff Bleszinski damals so einschlug und eine Duftmarke setzte. Stilistisch mag die mittlerweile etwas erschlankte Truppe der Muskelmänner rund um Marcus Fenix immer noch etwas grotesk wirken und auch die banale Story sowie die Dialoge würden niemals für einen Oscar in Erwägung gezogen.
Doch wenn man zum Controller greift, dann stellt es sich schnell wieder ein, dieses alte, wohlbekannte und immer noch großartige Gears-Feeling, wenn man von Deckung zu Deckung huscht, sich heftige Stellungskämpfe gegen die zähen sowie clever flankierenden Locust liefert und mit dem richtigen Timing flott das Magazin wechselt. Gerade diese damals innovative Nachlademechanik empfinde ich immer noch als genial und sie sollte auch in anderen Shootern viel öfter zum Einsatz kommen. Auch das eingängige Deckungssystem auf Knopfdruck funktioniert noch so gut wie eh und je, übertrifft sogar immer noch viele der späteren Spiele von Mitbewerbern, die ähnliche Ambitionen verfolgten. Etwas nervig ist neben den vereinzelten Trial&Error-Passagen lediglich der Umstand, dass der Einsatz des coolen Kettensägenbajonetts aufgrund der Tastenbelegung und der dadurch resultierenden Einschränkung der Kamera
Neben der Kulisse profitieren auch die Figuren von der grafischen Generalüberholung.
immer noch relativ umständlich ist, dafür aber erneut bei richtiger Anwendung in einem herrlichen Gore-Spektakel endet. Kurz gesagt: Bis auf ein wenige mechanische Einschränkungen spielt sich Gears of War immer noch klasse und steckt auch in der ultimativen Edition manch anderen aktuellen Shooter in die Tasche.
Mehr Inhalt, bessere Technik
Zählte das Spiel auf der Xbox 360 noch zu den technischen Vorzeige-Titeln, blieb der ganz große Wow-Effekt schon auf der Xbox One aus, obwohl von den Texturen über die (Licht-)Effekte bis hin zu den Figuren sowie Zwischensequenzen alles spürbar aufgebohrt und die Bildrate auf flüssige 60fps verdoppelt wurde. Auf dem PC sieht es ähnlich aus, obwohl man hier die Auflösung sogar auf bis zu 4K hochschrauben und auch die Bildrate noch weiter erhöhen kann, sofern die Hardware entsprechende Leistungsressourcen bietet. Aber diesen leicht angestaubten Eindruck kann Gears auch auf höheren Grafikeinstellungen nicht loswerden, zumal das optionale FXAA auch nicht alle Kanten glatt bügeln und man immer noch ein leichtes Flimmern entdecken kann. Das für die Umsetzung zuständige Studio „The Coalition“ hat sich für dieses Remaster aber deutlich mehr ins Zeug gelegt als etwa Sonys Santa-Monica-Studio bei der PS4-Umsetzung von God of War 3 oder Capcom bei Resident Evil HD. Aber die überarbeitete Kulisse vermittelt heute einfach nicht mehr die Wucht und das Gefühl eines technischen Overkills, den man damals noch auf der 360 verspürt hat. Nichtsdestotrotz macht die Unreal Engine hier einen guten Job und vor allem beim Zielen profitiert die Steuerung von der höheren Bildrate. Hinsichtlich der (Begleiter-)KI hätte man aber mehr optimieren können, denn hin und wieder krankt sie noch an ähnlichen Problemen und vereinzelten Aussetzern wie vor neun Jahren. Tatsächlich wirkt die PC-Version in dieser Hinsicht noch einen Tick schlimmer: Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, dass meine Begleiter auf der Xbox One derart oft zu Boden gegangen sind oder so viele dämliche Laufwege eingeschlagen haben. An anderer Stelle erkennt man dagegen deutliche Verbesserungen bzw. man hört sie: Abgesehen davon, dass Microsoft die Soundkulisse auf eine 7.1-Konfiguration erweitert hat, profitieren vor allem die deutschen Stimmen von der frischen Abmischung. Sie tönen nicht nur deutlich klarer aus den Boxen, sondern auch die störenden Lautstärkeschwankungen des Originals wurden minimiert. Trotzdem sorgt die deutsche Tonspur aufgrund mancher Sprecher und etwas zu wörtlichen Übersetzungen aus dem Englischen für ungewollte Lacher. Ärgerlich: In dem über 50 Gigabyte großen Download ist zwar auch die Original-Tonspur enthalten, doch wer Marcus & Co auf Englisch erleben will, muss dafür die Sprache seines Betriebssystems (Windows 10) umstellen. Warum bietet man die Sprachwahl nicht direkt aus dem Spiel heraus in den Audio-Einstellungen an?
Dank zähen Gegnern, dem intuitiven Deckungssystem und der flüssigen Darstellungen sind die Feuergefechte ein Genuss.
Neben der Technik hat Microsoft auch den Inhalt aufgestockt: PC-Spieler kennen die fünf zusätzlichen Kapitel der Kampagne zwar schon aus der Umsetzung von 2007, doch auch der Mehrspielermodus bekommt im Vergleich zum Original Zuwachs durch weitere Variation wie Team Deathmatch, King of the Hill (im Stil von Gears of War 3) und dem neuen Gnasher Execution, bei dem zwei Zweier-Teams gegeneinander antreten, während sich in anderen Modi bis zu acht Teilnehmer tummeln können. Was ich aber vermisse ist ein Horde-Modus: Den gab es zwar auch nicht im Original, aber dieser populäre Modus hätte der Ultimate Edition sicher gut gestanden. Dafür gibt es im Vergleich zur 360-Fassung mit 19 Karten fast die doppelte Anzahl und auch nette Extras wie Comics (...für Finder der KOR-Marken) oder Konzeptzeichnungen runden das Paket ab. Ein zusätzlicher Schwierigkeitsgrad schließt außerdem die Lücke zwischen „Lässig“ und „Hardcore“, während sich Profis weiter auf der Stufe „Wahnsinnig“ austoben dürfen. Klasse ist außerdem, dass die LAN-Unterstützung als Alternative zu den Online-Matches nicht gestrichen wurde und man noch mehr Möglichkeiten an die Hand bekommt, die Partien mit einer größeren Palette an Einstellungen an eigene Vorlieben anzupassen. Und auch technisch liefen die Online-Partien im Rahmen unseres Tests rund: Die automatische Spielervermittlung dauert zwar etwas lange und auf dem PC scheinen einfach (noch) nicht viele Spieler unterwegs zu sein, doch kommt eine Partie zustande, sind mir beim Ballern auf den dedizierten Servern weder Lags noch Verbindungsabbrüche aufgefallen. Nur eine Sache schmerzt und führt zu einem Punktabzug gegenüber der Fassung der Xbox One: Lokale Partien am geteilten Bildschirm sind am PC leider nicht erlaubt.