Among The Sleep30.05.2014, Benjamin Schmädig

Im Test: Ein ganz normaler Geburtstag...

Wenn nachts das Licht ausging, war das ein gewaltiger Test für meine Nerven: Plötzlich bewegte sich etwas im Baum vor meinem Fenster. Ich hörte jedes Klopfen, Dielen knarrten – oder war es die Tür, die sich einen Spalt geöffnet hatte? Das ist viele Jahre her und Among the Sleep (ab 4,67€ bei kaufen) versetzt mich glatt zurück in diese Zeit. In der die Schatten größer waren als die Menschen, die sie warfen.

Dunkle Gestalten

Ein lautes Stöhnen fährt mir durch Mark und Bein: Im Nebenzimmer ächzt das Holz, ich höre Stimmen flüstern. Dann schwebt ein Umriss vor der Tür entlang. Ich verschwinde im Kleiderschrank, schließe die hohe Tür und schaue angespannt durch die Lamellen. Nichts. Niemand regt sich. Erleichtert drehe ich mich um – und erschrecke vor einer Wand dunkler Gestalten, die ausdruckslos auf mich herabschauen.

Mäntel! Es sind einfache Mäntel, die mir die Haare zu Berge stehen lassen. Witzig, sehr witzig! Oder hat sich einer der Mäntel gerade bewegt?

Blauer Strampler

Among the Sleep ist ein modernes Horrorspiel. Es bedient sich beim Besten, was Slender, Outlast und Amnesia zu bieten haben: Es spielt mit der Erwartungshaltung, der Ungewissheit und der Schwäche eines Protagonisten, der sich in keiner Form gegen die Bedrohung wehren kann. Der nicht einmal weiß, ob tatsächlich Gefahr existiert oder ob er Opfer seiner Vorstellungskraft ist. Er kann sich in Schränken und unter Möbeln verstecken. Oder darauf warten, dass ihn das Böse einholt...

Das Besondere ist die Hauptfigur, ein zweijähriges Kleinkind. Ich werde davon ausgehen, dass es ein Junge ist, da ich neutral benannte Personen instinktiv mit meinem Geschlecht gleichsetze und das Kind einen blauen Strampler trägt. Zu seinem zweiten Geburtstag krabbelt er jedenfalls durchs Haus seiner Eltern, stapelt Würfel, schnappt sich den Lieblingsteddy,

Bei Tageslicht ist das Haus ein beschauliches Zuhause...
wird schließlich von seiner Mutter ins Bett gebracht und wacht mitten in der Nacht wieder auf – als der Teddy wie von Geisterhand von ihm fort gezogen wird. Ohne ersichtlichen Grund kippt anschließend das Bett auf die Seite. Wo sind die Eltern? Und wieso öffnet sich die Tür des Kinderzimmers ganz von alleine?

Flüstern und Schaben

Was Krillbite Studio richtig gut gelingt, ist die Verbindung von Fantasie und Wirklichkeit. Das fängt bei der umfassenden Darstellung des ungewöhnlichen Protagonisten an, der seine Welt selbst dann noch von unten betrachtet, wenn er nicht auf allen Vieren krabbelt. Stühle überragen ihn, unter Tischen hat er reichlich Platz, Kommoden sind unerreichbar hoch. Weil ich sie nicht gewöhnt bin, ist das eine furchteinflößende Perspektive; die gesamte Kulisse wirkt falsch dimensioniert.

In diesem Szenario spielen die Entwickler mit der Erwartungshaltung; unerwartete Schreckmomente haben mich zusammenzucken lassen, die Intensität vorhersehbarer Szenen jagte mir einen Schauer über den Rücken. Höhepunkte bäumen sich in einer durchgehenden Spannung auf – die Ungewissheit ist ständiger Begleiter.

Auf hervorragende Art fängt Krillbite dabei das vermeintliche Flüstern, das Knarren, Kratzen und Schaben ein, das immer mehr zu sein scheint als die natürlichen Geräusche eines Einfamilienhauses. Gesprächsfetzen mischen sich unter die Klänge, selbst Wasser kann bedrohlich klingen. Tropft da ein Wasserhahn oder stapft jemand durch eine Pfütze? Die Gänsehaut verdankt Among the Sleep zum großen Teil seinem tollen Ton!

Junger Ego

Die Wahl des Protagonisten kreide ich Krillbite allerdings an – zum einen, weil es mir schwerfällt mich in einen Zweijährigen hineinzudenken. Auf einer hypothetischen Ebene kann ich seinen physischen und psychischen Horizont zwar verstehen, emotional trennt mich aber eine spürbare Distanz von dem Krabbeln auf allen Vieren. Schön ist, wie die unmittelbare Umgebung ein wenig heller leuchtet, wenn der Junge den Teddy fest an sich drückt – ein liebenswertes Detail, das mich mit ihm fühlen lässt. Auch die Darstellung körperlicher Aktionen gelingt den Entwicklern überzeugend, weil der Kopf immer in Bewegung und die Hände oft sichtbar sind. Dennoch fiel es mir schwer, mich wie in der Haut eines kleinen Kindes zu fühlen.

Zum anderen überspannt Entwickler Krillbite den Bogen der Glaubwürdigkeit. Immerhin gehören Erfahrung und Abstraktionsvermögen dazu, um Bilder und Geräusche als kohärente Schauerkulisse wahrzunehmen. Ein Fratz in diesem Alter vermisst sicherlich seine Mutter,

Oculus Rift und PS4

Among the Sleep unterstützt auch den Prototypen des Oculus Rift und wird auf PlayStation 4 mit dem 3D-Headset Morpheus zusammenarbeiten. Einen Termin für die Konsolenversion gibt es allerdings noch nicht - die Entwickler sprechen derzeit von "später". sollte das Knarren der Dielen aber noch nicht im Sinne klassischer Horrorklischees fürchten. Vor allen Dingen dürfte er noch keine umfassende Albtraum-Fantasie um ein reales Ereignis spinnen.

Gemalte Tagebücher

Ich will nicht viel vorweg nehmen, doch zum Selbstzweck beschwört Krillbite das Grauen ja nicht. Ich entdecke eine unerwartet gute Geschichte, indem ich beobachte und zuhöre. Hin und wieder muss ich mich verstecken oder einen Hocker vor eine Tür ziehen, damit ich an die Klinke komme. Ich muss aber keine Geheimnisse suchen oder ein Sammelsurium anhäufen - gut so, denn das würde vom glaubwürdigen Erleben ablenken. Nur kleine Zeichnungen des Kindes stoßen mich wie Tagebücher auf den richtigen Weg.

Und an dessen Ende wartet keine einzigartige, aber dennoch originelle Auflösung, die den Horror plausibel macht. Ich wünschte nur, dass es neben dem aufregenden Grusel häufiger eine echte Gefahr gegeben hätte. Dann hätte ich nicht nur von der Bedrohung gehört, um die sich alles dreht, sondern sie auch selbst erfahren - das Finale hätte dadurch intensiver sein können. Auch deshalb erlebe ich es mehr wie ein Zuschauer, kaum als Teilnehmer.

Fazit

Die abschließende Pointe treffen die Entwickler vielleicht nicht ganz – auf dem Weg dorthin inszenieren sie allerdings gepflegtes Grauen mit Anleihen an Slender, Outlast und Amnesia. Among the Sleep spielt geschickt mit der Erwartungshaltung, erschafft grafisch und akustisch eindrucksvolle Kulissen und lässt es durchgehend knistern, anstatt billig zu erschrecken. Die Bedrohung müsste häufiger als unmittelbare Gefahr greifbar sein und ein zweijähriges Kind ist eine schlechte Identifikationsfigur – auf der einen Seite habe ich deshalb mehr beobachtet als selbst erlebt. Auf der anderen Seite ist es natürlich clever, dass ich in seiner Haut so klein und schwach bin, dass ich mich vor etwas Bösem nur ängstlich verstecken kann. So habe ich ein Abenteuer erlebt, das mich vor allem mit seiner großen Spannung und einer liebevollen Inszenierung vereinnahmt hat.

Pro

angsteinflößende Überhöhung alltäglicher Bilder und Geräusche
clevere Verbindung von Horror und Handlung
umfassende Darstellung des Aktionsspielraums eines Kleinkinds
Schauplätze erwecken gruselige Realität überzeugend zum Leben

Kontra

aus Schrecken hätte häufiger echte Gefahr werden sollen
zweijähriges Kind ist schlechte Identifikationsfigur

Wertung

PC

Spannender Horror, der von einer starken audiovisuellen Kulisse lebt.

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